Prüfungsaufgabe – Beobachtungsprotokoll

2. März 2021

Beobachtungsprotokoll

Begegnungsstätte Schwanewede, Bremen-Nord

14.02.2021/13.21 Uhr bis 15.02 Uhr

 

Wer kann aktuell Blut spenden?

Grundsätzlich gilt nach wie vor: Jeder, der gesund und fit ist, kann Blut spenden. Die aktuell geltenden Zulassungsbestimmungen gewährleisten weiterhin einen hohen Schutz für Blutspender und Helfer. Zur Spende nicht zugelassen sind Menschen mit Symptomen eines grippalen Infekts oder einer Erkältung und Einreisende aus internationalen und nationalen Risikogebieten sowie Spendewillige, die Kontakt zu einem COVID-19-Erkrankten hatten. Diese Personen werden vier Wochen lang zurückgestellt, d.h. sie dürfen kein Blut spenden. Personen, die am Coronavirus erkrankt sind, dürfen für zwei Monate nach Ausheilung nicht zur Blutspende. („Blutspenden werden dringend benötigt“ unter: https://www.zusammengegencorona.de/handeln/blutspenden-werden-dringend-benoetigt/, abgerufen am 21.02.2021)

Ich parke vor der Gemeindebücherei, welche sich auf der anderen Straßenseite, gegenüber der Begegnungsstätte befindet. Auch sie ist durch die Pandemie geschlossen. In Schwanewede ist es allgemein sehr ruhig durch den Lockdown geworden. Vom Haupteingang ab schlängelt sich eine ungefähr dreißig Meter lange Warteschlange, welche hauptsächlich aus älteren Menschen besteht. Junge Leute in meinem Alter sind nicht zu sehen. Der Schnee der letzten Wochen ist bereits geschmolzen, die Temperatur ist allerdings immer noch sehr niedrig, weshalb alle Anwesenden noch sehr dick bekleidet sind. In der Sonne bereut man diese Entscheidung für einen kurzen Moment beinahe, da sie sehr stark scheint. Im Schatten ist es im Gegensatz dazu bitterkalt.              Ich stelle mich hinter ein augenscheinliches Ehepaar, welche beide FFP2-Masken tragen. Die Frau mag wahrscheinlich in ihren späten Fünfzigern sein und ist mit einem dicken dunkelblauen Schal, einem grauen Wollmantel, einer Bluejeans und schwarzen Winterstiefeln bekleidet. Ihre Haare erscheinen mir als dunkelblond oder hellbraun gefärbt, weil sie im Licht der starken Sonne auffällig glitzern. Ihr Mann greift zwischendurch immer mal wieder nach ihrer Hand, wodurch mir deren Eheringe ins Auge springen. Er scheint ein wenig älter zu sein als sie, da seine Haare mit grauen Strähnen durchzogen sind. Bekleidet ist er mit einer dunkelblauen Allwetterjacke, einer Bluejeans und schwarzen Sportschuhen, während er in seiner linken Hand eine kleine braune Ledertasche, wahrscheinlich die seiner Partnerin, am Trageriemen festhält.              Gespräche sind im Verlauf der Wartezeit kaum zu hören. Wenn man aber eins mitbekam, flüsterten die Gesprächspartner miteinander.    Je mehr man sich dem Haupteingang annähert, desto besser kann man einen Blick in den Innenraum des Gebäudes werfen. Vor der Tür steht ein breit gebauter, großer, junger Mann. Dieser ist dunkel bekleidet und hält in seiner rechten Hand ein Infrarot-Fieberthermometer. Er bittet immer eine Person auf einmal zu sich in den Vorraum hinein, indem er im 5-Minuten-Takt die Eingangstür öffnet und laut „Moin!“ ruft. Das Paar vor mir unterhält sich leise, als sich der Türsteher erneut seine Maske zurechtrückt und die Frau mit den gefärbten Haaren zu sich hereinbittet. Sie greift nach der Tasche in der Hand ihres Mannes und läuft in kleinen Schritten beinahe gebückt auf den jungen Herren zu und drückt sich mit ihren Fingern ihre Maske ins Gesicht. „Haben Sie Erkältungssymptome? Kontakte mit dem Coronavirus? Geht es Ihnen gut?“ fragt er sie, als er ihr die Tür zum Eintreten offenhält. „Nein, nein, nein. Ich kenne das Prozedere noch vom letzten Mal!“ antwortet sie und man hört beide lachen, bevor die Tür wieder zufällt. Er misst ihre Temperatur. Es ist schwierig etwas durch das Glas zu erkennen, da die Sonnenstrahlen sehr stark spiegeln und sich nur dunkle Umrisse erkennen lassen, wenn man genau hinschaut. Der Ehemann wartet geduldig auf seinen Einlass. Als ich mich umsehe erkenne ich, dass die Warteschlange noch länger, als bei meiner Ankunft ist und sich schon beinahe über den Fußgängerweg, die Hauptstraße entlang, erstreckt.

Ich bin die nächste in der Reihe und stehe neben einem kleinen Lieferwagen der deutschen Blutspende, welcher gerade von einem älteren, zierlichen Mann beladen wird. Er schielt kurz zu mir hinüber, als er eine große graue Kiste befüllt mit Blutkonserven im Innenraum verstaut. Er wirkt sehr angestrengt, als er diese anhebt und mit einem Stoß in den Wagen schiebt. In dem Moment öffnet sich die Eingangstür und der breitgebaute Mann nimmt direkten Augenkontakt zu mir auf. Ich spüre, dass ich beginne, ein wenig aufgeregt zu werden, als ich auf ihn zulaufe und wir uns begrüßen. „Waren Sie in den letzten Wochen erkältet?“ fragt er mich, als er die Tür nach meinem Eintreten wieder zu sich zieht, um diese zu schließen.

„Nein.“ antworte ich und richte meine Handtasche, welche über meiner rechten Schulter hängt.

„Husten, Schnupfen, Heiserkeit?“

„Nein, mir geht es gut.“

„Auch keine Kontakte mit dem Virus?“ Er misst meine Temperatur und nickt mir zu, ohne auf meine Antwort zu warten. „Sie können sich in die Schlange da stellen, da geht es weiter.“ sagt er, während er auf das jetzt bekannte Paar zeigt, die vor mir eingelassen wurden und nur ein paar Meter entfernt stehen. Ich desinfiziere mir an einem kleinen Tisch die Hände mit dem bereitgestellten Desinfektionsmittel und stelle mich zu ihnen. Es ist durch die Enge der kleinen Eingangshalle sehr schwierig einen vernünftigen Sicherheitsabstand einzuhalten.

 

 


 

 

Nach langer Wartezeit befinde ich mich endlich auf einer kurz zuvor freigewordenen Liege. Eine Frau mittleren Alters legte mir bereits mit einer Kanüle einen intervenösen Zugang in meiner linken Armbeuge. Ich beobachte das Gerät links neben mir, welches meine Konserve langsam hin und her schaukelt, um der Blutgerinnung entgegenzuwirken. Diese beinhaltet nach Anzeige bereits 238 Gramm meines Blutes. Es befinden sich zwei Reihen aufgestellter medizinischer Liegen im Raum. Diese stehen gegenüber voneinander. Auf meiner Seite befinden sich sieben Stück, während auf der anderen Seite beinahe doppelt so viele sind. Man hört das laute Rauschen der zahlreichen Geräte, welche das abgenommene Blut in Bewegung halten und laut piepen, wenn sie bereits vollständig gefüllt sind. Man hört immer wieder schnelle Schritte der Ersthelfer, welche zwischen den einzelnen Spendern wie Flipperbälle hin und er schießen, neue Zugänge legen, Kanülen entfernen, Blutkonserven in die bereitgestellten Kisten transportieren und Flächen desinfizieren. Das Geschehen wirkt hektisch wie auf einem Bahnhof. Die Sonne scheint durch die zugezogenen orangefarbenen Vorhänge und wirft ein warmes Licht in die Halle. Die stickige Luft wirkt erdrückend, obwohl es nicht allzu warm hier ist. Das Gerät einer sehr großen Frau links neben mir fängt an zu piepen. Sie trägt eine Brille, hat schwarz-graue Haare und tiefe Zornesfalten auf der Stirn. Ihre schwarze Stoffhose ist offensichtlich mit Tierhaaren bedeckt und ihre Beine reichen weit über die Fußstütze hinaus. Sie blickt dem Piepen entgegen und richtet ihre Allwetterjacke, welche über ihren Schienbeinen baumelt. Gespräche gibt es gerade nur unter den freiwilligen Helfern, welche sich auf einmal zahlreich um einen jungen Mann kümmern, welcher auf seinem grauen T-Shirt den Aufkleber „Erstspender“ trägt. Er hat offensichtlich starke Kreislaufprobleme und wirkt sehr gestresst, als ihm ein älterer Mann einen Pappbecher mit einem Getränk anreicht. Seine Liege wird nach hinten gekippt, wobei er allerdings einen Schreck bekommt und einen Schluck aus dem Becher verschüttet. Die Flüssigkeit ist dunkel, ich denke mir, dass es wahrscheinlich Cola oder irgendeine Art von Saft sein könnte. Er wirkt unbeholfen. Das Piepen der Frau neben mir erklingt immer noch und sie beginnt bei jedem vorbeilaufenden Ersthelfer die Hand zu heben, um auf sich aufmerksam zu machen. Bei jeder Person die an uns vorbeiläuft, ist der Geruch von Desinfektionsmittel wahrzunehmen, ganz besonders bei den Ersthelfern. Diese verteilen sich wie Ameisen, um bei mehreren Patienten die Kanülen zu entfernen, die Frau muss allerdings warten. Ich schaue auf meine Anzeige. 432 Gramm. Ich brauche wahrscheinlich auch nicht mehr lange. Die Situation wirkt durch das orangene Licht der Vorhänge mittlerweile beinahe surreal. Ich schiebe meinen dicken Mantel, den ich bevor ich mich hingelegt ausgezogen habe, auf meine Schienbeine und versuche meine Tasche ein Stück weiter unter meine Liege zu rücken. Der Wechsel passiert schnell. Ich beginne eine Frau mittleren Alters, welche gegenüber von mir liegt, zu beobachten. Sie ist mit warmen Farben bekleidet und vereint sich optisch beinahe mit der von Licht erfüllten Halle. Sie wirkt sehr geduldig, obwohl sie ihren Blick abwendet, als einer der Helfer die Nadel aus ihrem Arm zieht und sie augenscheinlich bittet mit einem Stück Watte ihre Wunde abzudrücken. Als er einen Druckschlauch fest um ihren Arm zurrt, zuckt sie zusammen und grinst ihn sympathisch an. Ich bekomme das Gefühl, dass sie ihn wahrscheinlich schon kennt, weil sie des Öfteren zur Spende geht, obwohl es ihr vielleicht unangenehm ist. Sie unterhalten sich kurz miteinander, als er das Gerät ausschaltet und ihre Konserve entfernt. Man kann nicht verstehen, worüber sich unterhalten wird. Auffällig erscheint allerdings, wie verkrampft sie den abgeschnürten Arm hält, als sie nach ihrer Jacke und Handtasche greift. Die Frau neben mir beginnt nun sich zu räuspern. Ihre Anzeige zeigt schon etwas über 500 Gramm an und bisher kam noch niemand, um sie zu befreien. Offensichtlich ist sie darüber nicht erfreut und ihre Zornesfalten sitzen tiefer als zuvor. Mein Gerät piept nun auch in kurzen Abständen während die freigewordenen Plätze schon wieder neu besetzt sind und die geduldige Frau bereits durch eine Tür verschwindet. Es kommen zwei Ersthelfer auf uns zugeeilt. Der Mann der gegenüber von mir die Kanüle entfernt hatte entfernt nun meine und fragt mich, ob alles in Ordnung sei während er versucht neue Handschuhe über seine Hände zu ziehen. Ich stimme zu, als er das Piepen durch einen Knopfdruck am Gerät ausschaltet und ich erwische mich dabei, wie ich auch den Blick abwende, als er an der langen Nadel zieht. „Drücken Sie das kurz für mich zu?“ fragt er mich, als er ein Stück Watte in meine Armbeuge legt und an den Schläuchen meiner Konserve fummelt. „Das ging aber flott Frau Weber!“ merkt er dabei an und zieht den Gurt fest um meinen Arm, als ich meine Finger von der Watte wegziehe. Ich schiele zu der großen Frau neben mir, welche immer mal wieder den Mund kurz öffnet, als würde sie sich bei ihrer Helferin beschweren wolle, dass sie doch relativ lange warten musste. Für einen kurzen Moment kein Piepen.

 


 

 

Ich finde es im Nachhinein sehr interessant die Möglichkeit zu haben, eine solche Situation beobachten zu können. Es wird in regelmäßigen Abständen immer wieder zur Blutspende aufgerufen, um anderen Menschen das Leben retten zu können. Man gibt das, wovon man am meisten hat und trotzdem erlebt man immer wieder vor Ort, dass Spender, oder sogar man selbst, einer Ohnmacht nahekommen. Wir strapazieren unseren eigenen Körper um anderen Menschen zu helfen und das gerade zu einer Zeit, wo unsere Körper so vielen Belastungen ausgesetzt sind, wie zum Beispiel dem Coronavirus. Als ich infiziert war ging es mir sehr schlecht und jetzt wird mein Blut durch die enthaltenen Antikörper mehr als je zuvor benötigt um Erkrankten eine weitere Möglichkeit zum heilen zu geben. Trotzdem habe ich in dieser Halle, außerhalb des Protokolls, eine Situation miterlebt, wo einer jungen Frau die Spende verweigert wurde, weil ihre Venen zu dünn erschienen. Für mich hat das eine gewisse Ironie. Man hat den Wunsch das kostbarste was man besitzt an einen Fremden weiterzureichen und darf dies nicht tun. Auf der anderen Seite provoziert man bei jeder Spende einen Kreislaufzusammenbruch. Nun stellt sich mir die Frage, ob es verwerflich sei, eine solche Aussage zu ignorieren. Dürfte man auf eine Spende bestehen, um jemanden zu helfen? Wenn man selbst darunter leiden würde? Den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden? Macht uns das als Menschen aus? Jemanden helfen, obwohl man weiß, dass man unter den Folgen leiden würde? Eine Ohnmacht ist nur temporär, eine schwerwiegende Krankheit hingegen nicht.

 

Vivien

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Ein Kommentar Add your own

  • 1.    Teresa  |  März 2nd, 2021 at 13:26

    Hallöchen,
    ich finde es sehr cool, dass du deine Beobachtung nicht an einem typischen Ort bzw. über eine typische Situation, wie Einkaufen, Zugfahren, Bushaltestelle oder Park, gemacht hast. Dein Schreibstil macht das Lesen vom Text auch sehr angenehm und spannend. Vielleicht hättest du am Ende noch eine längere Interpretation hinzufügen können, aber du hast ja im Text bereits öfters Vermutungen bzw Interpretationen aufgeführt.
    Liebe Grüße,
    Teresa

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