Über Müll und Kälte

13. Dezember 2020

 

(Seit etwas über einem Jahr arbeite ich in einem Restaurant. Bis zum Studienbeginn, war ich so ziemlich jeden Tag da, immer zwischen 50 und 60 Stunden die Woche, um mir meine Wohnung und mein Studium finanzieren zu können. Dies hatte natürlich zur Folge, dass es irgendwann mein zweites Zuhause wurde. Nach dem ersten C-Lockdown verließ ich mich naiver Weise auf den Gedanken, dass wir nicht noch einmal so lange schließen würden. Mit der Kurzarbeit konnte man sich natürlich über Wasser halten, aber das Kollegium nicht regelmäßig sehen zu können sowie die körperliche Belastung fehlten mir unheimlich. Als wir wieder öffneten stand der Sommer vor der Tür. Er forderte uns, es war überfüllt und kein einziger Tisch blieb länger als 5 Minuten unbesetzt. Ich lief mir Wasserblasen über diese Zeit und rauchte sehr viel. Über die Monate wurde es dann immer ruhiger. Wir teilten die Schichten lockerer ein, waren teilweise nur zu zweit im Laden, wenn wir Schlussdienst machten und redeten über diesen stressigen Hochsommer, der uns so erschöpft hatte. Die Wochen vergingen und mit der Kälte ereilte uns auch die zweite Schließung.        Ich war das letzte Mal Anfang November da, als ich mir meine Gehaltsabrechnung des vorherigen Monats abholte und genau deswegen entschloss ich mich heute wieder dahin zu fahren, wo ich eigentlich mein ganzes Jahr verbracht habe.)

Ich parke mein Auto um kurz nach 9 auf dem großen grauen Parkplatz der Waterfront in Gröpelingen. Meist stehe ich ganz hinten, weil die frische Luft, wie auch heute, so angenehm kühl ist und nach Süßwasser riecht. Hier ist es außerdem ruhiger. Andere Menschen sehe ich kaum. Es ist windiger als ich dachte, die Möwen fliegen tiefer als sonst. Ich laufe an den Leinwänden des Kinos vorbei und ein älteres Paar kommt mir mit einem kleinen Hund entgegen, welcher zuerst geradewegs auf mich zugelaufen kommt, dann aber zurückgerufen wird. Als er kehrt macht, bewegt er seine kleinen Beinchen so schnell, dass es beinahe so aussieht, als würde er knapp über den Boden schweben. Die Frau trägt eine rote Winterjacke, ihr Mann allerdings nur einen dunkelgrünen Pulli, was merkwürdig ist, der Wind kommt mir mittlerweile so kalt vor, dass ich schon Kopfschmerzen bekomme. Worüber sie sich unterhalten kann ich nicht gut verstehen, aber ich bin noch anschließend darüber verwundert, wieso mir die Dame einen so strengen Blick zugeworfen hatte. Nach ihnen kam mir niemand mehr entgegen und ich betrachtete die restlichen Minuten des Weges über das chinesische Restaurant, was anscheinend schon länger geschlossen war. Eine der Türen ist durch einen Schlauch am Boden einen Spalt breit geöffnet und ich werfe einen zögerlichen Blick hinein. Ich kann nur hunderte von Stühlen und Tischen erkennen, welche quer durch den Raum verteilt gestapelt sind. Von der Decke hängen noch die Kabel der Deckenleuchten. Ich ziehe aus Interesse an der Tür um zu versuchen, ob sie sich öffnen lässt. Sie ist allerdings verkeilt und bewegt sich kein Stück.          Als ich ankam, sieht die Terrasse so ungewohnt leer aus. Drei schwere Bänke stehen noch draußen und unter ihnen liegt Verpackungsmüll von McDonalds und Subway. Ich lasse meinen Blick schweifen und bemerke die überfüllten Mülleimer am Wasser. Über ihnen schreiende Möwen, welche sich um Essensreste streiten. Ein paar von Ihnen sitzen auf dem Dach der Beach-Bar und als ich beschließe auf sie zuzulaufen, bemerke ich, dass auch die Holzstühle mittlerweile nicht mehr draußen stehen und der Sand über die Zeit begann dicht zuwuchern. Es sind immer noch keine anderen Menschen zu sehen. Noch nicht einmal Pärchen, welche mit ihrem gemeinsamen Hund spazieren gehen.    Als ich mich wieder auf das Restaurant zubewege, beschließe ich einen Blick hineinzuwerfen. Während ich mich leicht gegen die Glaswand lehne, halte ich mir meine Handflächen links und rechts neben die Augen um mehr erkennen zu können und sehe hinten am Centereingang ein paar Briefe auf dem Boden liegen, welche meine Kollegen über die letzten Tage wahrscheinlich durch die kleine Öffnung der Glastür geworfen haben. Der Boden sieht sauber aus. Auch die Tische stehen in der gewohnten Ordnung und haben die Barcode-Karten auf sich stehen. Hinten an der Bar befindet sich noch die halbleere Flasche Desinfektionsmittel, die ich das letzte Mal dort benutzt hatte, neben einen großen Haufen alter Speisekarten. Die Flaschenwand scheint allerdings schon eine Staubschicht zu haben. Ich gehe ein paar Meter nach rechts um in die dunkle Küche blicken zu können. Die Glasscheibe, welche sie von dem Kaffeetresen trennt, scheint keinerlei Schlieren zu haben. Ich entferne mich von der Scheibe und Blicke zur Servicestation, welche am linken Haupteingang steht. Als ich einen Blick hineinwerfe ist zu erkennen, dass sie vollkommen leer ist. Keine extra Mülltüten für den Behälter oder Wasserschalen für Hunde. Neben der Station steht der große Standaschenbecher mit 6 Zigarettenenden drinnen. Der darunterliegende Mülleimer ist komischerweise leer und als ich das eingedellte Gitter des Aschenbechers berühren möchte fällt mir auf, wie durchgefroren meine Hände aussehen, weswegen ich sie wieder in meinen Taschen verschwinden lasse und beschließe zu meinem Auto zu gehen. Stehen bleibe ich noch ungefähr 5 Minuten und blicke auf die lange Glasfront. Erinnerungen schießen mir durch den Kopf und obwohl mir es hier so vertraut ist, kommt es mir unter diesen Umständen doch so fremd vor.

 

Vivien

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Ein Kommentar Add your own

  • 1.    Nika  |  Januar 2nd, 2021 at 16:14

    Hey Vivien,
    ein spannender Bericht, vielen Dank fürs Teilen!
    Mir hat gefallen, dass du nicht nur die visuellen Eindrücke geschildert hast, sondern auch die olfaktorischen, haptischen und akustischen. Mich hat beim Lesen interessiert, wie du das Restaurant betreten konntest? Hattest du einen Schlüssel, den du noch immer benutzen durftest? Gut war auch deine Einleitung.
    Im letzten Absatz wirst du etwas intepretativer, dies würde in einem kulturwissenschaftlichen Beobachtungsprotokoll (siehe StudIP Ordner) oftmals getrennt von den sinnlichen Eindrücken geschehen. Ich bin aber sicher, dass dir das gut gelingt – schließlich gefällt mir dein Schreibstil und deine Struktur sehr gut.

    LG Annika

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