Was zeigt der Upstalsboom-Film? Die Erzähllinie der „Stillen Revolution“

Ich habe den Film mit Studierenden nun zum zweiten Mal gesehen und dieses Mal hat er mich sehr tiefgehend erreicht. Ist beim ersten Mal hauptsächlich die Geschichte von Bodo Jansen als Eigentümer der Hotelkette bei mir angekommen, habe nun jetzt für mich erfassen können, welche Metaerzählung und welcher Narrativ durch den Film verbreitet wird. Ich habe mich gerade im Kontext von Nachhaltigkeit und Transformation schon länger damit beschäftigt, wie Erzähllinien aussehen, die einer Botschaft eine umfassende Gestalt geben. Gerade weltverändernde Stories – so meine Erkenntnis – müssen explizit auf ihren Bezug zu einer Metaerzählung und ihrem Narrativ eingehen. Der Text, in dem ich das entwickelt habe, ist unten angegeben.

Es war der markante Hinweis einiger Mitarbeiter/innen in einer Arbeitszufriedenheitsbefragung, dass sie sich einen neuen Chef wünschen, der in all seiner Kränkung zugleich ein Erweckungserlebnis für Bodo Jansen gewesen ist. Er konnte anschließen an eine bereits laufende Entwicklung, die die gute Koordination von Menschen in Unternehmen nicht mehr als Wirkung von starker Führung und Hierarchie sieht, sondern als eine Begegnung auf Augenhöhe aller Unternehmensmitglieder unabhängig von Position und Arbeitsbereich. Begegnung auf Augenhöhe und Wertschätzung der Mitarbeitenden ist eine der großen Metaerzählungen, die sich gerade im Kontext moderner Unternehmensführung verbreitet.

Ich deute diese Metaerzählung als große Bewegung, die den Menschen im grundlegenden Spannungsfeld insbesondere von erwerbswirtschaftlichen Unternehmen von der Positionierung im Nahebereich der Instrumentalisierung lösen will und den ganzen Sowohl-Als-Auch-Raum zwischen Instrumentalisierung und Eigenwert öffnet. Der Blick wird frei darauf, dass Mitarbeitende als Menschen immer auch einen Eigenwert haben und nicht alleine als Mittel zur Erreichung fremder Zwecke gesehen werden sollten. Immanuel Kant hat dies schon vor über 200 Jahren als Teil seiner Ethik formuliert, dass Menschen niemals nur als Mittel angesehen werden dürften, sondern immer auch als Zweck an sich. Ich übersetze diese Idee in den grundlegenden Spannungsraum aller sozialer Systeme, in denen Menschen sich miteinander koordinieren, um einen Zweck zu erreichen. Soziale Systeme sind zweckbasierte Systeme und der Mensch ist daher immer in der Gefahr, als reines Mittel instrumentalisiert zu werden.

Insbesondere in der sozialen Marktwirtschaft kämpfen wir seit Jahrzenten gegen diese Tendenz und das weitgehend mit Arbeitnehmerschutzgesetzen. Dass diese Tendenz uns heute immer bewusster wird, liegt meines Erachtens daran, dass die volle Welt, die wir geschaffen hat, uns unsere Dilemmata immer deutlicher vor Augen führt: Der Wettbewerbsdruck zwingt immer mehr Unternehmen zu harten Effizienzmaßnahmen, was letztlich heißt, nur die Kosten zu internalisieren, für die es gesetzlich erzwungen  oder der moralische Druck sehr hoch ist. Jede weitere Rücksicht auf Mensch und Natur wird nur dann genommen, wenn der Markt dies einfordert. Dahinter steht ein Win-Win-Zwang, der letztlich bedeutet, dass nur dann Rücksicht genommen wird, wenn es sich rechnet. Dieser Glaubenssatz, der sehr hilfreich war, um leistungsfähige Systeme zu schaffen, ist in vielen Köpfen der Wirtschaft inzwischen so sehr eingebrannt, dass es letztlich normal ist, rethorisch Werte für mehr Gewinn zu instrumentalisieren. Ich bin überzeugt davon, dass Werte nicht für mehr Gewinn instrumentalisiert werden können, schon allein deshalb nicht, weil wir davon ausgehen müssen, dass Werte nur dann echte Werte sind, wenn sie generalisierbar sind (Kant lässt noch  mal grüßen). Wir wollen, dass alle Unternehmen und Menschen Rücksicht nehmen in der Art, wie sie ihre Zwecke erreichen. Wenn es also alle tun, dann gibt es auch keinen Wettbewerbsvorteil mehr für das rücksichtsvollere Verhalten und die Idee der Win-Win-Hypothese kollabiert.

Der Film über die stille Revolution des Unternehmens wagt sich meiner Beobachtung nach auch nicht offen an dieses Thema heran: Der Narrativ, der meiner Ansicht nach nicht mutig zu Ende erzählt wird, ist die Neupositionierung im Spannungsfeld von Gewinn und Werten. Zu häufig lauten in dem Film durch sehr verschiedene Expert/innen ausgedrückt die Bewältigungsformeln: Mehr Augenhöhe gleich mehr Wertschätzung gleich mehr Leistung gleich mehr Gewinn. Im Sinne von Spiral Dynamics bleiben die Befragten noch mit beiden Füßen im orangen Leistungsprinzip stehen, dehnen sich gleichwohl auf die nächste, grüne Bewusstseinsstufe aus und leben den Dialog und die Wertschätzung. Ich bin der Meinung, dass es sehr wichtig ist, dieses zu tun und möglichst lange durchzuhalten, bis es in den vielen Entscheidungen des Unternehmensalltags für alle normal geworden ist die Frage zu stellen, ob Wertorientierung auch etwas kosten darf und folglich die Gewinne niedriger ausfallen. Wenn es für diesen Trade-off zwischen Gewinn und Wertverfolgung eine Legitimation durch die Führungskräfte und die Eigentümer/innen gibt, dann ist die nächste Komplexitätsbewältigungsstufe erreicht: das logisch unvereinbare darf besprochen werden und aus dem „Gewinn oder Werte“ wird ein „Gewinn und Werte“. Das klingt banal, ist aber für ein erwerbswirtschaftliches Unternehmen gar nicht einfach zu leben. Welche Komplexitätsbewältigungsstufe erreicht ist, zeigt sich in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten. Welche Werte für viele werden aufgegeben, um Gewinne für wenige zu erhalten?

Literatur zum Konzept einer Erzähllinie:

Müller-Christ, G. (2017): Wirtschaftswissenschaftliche Transformation als Bildungsaufgabe. Nachhaltigkeits-Narrative neu erzählen können. In: Pfriem, R. u.a. (Hrsg.): Transformative Wirtschaftswissenschaft im Kontext nachhaltiger Entwicklung. Marburg, Metropolis-Verlag, S. 397-420

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