Gedächtnisprotokoll vom 14. Juni 2022
Während ich am Abend des 14. Juni einen Spaziergang durch die Neustadt mache, in der ich wohne, laufe ich an der Hegelstraße vorbei. Der Name kommt mir bekannt vor und ich brauche einen Moment, um die Straße zuzuordnen. Ein Besuch der Straße stand noch an, wir hatten allerdings noch nichts konkretes geplant. Ich entschloß mich dazu, einfach einen Abstecher zu machen und zu schauen, ob mir etwas besoderes auffiel. Zwar wusste ich, dass Lucien Delanghe in der Hegelstraße 56 wohnte. Da ich aber kein Foto von dem Haus auf dem Handy hatte, konnte ich die Häuser nicht vergleichen. Ich erinnerte mich nur noch an den Erker, den beide Häuser hatten.
Auf der Ecke Gastfeldstraße/Hegelstraße befindet sich die Neustädter Tenne, eine alte Eckkneipe. Ich entsschied mich, spontan hereinzugehen. In der verrauchten Kneipe saßen ein paar männlich gelesene Personen an der Bar. Ich sprach eine jüngere, männlich gelesene Person am Tresen an und schilderte ihm die Situation. Daraufhin holte er seinen Vater, der stolz erzählte, dass ihm die Kneipe seit fast 20 Jahren gehörte. Leider konnte er mir jedoch keine Informationen geben. Einer der männlich gelesenen Personen, die am Tresen saß, schaltete sich ein. Er erzählte, dass er tatsächlich für einige Jahre in der Hegelstraße 56 gewohnt hatte. Leider konnte auch er mir nicht weiterhelfen. Somit verließ ich die Kneipe.
Teilnehmende Beobachtung vom 2. September 2022
Ich entschließe mich am 2. September 2022 noch ein Mal in die Hegelstraße zu fahren und hoffe, dort neue Anhaltspunkte zu finden. Ich nehme mir vor, alle Häuser mit dem auf dem Foto zu vergleichen. Da es Nachmittag ist, fahren gelegentlich ein paar Autos durch die Straße und parken. Ich sehe ein Kind, dass sein Fahrrad an einem der Häuser abstellt. Zwei weiblich gelesene Personen verlassen ein Haus und steigen mit einer Flasche Sekt in der Hand in ein Auto. Es ist leicht bewölkt.
Vor der Hegelstraße 56 bleibe ich stehen und vergleiche das Haus mit dem auf dem Foto. Mir fällt auf, dass der Erker der Nummer 56 an den Seiten nicht abgerundet, sondern eckig ist. Außerdem ist das mittlere Fenster viel breiter. Auch der obere Teil der Eingangstür des Hauses ist nicht rund, sondern grade. Deshalb entschließe ich mich, bis zum Ende der Straße zu gehen und von dort aus mit der Suche zu beginnen. Ich achte bei den Häusern vor allem auf die Treppe und den Erker. Eine männlich gelesene Person sitzt auf einer Treppe vor einem Haus und schaut mich an.
Ich gehe an rund fünf Häusern vorbei und bleibe stehen, da das Haus Nummer 95 starke Ähnlichkeit mit dem auf dem Foto aufweist. Deshalb greife ich zum Handy und rufe Line an und schildere ihr die Situation. Nachdem ich ein Foto von dem Haus mache und es ihr schicke, legen wir auf und ich beschließe, an der Tür zu klingeln. Ich entscheide mich für die obere Klingel und warte einen langen Augenblick, bis mir die Tür geöffnet wird. Eine weiblich gelesene Person öffnet mir die Tür. Ich stelle mich vor und frage sie, ob ich ihr im Rahmen eines Projektes für die Uni ein paar Fragen stellen darf. Sie lehnt dankend ab. Deshalb spreche ich einfach schnell weiter, erkläre ihr die Umstände und beginne ein Gespräch mit ihr. Ich zeige ihr das Foto und sie erklärt mir, dass es sich nicht um das Haus handeln kann, da der Eingangsbereich anders ist. Sie weist mich darauf hin, dass die meisten Türen in der Hegelstraße noch Originale sind. Während ich mich dankend verabschiede, empfiehlt sie mir auch den anderen Teil der Hegelstraße zu besuchen, der durch die Gastfeldstraße getrennt wird.
Ich laufe weiter und bleibe schließlich gegenüber von der Nummer 56 stehen. Ich vergleiche den Erker – passt. Ich vergleiche den Zaun – passt. Ich vergleiche die Tür – passt. Ich vergleiche die Größe der Fenster – passt. Ich vergleiche die Treppe – passt. Das Haus ist mittlerweile eierschalengelb angestrichen. Ein paar Pflanzen schmücken den gepflasterten Vorgarten. Nachdem ich mehrfach an beiden Klingeln läute und mir niemand öffnet, mache ich ein Foto des Hauses und mache mich auf den Heimweg. Ich komme noch ein Mal an der Eckneipe vorbei, doch sie ist geschlossen.
Ich habe das Gefühl, dass mir die Intention für meinen Besuch wie auf die Stirn geschrieben steht. Immer wieder fühle ich mich beobachtet, kann diese Gefühle aber gut abschütteln und mich von ihm distanzieren. Während meiner Zeit in der Hegelstraße habe ich ein unangenehmes Gefühl. Es fühlt sich komisch an, fremde Häuser anzuschauen. Ich frage mich, ob mein Verhalten übergriffig ist und wie ich mich fühlen würde. Vor allem während ich Fotos mache, verstärkt sich dieses Gefühl. Deshalb achte ich darauf, dass keine Personen in der Nähe oder im Haus sind. Ich bin etwas überrascht, dass ich einfach spontan an den Haustüren klingele. Gleichzeitig vertraue ich in mich und in meine Fähigkeiten und weiß, dass ich gut mit fremden Personen in Kontakt treten kann. Während des Gespräches merke ich, wie viel Spaß mir unser Projekt bereitet. Es ist aufregend, immer wieder in neuen Situationen zu landen. Immer wieder schleicht sich ein beklemmendes Gefühl ein. Wie war Lucien Delanghes Leben in Bremen? Wie war es in der Hegelstraße? Wie wurde er in dem Haus behandelt? Was für psychische Folgen und Traumata hat seine Zeit in Bremen nicht nur bei ihm, sondern auch bei seiner Familie ausgelöst?
Auch wenn wir dem Haus keine Schneiderei zuordnen können, finde ich es beachtenswert, dass wir es geschafft haben das Haus zu finden. Schließlich hatten wir zu Beginn der Suche nur einige wenige Details und drei Fotos. Trotzdem fällt mir immer wieder auf, wie viel Zeit in das Projekt stecken. Heute waren wir endlich mal wieder erfolgreich.