„Die Sünde des Andersartigen zu riskieren“ – eine Aufführung der Performance Studies
Im Rahmen der Performance Studies führen Performer*innen das Stück „Die Sünde des Andersartigen zu riskieren – Ein theatraler Spaziergang durch die Leben der Hedwig D.“ auf. Im Zentrum steht das Leben der Hedwig Debbe, eine Frau, die durch einen unglücklichen Zufall mit der „Moralischen Idiotie“ diagnostiziert wurde und mehrere Aufenthalte in der Psychiatrie verbrachte. Im Interview erzählt Performerin Paula Behrens von den Proben, den Herausforderungen der Pandemie und gibt spannende Einblicke in den Inhalt und die Umsetzung des Stücks…
Hi Paula, kannst du dich einmal kurz vorstellen?
Ich bin Paula, 23 Jahre alt und studiere Deutsch und Kunst auf Lehramt an der Uni Bremen und außerdem seit 1,5 Jahren Performance Studies.
Euer Stück heißt „Die Sünde des Andersartigen zu riskieren“. Worum geht es darin?
Es geht um ein biographisch historisches Stück, denn die Personen, die darin vorkommen haben größtenteils alle existiert. Im Mittelpunkt steht Hedwig Debbe, eine Frau, die zwischen 1908 und 1912 wiederholt in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert wurde bzw. sich zu aller erst selbst eingewiesen hat. Diese Anstalt ist heute das Klinikum Ost, also ebenfalls ein reeller Ort. Früher wurde es allerdings noch St. Jürgen Asyl in Ellen genannt. Die Geschichte um Hedwig begann damit, dass ihr Vater sie entmündigte, worauf sie sich freiwillig einliefern ließ. Ihre Intention war dabei: Ich gehe dahin, um allen zu zeigen, dass ich absolut gesund bin! In der Klinik wurde ihr jedoch vorgeworfen, dass sie zwanghaft lüge und homo- und heterosexuelle Exzesse veranstalte. Das passte dem damaligen Direktor Anton Delbrück nur zu gut, denn dieser hatte sich gerade ein neues Krankheitsbild unter dem Namen „Pseudologia Fantastica“ zurechtgelegt. Hedwig Debbe war somit gefundenes Fressen für ihn und er verpasste ihr die Diagnose „Moralische Idiotie“. Hedwig Debbe hat sich sozusagen ein Eigentor geschossen: Ihre Intention war ja in die Klinik zu gehen, um zu beweisen „ich bin gesund“, doch vor Ort hat dieser Dr. Delbrück gemerkt, „Die eignet sich ja super dafür, dieses Krankheitsbild, dass ich gerade erforsche, zu beweisen!“. Somit musste sie dort bleiben und mehrmonatige Aufenthalte dort verbringen.
In dem Stück geht es vor allem darum, zu zeigen, wie Hedwig darum gekämpft hat, entlassen zu werden und wie sie sich dort über Wasser gehalten hat. Es war natürlich auch verboten, Briefverkehr zu führen, worauf sie sich mit diversen Krankenschwestern verbündete, um zu fliehen, was ihr immer wieder gelang. Spannend ist vor allem, dass es dazu viel historisches Material gibt, wie zum Beispiel Krankenakten und Briefe, die sie verfasst oder bekommen hat, aus dem auch unser Stück entstanden ist. So kann mal also genau nachvollziehen, wie Hedwig Debbe gelitten haben muss, aber auch, wie sehr sie für sich eingestanden ist. Daraus stellt sich auch die Frage „Was ist Wahnsinn und wie wird Wahnsinn eigentlich definiert?“. All das kommt in diesem Stück zur Geltung: gemeinsam fiebern wir mit Hedwig und ihren mehrmonatigen Aufenthalten, ihren Auf und Abs und ihren Beziehungen mit.
„Ein Jahr lang haben Studierende der Geschichtswissenschaft und der Performance Studies sowie Ensemblemitglieder des Theaters der Versammlung in einem fächerübergreifenden Projekt forschenden Studierens ihre unterschiedlichen Perspektiven auf den Fall Hedwig D. zueinander in Beziehung gesetzt .“, heißt es auf der Webseite der Uni Bremen. Warst du daran auch beteiligt?
Nein, das war noch vor meiner Zeit. Bevor ich mit Performance Studies begonnen habe, war dies das letzte Projekt der Studierenden, das aufgrund von Corona leider auf Eis gelegt werden musste. Weil die Entwicklung dieses Stücks so leidenschaftlich und aufwendig war, nehmen wir es nun in neuer Besetzung wieder auf! Mittlerweile durfte ich auch ein paar der Akten und Briefe sehen und es ist unglaublich, wie man aufgrund dieses Fundus das Leben von Hedwig Debbe rekonstruieren konnte! Außerdem ist auch die Annäherung an etwas historisches über die performative Art besonders. Anders als die Geschichtswissenschaftler*innen, die im Rahmen dieser Kooperation vor allem die Materialarbeit wie das transkribieren und wiederherstellen der Akten geleistet haben, arbeiten wir die Geschichte neben dem forschenden nämlich durch einen körperlichen, ästhetischen Blick auf.
Welche Rolle spielst du in dem Stück?
Ich bin eine der drei Hedwigs und teile mir die Rolle mit zwei anderen. Es gibt unterschiedliche Lesarten, wie man Hedwig Debbe verstehen kann. Manche sind auf ihrer Seite und finden, dass sie absolut zu unrecht eingeliefert wurde. Andere sind der Meinung, man solle ihr nicht alles glauben, da sie des Öfteren geflunkert hat. Und wiederum Andere halten sie für absolut verrückt. Aufgrund dieser verschiedenen Interpretationen wurde also beschlossen, dass Hedwig von drei verschiedenen Schauspieler*innen verkörpert wird. In meiner Rolle spiele ich sie als eine Art kleine Schwester. Dies wurde primär entschieden, weil ich die kleinste der drei Schauspielerinnen bin, jedoch auch aufgrund meiner Persönlichkeit. Ich stelle Hedwig so ein bisschen wie ein nörgelndes Kind dar, eine Interpretation, die auch mit mir so gewachsen ist. Die Personen machen ja auch immer so ein bisschen die Rollen, was auch immer das über mich aussagen will (lacht).
Wie lange probt ihr bereits für das Stück?
Ende März haben wir mit dem ersten Block begonnen. Zwar hatten wir zwischendurch mal ein paar Tage Pause, ansonsten haben wir jedoch durchgehend geprobt. So ein Tag geht dann auch von 11 bis 21 Uhr, lediglich unterbrochen durch eine Mittagspause.
Welche Herausforderungen stellt dabei die Pandemie dar?
Vor allem die Herausforderung zu kalkulieren! Beim ersten Versuch musste das Stück leider abgesetzt werden, weil man die Situation gar nicht einschätzen konnte. Jetzt haben wir beschlossen, dass wir es erneut versuchen. Wir proben ohne Maske, weil das beim Theater spielen einfach nicht funktioniert, testen uns alle regelmäßig und haben uns für das Stück eingeschränkt, weil es zeitlich nicht anders möglich ist. Wenn du bis 21 Uhr probst, bist du auch einfach platt und hast nicht mehr wirklich Raum, noch um die Häuser zu ziehen! Damit sind wir sehr lange gut durchgekommen. Nun sind zwei andere Personen und ich leider unabhängig voneinander an Corona erkrankt, was dazu geführt hat, dass wir den ersten Block der Ausführungen absagen mussten. Glücklicherweise haben wir niemanden angesteckt, jedoch haben wir keine Zweitbesetzung, sodass es für die übrig gebliebenen nicht alleine stemmbar ist. Wir müssen also hoffen, dass wir drei bald wieder fit für den zweiten Aufführungsblock sind!
Es gibt 4 Akte, die auch an unterschiedlichen Orten spielen. Wie können wir uns das vorstellen?
Das Stück wird im Klinikum Ost aufgeführt, was sich auf einer Art Parkgelände befindet. Wir fangen im Haus im Park an, ein Veranstaltungsort mit „normaler“ Bühne, auf der einige auftreten werden. Ich spiele dort aber gar nicht und werde mich stattdessen auf einer Art Bühnenriegel befinden. Andere treten auf einer Empore auf. Wir spielen auch im Publikum und beziehen dieses mit ein. Außerdem gibt es einen Stopp in der Direktorenvilla, ein Kasperletheater und eine Szene draußen, die eine Frau im Baum beinhaltet. Das ist ein crazy Monolog, aber mehr will ich dazu noch nicht verraten! Zusätzlich haben wir eine kleine Choreografie mit riesigen Steinkugeln, die dort glaube ich aus therapeutischen Gründen in der Wiese liegen. Dann habe ich noch eine Szene in einer Remise, eine Art Erhebung in einem Fachwerk, die ähnlich wie ein Wintergarten nach vorne hin offen, aber sonst geschlossen ist. Ein weiterer Teil spielt sich im Museum ab. Dabei handelt es sich um die ehemaligen Psychiatrie-Orte, die heute anders genutzt werden. Das Stück findet also sowohl draußen als auch drinnen statt. Für die verschiedenen Stationen gibt es eine Publikumsführung, in der die Zuschauer*innen von A nach B geleitet werden. Das wird spektakulär!
Last but not least: Wann können wir dich auf der Bühne sehen?
Ihr könnt mich hoffentlich ab nächsten Donnerstag sehen! Unsere Aufführungen finden Donnerstag, Freitag, Samstag und Sonntag jeweils ab 19 Uhr statt. Ihr solltet möglichst früher da sein, weil man die Tickets erst an der Abendkasse kauft. Ihr müsst sie vorher reservieren, holt sie dann aber an der Abendkasse ab, weil wir ein solidarisches Preissystem haben. Das heißt, man kann vor Ort entscheiden, ob man 5, 10, 15 oder 20 € bezahlen möchte. Es ist auch einfach schön, früher da zu sein, weil das wirklich ein tolles Gelände ist um zu flanieren, sich umzuschauen und einen Drink zu sich zu nehmen! Ich glaube das wird ein sehr schönes Gesamterlebnis. Kommt zahlreich!
Karten reservieren könnt ihr unter
https://www.kulturambulanz.de/haus/veranstaltungen/6_5_spaziergang.php
Aufführungstermine:
12./13./14./15. Mai 2022 jeweils um 19Uhr
Solidarisches Preissystem (pay what you can): 20€/10€/5€
Mehr Infos:
https://www.uni-bremen.de/universitaet/hochschulkommunikation-und-marketing/aktuelle-meldungen/detailansicht/die-suende-des-andersartigen-zu-riskieren-stueck-ueber-eine-entmuendigte-frau
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