
Roder 2002: 77.
Die Bremer Vulkan AG in Bremen-Vegesack war eine der wichtigsten Großwerften Europas. Der 1893 gegründete Konzern baute in seinen 104 Jahren mehr als 1000 Schiffe jeglicher Art. Zugleich war er einer der zentralen Arbeitgeber in Bremen-Nord und sorgte für insgesamt 23.000 Arbeitsplätze – alleine 10.000 Beschäftigte davon in der Freien Hansestadt Bremen (Muster 2002: 360). Die Aktien-Gesellschaft „Weser“ war eine sogenannte „Vollwerft“ in Bremen-Gröpelingen. Eine Vollwerft bedeutet, „dass nahezu alle Fertigungsschritte vom Personal der Werft selbst durchgeführt und zunächst erst einzelne Bereiche von Fremdfirmen bearbeitet [werden]“ (Walter 2008: 198). Nach der Gründung 1872 entwickelte sich der Betrieb zu einem der größten Werften Deutschlands. 1983 löste sich die Aktien-Gesellschaft im Zuge weltweit steigender Konkurrenz im Schiffbau auf. In ihrem 111-jährigen Bestehen entstanden über 1400 Schiffe.
Die Krise der westeuropäischen Werften
Im Zuge der weltweiten 1973 beginnenden Ölkrise kam es zu einer rapiden Rückgang der Nachfrage nach großen Handelsschiffen. Dies betraf auch die bis dahin auf dem Weltmarkt dominierende Werftenindustrie in Westeuropa. Betroffen war darunter den auf Öltanker spezialisierten Bremer Vulkan und selbstverständlich auf die AG “Weser”. Durch den Rückgang der Nachfrage war die Auftragslage bei den Werften nicht mehr gesichert, wodurch die Werften auf staatliche Hilfen angewiesen waren. Doch auch nachdem die Ölkrise vorüber war, besserte sich die Lage nicht, da mit Japan und Südkorea zwei neue Konkurrenten auf den Markt drängten. Diese stellten den Schiffbau ins Zentrum ihrer entwicklungs- und industriepolitischen Agenda. Durch die, nach westeuropäischem Empfinden, zu starke Subventionspolitik konnten Japan und Südkorea ihren Anteil am Welthandel steigern und im Laufe der Jahre für sich einnehmen. Lag der Anteil westeuropäischer Werften am internationalen Schiffbau 1975 noch bei 38,7 Prozent, ging er bis 1980 auf 26,8 Prozent zurück. Parallel dazu stieg der Weltmarktanteil von Südkorea auf 14,4 Prozent und der von Japan auf mehr als die Hälfte der gesamten Schiffbauten (Ludwig/Tholen 2007: 4).
Japan und Südkorea konnten den, durch staatliche Subventionspolitik gewonnenen Preisvorteil ausnutzen, um somit konkurrenzfähiger als die westeuropäische Werften zu werden. Folge war eine Verschärfung der Werftenkrise in Westeuropa und der Konkurs einiger Großwerften, darunter auch die AG “Weser”.
Hilfsmaßnahmen während der Krise
Um dieser Entwicklung entgegenzusteuern, ergriff die Politik verschiedene Maßnahmen. So wurden Militäraufträge an heimische/regionale Unternehmen vergeben. Deutlich voluminöser waren allerdings die staatlichen Unterstützungen in Form von Hilfspaketen. Zusätzlich zu finanziellen Mitteln der Bundes- und Landesregierungen kamen Fördergelder von der Europäischen Union. Um allerdings solche Unterstützungen “an Land zu ziehen”, mussten auch “Härtefälle” getroffen werden. Durch den Auftragsrückgang und die damit verbundene niedrigere Auslastung in den Werften, war es nicht mehr möglich den bisherigen Betrieb ökonomisch tragbar weiterzuführen. Um die Auslastung einiger Werften zu steigern, mussten andere Werften schließen oder fusionieren. Eine potenzielle Fusion vom Bremer Vulkan und der AG “Weser” wurde allerdings abgelehnt. Ein vom Bremer Senat angefordertes Werftengutachten stellte fest, dass eine Fusion einen Verlust von 14,3 Millionen D-Mark mit sich bringen würde (Wolf 2017: 125). Die Folge war, dass sich der Senat gegen einen Fortbestand der AG “Weser” entschied, um ein zukunftsfähiges Konzept vorzulegen. Im Zuge dieses Härtefalls kam es schließlich zur Auflösung der AG “Weser”. Diese Schließung war eine der Bedingungen für künftige Finanzhilfen des Bundes. Neben der Auflösung der AG “Weser”, war eine Fusion von Bremer Vulkan, Hapag-Lloyd und Krupp Werft Seebeck zu einer Großwerft geplant – wozu es allerdings nicht kam (Köpcke 2013).
Niedergang des Bremer Vulkan
Durch den sinkenden Marktanteil im Schiffbau Westeuropas, verlor zwischen 1975 und 1980 jeder vierte Mitarbeiter des Bremer Vulkan seinen Arbeitsplatz (Romeike 2005: 56). Die Reaktion darauf seitens der Politik und Gesellschaft, war ein Wechsel an der Führungsspitze der Großwerft. Neuer Finanzvorstand wurde der bisherige Senatsdirektor und Aufsichtsratsvorsitzender Dr. Friedrich Hennemann. Um der sinkenden Bedeutung entgegenzuwirken, strebte er eine Umstrukturierung der Bremer Vulkan AG zu einem maritimen Technologie Weltkonzern an (Romeike 2005: 57).
Zusätzlich zu der Kernkompetenz des Schiffbaus stieg der Bremer Vulkan in andere Industriefelder ein: So investierte er beispielsweise in Energietechnik, Trinkwasseraufbereitung und Kranproduktion (Romeike 2005: 57). Strategie war eine risikogeringe Ausweitung des Konzerns.
Neben der Investitionen in andere Zweige, begann der Bremer Vulkan Werften aus der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik aufzukaufen (Huismann/Schloesser 1998). Diese wurden durch die Treuhand von staatlichen zu privaten Unternehmen umgewandelt. Ziel der Treuhand war die Konkurrenzfähigkeit ehemaliger DDR-Unternehmen sicherzustellen. So erweiterte der Vulkan seine Standorte in Bremen und Bremerhaven um die Städte Wismar, Mönchengladbach, Stralsund, Rostock und Lübeck, welche ebenfalls später stark von der Krise der Großwerft betroffen waren (Muster 2002: 360).
Obgleich die Strategien vorerst vielversprechend erschienen, wurden die wirtschaftlichen Probleme bei der Stammwerft in Bremen-Nord und in der Konzernzentrale immer offensichtlicher. So spülte zum Beispiel der Bau des Luxus-Kreuzfahrtschiffes “Costa Victoria” horrende Verluste ein (Romeike 2005: 57).
Darüber hinaus spielten die aufgekauften Werften im Osten nicht den erwünschten und dringend benötigten Gewinn ein. Das lag zum einen an der allgemeinen Auftragslage, doch war auch durch mangelnde Modernisierung und veralteter Produktionstechnik geschuldet. Um die Werften konkurrenzfähig zu machen, lotste die Treuhand Fördermittel der Europäischen Union und der Bundesregierung in den Osten. Diese, eigentlich zur Modernisierung freigegebenen, zweckgebundenen, finanziellen Mittel wurden allerdings direkt an die Hauptkasse des Bremer Vulkans umgeleitet. So gelang es mithilfe dieser Mittel das bestehende Haushaltsdefizit im Hauptkonzern zu vertuschen. Aufgrund dieser Praktiken von Vulkan-Vorstand und Treuhand wurden nach dem Konkurs Ermittlungsverfahren wegen Veruntreuung eingeleitet (Huismann/Schloesser 1998). Diese Verfahren endeten für die Vorstandsmitglieder Hennemann, Smidt und Schnüttgen mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung (Romeike 2005: 58).
Durch die Veruntreuung staatlicher Gelder gelang es Hennemann und dem Rest des Vorstandes jahrelang die immer schwierigere Situation des Konzerns zu verbergen. Nachdem öffentlich wurde, dass der Vulkan große Kredite aufnehmen musste, kam nach und nach die wahre Schieflage zum Vorschein. Auf Druck aus Politik und aus dem Aufsichtsrat, trat Hennemann schließlich zurück. Dem Nachfolger Hennemanns blieb nur noch einen Konkursantrag zu stellen und das Unternehmen in die geordnete Insolvenz zu führen. Für die damals rund 10.000 Bremer Mitarbeiter, auch Vulkanesen genannt, war dies das Aus. „Die meisten „Vulkanesen“ haben wieder Arbeit gefunden oder sind in den Vorruhestand gegangen” (Muster 2002: 369).
Blickt man auf den Niedergang des Bremer Vulkans, so stellt man unweigerlich ein Versagen des Aufsichtsrates fest. Der Vorstand, vor allem der Vorsitzende Hennemann, schaffte es über Jahre hinweg Mittel zu veruntreuen und die wirtschaftliche Schieflage zu verheimlichen. Auch die schier größenwahnsinnige Expansionspolitik war keiner wirklichen Kontrolle ausgesetzt, weshalb der Aufsichtsrat und Hennemanns Vorstandskollegen ihrer beratenden und überwachenden Rolle nicht gerecht wurden. Die Gründe für den Niedergang des Bremer Vulkans sind dennoch nicht nur in der Firmenpolitik zu finden. Die allgemeine Situation der westeuropäischen Werften insgesamt, hatte es fast schon unausweichlich gemacht zu expandieren, damit eine reale Chance auf Überleben besteht. Der Ansatz Hennemanns könnte daher durchaus als richtig und zielführend gewertet werden um gegen die südostasiatische Übermacht zu bestehen (Muster 2002: 360).
Letzten Endes mussten sich die Großwerften AG “Weser” und Bremer Vulkan der immer stärker dominierenden japanischen und südkoreanischen Übermacht im Schiffbau geschlagen geben. Durch eine Reduzierung des europäischen Weltmarktanteils auf 6,9 Prozent waren die Auflösungen großer Schiffbaubetriebe, wegen der mangelnden Gewinnaussicht, schlicht unausweichlich.
Literaturverzeichnis
- Ludwig, Thorsten / Tholen, Jochen (2007): Schiffbau in Europa in globaler Konkurrenz- Struktur, Beschäftigung und Perspektiven. In: OBS-Arbeitsheft, 51
- Muster, Manfred (2002): Erfahrungen mit regionalen Netzwerken zur Sicherung und Schaffung von Beschäftigung. In: Hentrich, Jörg/Hoß, Dietrich (Hrsg.), Arbeiten und Lernen in Netzwerken.Eine Zwischenbilanz zu neuen Formen sozialer und wirtschaftlicher Kooperationen. RKW: Eschborn.
- Köpcke, Monika (2013): Bremer Schiffbau schlägt leck. Text abrufbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/werftschliessung-bremer-schiffbau-schlaegt-leck.871.de.html?dram:article_id=273228 (Zugriff am 4. Juni 2020).
- Romeike, Frank (2005): Verloschen. Der Zusammenbruch der Werft Bremer Vulkan. RiskNews, 3 (2), 54-58.
- Walter, Wolfgang (2008): Ein Vierteljahrhundert danach: Gedanken zur Schließung der AG “Weser” in Bremen im Jahre 1983. Deutsches Schiffahrtsarchiv, 31, 185-203.
- Wolf, Johanna (2017): Bremer Vulkan. A case study of the West German shipbuilding industry and its narratives in the second half of the twentieth century. In: Raquel Varela, Hugh Murphy, Marcel van der Linden (Hrsg.): Shipbuilding and Ship Repair Workers around the World. Case studies 1950-2010. Amsterdam: Amsterdam University Press, 117-142.
Quellenverzeichnis
- Huismann, Wilfried/Schloesser, Klaus (1998): Machtspieler – Friedrich Hennemann und der Untergang des Bremer Vulkan. Radio Bremen. Dokumentation abrufbar unter: https://www.radiobremen.de/mediathek/video86790-popup.html.
- Titelbild: Urheber DPA
Wie ist eigentlich der Bremer Senat mit der Werftenkrise umgegangen? Gab es unterschiedliche Strategien in Bezug auf AG Weser (frühe 1980er) und Bremer Vulkan (Mitte der 1990er Jahre)?
Also der damalige Senat unter Bürgermeister Hans Koschnik hatte zumindest bei der AG Weser alles versucht um möglichst viele Arbeitsplätze zu sichern. Wie im Text beschrieben war ja die Strategie bei der AG Weser, dass andere Werften durch die Schließung der AG Weser eine höhere Auslastung bekommen. Des Weiteren gab es dadurch Finanzhilfen des Bundes. Dennoch hat sich der Senat damals entschieden gegen den Vorwurf gestellt, dass die AG Weser ein Bauernopfer sei. Ich denke, dass dem Senat schon damals klar war, dass die Weften in der Form und Zahl nicht weiter bestehen würden können und deshalb diese Maßnahmen ergriffen wurden. Bei der Recherche zum Bremer Vulkan war das ganze undurchsichtiger. Da das Land Bremen große Anteile am Vulkan hatte, wurde natürlich mit allen Mitteln versucht den Vulkan am Leben zu halten. Außerdem war das vertrauen damals groß, da mit Friedrich Hennemann ein Genosse und ehemaliger Senatsdirektor am Ruder war. Des Weriteren schien es ja so als ob der Vulkan Gewinne und Rücklagen verzeichnet. Dementsprechend war dem Senat die brenzlige Lage der Werft eventuell nicht so bewusst, weshalb sie keine großen Strategien verfolgt haben. Das ist aber eher Spekulation meinerseits. LG