Digitalisierung an Bremer Schulen: Lernplattform, Endgeräte und nun?

Studierende der Grundschuldidaktik an der Universität Bremen entwickeln online zusammen mit Lehrer*innen digitalen Inhalt auf itslearning.

Zusammenfassung / Tldr;

Studierende an der Universität Bremen entwickeln in einem Online-Seminar digitale Fördermaterialien für Oberschüler der 5. und 6. Klassenstufe in Bremen. Die Grundlagen des Rechnens sowie Schreibens wurden als interaktive Übungs- und Wiederholungsangebote auf itslearning umgesetzt. Die Studierenden erstellten dabei betreut durch Lehrende der Oberschule am Park und dem Lab „Medienbildung & Bildungsmedien“ der Universität Bremen kreative und abwechslungsreiche digitale Angebote für die Fächer Mathematik und Deutsch auf itslearning. Besonders gut kamen bei den Schüler*innen ein interaktives Videoabenteuer, vielfältige digitale Übungsspiele sowie das eigene Gestalten von Erklärvideos an. Prof. Dr. Karsten D. Wolf und die Schulleiterin der Oberschule im Park Monika Steinhauer waren begeistert von dem Engagement der Studierenden in einer reinen Online-Veranstaltung. Organisiert wurde das Projekt über Videokonferenzen sowie den beiden Lernplattformen der Universität (stud.ip) sowie der Schule (itslearning). Die Materialien wurden in agiler Projektform entwickelt und in mehreren Iterationen mit Lehrenden, Schüler*innen und den Medienexperten an der Universität getestet und verbessert. Bereits im kommenden Wintersemester wird auf Basis der vorliegenden Materialien mit einer neuen Seminargruppe weiter entwickelt und erweitert. Der Plan ist, für alle Schüler*innen in Bremen auf itslearning digitales Übungsmaterial anzubieten, um Lücken aus der Grundschule möglichst selbstständig schließen zu können.

Die Lehramt-Studierenden haben kreative und abwechslungsreiche digitale Angebote für die Fächer Mathematik und Deutsch auf der Lernplattform itslearning erstellt. Sie wurden dabei betreut durch Lehrkräfte der Oberschule am Park und dem Lab „Medienbildung & Bildungsmedien“ der Universität Bremen. Besonders gut kamen bei den Schülerinnen und Schülern ein interaktives Videoabenteuer, vielfältige digitale Übungsspiele sowie das eigene Gestalten von Erklärvideos an.

Innovative Lernkonzepte gefragt

„Der durch die Corona-Epidemie erforderliche Digitalisierungs-Schub hat gezeigt, dass es beim digitalen Unterricht noch viele Baustellen gibt“, sagt Karsten D. Wolf, Professor für Medienpädagogik am Fachbereich Erziehungswissenschaften. „Digital unterstützter Unterricht ist nicht einfach klassischer Unterricht mit digitalen Mitteln – auch die Didaktik muss sich ändern. Deshalb bedarf es innovativer Ideen für die Aus- und Fortbildung von aktiven und zukünftigen Lehrkräften.“

An der Universität Bremen besteht bereits seit mehr als zwei Jahren eine Kooperation mit der Oberschule im Park, in der Studierende zusammen mit Lehrkräften der Oberschule die Potentiale digitaler Medien für das Unterrichten in heterogenen Klassen erkunden. Das Ziel ist, Konzepte und frei nutzbare Materialien für den Einsatz im Schulalltag zu entwickeln und zu erproben.

Ausgangssituation

Die Weichen für eine digital-unterstützte Schule in Bremen sind gestellt. Bereits 2015 wurde in Bremen eine standardisierte Lernplattform „itslearning“ eingeführt. Zunächst wurde diese insbesondere für die interne Schulorganisation genutzt. In den letzten Jahren hat sie – unterstützt durch Fortbildungsangebote des Zentrums für Medien am Landesinstitut für Schule –  zunehmend auch im Unterricht Einzug erhalten.

Mit der Entscheidung des Bremer Senats, allen Lehrkräften und auch Schülerinnen und Schülern digitale Endgeräte in Form von Tablets bis zum Ende des Jahres bereitzustellen, werden – bei allen operativen Herausforderungen – zwei wichtige Anforderungen an eine funktionierende Digitalisierung von Schule erfüllt: Erstens bietet die Standardisierung auf eine Gerätegattung – genauso wie bei der Lernplattform –  Vorteile bei der notwendigen Fortbildung der Lehrenden und beim gemeinsam-unterstützenden Lernen in den Kollegien an den einzelnen Schulen. Zweitens sichern die Geräte eine verlässliche Ausstattung im Klassenraum und daheim. Es hängt nicht von den finanziellen Möglichkeiten der Eltern ab, welches Gerät Schüler*innen zur Verfügung steht.

Sowohl Lehrende an den Schulen als auch Lehramtsstudierende an der Universität sind dafür bisher nur unzureichend ausgebildet worden.

An der Universität Bremen besteht deshalb seit über zweieinhalb Jahren eine Kooperation mit der Oberschule im Park, in der Studierende zusammen mit Lehrenden der Oberschule die Potentiale digitaler Medien für das Unterrichten in heterogenen Klassen ausloten. Das Ziel sind die Erstellung und praktische Erprobung von Konzepten und frei nutzbaren Materialien für den realen Einsatz im Schulalltag. Das von der Karin und Heinz-Otto Peitgen Stiftung sowie der Iris und Hartmut Jürgens Stiftung geförderte Projekt konnte 2019 den mit 25.000€ dotierten Innovationspreis des Sieben-Faulen e.V. gewinnen.

Warum digitale Medien?

Die pädagogisch-didaktische Herausforderung ist das Unterrichten in Klassen, in denen die Schüler*innen sehr unterschiedliche Leistungsvoraussetzungen mitbringen und deren Leistungsunterschiede teilweise bis zu drei Schuljahren betragen. Ein klassischer Frontalunterricht ist hier nicht möglich, denn an welchem Kenntnisniveau sollte man sich orientieren? Im ersten Projektjahr in 2018 erkundeten die Studierenden die besonderen Möglichkeiten von Tablets im Schulalltag. Gemeinsam mit den Kolleginnen an der Kooperationsschule wurden didaktische und mediale Konzepte zum Lernen durch Erklären mit Videos entwickelt. Schüler*innen gestalteten im Rahmen einer von den Studierenden betreuten Projektwoche sehr erfolgreich Erklärvideos zu Themen aus der Schulmathematik. Es entstanden Erklärvideos zur Wahrscheinlichkeitsrechnung (z.B. zu Treffern bei Torschüsse oder den Inhalten von Lootboxen in Fortnite). Zwei Schüler*innen gewannen einen zweiten Preis auf einem Schulfilmfestival mit einem Erklärvideo zur Bruchrechnung.

Screenshot aus dem Video „Was hat Pizza Essen mit Bruchrechnen zu tun?“ von Zalal, Julia und Pascal (Quelle: Karsten D. Wolf & Patrick Jung)

 

 

Im zweiten Durchgang mit einer neuen Studierendengruppe aus der Grundschuldidaktik sollte dieses Konzept nun mit kommerziellen Übungsapps sowie eigenerstellten Selbstlernmaterialien auf itslearning kombiniert und für den zeitlichen Rahmen eines Schulvormittags adaptiert werden. Eine besondere Herausforderung war hier, wie man in nur vier Schulstunden die thematisch eingegrenzte Erklärvideoproduktion in heterogenen Lerngruppen anleiten und gleichzeitig aktive, verstehensorientierte Lernstrategien der Schüler*innen aufrecht erhalten konnte. Auch diese Konzepte wurden in der Schule erfolgreich erprobt.

Besonders befriedigend war für die Studierenden, mit wieviel Spaß und Erfolg sich die einzelnen Schüler*innen in ihre Gruppenarbeiten einbringen konnten. Selbst die Lehrenden waren überrascht über die „Performance“ einiger Schüler*innen vor oder hinter der Kamera im nicht immer beliebten Fach Mathematik.

 

Screenshot eines der erstellten Lernpfade zum Thema Umfänge berechnen (Quelle: Patrick Jung).

 

 

 

 


Coaching beim Drehen eines Mathe-Erklärvideos durch eine Studierende (Quelle: Patrick Jung). Die im digitalen Lernpfad eingeführte Requisite der Schatztruhe findet sich real wieder.

Aktueller Projektstand

Das Ziel im aktuellen (dritten) Seminardurchlauf war nun, systematisch die drei Elemente Erklärvideos, individuell unterstützende digitale Lern- und Übungsmaterialien sowie Unterrichten in heterogenen Klassen auf itslearning zusammenzubringen. Thematisch sollten Grundlagen aus Deutsch und Mathe im Zentrum stehen. Hier sahen das Projektteam bestehend aus der Mathe-Lehrerin Ina Schäfer, der Deutsch-Lehrerin Laura Elsner sowie dem Team aus der Arbeitsgruppe Wolf den größten aktuellen Bedarf in Materialien zur Wiederholung von Grundlagen. Viele Schüler*innen kommen mit nicht ausreichenden Grundkenntnissen im Lesen, Schreiben und Rechnen in die Oberschule, welche in speziellen Übungsstunden aufgearbeitet werden sollen.

„Das Potential digitaler Medien liegt insbesondere beim individuellen Üben der Schüler*innen“, berichtet die Lehrerin Ina Schäfer. „Schüler*innen können ihr eigenes Tempo wählen, Erklärungen wiederholt anschauen und Übungsaufgaben ohne Zeitdruck oder beobachtet durch die Mitschüler*innen lösen.“.

Als mediendidaktischer Gestaltungsrahmen wurden auf itslearning sogenannte „Lernpfade“ genutzt. Der wissenschaftliche Mitarbeiter Patrick Jung, der das Projekt medientechnisch betreut, beschreibt die Vorteile von Lernpfaden: „Die Lernpfade auf itslearning erlauben es, nicht nur eine Sequenz von multimedialen und interaktiven Lerneinheiten bereitzustellen, sondern auch durch diagnostische Kurztests den Schüler*innen individuell an ihr Leistungsniveau angepasste Erklärungen und Vertiefungsaufgaben anzubieten!“. Wichtig waren auch in diesem Durchgang wieder die iterative Entwicklung und Testung vor Ort mit Schüler*innen und Lehrer*innen. Dies fiel dieses Jahr wegen der Corona-Epidemie besonders schwer.

Screenshot eines diagnostischen Tests zu Pronomen auf itslearning (Quelle: Karsten D. Wolf)

 

 

„Nachdem wir die zwei-semestrige Veranstaltung im Winter noch regulär durchführen konnten, mussten wir das Projekt Anfang des Sommersemesters komplett von einer Präsenzveranstaltung auf eine über Videokonferenzen und Lernmanagementsysteme betreute virtuelle Veranstaltungen umstellen.“, berichtet Prof. Wolf.

Gearbeitet, entwickelt und reflektiert wurde in wöchentlichen Videokonferenzen mit der Seminargruppe bzw. individuell in den neun Projektgruppen, die sich auf die thematischen Schwerpunkte für Mathematik und Deutsch verteilten. In Mathematik wurden Einheiten für die vier Grundrechenarten entwickelt. Im Fach Deutsch ging es um Artikel, Präpositionen, Nomen, Adjektive, Verben und Pronomen. Den Studierenden wurde vom Zentrum für Medien am Landesinstitut für Schule der Zugang zu itslearning ermöglicht, wodurch auch vorhandene Schulungsangebote zur Bedienung von itslearning durch die Studierenden genutzt wurden. Besonders hilfreich waren aber auch die Praxistipps der Lehrenden aus der Schule, die in eigen produzierten Tutorials typische Einsatzszenarien demonstrierten.

Screenshot eines Lehrtexts zu Deklinationstypen (Quelle: Karsten D. Wolf)

 

 

Für die Studierenden war die digitale Zusammenarbeit eine Herausforderung, die über eine Kombination aus Nutzung der Lernplattform der Universität (stud.ip), sozialen Medien wie WhatsApp sowie der Schulplattform itslearning gelöst wurde. So konnten die Studierenden in dem Seminar auf theoretischen Grundlagen basierend praktische Gestaltungserfahrung sammeln, welche einen nachhaltigen Beitrag zur digitalen Förderung von Schüler*innen in Bremen leisten soll.

„Es war sehr viel Arbeit, die digitalen Medien auf Basis medien- und fachdidaktischer Grundlagen fortlaufend zu entwickeln. Aber es hat uns auch sehr viel Spaß gemacht und ich denke, dass uns das Seminar ziemlich viel für unsere digitale Zukunft in der Schule gebracht hat.“, fasst Roman Uebachs die Erfahrung seiner Gruppe „Schriftliche Subtraktion“ zusammen.

Screenshots aus zwei von den Studierenden unterschiedlich gestalteten Erklärvideos zur Addition und Multiplikation (Quelle: Karsten D. Wolf)

Trotz der aktuell beschränkten Zugangsmöglichkeiten konnten die iterativ entwickelten Lernpfade betreut durch die Lehrerinnen in Form einer Live-Erprobung an der Schule eingesetzt werden. An drei aufeinanderfolgenden Schultagen testeten Schüler*innen die erstellten Materialien und gaben wichtige Rückmeldungen zur Verständlichkeit, zur Funktionalität und nicht zuletzt zur Akzeptanz. Dabei kamen auch andere Lehrende in der Projektschule in Kontakt mit dem Projekt.

„Das Interesse bei unseren Kolleg*innen an itslearning ist durch das Projekt definitiv gewachsen.“, berichtet Ina Schäfer, „Ganz konkret die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten sowie die Konzentration der Schüler*innen mitzuerleben war sehr überzeugend!“.

 

 

 

Screenshot unterschiedlicher Übungsformate in Mathematik (Klecksaufgabe, Rechenmauern) in einem Lernpfad in itslearning (Quelle: Karsten D. Wolf)

Die Ergebnisse der Studierenden kamen nicht nur bei den Schüler*innen an. „Ich bin sehr begeistert von dem Engagement der Studierenden,“ betont die Schulleiterin Monika Steinhauer, „das Material ist sehr abwechslungsreich und umfassend geworden!“.

Die Studierenden erfassten systematisch die grundlegenden Inhalte der entsprechenden Bildungspläne und stellten entsprechende Übungen und Erklärungen auf itslearning bereit. Dafür produzierten sie eigene Erklärvideos, Testaufgaben sowie auch ein interaktives Videoabenteuer, in dem viel subtrahiert werden muss. Neben den mediendidaktischen Überlegungen spielten hier auch fachdidaktische Kenntnisse zur pädagogischen Förderdiagnostik eine wichtige Rolle.

Screenshot aus einem von den Studierenden im Interaktions-Standard H5P implementierten interaktiven Video-Lernabenteuer (Quelle: Karsten D. Wolf)

 

 

Screenshot einer interaktiven Aufgabe innerhalb des Video-Lernabenteuers (Quelle: Karsten D. Wolf)
Screenshot einer interaktiven Abfrage innerhalb des Hypervideo-Formates (Quelle: Karsten D. Wolf).

 

Nächste Schritte

Aktuell reflektieren die Studierenden noch die Rückmeldungen der Schüler*innen aus dem Praxistext und überarbeiten ihre Materialen, die Ende September abgegeben werden. Neben Anregungen zur weiteren Verbesserung wurden auch technische Probleme aufgedeckt, wenn z.B. die itslearning App bei der Darstellung von Lernpfaden auf dem iPad Probleme machte. Die dabei entstandenen Fehlerberichte werden an den Hersteller von itslearning weitergereicht.

„Im nächsten Durchgang werden wir uns nun neben der weiteren Verfeinerung der digitalen Inhalte vor allem mit der didaktischen Einbindung in hybride Lernsettings beschäftigen, bei der jetzt ja alle Schüler*innen eigene Tablets haben.“, ergänzt Prof. Wolf. Dann sollen die Materialien auch über die Schule hinaus für eine weitere gemeinsame Entwicklung freigegeben werden und im Rahmen partizipativer Fortbildungsveranstaltungen wie z.B. dem Bremer BildungsBarcamp vorgestellt werden.

 

 

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