Medienwoche: Griff in die Bücherkiste
Diese Woche ist Medienwoche. In dieser kleinen Serie stellen wir Medien vor, die uns in letzter Zeit beeindruckt haben. Heute empfehlen wir eine bunte Mischung von Büchern. Es geht um Weltflucht, starke Anführer, eine Gesundheitsdiktatur, aufgeklärtes Denken und (natürlich) um Viren.
Wenn schon Weltflucht, dann richtig!
Literatur kann vieles sein und kann für die Leserin, den Leser verschiedene Funktionen haben. Eine Funktion ist die Distanzierung vom tristen, krisenhaften Alltag. Man kann sich nur allzu leicht in fiktive Welten einlesen, in ein anderes Leben, bei dem man die ProtagonistInnen der Geschichte begleiten kann. Das Erkunden einer neuen Welt ist in der Romanserie „Meine Wiedergeburt als Schleim in einer anderen Welt“ schon im Titel angelegt. Tatsächlich wacht der Protagonist nach dem Tod in seiner Realität als Schleim in einer Fantasywelt auf. Dort baut er mit anderen Fantasywesen ein neues Zuhause auf und muss sich verschiedenen Herausforderungen stellen. Die Geschichte bietet dabei angesichts des absurden Settings immer wieder witzige Momente. Die aktuell vierteilige Reihe bietet leichte Unterhaltung. Je nach Vorliebe kann man die Geschichte als Manga (also als japanischen Comic) oder als bebilderten Roman (Der Verlag nennt diese Variante „Light Novel“) lesen. Im Netz findet man übrigens auch den dazugehörigen Anime.
„Meine Wiedergeburt als Schleim in einer anderen Welt“ von Fuse (Text) und Mitz Vah (Artwork) ist in deutscher Sprache beim Mangaverlag Altraverse erschienen.
Was Laschet, Söder und Co gerne wären
Krisenzeiten sind Zeiten, in denen viele Menschen sich nach Orientierung sehnen. Da lassen es sich etwa ambitionierte Ministerpräsidenten nicht nehmen, sich als starke Männer zu inszenieren. Es gibt also Anlass sich mit dem „Der Mythos vom starken Führer“ zu befassen. So heißt das Sachbuch von Archie Brown. Er geht der Frage nach, wie politische Führung im besten Fall aussehen kann. Das Buch zeichnet aus, dass der Autor nicht bloß im luftleeren Raum philosophiert, sondern anhand von historischen Beispielen von politischer Führung seine Argumentation aufbaut. Dabei relativiert sich dieser „Mythos von staken Führer“ und der Autor erinnert an die Qualitäten der parlamentarischen Demokratie.
„Der Mythos vom starken Führer. Politische Führung im 20. Und 21. Jahrhundert“ von Archie Brown erschien in deutscher Sprache beim Propyläen-Verlag.
Fiktion einer wahren Gesundheitsdiktatur
Dieser Tage muss man immer wieder von reichlich weltfremden Verschwörungstheorien lesen und hören. In Juli Zehs Romandystopie „Corpus Delicti“ wird fiktiv durchgespielt, wie eine wahre Gesundheitsdiktatur von morgen aussehen könnte. In dem Text von 2009 schreibt Zeh gesellschaftliche Entwicklungen fort, die es schon vor dem Ausbruch von Corona gab. Umso interessanter ist die Lektüre in der aktuellen Lage. Die Protagonistin fechtet im Roman einen Kampf mit dem System und der Ideologie der Gesundheitsdiktatur aus. Während man sich manchmal gruselt, wenn man erkennt, wohin sich bestimmte, gegenwärtige Trends entwickeln könnten, ist man dann doch froh, dass wir heute immer noch in einem Land leben, das anders funktioniert als Juli Zehs Romanwelt.
„Corpus Delicti. Ein Prozess“ von Juli Zeh erschien im btb-Verlag.
Aufklärung aktuell
Susan Neiman fragt im Titel ihres Buches: „Warum erwachsen werden?“ Dazu bringt sie zwei echte Titanen des Denkens in ihren Text ein: Kant und Rousseau. Neiman fragt, worin sich das Denken bei Kindern und Erwachsenen unterscheidet. Sie stellt sich dabei in die Tradition der Aufklärung, deren Ziel ja eben die Aufklärung der Menschen ist. Somit hat für Neiman Erwachsensein mit den Mühen der Mündigkeit zu tun. Neiman zeigt, wie kniffelig es ist, zur Mündigkeit zu gelangen und weshalb es sich dennoch lohnt. Das Buch lässt die Leserin, den Leser im besten Sinne überfordert und mit ratternden Kopf zurück. Neimans schafft es, dass man ihr philosophisches Werk tatsächlich recht flüssig lesen kann.
„Warum erwachsen werden? Eine philosophische Ermutigung“ von Susan Neiman erschien im Hanser-Berlin-Verlag.
Es war einmal … ein Manga
Wie war das noch mal mit dem Virus und der Immunabwehr? Das haben wir alle doch mal in der Schule gelernt. Irgendwas mit Killerzellen, oder? Jedem, der jetzt noch schnell sein verstaubtes Schulwissen über den menschlichen Körper und seine Funktionsweise auffrischen möchte, dem sei der Manga „Cells at Work!“ empfohlen. Hier wandert ein rotes Blutkörperchen als Paketbotin durch den Körper und ein messerschwingendes weißes Blutkörperchen metzelt die Viren, die als Monster erscheinen, nieder. Dezente Infokästen erläutern die biologischen Hintergründe und die episodenhaften Geschichten bieten dem Leser, der Leserin eine leichte, witzige Unterhaltung. Prodesse et delectare!
„Cells at Work!“ von Akane Shimizu erschien im Verlag Manga Cult.
Eine tolle Zusammenstellung, vielseitig und bunt und vor allem gelegentlich auch mit einem gewissen Bezug zur aktuellen Situation – gesellschaftlich, politisch und medizinisch. Dass das Buch als Medium in der aktuellen Lage einen neuen “Anschub” erhält, ist eine schöne Nebenerscheinung zwischen vielen doch sehr beklemmenden Nachrichten.
Ich finde es sehr wertvoll, dass der Autor die Bedeutung des kritischen Denkens beim Medienkonsum hervorhebt. In der heutigen schnelllebigen und sich ständig verändernden Medienlandschaft ist es leicht, sich von der ständigen Informationsflut mitreißen zu lassen und zu vergessen, die grundlegenden Annahmen und Werte zu hinterfragen, die unser Medienumfeld prägen.
Der Artikel regt zum Nachdenken an und ist hochaktuell, vor allem angesichts der laufenden Debatte über Fake News und die Rolle der sozialen Medien bei der öffentlichen Meinungsbildung. Er erinnert uns daran, wie wichtig die Literatur nach wie vor ist, wenn es darum geht, der komplexen und sich ständig verändernden Medienlandschaft einen Sinn zu geben.