Auswertung von Aufstellungen mit Struktur: ein Weg zur Umgehung des Selbstbestätigungsdrangs?

Bislang standen in unseren Fortbildungen zur Aufstellungsleitung im Vordergrund, Aufstellungen zu konzipieren und durchzuführen. Das schnelle Gespräch über die Erkenntnisse war am Ende meistens möglich und schon ging es zur nächsten Aufstellung. Das Bedürfnis der Gruppe wuchs, sich einmal intensiver mit den Ergebnissen einer Aufstellung zu befassen. Unter Auswertung verstehe ich, aus einem Datenraum wertvolle Informationen zu holen. Der Datenraum, der durch eine Aufstellung entsteht, ist zumeist sehr voll: 90min Positionen und das dazu gesprochene Wort schaffen noch einmal mehr Daten als ein Gruppeninterview. Dies liegt unter anderen daran, dass Aufstellungen ein polykontexturales szenisches Interview eines Systems sind, in denen wir etwas über jedes Element und seine Beziehungen in verschiedenen Kontexten erfahren können. Die vielen Daten wirken nicht nur auf Ungeübte etwas erschlagend und eine gängige Reaktion ist es, sich aus der Aufstellung das herauszusuchen, was die eigene Vorannahme eher bestätigt als widerlegt. Der Selbstbestätigungsdrang von uns Menschen ist unglaublich hoch, auch bei Expert:innen.

Strukturierte Auswertungen müssen daher vor allem eines leisten: einen Weg anbieten, der den Selbstbestätigungsdrang umgehen kann und die Beobachtenden an einen Punkt führt, von dem aus sie nicht nur das sehen, was sie immer sehen. Die Umgehung des Selbstbestätigungsdrangs führt durch den Raum der Beschreibung: Lange und intensiv die Aufstellung wiedergeben, ohne den Daten eine Interpretation oder eine Bewertung hinzuzufügen. Der Beschreibungsraum ist anfänglich ungemütlich, weil es gar nicht so einfach ist, die eigenen impliziten Bewertungen draußen zu lassen. Wenn wir als Systembild beispielsweise eine Konstellation haben, in der die angefragten Elemente sich im Spannungsfeld von Nähe und Distanz in der Nachcoronazeit rund um den Pol Distanz scharen, dann schickt die mentale Karte ganz schnell die Informationen: menschliche Distanz ist schlecht, Nähe ist wünschenswert und durch Corona entfernen sich die Menschen voneinander. Es macht einen Unterschied, ob ein Mensch oder eine Gruppe sich erst einmal durch diese Bewertung hindurcharbeiten müssen, um dann zu weitergehenden Reflexionen über die Bedeutung von Distanz zu kommen. Bewertungen gar nicht erst in den Beschreibungsraum zu lassen, hält den Blick auf die Daten weiter und neugieriger. Schnelle Hypothesen und Bewertungen engen den Blick drastisch ein und befriedigen vor allem den Selbstbestätigungsdrang.

In der qualitativen Sozialforschung gibt es zahlreiche Hinweise und Vorgehensweise für ein methodisches Auswerten von qualitativen Daten. Gleichwohl thematisiert die Wissenschaft den Selbstbestätigungsdrang in ihren Auswertungsprozessen eher selten. Dabei schlägt der Selbstbestätigungsdrang noch einmal zu, wenn es darum geht, aufbereitete Daten, beispielsweise durch eine Transkription in einer #Aufstellungspartitur, zu verdichten und Kernsätze, Schlüsselpositionen und Metaphern auszuwählen, die relevant sein können. Entscheiden heißt nicht nur zu verzichten auf einen großen Teil der Daten, es heißt auch, erkenntnisreiche Daten auszuwählen. In diesen Auswahlprozess, der von Auswertenden in einem unbewussten Modus gemacht wird, setzt sich häufig der Selbstbestätigungsdrang und implizite Intentionen durch, die von Glaubenssätzen gesteuert werden. Nicht viel anders selektieren wir im Alltag auch aus der Vielfalt der Informationen diejenigen aus, die wir als nützlich erachten.

Auswertende in einem bewussten Modus klären zuerst ihre wahrnehmungslenkenden Intentionen und gehen in eine erkundende Haltung, die vor allem eines leichter macht: eine Beobachtung als relevant und neu zu erkennen, die an sich irritierend ist, weil die eigene mentale Karte dafür keinen Platz hat. Genau an dieser Stelle liegt dann der Vorteil einer Auswertung in der Gruppe. Bevor das individuelle Gehirn die Möglichkeit hat, in den Ja-aber-Modus zu gehen und eine Irritation durch bekannte Deutungen zu kontrollieren, können andere Gruppenmitglieder diese irritierende Information aufnehmen und im Ja-und-Modus stabilisieren und weiterdenken. Eine Gruppe, deren Mitglieder im Ja-und-Modus denken kann, ist in der Lage, Irritationen einen Raum zu geben und sie solange festzuhalten, bis Geistesblitze weitere Informationen senden. Genauso entsteht eine kokreative Energie und die Gruppe erzeugt Lernprozesse der Beteiligten, die ihnen eine dichtere und zugleich geschmeidigere mentalen Karte zeichnet.

Diese und weitere Erfahrungen haben die Teilnehmenden des online-Fortbildungsseminar zur Auswertung von Aufstellungen vom 18. bis 20. Juni 2020 gemacht. Die Zeit war insgesamt zu kurz, um in den wittgensteinschen Modus  zu kommen: Schaue, ohne  zu denken! Oder wie es Otto Scharmer ausdrückt: Beobachte, beobachte, beobachte! Ziel des Semiars war es, den Teilnehmenden die Möglichkeit zu geben, im Tun zu erkennen, dass wir im unbewussten Modus immer uns selbst auswerten. Eine weitere Erkenntnis stellte sich dann durch die Gruppe selbst ein, als sie eine Waldorfschule und einen Übergabeprozess einen kleinen Unternehmens in einer Aufstellung erkundete: Beide Systeme wiesen viele „Baustellen“ auf, viel mehr als zu bearbeiten möglich wäre. Und doch funktionieren die Systeme. Der Hinweis kam aus der Aufstellung selbst: Es müssen nicht alle Baustellen  bearbeitet werden, um weitere Entwicklungsschritte zu ermöglichen. Sie zu sehen und zu akzeptieren reicht aus, ganz im Sinne einer systemischen Haltung: Anerkennen, was ist! Leben als eine Ansammlung von offenen Baustellen.

Zurück zum Thema Struktur! Es war vielleicht die Kombination der festen Zeitstruktur, die ein ZOOM-Meeting verlangt, mit dem Strukturvorschlag für Auswertungsprozesse von Aufstellungen (siehe Bild  zum Blog), der zu erstaunlicher Fokussierung auf die Erkenntnisprozesse führte. In nachvollziehbaren Ordnungen arbeiten, befreit vielleicht das Gehirn von der Last, erst eigene Ordnungsmuster suchen und mit den anderen Gruppenmitgliedern abgleichen zu müssen. Auf jeden Fall haben die Teilnehmenden in der Feedbackrunde immer wieder betont, wieviel Sicherheit und Gelassenheit ein Ordnungsangebot für einen komplexen Prozess vermitteln kann. Gleichwohl gilt auch hierfür das Motto: Es könnte auch ganz anders sein!

 

Theorie U und Spiral Dynamics – Entsteht eine neues Raumgefühl erst online?

Es ist Corona-Zeit und auch die Seminare zur Aufstellungsleitung finden online statt. Wir werden in zwei Erfahrungen geworfen, die sich beide als ausgesprochen positiv darstellen: 2 Tage energievoll eine Gruppe online durch ein Seminar führen und Aufstellungen online durchführen. Bislang war ich fasziniert von den Möglichkeiten der Raumsprache: Wie sich die Wahrnehmung eines Systems ändert, wenn es im Raum aufgestellt wird und wir es dreidimensional darstellen! Hier nutzen wir ein Raumgefühl, welches wir im Alltag beständig haben und vielleicht weniger wahrnehmen: Mit unseren Körpern können wir nicht anders, als uns dreidimensional im Raum bewegen. Helfen wir einem System, sich im Raum darzustellen und sich selbst zu sehen, passiert etwas, was Otto Scharmer als grundlegend für Transformation von Bewusstsein ansieht: You cannot transform consciousness unless you make a system see and sense itself!

In Aufstellungen verkörpern wir Systembilder im Raum und bringen das System durch repräsentierende Wahrnehmung zum Sprechen. Für viele ist in diesem Prozess für eine starke repräsentierende Wahrnehmung die physische Anwesenheit der anderen Elemente wichtig – zumindest bislang! Am 5./6. Juni 2020 haben wir unser zweites Online Seminar zur Fortbildung in Aufstellungsleitung gemacht – diesmal kompakt zum Thema Spiral Dynamics und Theorie U. Der virtuelle Raum, den wir nutzen, ist schwieriger zu erfassen. Wir sitzen vor unseren Rechnern und sehen auf die Kamerabilder von Menschen, die irgendwo anders im physischen Raum sitzen – in unserem Seminar im Raum zwischen der Schweiz und Norddeutschland. Tatsächlich ist es erst einmal kein Raum, sondern ein 2D Bild – unserer Bildschirm. Anders als im physischen Raum sehe ich mich selbst auch in diesem 2D Raum – bei ZOOM  immer gleich oben links an zweiter Stelle. Ich bin Teil der virtuellen Gemeinschaft und zugleich sitze ich allein vor meinem Rechner. Die Nähe-Distanz-Wahrnehmung ist anders und es ist erstaunlich, dass es doch gelingt, sehr schnell Nähe zu Menschen aufzubauen, die ich vorher noch nicht gesehen habe und die gerade 700 km entfernt vor ihrem Rechner sitzen – von mir nur 30 cm entfernt. Ich mache die Erfahrung, dass es doch nicht den ganzen Menschen in seiner Körperlichkeit vor mir braucht, um diesen erfahren und kennenlernen zu können. Der virtuelle Raum lässt auch viele Informationen eines Menschen durch, der nah und fern zugleich vor mir ist. Warum das gelingt und eine Gruppe ähnlich wie in einem Präsenzseminar  nur wenig Zeit braucht, um in ein intensives persönliches Miteinander zu  kommen, kann ich noch nicht ausdrücken.

Ich habe dazu eine Vermutung: In Aufstellungen stellen wir fest, dass mithilfe von repräsentierender Wahrnehmung Informationen über Phänomene und Systeme gelesen werden können, die sich nicht im Raum befinden – teilweise sind sie im Vergangenheitsraum, teilweise an einem ganz anderen physischen Ort. Und doch können wir sie wahrnehmen. Warum sollen wir nicht auch Menschen am Bildschirm umfassender wahrnehmen können als nur durch ihr Kopfbild?

In dem Seminar haben wir uns mit den Unterscheidungen von Spiral Dynamics und Theorie U beschäftigt. Wir modellieren in beiden Konzepten so etwas wie virtuelle Räume – in Spiral Dynamics die verschiedenen Meme als wolkenartige Phänomene, die Gesellschaft durchziehen ohne sich zu durchmischen; in Theorie U die Phasen in und wieder aus dem U-Raum heraus. Bislang haben wir in Aufstellungen diese Unterscheidungen auch im Raum visualisiert, um körperlich im Bewegen durch die Räume deren Qualitäten zu erfahren und zu erfassen. In der online Variante haben wir lernen können, dass diese Bewegung durch die Räume auch bewegungslos am Schreibtisch möglich ist und ähnliche Erfahrungen ermöglicht.

Dieser Blog trägt den Titel: Komplexität lieben lernen. Nun taucht eine erste Ahnung auf – Corona sei Dank – , dass die Visualisierung von Komplexität im Raum nur ein erster Schritt war, um Vielfalt und Unberechenbarkeit zulassen und annehmen zu können – You cannot transform consciousness unless you make a system see and sense itself. Schon sind wir im zweiten Schritt und wir erfahren, dass es den physischen Raum nicht unbedingt braucht – der virtuelle Raum, der in unserem herkömmlichen 3D Denken eigentlich kein Raum ist, weil er sich als 2D Variante auf dem Bildschirm zeigt, erzeugt ähnliche Wahrnehmung über das Unsichtbare in Systemen. Wenn wir noch 2D Bilder zu Hilfe nehmen, ist das vielleicht nur ein Übergangsphänomen, ein Handlauf, um nicht zu schnell frei im raumlosen Informationsraum zu stehen.

Ich habe dazu folgende Vision: Wenn Menschen in Unternehmen Entscheidungen treffen, dann werden sie im Abwägungsprozess immer wieder Embedding-Phasen machen und sich mithilfe von repräsentierender Wahrnehmung die Wirkungen ihrer Entscheidungen auf die Umsysteme, auf Mensch und Natur in den Raum holen. Am Anfang werden sie die physische Aufstellung dazu brauchen, im weiteren Verlauf nur noch meditatives Hineinfühlen vom Sitzungsstuhl aus. Komplexität lieben lernen heißt für mich nämlich, sich selbst und sein System (z.B. ein Unternehmen) als ein Ganzes und zugleich als Teil eines größeren Ganzen (z.B. einer Region, einer Branche, eines Marktes) wahrnehmen zu können. Embedding-Phase bedeutet dann, sein System in ein größeres System so einzubetten, dass sowohl Teil als auch Ganzes gut leben können.

Beobachtungen aus dem 6. Constellation Hub für Systemaufstellungen in Hochschulen

Es sieht nach einem klaren Ziel aus, welches im Sinne eines guten Projektmanagements nur in kleinere Schritte zerlegt werden muss: Systemaufstellungen in Forschung und Lehre zu integrieren. Der klassische Weg dazu wäre: Veröffentlichungen, Workshops, Konferenzen. Bedeutung verschaffen über die Mittel, mit denen sich Wissenschaft immer wieder reproduziert. Die Herausforderung liegt nun allerdings darin, dass Systemaufstellungen eine Erkenntnismethode sind, die nicht einfach kognitiv zu Hause am Schreibtisch zu verstehen ist – dort, wo  Wissenschaftler/innen ihre Gutachten schreiben und ihre Texte lesen und verfassen. Systemaufstellungen verstehen nur diejenigen, die repräsentierende Wahrnehmung am eigenen Körper erfahren haben. Damit liegt die Challenge darin, eine Methode einzuführen, die aus dem Verstehensprozess einen Erfahrungsprozess macht, die neben dem Kopf für die nachvollziehbare Anwendung der Methode den Körper als Resonanzraum für Informationen braucht. Weil ich keine Vorstellung habe, wie der Weg der Wissenschaft vom Kopf in den Körper aussehen könnte, habe ich 2017 Constellation Hubs ins Leben gerufen.

Hubs sind in der Logistik Knotenpunkte, an denen Güter aus der Peripherie zusammengebracht werden, um sie dann neu zu verteilen. Hubs sind in der Innovationsforschung Sammelpunkte für Menschen, die an neuen Themen arbeiten und sich darüber austauschen, um inhaltlich etwas Neues zu finden. In Kitchen-Hubs kommen Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammen, um aus den mitgebrachten Nahrungsmitteln ein ganz neues Gericht zu entwickeln. In unserem Constellation Hub kommen Menschen zusammen, die erfahren haben oder erfahren wollen, wie mithilfe von Aufstellungen der Geistesblitz gelockt werden kann. Und der Geistesblitz trifft immer den vorbereiteten Geist, der sich in seiner Thematik sehr gut auskennt. In Hochschulen gibt es viele gut vorbereitete Geister, die sich exzellent mit ihren Themen auskennen. In diesem Sinne will der Constellation Hub ein Magnet sein für die Menschen in Hochschulen, die gemeinsam einen Raum schaffen wollen, in dem Systemaufstellungen eine selbstverständliche Methode der disziplinären, der interdisziplinären und ganz besonders der transdisziplinären Kommunikation zur Gewinnung neuen Wissens und neuer Erfahrungen sein können.

Der #ConstellationHub ist offen für alle Menschen, die daran interessiert sind, Systemaufstellungen in Hochschulen zu entwickeln. Es gibt für die Treffen keine Referent/innen oder Tagesordnungspunkte. Die Gruppe arbeitet mit den Themen, die zum Zeitpunkt des Treffens für die Beteiligten relevant sind. Die Treffen dienen nicht dazu, die bekannten wissenschaftlichen Produkte wie Tagungen oder Publikationen vorzubereiten. Sie stellen vielmehr ko-kreative Räume dar, in denen Erfahrungen ausgetauscht, Mut gesammelt, Experimente gemacht und Innovationen keimen dürfen. Zu den bisherigen Treffen haben sich zwischen 15 und 25 Menschen aus Hochschulen und anderen themennahen Welten getroffen. Die Constellation Hubs fanden statt: Universität Bremen (2017), Universität Witten-Herdecke (2018), Universität Oldenburg (20187), Hochschule Ansbach (2019), Universität Hamburg (2019) und Hochschule Fulda (2020).

Nach sechs Constellation Hubs stellt sich natürlich die Frage, ob bislang bereits etwas gewonnen würde für das Anliegen, Systemaufstellungen in der Wissenschaft einzuführen. Es zeigen sich bislang keine fassbaren Konturen für die Gestalt oder Hinweise für den Weg, die entstehen wollen. Es zeigt sich gleichwohl, dass immer wieder Menschen aus der Wissenschaft mit Berater/innen und Praktiker/innen in den Constellation Hubs zusammenkommen,  um ihre Beiträge einzubringen. Eine erste Vermutung lautet deshalb: Systemaufstellungen könnten ihren Platz im transdisziplinären Raum haben, in dem Wissenschaft und Praxis gemeinsam um Erkenntnisse ringen. Diese transdisziplinären Räüume entstehen gerade an den Rändern der Systeme, wo Wissenschaft und Praxis erste Berührungspunkte haben. Vielleicht aber wird sich noch etwas ganz anderes zeigen und der Weg, den wir gerade gehen, nimmt eine unerwartete Wendung. Die Gewissheit ist indes sehr ausgeprägt, dass wir mit Systemaufstellungen die Raumsprache auch in der Wissenschaft einführen können und damit einen neuen und intuitiven Weg zu komplexeren Erzählungen der Welt bekommen.

Theorie U in der Praxis: Den Weg ins Presencing mit Aufstellungen gehen

Im Jahr 2019 und im Jahr 2020 haben wir mehrere Aufstellungsseminare zum Thema Theorie U gemacht und werden sie noch machen. In der Praxis gibt es eine breite Zuwendung zu dem, was die Theorie U verspricht: Wandel nicht als schnelles Springen über tiefe systemische Gräben, sondern Wandel als ein Weg in die Tiefe des Systems. Dieser Weg ist ein intensiver Weg des Loslassen von allen vorherrschenden Vorstellungen und Gefühlen über das zu wandelnde System, ein Weg, um das Denken, das Fühlen und das Wollen zu öffnen. Der wirkliche Beitrag der Theorie U ist in meinen Augen der, dass sie eine Hülle bietet für einen intensiven persönlichen Weg, der Mensch und sein Weltbild steht im Vordergrund und es gilt sich über verschiedene Techniken und Tools freizumachen, damit das Neue, welches schon im emergierenden Zukunftsraum vorhandenen ist, in den Vorstellungswelten Einzug halten kann.
Das U abwärts wandern, ist für C.O. Scharmer auch schon mal ein Prozess, der mehrere Tage dauern kann. Das genaue HInsehen, das intensive Hinspüren und die absichtsvolle Absichtlosigkeit am Tiefpunkt des U brauchen halt ihre Zeit. Wir haben zwei Formate entwickelt, um mithilfe der Raumsprache und der repräsentierenden Wahrnehmung diesen Prozess zu beschleunigen. In der Kurzvariante wird ein Stellvertreter oder eine Stellvertreterin mit Fragen aus dem Vergangenheitsraum an die Gegenwartslinie geführt und die einzige Frage lautet: Was musst du loslassen, um den nächsten Schritt machen zu können. Die Anliegengeber/innen schauen zu, hören ihren Stellvertreter/innen zu und lassen ihre eigenen Bilder entstehen. Ist der Stellvertreter oder die Stellvertreterin an der Gegenwartslinien nach ca 30 min angekommen, erfahren sie häufig ein völlig neues Gefühl der Vergegenwärtigung, der reinen Präsenz im hier und jetzt. Und von der Gegenwartslinie aus schauen sie dann in die emergierende Zukunft und werden zum Orakel von Delphi: Sie können intensive Bilder beschreiben, die immer noch der konkreten Deutung durch die Anliegengeber/innen bedürfen. Bislang verwiesen alle Bilder auf eine positive Zukunft.
In der etwas längeren Version führen wir mit Fragen durch die einzelnen Stationen des U: Wir stellen den Anliegengeber/innen viele Fragen passend zu den Fragen und zugleich läuft ein Stellvertreter oder eine Stellvertreterin für die Anliegengeber/innen (es kann auch eine Gruppe sein) durch das U und liefert mithilfe der repräsentierenden Wahrnehmung weitere Informationen und Bilder. Ein solcher Prozess dauert bis zu zwei Stunden.
Für die entscheidende Phase des U-Prozesses, das Presencing, empfiehlt Scharmer medidative Momente oder das Social Presencing Theater. Letzteres ist eine Art Rollenspiel, welches aber auch mit der Raumsprache arbeitet. Wir verwenden für diese Phase Systemaufstellungen und machen unglaublich spannende Erfahrungen.

Was zeigt der Upstalsboom-Film? Die Erzähllinie der „Stillen Revolution“

Ich habe den Film mit Studierenden nun zum zweiten Mal gesehen und dieses Mal hat er mich sehr tiefgehend erreicht. Ist beim ersten Mal hauptsächlich die Geschichte von Bodo Jansen als Eigentümer der Hotelkette bei mir angekommen, habe nun jetzt für mich erfassen können, welche Metaerzählung und welcher Narrativ durch den Film verbreitet wird. Ich habe mich gerade im Kontext von Nachhaltigkeit und Transformation schon länger damit beschäftigt, wie Erzähllinien aussehen, die einer Botschaft eine umfassende Gestalt geben. Gerade weltverändernde Stories – so meine Erkenntnis – müssen explizit auf ihren Bezug zu einer Metaerzählung und ihrem Narrativ eingehen. Der Text, in dem ich das entwickelt habe, ist unten angegeben.

Es war der markante Hinweis einiger Mitarbeiter/innen in einer Arbeitszufriedenheitsbefragung, dass sie sich einen neuen Chef wünschen, der in all seiner Kränkung zugleich ein Erweckungserlebnis für Bodo Jansen gewesen ist. Er konnte anschließen an eine bereits laufende Entwicklung, die die gute Koordination von Menschen in Unternehmen nicht mehr als Wirkung von starker Führung und Hierarchie sieht, sondern als eine Begegnung auf Augenhöhe aller Unternehmensmitglieder unabhängig von Position und Arbeitsbereich. Begegnung auf Augenhöhe und Wertschätzung der Mitarbeitenden ist eine der großen Metaerzählungen, die sich gerade im Kontext moderner Unternehmensführung verbreitet.

Ich deute diese Metaerzählung als große Bewegung, die den Menschen im grundlegenden Spannungsfeld insbesondere von erwerbswirtschaftlichen Unternehmen von der Positionierung im Nahebereich der Instrumentalisierung lösen will und den ganzen Sowohl-Als-Auch-Raum zwischen Instrumentalisierung und Eigenwert öffnet. Der Blick wird frei darauf, dass Mitarbeitende als Menschen immer auch einen Eigenwert haben und nicht alleine als Mittel zur Erreichung fremder Zwecke gesehen werden sollten. Immanuel Kant hat dies schon vor über 200 Jahren als Teil seiner Ethik formuliert, dass Menschen niemals nur als Mittel angesehen werden dürften, sondern immer auch als Zweck an sich. Ich übersetze diese Idee in den grundlegenden Spannungsraum aller sozialer Systeme, in denen Menschen sich miteinander koordinieren, um einen Zweck zu erreichen. Soziale Systeme sind zweckbasierte Systeme und der Mensch ist daher immer in der Gefahr, als reines Mittel instrumentalisiert zu werden.

Insbesondere in der sozialen Marktwirtschaft kämpfen wir seit Jahrzenten gegen diese Tendenz und das weitgehend mit Arbeitnehmerschutzgesetzen. Dass diese Tendenz uns heute immer bewusster wird, liegt meines Erachtens daran, dass die volle Welt, die wir geschaffen hat, uns unsere Dilemmata immer deutlicher vor Augen führt: Der Wettbewerbsdruck zwingt immer mehr Unternehmen zu harten Effizienzmaßnahmen, was letztlich heißt, nur die Kosten zu internalisieren, für die es gesetzlich erzwungen  oder der moralische Druck sehr hoch ist. Jede weitere Rücksicht auf Mensch und Natur wird nur dann genommen, wenn der Markt dies einfordert. Dahinter steht ein Win-Win-Zwang, der letztlich bedeutet, dass nur dann Rücksicht genommen wird, wenn es sich rechnet. Dieser Glaubenssatz, der sehr hilfreich war, um leistungsfähige Systeme zu schaffen, ist in vielen Köpfen der Wirtschaft inzwischen so sehr eingebrannt, dass es letztlich normal ist, rethorisch Werte für mehr Gewinn zu instrumentalisieren. Ich bin überzeugt davon, dass Werte nicht für mehr Gewinn instrumentalisiert werden können, schon allein deshalb nicht, weil wir davon ausgehen müssen, dass Werte nur dann echte Werte sind, wenn sie generalisierbar sind (Kant lässt noch  mal grüßen). Wir wollen, dass alle Unternehmen und Menschen Rücksicht nehmen in der Art, wie sie ihre Zwecke erreichen. Wenn es also alle tun, dann gibt es auch keinen Wettbewerbsvorteil mehr für das rücksichtsvollere Verhalten und die Idee der Win-Win-Hypothese kollabiert.

Der Film über die stille Revolution des Unternehmens wagt sich meiner Beobachtung nach auch nicht offen an dieses Thema heran: Der Narrativ, der meiner Ansicht nach nicht mutig zu Ende erzählt wird, ist die Neupositionierung im Spannungsfeld von Gewinn und Werten. Zu häufig lauten in dem Film durch sehr verschiedene Expert/innen ausgedrückt die Bewältigungsformeln: Mehr Augenhöhe gleich mehr Wertschätzung gleich mehr Leistung gleich mehr Gewinn. Im Sinne von Spiral Dynamics bleiben die Befragten noch mit beiden Füßen im orangen Leistungsprinzip stehen, dehnen sich gleichwohl auf die nächste, grüne Bewusstseinsstufe aus und leben den Dialog und die Wertschätzung. Ich bin der Meinung, dass es sehr wichtig ist, dieses zu tun und möglichst lange durchzuhalten, bis es in den vielen Entscheidungen des Unternehmensalltags für alle normal geworden ist die Frage zu stellen, ob Wertorientierung auch etwas kosten darf und folglich die Gewinne niedriger ausfallen. Wenn es für diesen Trade-off zwischen Gewinn und Wertverfolgung eine Legitimation durch die Führungskräfte und die Eigentümer/innen gibt, dann ist die nächste Komplexitätsbewältigungsstufe erreicht: das logisch unvereinbare darf besprochen werden und aus dem „Gewinn oder Werte“ wird ein „Gewinn und Werte“. Das klingt banal, ist aber für ein erwerbswirtschaftliches Unternehmen gar nicht einfach zu leben. Welche Komplexitätsbewältigungsstufe erreicht ist, zeigt sich in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten. Welche Werte für viele werden aufgegeben, um Gewinne für wenige zu erhalten?

Literatur zum Konzept einer Erzähllinie:

Müller-Christ, G. (2017): Wirtschaftswissenschaftliche Transformation als Bildungsaufgabe. Nachhaltigkeits-Narrative neu erzählen können. In: Pfriem, R. u.a. (Hrsg.): Transformative Wirtschaftswissenschaft im Kontext nachhaltiger Entwicklung. Marburg, Metropolis-Verlag, S. 397-420

Mit Systemaufstellungen dem evolutionären Sinn von Organisationen auf der Spur

Am 16. November 2019 trafen sich ca. 120 Menschen in Zürich zu einem Workshop mit dem Titel: „We Discover Purpose!“ Die Schweizer Beraterin und Systemaufstellerin Romy Gerhard hat zu dieser Veranstaltung eingeladen, um Menschen neue Erfahrungen zu verschaffen, was denn der evolutionäre Sinn sein könnte, den Frederic Laloux in seinem bekannten Buch „Reinventing Organizations“ als Durchbruch zur integralen Stufe von Unternehmen sieht. Laloux selbst führte in einer Videobotschaft in die Thematik ein. Die Methode des Tages waren Systemaufstellungen, eine Methode, die fast alle Teilnehmenden schon kannten und erfahren hatten. Auch wenn viele gekommen waren, um unter dem thematischen Dach der Suche nach dem „purpose“ die alten Fragen nach den Erfolgsfaktoren zu stellen (warum funktioniert mein Geschäft nicht so, wie ich es gerne hätte; was muss ich tun, um noch erfolgreicher zu sein?), so blieb doch genau der Raum erhalten, in dem die neuen Erkenntnisse sich zeigen konnten.

Durch die Einführung von Frederic Laloux habe ich verstanden, dass der evolutionäre Sinn eine Informationseinheit ist, die nicht von den Menschen einer Organisation gesetzt werden kann. Unternehmensgründer/innen und Unternehmensgestalter/innen können einen Sinn propagieren, in über das Unternehmen legen und in den Selbsterzählungen beständig wiederholen. Das erfolgt dann zumeist in Mission Statements, Visionen und Unternehmensgrundsätzen. Wenn die Sinnproduzenten in ihren Persönlichkeiten sehr präsent sind, kann der propagierte Sinn sehr nah an dem evolutionären Sinn liegen. Tatsächlich, so die Botschaft, ist der evolutionäre Sinne eine spirituelle Informationseinheit, eine Absicht, die von einer höheren Intelligenz einer Organisation zugewiesen wird.

Eine solche Vermutung ist sicherlich übernommen von einem sehr spirituellen Menschenbild, welches davon ausgeht, dass jeder Mensch mit einer besonderen Lebensaufgabe zur Welt kommt. Diese gilt es zu finden und zu leben, um einen wertvollen Beitrag zu einem größeren Ganzen zu leisten. Vermutlich ist das dann auch die schwierigste Vermittlungsaufgabe eines evolutionären Sinns: Warum sollten soziale Systeme jeder Art zu einem höheren Sinn beitragen? Reicht es nicht aus, wenn sie ihre Zwecke erreichen und dabei so wenig Nebenwirkungen wie möglich erzeugen. Es braucht ein holonisches Weltbild, um eine Idee davon zu bekommen, dass jedes Ganze zugleich Teil eines größeren Ganzen ist. Ich teile die Ansicht, dass sich hier die große Aufgabe zeigt, die alle Systeme, Institutionen und  Unternehmen in der vollen und komplexen Welt bewältigen müssen: ihre eigenen selbstgesetzten Zwecke mit den evolutionären Zwecken einer höheren Einheit abstimmen. Das ist für viele Unternehmen und vor allem für viele Unternehmer/innen und Führungskräfte eine große Herausforderung: den eigenen Zwecken einen Sinn und eine Bedeutung für die Entwicklung der Menschheit zu geben. Nun, die Hälfte aller Produkte und Dienstleistungen, mit denen heute Geld verdient wird,  müssten dann vom Markt verschwinden, weil sie außer Einkommen für wenige mehr Schaden als Bedeutung erzeugen.

Zurück zu dem Workshop auf der Suche nach dem evolutionären Sinn: In einer meiner Aufstellungen, die ich für die Fragen anderer geleitet habe, haben wir versucht,  Stellvertreter/innen für die Schweizer Banken, für deren evolutionären Sinn und für Transparenz miteinander ins Gespräch zu bringen. Die Aufstellung war verdeckt, die Stellvertreter/innen wussten nicht, welches Element sie repräsentierten. Der evolutionäre Sinn war unser zu fokussierendes Element und er teilt uns zuerst mit, dass er sehr an Geld, Macht und Einfluss interessiert sei. Im Verlaufe der Aufstellung wurde dem evolutionären Sinn immer klarer, dass er wie ein Trichter ist, der aus einer anderen Welt mit Informationen versorgt wird. Die Zuhörer/innen suchten ihre Interpretationen für einen evolutionären Sinn, der seine Informationen aus einer anderen Welt zieht, dann aber ganz weltlich an Geld, Macht und Einfluss interessiert ist. Meine These, die ich als Interpretation anbieten möchte, lautet: Das Schweizer Bankensystem ist Potenzialität für Macht und Einfluss, wofür das Geld aber eingesetzt werden soll, ist nicht Teil der Information. Wir müssen uns als Gesellschaft immer noch selbst entscheiden, was wir bewirken wollen und wie eine humane und integrale Lebensweise gefüllt werden kann. Der evolutionäre Sinn verweist uns auf die Essenz der Systeme, die Abstimmung eines Systems mit dem höheren System muss immer noch durch Menschen erfolgen, die beides zugleich denken können: Individualinteresse und Gemeinwohl.

Zum Unterschied des Netzwerkens für Digitalisierung und für Nachhaltigkeit

Netzwerken für eine Digitalisierung der Hochschulen war der Anlass des 3. Treffens der vielen Menschen, die sich am 21.10.2019  in Bonn getroffen haben. Wir waren auch dabei und sind der Einladung gefolgt, unser Verbundprojekt SCoRe mit anderen BMBF-Projekten der Förderlinie Digitalisierung in Hochschulen zu vernetzen. Faszinierend, welche Vielfalt es an Projekten gibt, Studierenden neue Zugänge zu und Verarbeitungsformen von Wissen zu ermöglichen.

Digitalisierung ist eine Herausforderung, die in der Form der Querschnittsfunktion einher kommt: Quer zu allen Fachbereichen, Studiengängen und Verwaltungsbereichen geht es darum, die Potenziale der Digitalisierung zu erschließen. Es war beruhigend mitanzusehen, dass es im Hintergrund viel guten Willen und viele finanzielle Möglichkeiten gibt, um die Querschnittsfunktion Digitalisierung voranzutreiben.

Warum aber ist es so schwierig, eine solche Bewegung für Bildung für eine nachhaltige Entwicklung anzustoßen? Vergleichbar dem Hochschulforum Digitalisierung gibt es das vom BMBF geförderte Projekt HochN, aber ich habe nicht den Eindruck, dass mal eben 500 Menschen aus dem Hochschulsystem einer Vernetzungseinladung folgen würden, um Bildung für eine nachhaltige Entwicklung zu verbreiten.

Auch wenn Hochschulen der Ruf anhängt, wichtigen gesellschaftlichen Entwicklungen hinterherzulaufen, so wird doch die Entwicklung der Digitalisierung den Hochschulen auf Händen hinterhergetragen, während Bildung für eine nachhaltige Entwicklung letztlich von den Hochschulen selbst erfunden werden soll. Das mag insofern stimmig sein als Digitalisierung im Gewande der noch nicht genutzten Optionen für eine qualitativ bessere Lehre daherkommt, Nachhaltigkeit aber im Gewande des ethischen Postulats. Mehr Digitalisierung verlangt von den meisten Menschen in Hochschulen nicht, ihre Inhalte in Forschung und Lehre zu überdenken – Nachhaltigkeit sehr wohl. Vielleicht ist das auch der markante Unterschied: Digitalisierung ist ein Medium, Nachhaltigkeit ein Ziel. Und Ziele werden ganz anders in Frage gestellt als die Mittel, weil neue Ziele immer in Konkurrenz geraten zu vorhandenen Zielen, neue Medien aber gleichberechtigt neben die vorhandenen gestellt werden können.

Raumbilder in der Führungskräfteentwicklung

Es waren Banker/innen, teilweise noch in ihren dunkelblauen Anzügen und Kostümen, die sich zu einem Vorständeseminar trafen, um sich mit aktuellen Themen der Gesellschaftsentwicklung zu beschäftigen. Neben China, Digitalisierung oder Motivationsthemen war es meine Aufgabe, Spiral Dynamcis und Nachhaltigkeit 4.0 zu vermitteln. 90 Minuten standen zur Verfügung, um etwas über die komplexen Themen zu vermitteln. Während in dem vorangehenden  Folien-Vortrag, den ich hinten im Auditorium sitzend verfolgt habe, die Hälfte der Vorständler/innen das machten, was Studierende in den Hörsälen auch machen – Mails beantworten und News im Internet lesen – , habe ich mit Raumbildern gearbeitet.

Die vier Flipcharts mit den Farbkarten für Spiral Dynamics waren das erste Angebot, Entwicklungsstufen im Raum wahrzunehmen. #Nachhaltigkeit4.0 waren relativ schnell erklärt anhand der Farbenlogik. Tatsächlich ging es mir mehr darum, dass die Vorständler/innen das System ihrer Regionalbanken durch ein Raumbild visualisieren. Die Gruppe aus ca. 30 Vorständler/innen diskutierte darüber, wo sie Kunden, Mitarbeiter/innen, Verwaltungsrat, Bankenauftrag und die Region in dem Farbenschema positionierten. Nach und nach stellten sich die Führungskräfte im Raum auf und ließen ein Bild des Systems entstehen. Das Aktivierungsniveau im Auditorium war sehr hoch.

Aus der Coachingsicht ist es eine spannende Frage, wie eine realistische Selbstpositionierung einer Gruppe entsteht. Wir begannen mit einer systemisch-zirkulären Frage: Was glauben Sie, wo der Verwaltungsrat die Position des Vorstands sieht? Über diese Fremdwahrnehmung herrschte relativ schnelle Einverständnis: Der Vorstand soll für Innovationen und Umsatz sorgen, eine klare orange Positionierung. Das ganze Feld stellte sich aber zwischen einer sicherheitsorientierten Mitarbeiterschaft und einem grünen Bankenauftrag dar. Damit war den Vorständ/innen sehr schnell klar, dass dieses Feld aus der Mitte heraus nicht zu führen war und sie positionierten sich ins gelbe Feld. Vielleicht entstandt nur eine leise Ahnung, was es bedeutet im gelben Feld der Dilemmata kraftvoll zu stehen zu können und von dort aus eine Sogwirkung auf die Entwicklung des Feldes auszulösen. Mit sehr viel mehr Übung in der Methode werden wir irgendwann beobachten können, ob die stellvertretende Bewegung des Vorstands im Raum eine innere Bewegung in den Zuschauer/innen auslöst. Dass es so sein könnte, zeigen die Selbstbeobachtungen der Vorständler/innen in der Feedbackrunde.

„Ich kann jetzt das ganze System in seiner Komplexität sehen!“
„Ich weiß jetzt, dass ich in der Sprache der Entwicklungsstufen mit den anderen Systembeteiligten reden muss!“
„Ich sehe die Dilemmata, in denen wir stecken!“
„Ich habe verstanden, dass ich mit Elementen in den oberen Entwicklungsstufen arbeiten muss, um das Gesamtsystem komplexer gestalten zu können!“
„Es ist etwas in Bewegung gekommen!“

In dem Seminar hatte ich nur 90 min Zeit, Bewegungen anzuregen. Ich versuche an den Feedbacks der Teilnehmer/innen zu erahnen, ob die Methode der #Raumbilder eine neue Art des Erfahrens von Komplexität ermöglicht. Ich lese diese Wirkung aus den Verben in den Feedbacks, die Bewegung andeuten. Wenn Menschen nicht rückkoppeln, dass sie es spannend fanden und viel mitgenommen haben, sondern sie erzählen, dass etwas angestoßen wurde, dass etwas in Bewegung gekommen ist oder ähnliches, dann habe ich das Gefühl, dass ein Bild nicht mehr als tausend Worte sagt, sondern dass ein Bild mehr Bewegung mentaler Karten erzeugen kann als tausend Worte.

 

 

Glaubenssätze über Glaubenssätze bearbeiten

Am 13.9.2019 fand der 10. Experimentierworkshop zu Aufstellungen an der Universität Bremen statt. Zusammen mit 20 Teilnehmer/innen aus vielen verschiedenen Kontexten gestalten wir in diesen Experimentierworkshops gemeinsame Räume des Miteinander-Ausprobieren, des gemeinsamen Reflektierens und des Findes neuer Bilder durch Aufstellungen. In unseren #Erkundungsaufstellungen suchen wir das Andere, das Neue und reflektieren es gleich mit unseren Wissensbeständen und Erfahrungen aus den verschiedenen Kontexten, aus denen wir kommen. Dabei stellt sich immer wieder heraus, dass die Fähigkeit sehr unterschiedlich ist, die Aufstellungsbilder zu deuten und die sich darin zeigende Komplexität zu sehen. Aber der wertschätzende Raum, den wir gemeinsam zwischen Wissenschaft und Praxis aufmachen, führt fast alle immer wieder in die Bereitschaft, die #Komplexitätliebenlernen. Wie sieht das genau aus?

Lassen wir uns in unseren Glaubenssätzen über Glaubenssätze irritieren? Die meisten Berater/innen arbeiten mit dem Glaubenssatz, dass förderliche Glaubenssätze eine Eigenschaft haben, uns wachsen zu lassen – sonst würden sie auch nicht so heißen. Und ein weiterer Glaubenssatz lautet, dass auch Organisationen Glaubenssätze habe. Lässt sich das Konzept der Glaubenssätze einfach vom Menschen auf Organisationen übertragen? Wir haben dazu eine Aufstellung gemacht, in der wir auf dem Boden vier Felder markiert haben: das Feld der realen Glaubenssätze in ihrer Mischung aus fördernden und hemmenden Glaubenssätze, wie wir sie im Alltag mit uns herumtragen; das Feld der reinen fördernden Glaubenssätze; das Feld der reinen hemmenden Glaubenssätze; das Feld ohne jegliche Glaubenssätze. Die Aufstellung haben wir doppelt verdeckt durchgeführt, die beiden Stellvertreter/innen wussten nicht, um was es geht und wen sie repräsentierten.

Der eine Stellvertreter repräsentierte das Individuum, die andere Stellvertreterin repräsentierte die Institution.  Beide haben wir gebeten, nacheinander die Felder zu besuchen und ihre Wahrnehmung zuschildern. Was haben sie uns berichtet? Das Inviduum konnte sehr schnell feststellen, dass das Feld der fördernden Glaubenssätze sehr angenehm war, das Feld der hemmenden Glaubenssätze sehr schwer auszuhalten war und das Feld ohne Glaubenssätze einen deutlichen Druck auf der Brust bewirkte – es war nicht so angenehm auszuhalten. Die Institution konnte sich frei über alle Felder bewegen, nahm keine signifikanten Unterschiede wahr und fand tatsächlich das Feld ohne Glaubenssätze als potenzialorientiert. Hier konnte sie sich entwickeln. Und wenn beide Stellvertreter/innen gemeinsam im Bild unterwegs waren, kamen sie nicht auf die Idee, sich gemeinsam in einem Feld aufzuhalten. Sie suchten eher polare Positionen: wenn das Individuum im Feld der fördernden Glaubenssätze stand, blieb die Institution im Feld der hemmenden Glaubensätze und umgekehrt. Es entstand der Eindruck, als wenn Menschen mit hemmenden Glaubensssätzen sich von Institutionen lenken lassen, Menschen mit fördernden Glaubenssätzen sich weniger von Institutionen lenken ließen. Das ist vielleicht keine neue Hypothese, aber eine plausible.

Irritationen führen dazu, dass ich Glaubenssätze ändern können. Und die Aufstellung zeigte das Bild, dass Institutionen nicht gut unterscheiden konnten zwischen hemmenden und fördernden Glaubenssätzen.  Die Institution huschte über die Felder und fühlte sich energetisiert durch die Unterschiede, die sie aber nicht beschreiben konnten. Was erzeugt diese Energie? Vielleicht arbeitet die Institutionslogik, nämlich Zwecke durch koordinierendes Verhalten von Menschen zu erreichen, mit einer Polarität? Und in dem Moment, in dem sich die verschiedenen Kräfte neutralisieren und ein Raum ohne Glaubenssätze entsteht, ist Entwicklung möglich. Nachdem die Stellvertreterin für die Institution sich im Raum ohne Glaubenssätze entwickeln konnte, bekam sie einen größeren Blick auf das Ganze. Sie nannte es einen Zustand der intensiven Liebe.  Und schon waren wir wieder von einer Situation umgeben, in der Komplexität und Liebe auf einer Bühne zusammen standen. Vielleicht es ja wirklich der richtige Weg: #Komplexitätliebenlernen

Komplexität annehmen lernen durch Systemaufstellungen

Wir haben in den letzten Tagen das #MC-Fortbildungsseminar zur Aufstellungsleitung# durchgeführt mit dem Titel: Mit Aufstellungen Systeme lesen und verändern lernen. Die 18 Teilnehmenden haben gemeinsam eine Erkenntnis geschaffen, die ich gerne so umschreiben möchte: die Komplexität schwieriger Situationen annehmen lernen, ist die Grundvoraussetzung für Veränderung. Das klingt nicht neu und aus der Perspektive der systemische Beratung und des systemischen Coaching ist es auch nicht neu. Hier ist schon länger bekannt, dass es wichtig ist, eine Situation in ihrer zumeist sehr unangenehmen Erscheinungsform erst einmal anzunehmen, bevor sie bewältigt werden kann. Interessant ist es die Frage, welche Haltung dieses Annehmen ersetzen soll – also was tun wir, wenn wir nicht erst eine Situation annehmen. Wir wollen sie direkt ändern und das heißt, wir gehen in den Problem-Lösungsmodus und einigen uns auf eine Problembeschreibung. Dann führen wir mithilfe einer Aufstellung eine Lösung herbei, was letztlich voraussetzt, dass wir eine gute Hypothese haben, wie Problem und Lösung verknüpft sind. Fakt bei diesem Vorgehen ist, dass diese Hypothese immer die Hypothese des Aufstellungsleiters oder der -leiterin bleibt – genauso wie es die Hypothese der Ärzt/innen bleibt, wie eine Therapie mit dem Symptom verbunden ist. Wir können das annehmen, müssen es aber nicht. Und vielleicht tun wir es auch seltener als wir es unserem Umfeld erzählen.

Wenn wir ein System in einer Aufstellung lesen ohne eine Problemstruktur darüber zu legen, dann gibt es den Systembeteiligten die Möglichkeit, aus dem kraftvollen dreidimensionalen Bild der Aufstellung heraus selbst zu entscheiden, welche Sequenz, welche Positionierung, welchen Selbstausdruck er oder sie als Problem definieren möchte. Diese Entscheidung führt dann zum eigenen Problem, zu dem ich mich selbst entschieden habe. Manchmal braucht es noch ein wenig Hilfe der Aufstellungsleitung, aus den vielen Informationen einer Aufstellung den Möglichkeitsraum von Problemen zu erkennen. Nicht umsonst gibt es das Bonmot: Wenn ihr mir das als Lösung präsentiert, dann möchte ich mein Problem zurück!

Was also ist wirklich Neues durch das Seminar entstanden? Den Unterschied zwischen einer #Erkundungsaufstellung# und einer Problemlösungsaufstellungen konnten wir in dem Moment tiefgehend aufnehmen, in dem wir den Impuls unterdrückt haben, in einer Aufstellung eine Heilung oder eine Lösung herbeizuführen. Diesen Impuls zu unterdrücken, ist eine große Herausforderung für Berater/innen und Coaches, die sich innerlich auf ihre Kompetenz fokussiert haben, Lösungen herbeizuführen oder zu ermöglichen.

Wir nehmen die Komplexität unserer Lebenssituation an, wenn wir ein System in einer Aufstellung mit manchmal bis zu 20 Stellvertreter/innen sichtbar gemacht haben, dieses „Big Picture“ wirken lassen und dann ganz bewusst mit dem Impuls umgehen, die Lebenssituation eines der Elemente verbesser zu wollen. Dieser Impuls versteckt sich fast immer in der Frage: Was braucht xy, um …..?