Disability Pride Month / Studieren mit Behinderung

Habt ihr schon einmal vom „Disability Pride Month“ gehört? Nein? Ich bis vor Kurzem auch nicht. Eigentlich ist das erstaunlich, wenn man bedenkt, dass alleine in Deutschland etwa 7,8 Milliarden schwerbehinderte Menschen leben – das entspricht einem prozentualen Anteil von knapp zehn Prozent!

Der Ursprung des „Disability Pride Month“ geht auf den „Americans with Disability Act“ von 1990 zurück, in welchem festgehalten wurde, dass es untersagt ist, Menschen aufgrund einer Behinderung zu diskriminieren und wird jeden Juli in den USA gefeiert.

Im Laufe der Jahre hat es sich etabliert, dass Menschen mit Behinderung im Juli ihre Identität als solche zelebrieren und gleichzeitig versuchen, das Thema Behinderung zu entstigmatisieren und Behinderungen als Teil menschlicher Diversität anzuerkennen.

Glücklicherweise ist diese Form der Bewegung innerhalb der letzten Jahre in weitere Teile der Welt geschwappt – auch, wenn sie Deutschland bisher noch nicht in voller Intensität erreicht hat. Oder habt ihr schon von einer „Disability Pride“-Parade in eurer Nähe gehört? Es ist also definitiv noch Luft nach oben. Und das ist so wichtig – denn die Unsicherheiten zum Thema Behinderung finden sich sowohl bei Betroffenen als auch bei Personen, die mit behinderten Menschen in Kontakt kommen, wieder.

Das fängt alleine schon bei der Ausdrucksweise an. Ist es in Ordnung, wenn ich sage, dass jemand behindert ist? Oder heißt es, die Person hat eine Behinderung? Da scheinen sich selbst Menschen, die voll im Bilde stehen, nicht einig zu sein, vergleicht man die „People First“ Bewegung mit der Gegenbewegung „Identity First“.

Über den deutschen Sprachgebrauch kann ich nur erfahrungsgemäß sagen, dass das Wort „behindert“ leider viel zu oft als Beschimpfung genutzt wurde und daher häufig übel aufstößt. Ob das nun Grund genug liefert, sich eine neue Formulierung zu überlegen, mag ich hier nicht zu beurteilen. Es vereinfacht die Sachlage jedenfalls nicht und führt zu solch verzwickten Lagen, in denen man sich ohne bösen Hintergedanken nicht einmal mehr wohl dabei fühlt, Begriffe wie „Behindertentoilette“ zu nutzen.

Doch an dieser Stelle soll es nicht um die Schwierigkeiten der Menschen ohne Behinderung gehen. Diese sind im Kontext absolut zu vernachlässigen, wenn man sich einmal bewusst macht, welche Hürden Menschen mit Behinderung im Alltag zu meistern haben – und zwar in jeder Situation des Lebens.

Schauen wir beispielsweise auf die Hochschulen in Deutschland, so finden wir hier eine Anteil von Rund elf Prozent der Studierenden, der trotz und mit einer Behinderung studiert.

Das fällt uns im Studienalltag aber nicht so extrem auf, da etwa die Hälfte dieser Behinderungen psychischer Natur sind. Nur etwa jede:r zehnte Studierende mit Behinderung ist körperlich erkennbar beeinträchtigt, wie zum Beispiel durch eine Geh- oder Sehbehinderung. Alles dazwischen bezieht sich auf Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Epilepsie oder Rheuma.

Ein möglichst gutes Studium ist unter solche Umständen jedoch nur realisierbar, wenn die Institutionen und deren Mitarbeitende an einem Strang ziehen.

Die Uni Bremen liefert zum Thema Barrierefreiheit und Unterstützungsmöglichkeiten bei Behinderungen ein breites Angebotsspektrum, von dem ich vor meiner Recherche nur wenig Ahnung hatte. Besonders wichtig fand ich dabei, dass sich diese Inhalte nicht nur auf Betroffene, sondern auch explizit auf Lehrende bezieht, da diese in der Verantwortung stehen, entsprechende Angebote zu kennen und umzusetzen.

Die Angebote fangen bereits beim Studieneintritt mit dem sogenannten „Härtefallantrag“ an. Diesen können Studieninteressierte mit körperlicher oder psychischer Beeinträchtigung unter bestimmten Voraussetzungen stellen, sodass sie ohne Beachtung möglicher Wartezeiten oder Durchschnittsnoten ihr Studium antreten können. Mehr Informationen zu den Konditionen des Härtefallantrags findet ihr hier.

Ein weiteres universitäres Unterstützungsangebot stellt der „Nachteilsausgleich“ dar. Studierende mit Behinderung, chronischer Krankheit oder anderen Beeinträchtigungen (zum Beispiel ADHS oder LRS) können auf Antrag einen Nachteilsausgleich bei Prüfungsleistungen in Anspruch nehmen. Dieser fällt je nach Umständen ganz unterschiedlich aus – vom Wechsel der Prüfungsform, über Pausen oder mehr Zeit während Prüfungen, bis hin zur Nutzung technischer Hilfsmittel gibt es viele Optionen. Der Nachteilsausgleich kann auch auf Studienleistungen angewandt werden, wie beispielsweise Exkursionen oder Praktika. Interessant fand ich zudem, dass das Vorliegen eines Behindertenausweises keine Voraussetzung für einen Nachteilsausgleich darstellt. Mehr Informationen zum Nachteilsausgleich findet ihr hier.

Wer zwischen Prüfungs- und Studienleistungen eine Auszeit braucht, kann sich diese gezielt an zwei Orten auf dem Campus nehmen. Einer dieser Orte ist der Ruheraum im Studierhaus auf dem Boulevard. Dieser kann per E-Mail reserviert und der entsprechende Schlüssel bei der SuUB abgeholt werden. Ein weiterer Raum befindet sich in der Grazer Straße und kann ebenfalls gebucht oder auch spontan genutzt werden. Hier findet ihr weitere Informationen zu den Ruheräumen.

Barrierefreiheit ist für viele Studierende ein essentielles Thema bei der Fortbewegung über das Campusgelände. Um diesem Anliegen nachzukommen, läuft an der Uni Bremen seit dem Jahre 2011 das Lageplanprojekt „Campus Barrierefreiheit“. Hier wurden mithilfe zahlreicher Fotoaufnahmen und Texte über 50 Universitätsgebäude, aber auch Haltestellen, Parkplätze und Tiefgaragen in ihrer Barriere(un)freiheit dokumentiert.

Um auch das Lernen auf dem Campus etwas barrierefreier zu gestalten, gibt es zudem die Möglichkeit, über entsprechende Hilfsmittel an der Uni Bremen zu verfügen. Diese sind speziell auf Menschen mit Seh- oder Höreinschränkungen zugeschnitten. Des Weiteren findet sich in der SuUB ein Hilfsmittelraum, welcher von Blinden und Sehbeeinträchtigen gebucht werden kann. Was wo erhältlich ist, erfahrt ihr hier.

Zu guter Letzt berät die Kontakt- und Informationsstelle für Studierende mit Behinderung oder chronischer Erkrankung (KIS) Studierende ausführlich zu all diesen Themen.

Bei all meiner Recherche fand ich es schade, dass ich auf kein einziges Angebot zum Thema „Disability Pride“ an der Uni Bremen gestoßen bin und ich kann nur spekulieren, woran das liegen könnte. Ist die Bewegung noch zu neu für die Universitäten in Deutschland? Ist die Schamgrenze der betroffenen Studierenden noch zu massiv, um einen Schritt darüber zu wagen und sich zu vernetzen? Oder gibt es schlichtweg kein Interesse an solch einer Bewegung hier bei uns, weil man sich mit den gegebenen Umständen abgefunden hat, vielleicht sogar gerne im Verborgenen bleibt? Ich weiß es nicht. Fände eine solche Veranstaltung in Zukunft auf dem Campus statt, würde ich diese jedenfalls sehr begrüßen – und wäre bestimmt nicht alleine damit.

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