Arbeitsmigration und Wandel in Gröpelingen

Gröpelingen hat sich von einem Dorf zu einem Arbeiterviertel entwickelt und hat heute in Bremen den Ruf als Problemviertel.  Mit seiner Geschichte steht Gröplingen nicht alleine. Diese historische Entwicklung ist typisch für traditionelle Arbeiterviertel in westdeutschen Großstädten (Liffers 2004: 8-9). Erst durch  durch den Umzug der AG  Weser 1902 – 1905  nach Gröpelingen isti dieses Teil des urbanen Bremen geworden. Die AG Weser hat Frachter und Kriegsschiffe gebaut. Der Bedarf an Arbeitskräften ist  rasant angestiegen und tausende Arbeiterfamilien deutscher und ausländischer Herkunft zogen  nach Gröpelingen. Innerhalb weniger Jahre hat sich so  ein Zusammenleben aus unterschiedlichen Nationalitäten, Religionen und sozialen Schichten entwickelt.

Eine stark vertretene Gruppe waren polnische katholische Arbeiter  gewesen:  1910 arbeiteten 1000 polnische Arbeiter an der Werft der AG Weser. Sie seien als billige Arbeitskräfte ausgenutzt und stark marginalisiert worden. So sei ihnen verboten worden, auf Versammlungen polnisch zu sprechen oder sich gewerkschaftlich zu betätigen. Mit Beginn des 1. Weltkriegs seien polnische Arbeiter  als potentielle Vaterlandsverräter bezeichnet und ausgewiesen worden (Gartner 1996: 9-10). Die damals vorhandene  strukturelle  Fremdenfeindlichkeit gegenüber Menschen mit einer anderen Sprache, Identität oder Religion in Deutschland  zieht sich (dazu später mehr)  auch heute weiter durch die deutsche Gesellschaft, weiter durch Gröpelingen. 

Aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg haben in Deutschland, auch in Gröpelingen nach dem Wiederaufbau der Werft, Arbeitskräfte gefehlt.  Um den Bedarf an Arbeitskräften zu decken, wurden  Verträge mit Ländern rund um das Mittelmeer über Gastarbeiter*innen ausgehandelt (Heinrichs 1992: 7-10).  Als die  AG  Weser  ab 1953 in den Tankerbau eingestiegen sei, habe sie weniger Fachpersonal benötigt, was Raum für billigere, ungelernte Arbeitskräfte geöffnet  (Liffers 2004: 18-22). In Gröpelingen hat primär die AG  Weser nach ungelernten Arbeitskräften gesucht. 1963 ist  der Personalchef sogar persönlich nach Istanbul gefahren um sich die besten Arbeitskräfte auszusuchen. Bei dieser Sichtung wurden türkische Arbeiter von deutschen Ärzten untersucht und man ließ sie ihre Hände zeigen lassen, um ihre Arbeitskraft einzuschätzen. Außerdem wurde ihnen mit einem Filzstift eine Nummer auf die Brust geschrieben, um  ihren Tauglichkeitsgrad zu bezeichnen  (Heinrichs 1992: 7-10).  Diese äußerst menschenunwürdige und respektlose Behandlung zeigt das reine Profitinteresse der AG Weser an Arbeitskräften. Offenbar war es nach dem damals herrschenden Diskurs in Deutschland legitim,  Menschen aus anderen Ländern auf ihre Arbeitstauglichkeit zu reduzieren  und nicht als gleichwertige Menschen anzusehen.

Da ein großer Anteil der angeworbenen Arbeitskräfte aus der Türkei stammte,  haben Menschen türkischer Herkunft auch das Stadtbild von Gröpelingen immer mehr geprägt. Die erste islamische Gemeinde wurde 1979 gegründet worden und 1981 folgte die Gründung der Mevlana Moschee  (Heinrichs 1992: 15). Gleichzeitig haben einige türkische Werftarbeiter 1978 mit „Vatansport“ den ersten türkischen Sportverein in Bremen gegründet. Dieser hat sich 1991 in einen Kultur- sportverein umbenannt und bietet umfangreiche kulturelle Angebote für Jugendliche und Erwachsene an. Neben kulturellen und religiösen Angeboten zeigte sich die Präsenz  auch in dem großen türkischen Warenangebot  in Gröpelingen (Heinrichs 1992: 25 – 27).

Die umfangreiche türkische Arbeitsmigration habe anfänglich kaum zu Veränderungen in der deutschen Mehrheitsgesellschaft geführt, da sich diese nicht als Einwanderungsgesellschaft verstanden und die Gastarbeiter*innen nur als Gäste angesehen habe. Auch die türkischen Gastarbeiter*innen hätten  ursprünglich zurück in die Türkei gewollt. Inzwischen würden  die drei Generationen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund sich als Teil der deutschen Gesellschaft begreifen, auch wenn diese sie in jedem Bereich des Alltags immer noch auf ihr Türkischsein reduziere.  Aufgrund des Anspruchs der ehemaligen Gastarbeiter innen auf wahre Integration in die deutsche Gesellschaft scheine, so  Liefers, der gesellschaftliche Kampf um die Macht über kulturellen Ausdruck und Lebenswirklichkeiten in den Städten neu entbrannt zu sein. Als symbolischer Ausdruck des  Wunsches permanenter Teil der Gesellschaft zu sein, könne man den Bau eines repräsentativen Faith Moschee Gebäudes mit Kuppel und Minaret in Gröpelingen sehen. Das Bekanntwerden des geplanten Baus habe zunächst starken Widerstand hervorgerufen. Doch eine  intensive  Öffentlichkeitsarbeit, ein Tag der offenen Tür und der Verzicht auf den Gebetsruf hätten dazu geführt, dass die Moschee ohne weitere Schwierigkeiten habe errichtet werden können  (Liffers 2004: 94 -95). 

Da die wirtschaftliche und soziale Struktur (Regionalwirtschaft) des Viertels Gröpelingen  durch die AG Weser bestimmt war, hat der Konkurs der Firma 1983 quasi auch den Niedergang des Stadtteils eingeleitet. Das Stadtbild war danach von hoher Arbeitslosigkeit, fehlender Wirtschaftskraft und sozialen Problemen wie städtebaulichen Mängeln geprägt (Tagungsbericht europäische Konferenz 2001: 6-7). In dem Bericht „Gespräche mit Gröpelingen“ veröffentliche Interviews verstärken den Eindruck, dass mit Schließung der Werft die „Ethnisierung von türkischen Menschen im Stadtteil zugenommen“ habe. Die Arbeitnehmer/innen der Werft hätten auch als Menschen unterschiedlicher Herkunft eine gewisse Interessenhomogenität gehabt.  Diese sei nach Schließung der Werft weggefallen. Die Menschen nicht-deutscher Herkunft seien keine „ausländischen Kollegen“ mehr gewesen. Die davon betroffenen hätten sich in ihrer in Deutschlang erreichten sozialen Position infrage gestellt und auch durch neue Migrations – Gruppen bedroht gefühlt (Liffers 2004: 72-73). 

Um dem Stadtteil eine neue Perspektive zu geben, hat die Regierung 1990 die Sanierung des südlichen Lindenhofviertels in Gröpelingen eingeleitet. Zusätzlich wurden während dieses Prozesses noch 40 Einzelprojekte im Rahmen der EU Gemeinschaftsintiative Urban durchgeführt. Die Ergebnisse wirken in  Wirtschaft, Kunst und Kultur in Gröpelingen noch nach (Tagungsbericht europäische Konferenz 2001: 6-7). 

Neben den 1990, im vorherigen Absatz genannten, Fördermaßnahmen gibt es eine weitere positive Entwicklung in Gröpelingen.  So hat  in Gröpelingen  schon vor längerer Zeit ein Dialog zwischen Moschee, evangelischer Kirche und anderen Glaubensrichtungen  stattgefunden. Viele türkische Menschen, deutsche Menschen mit türkischem Migrationshintergrund würden  inzwischen auch nach eigenen Werten unabhängig von Nationalismus oder Glaube suchen. Doch dieses könne in der Zukunft nur erfolgreich sein, wenn Deutschland/Gröpelingen aus den „Migranten“ endlich Bewohner*innen machen möchte (Lüking/Paßlack 2000: 132-133).  Nach der Broschüre „Gröpelingen bildet 2025“  lebten von den 30 % Bremer*innen mit Migrationshintergrund en großer Teil in Gröpelingen. Der Stadtteil sei oft Ankunftsort für Migration und Geflüchtete in Bremen und leiste als wichtigster und größter Einwanderungsstadtteil Bremens eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe (Gröpelingen bildet 2025 2016: 8-9).

Literaturverzeichnis

  • Gartner, Christiane (1996): Gröeplingen 1860 – 1945 Ein photographischer Streifzug. Bremen: Edition Temmen 
  • Gröpelingen bildet 2025 (2016): Tagung Entwicklungsgruppe Bildungslandschaft Gröpelingen 
  • Heinrichs, Andreas (1992): Von Istanbul nach Gröeplingen – Alltag in der Lindenhofstraße. Fotoausstellung über Einwanderung und das Leben in Bremen- Gröpelingen. Bremen: Kulturinitiative Gröeplingen e.V. 
  • Liffers, Lutz (2004): StadtRandNotizen. Lutz Liffers, Vorstdtbildung z.B. Gröpelingen. In: Bildung- Gesellschaft – Urbanität. No. 3. Bremen: Edition Themen 
  • Lüking, Anne/ Paßlack, Martin (2000): 13 x Gröpelingen. Streifzüge durch einen Stadtteil im Aufbruch. Bremen: Edition Temmen
  • Tagungsbericht der europäischen Konferenz (2001): Kultur und wirtschaftliche Entwicklung in benachteiligten Stadtteilen. Deutschland: Lichthaus Bremen 

2 Gedanken zu „Arbeitsmigration und Wandel in Gröpelingen

  1. Kann man die Interviews aus „Gespräche mit Gröpelingen“ irgendwo nachlesen? Das wäre bestimmt spannend! Vielleicht gibt es ja auch aktuellere Projekte dieser Art (ich glaube, Gröpelingen ist ein recht gut erforschter Stadtteil).

    Wissen wir irgendetwas über die speziellen Problemlagen und Werdegänge der ausländischen Werftarbeiter*innen nach dem Ende der AG Weser?

  2. Ich habe das Buch aus Kultur vor Ort in Gröpelingen (übrigens ein sehr freundlicher Ort, wenn man Literaturhilfe benötigt). Ich habe auch neuere Interviews gelesen, aber das hätte den Rahmen hier gesprengt.

    Wie schon angedeutet fand nach Ende und Wegbruch der gemeinsamen Identifikation als Kollegen eine vermehrte „Ethnisierung“ durch weiße Deutsche, also ein Herausheben der nicht-weißen Kultur in Gröpelingen statt (man könnte es auch Rassismus nennen). Für Menschen mit Migrationshintergrund war es viel schwieriger eine neue Arbeitsstelle zu finden (wie auch noch heute), gleichzeitig hatte sich die Mehrheit schon eine Existenz in Gröpelingen aufgebaut und wollte nicht zurück, hoffte immer noch auf ein besseres Leben

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