Let’s talk about: Endometriose

Rund 10% der weiblichen Bevölkerung* in Deutschland leidet darunter. Schätzungsweiße 40-60% des unerfüllten Kinderwunsches sind auf die Erkrankung zurückzuführen. Die Dunkelziffer beider Punkte wird deutlich höher vermutet, da eine Diagnose im Durchschnitt aktuell 10 Jahre beträgt (lt. Endometriose‐Vereinigung Deutschland e.V.). Die Rede ist von Endometriose.

Kleines Gedankenspiel: Laut Statista leben 42,13 Mio. Frauen in Deutschland (Stand 2020). Davon leiden offiziell 10%, demnach 4,2 Mio. an der Erkrankung. Laut statistischem Landesamt RLP lebten 2020 ca. 4,1 Mio. Menschen in Rheinland-Pfalz. Stell dir also einmal vor ganz Rheinland-Pfalz hat eine Erkrankung (exklusive Dunkelziffer) doch nur wenige erforschen es, hören zu oder schenken dem Aufmerksamkeit, obwohl sie leiden und ärztliche Hilfe aufsuchen. Vertröstet werden sie mit „Ach diese Schmerzen sind normal“ „Nimm doch ne Ibu“ oder „hab dich nicht so. Das geht rum.“ Unvorstellbar? Leider nicht. Doch was genau ist Endometriose?

Es ist eine Erkrankung mit chronischem Verlauf, bei der sich Gebärmutterschleimhautähnliches Gewebe (Endometrium) außerhalb der Gebärmutter wächst. Meist ist es an den Eierstöcken, am Darm, im Bauch und Beckenraum, sowie Bauchfell zu finden. Daraus entstehende Wucherungen führen zu Zysten und Entzündungen, sogenannten Endometriose Herde. Des Weiteren kann ein Endometrium aufgrund seiner Eigenschaften überall im Körper entstehen. Genauso wie die Gebärmutterschleimhaut durch die Menstruation monatlich auf- und abgebaut wird, macht es das Endometrium. Das Problem: Es befindet sich nicht in der Gebärmutter, sondern bspw. im Bauchraum. Das Blut und das Gewebe können demnach nicht wie bei der Periode ausgeschieden werden. Dadurch entstehen eben jene Zysten (gefüllt mit Blut) und Entzündungen. Diese wiederum führen zu chronischen Entzündungen, Vernarbungen und Verwachsungen der betroffenen Gewebe. Ohne eine Operation ist es meist nicht möglich diese Herde zu entfernen. Sollten die Zysten platze, erfolgt eine Not OP, da sich nun Blut bspw. im Bauchraum befindet, wo keins sein sollte. Wer nun jetzt schon Schmerzen vom Lesen hat, will sich nicht ausmalen, wie die Schmerzen im Alltag sind. Leider treten die Symptome nicht nur während der Periode auf.

Doch wenn so viele Frauen* daran erkrankt sind, wieso dauert die Diagnose so lange? Ein Problem sind die vielzähligen Schmerzerscheinungen. Kopf- und Nackenschmerzen, Übelkeit, periodische Schmerzen, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Schmerzen bei Untersuchungen, Blasenprobleme, Verstopfung oder Durchfall sind nur ein paar der Symptome. Dadurch, dass man damit teils zur Frauenärzt:in und teils zur Hausärzt:in geht, fällt es nicht sofort auf. Es Bedarf einer interdisziplinären Untersuchung. Zudem werden diese Schmerzen oft normalisiert, nicht miteinander verknüpft oder gar ernst genommen. Als Diagnose folgt häufig Stress. Die Symptome schränken die Lebensqualität vieler cis Frauen, aber auch vieler intergeschlechtlicher und trans Personen ihr Leben lang ein. Die Krankheit selbst wird nicht als chronisch bezeichnet, leidglich der Verlauf. Willkommen in Bürokratieland. Diese Formalität und der Gender Gap in der medizinischen Forschung, in der der Mann als Norm zählt (der diese Erkrankung aber gar nicht haben kann), führen zu einer großen Lücke in der Forschung. Es gibt keine Daten zur Ursache und nur wenige zur Behandlungsmöglichkeit. Die Operationen und Hormontherapien infolge einer Diagnose gehen zudem meist mit Nebenwirkungen einher, doch sind bis lang die einzige Lösung. Außerdem werden Betroffenen wichtige Rehabilitationen, Medikamente, Untersuchungen, usw. nicht genehmigt oder finanziert, da es eben keine chronische Erkrankung ist.

Das ist leider kein Einzelfall, sondern dauerhafte Erfahrung von Betroffenen. Und aus Erfahrung kann ich sagen: Ständig zum Arzt/Ärztin zu gehen, keine Hilfe zu bekommen und zu denken man ist wehleidig, ist das eigentliche was stresst. Diese Schmerzen sind zu meinem Lebensbegleiter geworden. Ich hatte 6 Monate starke Übelkeit, später monatliche Blasenentzündungen ohne chronische Anzeichen, seit ich 18 war Schmerzen bis zur Bewusstlosigkeit, Kopfschmerzen mit Einschränkungen der Sehkraft und des Sichtfeldes. Natürlich verursacht nicht alles zwangsweise die Endometriose, doch außer Ratlosigkeit und Mitleid bekam ich wenig Hilfe. Jetzt bin ich 30 und meine neue Frauenärztin entdeckte aufgrund von großen Zysten und den genannten Symptomen die Endometriose. Endlich zu wissen was es ist, dass mich mein Leben lang schon begleitet, macht es nicht sofort besser, doch es eröffnet neue Möglichkeiten sich selbst zu helfen und helfen zu lassen. Es gibt neue Hoffnung auf ein Leben mit weniger Schmerzen und mehr Akzeptanz. Und je mehr ich mit Menschen in meinem Umkreis rede, desto häufiger wird mir bewusst: Ich bin nicht allein.

Viele Fragen mich auch, wie sie damit umgehen sollen, wenn jemand von den Schmerzen oder der Krankheit berichtet. An dieser Stelle sei einmal gesagt: Weder ich, noch Betroffene, noch „Doktor Google“ sind ausgebildete Ärzt:innen, es bedarf einer medizinischen Untersuchung und Betreuung. Was ihr jedoch machen könnt, ist zu hören. Diese Schmerzen sind nicht normal. Sie gehen nicht einfach weg. Sie können zur Unfruchtbarkeit führen, demnach helfen Sätze wie „Könnte schlimmer sein“ nicht. Fragt lieber was die Person benötigt, seid nicht sauer, wenn ein Treffen abgesagt wird und helft bei der Aufklärung, sowie Aufmerksamkeit für dieses Thema zu schaffen. Sei es auch nur im Gespräch mit Familie und Freund:innen.

Zudem haben es sich Menschen wie Anna Wilken und Janice (@endomindset) zur Aufgabe gemacht darüber aufzuklären. Sei es medial oder in Wilkens Buch, sie reden offen über das Leben mit der Erkrankung. Neben nützlichen Tipps wie Tens-Geräten, hilft es Betroffenen sich über Erfahrungen, Möglichkeiten und weiteren Hilfsmitteln auszutauschen. Fun Fact: Janice hat dem ganzen einen menschlichen Namen gegeben. Ich habe es versucht und muss sagen, dass es mir damit auch besser geht. Gertrude (kurz Trudi) und ich versuchen nun zusammen zu leben, doch meist ist unser Beziehungsstatus kompliziert**. Durch diverse Hashtags wie #1von10 finden Betroffene zusammen und mobilisieren. Zudem wurde auf die Petition „End Endosilence“ aufmerksam gemacht. Ein Aufruf an die Politik endlich zu handeln. Länder wie Australien und Frankreich machen es vor. Also worauf wartet die Politik in Deutschland? Worauf wartest du? Sollte man 4,2 Mio. Betroffene (so viele wie ganz Rheinland-Pfalz Einwohner:innen hat) weiter ignorieren? Für mich und viele andere ist es ein Anliegen, dass diese Petition unterschrieben wird und die Erkrankung ernst genommen wird.
Seid lieb zueinander und seid füreinander da.

 

Weitere Seiten:

https://www.endometriose-vereinigung.de/was-ist-endometriose.html

https://www.endometriose-vereinigung.de/files/endometriose

https://www.westpfalz-klinikum.de/fileadmin/user_upload/Kliniken-Abteilungen-Institute/GYN2/Downloads/Endometriose_Endo-Test-Checkliste.pdf

https://www.spiegel.de/video/endometriose-anna-wilken-lebt-mit-staendigen-schmerzen-video-99029772.html

https://www.change.org/p/gesundheitsminister-prof-dr-karl-lauterbach-endendosilence-f%C3%BCr-eine-nationale-endometriose-strategie-karl-lauterbach

 

* Spreche ich hier von Frauen o.ä., sind damit alle Menschen mit einem Uterus gemeint oder Menschen, die einen hatten.

** Es geht nicht darum das Thema nicht ernst zunehmen, sondern Wege im Umgang damit zu finden. Diese sind natürlich immer individuell.

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