Von Jan Stüwe, Kai Schwedes und Yildiray Ogurol
„Mehr Raum für Studierende!“ Der Umsetzung dieser Forderung von Studierendenvertretern hat sich das Vorhaben Lernraum der Universität Bremen verschrieben. Vorreiter sind die multimedialen Lernräume im Gebäude GW2, die im Sommersemester 2012 eröffnet wurden. Jeder Lernraum beinhaltet jeweils drei Lerninseln für studentische Arbeitsgruppen, ausgestattet mit einem Konferenztisch für bis zu sechs Personen sowie einem Großbildschirm samt Computer und vielfältigen Anschlussmöglichkeiten für mitgebrachte Endgeräte. Montag bis Freitag kann hier zwischen 8 und 18 Uhr gelernt werden. Die multimedialen Lernräume sind zentrale Orte des Austauschs und des gemeinsamen Lernens, an denen sich Studierende unterschiedlichster Studienrichtungen treffen und voneinander profitieren können; Räume, die offen für Alle und groß genug für Einige sind. Sie sind „die besten Räume an der Uni, um in der Gruppe zu lernen!“ finden die Studierenden.
Der Anspruch einer Universität als Institution, die per se autonome Individuen hervorbringt, ist gewiss nicht neu. Er hat auch die Einführung der neuen Studienordnungen überdauert, wenngleich Bologna die Ausrichtung des studentischen Alltags an den zu erwartenden (Studien-)Ergebnissen stärker in den Vordergrund gerückt hat [vgl. Euler 2005]. Einerseits erleben Studierende auf ihrem Weg zum „Bewältigungsprofi“ (ebd.) eine starke Regulierung mit genau kalkuliertem Arbeitsaufwand der Studierenden (Workload). Andererseits wird ihnen bereits mit Beginn der Studieneingangsphase die Aufgabe einer systematischen Profilierung der eigenen Beschäftigungsfähigkeit gestellt.
Um diesem Spannungsbogen gerecht werden zu können, setzt die Universität Bremen an die Stelle der formalen Anwesenheitspflicht einen Appell an die Verantwortung der Studierenden, verbunden mit dem Hinweis auf die Mehrwerte einer eigenen Studiengestaltung [vgl. Qualitätsrichtlinien der Universität Bremen]. Dabei setzt das Initiieren selbstgesteuerter Lernprozesse studentische Partizipation und einen fachlichen Austausch in den Lehr- und Lerngruppen umso mehr voraus. Denn wesentlich dort, in der kommunikativen Mitte einer Bildungseinrichtung, findet nachhaltige Informationsaufnahme, -verarbeitung und -rückführung statt. Der Anreiz zum Selbststudium liegt nach den Prämissen des Forschenden Lernens in der Verantwortung einer guten Lehre [vgl. Huber 2009]. Inputorientierte Seminare und Vorlesungen werden weiterhin Bestand haben, doch um die Isolation des Inputs zu vermeiden muss es ebenso Teil des Bildungsauftrages der Universität Bremen sein, ihren Studierenden angemessene Infrastrukturen zu schaffen, die sie in ihren Selbstlernphasen unterstützen und mit deren Hilfe komplexe und flexible Kompetenzen praktisch geschult und verstetigt werden können.
Lernraum schafft Identifikation – Identifikation schafft Lernraum
Hier setzt das Vorhaben Lernraum an, das vom Zentrum für Multimedia in der Lehre [ZMML] koordiniert und in Kooperation mit dem Dezernat 5 umgesetzt wird. Es hat sich zum Ziel gesetzt, den Studierenden in den anteiligen Phasen des Selbststudiums verlässliche Studienorte an die Hand zu geben. Optimale Arbeitsbedingungen auf dem Campus werden erst durch eine Umgebung gewährleistet, die Entspannung, soziale Kontakte und Essen und Trinken gleichermaßen einbezieht [vgl. Franzkowiak 2009].
Entsprechend werden informelle Lernorte, Lernraum im weitesten Sinn, seit jeher genau dort errichtet, wo Studierende sich in Eigeninitiative und/oder mangels Alternativen einen Platz auf dem Campus zum gemeinsamen oder individuellen Lernen suchen [vgl. Kahnwald, Albrecht 2009]. Dies geschieht an der Uni Bremen gewöhnlich in frei zugänglichen Gebäudebereichen wie zum Beispiel in Cafeterien oder im neu geschaffenen Campus Park mitsamt dem GW3, der bunten Hütte am Mensasee. Die Wertschätzung dieser Gewohnheit wird seitens der Universität durch die Bereitstellung hochwertigen Meublements, einer kommunikationsfördernden Infrastruktur wie Cafeterien oder einem campusweiten WLAN-Zugang verdeutlicht. Darüber hinaus bietet das ZMML den Studierenden eine Infrastruktur für eine gezielte Nutzung und Gestaltung des Lernorts Universität:
- Sofern Studierende den geräuschgeschützten Raum bevorzugen, können sie auf der Lernplattform Stud.IP unter dem Menüpunkt „Lernraum“ eine Suchfunktion nach temporär ungenutzten Vorlesungs- und Seminarräumen aufrufen. Sie können sich so jederzeit über die jeweils verfügbaren Raum-Ressourcen eines Gebäudes ihrer Wahl informieren.
- Um direkt an der Gestaltung von Lernraum mitwirken zu können, steht Studierenden auf Stud.IP zudem die Möglichkeit einer umfangreichen Raumbewertung offen (vgl. Abb.2). Mithilfe einer Kommentarfunktion oder dem Upload von veranschaulichenden Fotos kann Kritik an der Ausgestaltung des Raumes geübt und können Verbesserungsvorschläge an die Raumbewirtschaftung geschickt werden.
Das Vorhaben Lernraum will Lernorte adressieren, kreieren und kreieren lassen, denn Lernräume können nicht ausschließlich errichtet, sondern wollen vor allem erlernt werden. Es ist ein wichtiger Schritt getan, wenn es den Studierenden ermöglicht wird, ihr Engagement in die Gruppe zu transportieren und sich so mit dem Ort zu identifizieren, an dem dies bestmöglich geschehen kann. Ähnlich der individuell gewählten Studienschwerpunkte wird Lernraum auf diese Art personalisiert, er wird lebendig.
Um dabei den Herausforderungen der veränderten Rahmenbedingungen des Studierens als auch studentischer Kommunikation zu begegnen, muss die Ausgestaltung eines studentischen Lernraumes diesen Entwicklungen entgegenkommen und im Idealfall entsprechend ausgestattet sein. Vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung digitaler Informationsangebote sowie dem zunehmenden Einsatz von Medien in der Lehre gilt es dabei, auch entsprechende multimediale Servicekonzepte für gruppenbasiertes Arbeiten anzubieten.
Multimedialer Lernraum
Eine Lernumgebung, die sich über ihre multimediale Neukonzipierung von vornherein an den gewachsenen Anforderungsprofilen orientiert, besitzt das Potenzial, um die Strukturen für effektives, dabei flexibles Lernen zu schaffen. Sie kann damit eine Grundlage für ein hohes Maß an Zufriedenheit, Leistungsstolz und Kompetenzerleben schaffen – mithin Faktoren, die motivationsfördernd wirken und die die Divergenz zwischen Leistungsdruck und nachhaltiger Persönlichkeitsentwicklung befrieden können.
Die Überlegungen zur Ausgestaltung eines multimedialen Servicekonzepts für gruppenbasiertes Arbeiten an der Universität Bremen gehen dabei nicht zuletzt auf ein Symposium zurück, das die Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) anlässlich ihres 350-jährigen Bestehens im Jahr 2010 ausrichtete. Unter dem Motto „Lernräume in Bibliotheken und Hochschulen“ wurde die Notwendigkeit einer Neugestaltung studentischer Arbeitsumgebungen erörtert. Nach dem Vorbild der britischen Learning Resource Centres (LRC) bzw. der amerikanischen Information Commons (IC) sollen Räume geschaffen werden, die nach dem Prinzip des „One Stop Shop“ zentrale Lern-, Kommunikations- und Informationsbeschaffungsorte für Studierende darstellen, die darüber hinaus eine ambiente Gestaltung aufweisen können, die für die Lernatmosphäre und damit für den Erfolg der Lerngruppe ausschlaggebend ist.
In Anlehnung an diese Leitbilder wurde an der Universität Bremen im April 2012 mit der Eröffnung von zwei multimedialen Lernräumen ein neues Kapitel der Schaffung von Lernraum begonnen. Als erstem Standort wurden im Gebäude GW2 zwei Lernräume mit jeweils drei Lerninseln aufgebaut. Jede Lerninsel ist mit einem 55“-Flachbildschirm samt Computer sowie vielfältigen Anschlussmöglichkeiten für mitgebrachte Notebooks und andere Endgeräte ausgestattet [vgl. Abb.3]. Um dem Miteinander von traditioneller und elektronischer Infrastruktur gerecht zu werden, ist pro Insel außerdem ein Whiteboard vorhanden [vgl. Weckmann 2008]. In Raum A3440 befindet sich zusätzlich eine Diskussionsinsel, in der ein inhaltlicher und sozialer Austausch zwischen den einzelnen Arbeitsgruppen zusätzlich gefördert wird.
Über Stud.IP können sich Studierende eine Lerninsel ihrer Wahl bis zu zwei Wochen im Voraus buchen – dies seit Neuestem auch per App „MyUHB“ für Apple iOS. Zudem sind die multimedialen Lernräume auch ohne vorherige Buchung von Montag bis Freitag zwischen 8 und 18 Uhr frei zugänglich.
Ergebnisse der begleitenden Evaluation
Die Lernräume im GW2 werden bis hin zur Vollauslastung frequentiert; sie werden von den Studierenden begeistert angenommen. Dies zeigt auch die begleitende Nutzerbefragung (n=118), die im Mai 2012 gestartet wurde. Die Ergebnisse der Befragung weisen nach, dass mit der Idee der Installation großformatiger Bildschirme bei den Studierenden offene Türen eingerannt wurden. Über 90% der Befragten gaben an, dass sie die Bildschirme während des gemeinsamen Erarbeitens von Studieninhalten in ihr Arbeitssetting einbezogen haben.
Dabei ist auffallend, dass die Nutzung der Bildschirme den Aufenthalt der jeweiligen Lerngruppen in den Lernräumen verlängerte. Während jene Arbeitsgruppen, die den Bildschirm nicht nutzten, in nur einem Fall länger als fünf Stunden arbeiteten (8,3% aller Gruppen ohne Bildschirmarbeit), arbeiteten jene Arbeitsgruppen, die den Bildschirm in ihre Arbeit einbezogen, in 24 Fällen (22,6% aller Gruppen mit Bildschirmarbeit) länger als fünf Stunden. Mithilfe dieses Settings wird ein Lernszenarium geschaffen, das Raum für die digitale Darstellung erarbeiteter Studieninhalte im Gruppenverbund bietet, sich dabei bewusst an dem Erwerb einer Vielzahl von Schlüsselkompetenzen orientiert. Eine Nutzerin kommentiert: „Die vorhandene Ausstattung ist ein tolles Angebot, das sich insbesondere zum gemeinsamen Gestalten von Präsentationen etc. eignet. Dadurch eröffnet sich […] eine neue Möglichkeit der Team- bzw. Gruppenarbeit, weil alle gleichzeitig gemeinsam mitarbeiten können. Die Technik ist eine großartige Investition, mit der das Lernen mehr Spaß macht!“
Die Initiatoren begleiten die multimedialen Lernräume mit größtmöglicher Transparenz – auch ein dermaßen ausgestatteter Lernraum kann auf Dauer nur durch die Mitarbeit und Wertschätzung seiner Nutzerinnen und Nutzer getragen werden. Um den Studierenden die Möglichkeit einer konzeptionellen Einflussnahme zu geben, wurde neben dem obligatorischen E-Mail-Support in jedem Raum eine Feedback-Corner installiert, mit deren Hilfe Ideen und/oder Kommentierungen unmittelbar angebracht werden können. Damit die Benutzung der technischen Infrastruktur reibungslos funktioniert, wurden darüber hinaus an jeder Lerninsel großformatige Nutzerhinweise installiert.
Sowohl die Vollauslastung der Räume während der Vorlesungszeit als auch die Rückmeldungen der Freitextantworten der Nutzbefragung zeigen deutlich auf, dass das Konzept der multimedialen Lernräume „genau der richtige Schritt“ und „vielseitig durchdacht“ ist: “Einzige Kritik wäre, dass es nur zwei Räume gibt.“
Ausblick: Campus-Uni Bremen – Hier bin ich Studierende(r), hier darf ich’s sein!
Gemäß diesen Bedarfen wird das Kontingent an multimedialen Lernräumen auf dem Campus in Kürze erweitert. Noch im Jahr 2013 wird im MZH im offenen Gebäudebereich der Ebene 1 ein multimedialer Lernraum mit drei Lerninseln eingerichtet. Dabei werden in enger Zusammenarbeit mit der Fachgruppe Holztechnik des Dezernats 4 spezielle Medienschränke entwickelt, die die erforderliche Technik beherbergen.
Im Jahr 2014 ist dann die Eröffnung des bisher größten multimedialen Lernraums im jetzigen Zeitschriftenlesesaal der SuUB geplant. In der Ebene 2 können dort bereits jetzt traditionell ausgestattete Gruppenarbeitsplätze über das Buchungsportal der Lernräume auf Stud.IP reserviert werden.
Die bereits vorhandene Infrastruktur im GW2 wird darüber hinaus durch Maßnahmen für eine optimierte Barrierefreiheit, bspw. einer optimierte Schalldämpfung in den Lerninseln, und der Erprobung eines Scout-Konzepts weiter ausgebaut. Langfristig ist eine campusweite Abdeckung mit multimedialen Lernräumen geplant, um den Leitgedanken Campus-Uni Bremen weiter zu stärken.
Lerngruppen benötigen nicht nur eine physische Infrastruktur, sondern auch die Möglichkeit sich virtuell zu organisieren. In Kombination mit dem physischen Lernraum können Studierende in ihrem Lernprozess je nach Bedarf den physischen und/oder den virtuellen Lernraum nutzen. Die Erprobung einer hierfür optimierten virtuellen Lernumgebung ist für 2014 geplant. Sie wird es den Studierenden ermöglichen, eigenständig virtuelle Lerngruppen zu erstellen, zu verwalten und im Kontext der Lerngruppe mit den genannten Möglichkeiten zu nutzen.
Jan Stüwe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im ZMML. Seit 2012 konzipiert und betreut er mit Kai Schwedes das Vorhaben Lernraum.
Kai Schwedes ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im ZMML und hat dort den Bereich eAssessment (MeDiDa-Prix 2009) mit aufgebaut.
Yildiray Ogurol ist seit 2000 Geschäftsführer des ZMML.
Bildnachweis:
Autorenfotos: Jan Stüwe (privat); Kai Schwedes (privat); Yildiray Ogurol (privat)
Abb. 1: Ivan Yanev / ZMML
Abb. 2: Jan Stüwe / ZMML
Abb. 3: Jan Stüwe / ZMML