Demokratie – das klappt wohl nie!

Von Carolin Grulms, Frederik Köller, Pit Reinisch und Dennis Zagermann

Autoren des Artikels

„Ich habe es schon seit längerer Zeit als unbefriedigend empfunden, dass Seminararbeiten irgendwann einfach so auf meinem Schreibtisch landen und dass die oft sehr guten und klugen Beiträge nie die Chance bekommen, außer von mir als Korrektor kommentiert zu werden.“

So beschreibt Professor Martin Nonhoff seine Motivation, dem Masterseminar „Demokratietheorie – Moderne Debatten und Kontroversen“ ein anderes Format zu geben. Dabei glich das im Sommersemester 2013 abgehaltene Seminar in den Grundzügen den normalen Seminaren innerhalb eines Master-Studiums. Das besondere war jedoch, dass das Seminar nicht mit einer evaluativen und zusammenfassenden Sitzung beendet wurde, sondern seinen Abschluss am 28.06.2013 in einer ganztägigen Konferenz unter dem Titel “Demokratie – das klappt wohl nie“ im Institut für Interkulturelle und Internationale Studien fand.

Die Konferenz, auf der Idee Martin Nonhoffs beruhend, wurde dabei allein durch die Studierenden organisiert. Dazu gehörte das Erstellen und Gestalten von Flyern, Plakaten und Pressemitteilungen, sowie die Verbreitung über die Uni-Website, bis hin zur Versorgung der Konferenzteilnehmer und natürlich die Organisation und Moderation der verschiedenen Panels. Neben den organisatorischen Tätigkeiten schrieb jeder der Studierenden ein eigenes Paper zu einem demokratietheoretischen Thema, welches jeweils in einem der vier Panels diskutiert und von anderen Teilnehmern kommentiert wurde.

Prof. Nonhoff sah mit der Konferenz die Möglichkeit für die Studierenden, ihre geschriebenen Paper untereinander kritisch diskutieren zu können, da das Argumentieren umso besser gelingt „je mehr Perspektiven daran beteiligt sind, und Tagungen erlauben eine recht große Breite an Perspektiven“, so Nonhoff. Ihm zufolge zeigen Erfahrungen bei guten Tagungen, dass Papiere durch die argumentative Prüfung auf einer solchen Veranstaltung stark gewinnen können. Dadurch kam ihm die Idee, dass man diese Möglichkeit auch auf studentischer Ebene nutzen könnte. Auf diese Weise bekam jeder Student Hinweise und Kritik, die er oder sie nun in einer Hausarbeit weiterverarbeiten kann.

Konferenz-Panel 1 – Ideen und Kritik an der Postdemokratie nach Colin Crouch

Die Konferenz wurde mit dem Panel „Postdemokratie“ eröffnet, in dem sich die Studierenden auf Grundlage von zwei präsentierten Konferenz-Paper mit der Postdemokratie nach Colin Crouch auseinandersetzen. Crouch beschreibt in seiner Theorie eine dystopische Entwicklung von westlichen Demokratien, in denen die politische Macht von den wirtschaftlichen Eliten ausgeht und in der die von den wirtschaftlichen Eliten kontrollierten Massenmedien den gesellschaftlichen Diskurs über politische Themen bestimmen. Die Inszenierung von Politik in den Massenmedien, das Beschränken der Themenauswahl auf reinen Populismus, die Inszenierung der Politik, sowie das Einsetzen von politischen Beratern – sogenannten ‚spin-doctors‘ – sind demnach allesamt starke Anzeichen für einen postdemokratischen Trend. Für die teilnehmenden Studierenden stellte sich innerhalb der Diskussion die Frage, wie eine politische Partizipation von BürgerInnen überhaupt noch ermöglicht werden kann, wenn die politische Kontrolle und Macht scheinbar ausschließlich von wirtschaftlichen Eliten und Massenmedien ausgeht. Dabei wurde die These aufgestellt, dass die BürgerInnen in der Crouch’schen Postdemokratie – die auf einem neoliberalen Wirtschaftssystem beruht – ihrer politischen Partizipation schließlich nur noch dadurch Ausdruck verleihen können, in dem sie ihren Konsum politisieren. Diese These wurde durch das Konferenzplenum kontrovers diskutiert. Die größte Kritik daran fand das Plenum in der ahistorischen Argumentation, da der Neoliberalismus und die Konsumkritik normalerweise nicht klar voneinander differenzierbar erscheinen. Zudem gilt es die Gefahr bei der Politisierung des Konsums zu berücksichtigen, da ein Boykott schließlich auch zu einer Stigmatisierung von Minderheiten führen kann, was als historisches Beispiel aus der NS-Zeit Erwähnung fand. Das Plenum kam schließlich zu dem Resümee, dass die Autoren die Theorie von Crouch stärker kritisieren und hinterfragen müssen, vor allem da Crouch bei seiner Kritik an der vorherrschenden Ökonomie nur auf den Konsum abzielt, die Produktionssphäre dabei allerdings völlig außer Acht lässt. Darauf konnten sich am Ende des ersten Panels alle TeilnehmerInnen einigen.

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Abbildung 1: Momentaufnahme von der Konferenz

 

Konferenz-Panel 2 – (Un-)Gleichheit in der Demokratie

Das zweite Panel zur (Un-)Gleichheit in Demokratien war das Umfangreichste mit drei Papieren. Im Fokus standen die Demokratietheorie John McCormicks und Ingeborg Maus‘ Beitrag über Volkssouveränität.

John McCormicks „Machiavellian Democracy“ geht davon aus, dass diejenigen, die über viel Geld verfügen, einen besseren Zugriff zur Macht haben. Um diese Verknüpfung von ökonomischer und politischer Macht zu begrenzen, wird die Einrichtung von Volkstribunaten vorgeschlagen, an dem nur auf Menschen mit einem Jahreseinkommen von weniger als ~350.000 US Dollar teilnehmen dürfen. Dieses Tribunat kann eine Volksabstimmung sowie drei Vetos auf unterschiedlichen Ebenen durchsetzen und soll so politischen Ungleichheiten entgegenwirken. In der Diskussion wurde genau dieser Ausschluss heftig in zwei Beiträgen kritisiert. So meinte der Verfasser eines Diskussionspapieres Niklas Beckmannshagen hierzu: „Ich stimme McComicks Diagnose zu, nicht jeder hat den gleichen Einfluss aufs Parlament. Eine politische Gleichheit hat einen Wert, der über seinen instrumentellen hinausgeht, einen intrinsischen Wert. Auf welcher Basis sollte man den Reichen die Rechte wegnehmen?“ Weiter formuliert er, dass diese Art beabsichtigten Ausgleichs zu einer stärkeren Ungleichheit führt, da der Ausschluss von Bevölkerungsteilen in der Demokratie nicht mehr haltbar ist, schließlich bildet Gleichheit eine Grundvoraussetzung für staatlich legitimiertes Handeln.
Ein weiterer Beitrag von Timo Koch legte den Schwerpunkt auf eine intersektionale Kritik McCormicks. Dabei wurde als Alternative zum Volkstribunat ein Quotierungssystem vorgeschlagen. Der Autor legte in seinem Papier großen Wert darauf für das Problem von Mehrfachdiskriminierungen zu sensibilisieren und dafür dass“ es für bestimmte Menschen keine Lobby gibt, und sich bestimmte Menschen nicht selber repräsentieren können.“ Diese Überlegung wurde sehr kontrovers diskutiert; es stellte sich die Frage, wie weit Repräsentation gehen kann und wo ihre Grenze liegt.

Politik ist ein Männergeschäft, auch in der Demokratietheorie. Das zeigte sich im Paper von Sandra Reinecke zur feministischen Kritik von Ingeborg Maus‘ Theorie der Volkssouveränität, in der die Geschlechterblindheit mit Folgen für die Volkssouveränität beanstandet wurde. Es kommt zu institutioneller Benachteiligung von Frauen und Vernachlässigung der Belange von Frauen, weil sie unterrepräsentiert sind und sie auf den privaten Bereich reduziert werden. In der sich anschließenden Diskussion zeigte sich, dass es der Autorin nicht darum geht jede Demokratietheorie zu einer feministischen umzuwandeln, sondern „vielmehr geht es mir darum, dass sich die Demokratietheorie häufig feministischen Argumenten verwehrt. Darum geht es mir, es muss einen besseren Austausch geben. Mein Ziel ist nicht, Frauen stärker zu repräsentieren, sondern es dient als Beispiel dafür aufzuzeigen, wo zentrale Rollenbilder liegen.“, so die Autorin im Kommentar zu ihrem Paper.

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Abbildung 2: Konferenzteilnehmer in der Diskussion

 

Konferenz-Panel 3 – Antagonismus/Agonismus

Das dritte Panel befasste sich mit Chantal Mouffe und ihrer radikaldemokratischen Kritik liberaler Demokratien. Ihr zufolge ist das Politische ein der Politik inhärenter Antagonismus, also eine Feindschaft zwischen verschiedenen kollektiven Identitäten, die untilgbar zum Politischen und damit zur Politik gehört. Die Demokratie müsste nach Mouffe dafür sorgen, diese Auseinandersetzung in einen Agonismus abzuschwächen, demnach einen Konflikt zwischen Gegnern aufzubauen, die sich dabei allerdings nicht länger als Feinde betrachten, sondern sich vielmehr in der demokratischen Auseinandersetzung argumentativ übertrumpfen wollen. Westliche, liberale Demokratien kritisiert sie insbesondere dafür, dass sie die Konflikthaftigkeit des Politischen nicht ernst nehmen und stattdessen von konfliktfreien Übereinkünften ausgehen. Der Verzicht auf den demokratischen Streit sorgt Mouffe zufolge für die Verfestigung des Neoliberalismus und einer gleichzeitigen Diskreditierung anderer Politikentwürfe über moralische Bewertungen. Sie schlägt daher vor, den Streit auf einer gemeinsamen ethisch-politischen Basis wieder ernst zu nehmen und sich von der Idee deliberativer Konsensentscheidungen zu verabschieden, um zu einer Demokratisierung westlich-liberaler Demokratien zu gelangen.

In der Diskussion zu Chantal Mouffes demokratietheoretischen Überlegungen wurden verschiedene Probleme diskutiert, die die Studierenden ausgemacht haben. Zum einen wurde hinterfragt, ob die Festlegung der ethisch-politischen Basis, auf deren Grundlage der demokratische Streit ausgetragen werden soll, nicht ebenfalls ein konflikthafter Prozess sei. Hierbei stellte sich den Studierenden unter anderem die Frage, wie diese Festlegung vonstatten geht, wer entscheidet und wie mit einem solchen Konsens innerhalb einer auf den Konflikt blickenden Theorie umgegangen werden soll. Zugleich stand zur Diskussion, inwiefern Mouffes Überlegungen in gewisser Weise zwar auf den Streit abzielen, schlussendlich aber eine große Sehnsucht nach Harmonie beinhalten.

Ein zweiter wichtiger Punkt der Diskussion Chantal Mouffes Überlegungen war darüber hinaus die Frage nach der Außerachtlassung der politische Institutionen. Zugleich wurde problematisiert, dass politische Institutionen keineswegs unpolitischer Natur sind und durchaus Öffentlichkeiten gestalten. Demnach wurde die Forderung laut, dass man – anders als Mouffe das tut – stärker auf Institutionen blicken sollte. Dies ist insbesondere im Zusammenhang mit institutionellem Rassismus und der Verstärkung von Antagonismen durch Institutionen ein nicht zu vernachlässigendes Problem.

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Abbildung 3: Arbeitsphase im Konferenz-Panel

 

Konferenz-Panel 4 – Losverfahren in der Demokratie

Das abschließende Panel der Konferenz beschäftigte sich mit Losverfahren in Demokratien. Es wurden dabei zwei Papiere vorgestellt, die sich beide mit der Frage beschäftigten, ob Losverfahren Demokratien beleben könnten, dabei kamen sie allerdings zu konträren Schlüssen. Im ersten Paper wurde argumentiert, dass Losverfahren eine Möglichkeit seien die Partizipationsmöglichkeiten zu verbessern und somit ein Mittel gegen Demokratiemüdigkeit sein könnten. Im zweiten Paper wurde dies hingegen bezweifelt und den aus Losverfahren hervorgegangenen Gremien eine niedrige Legitimität und Responsivität attestiert. Die Chancen auf Partizipation seien dabei zwar tatsächlich gleich verteilt, allerdings auch verschwindend gering. Die Grundlagen der beiden Papiere waren dabei die Überlegungen zu Losverfahren sowohl von Hubertus Buchstein, als auch von John McCormick und Jacques Rancière. In der anschließenden Diskussion wurde besprochen inwiefern Politikverdrossenheit mit Wahlen und der Frage nach Einflussmöglichkeiten in der Demokratie zusammenhängt. Sollten Wahlen allerdings durch Losverfahren ersetzt werden, würde sich die Frage stellen ob geloste Gremienmitglieder aufgrund der fehlenden Wiederwählbarkeit nicht verantwortungsloser handeln würden. Demgegenüber wurde angemerkt, dass auch Gremien, die aus einem Losverfahren hervorgingen, in einem institutionellen Gefüge funktionieren müssten. Diese Bindung an institutionelle Gefüge ist notwendig, um eine demokratische Kontrolle dieser Gremien zu gewährleisten. Allerdings würde die Demokratie per Losverfahren einen Bruch mit der Narration repräsentativer Demokratien darstellen. So könne ohne Wahlen nicht mehr von einer Selbstregierung durch Repräsentation gesprochen werden.mAls Essenz der Diskussion konnte festgehalten werden, dass Losverfahren zwar eine Option in Demokratien sind, allerdings vieles von der Frage abhängt wie, wo und mit welchen Kompetenzen daraus hervorgehende Gremien eingesetzt werden.

Fazit

Am Ende der Konferenz herrschte unter den Studierenden Einigkeit über den Erfolg der Veranstaltung. Die Konferenz wurde als gutes Mittel in der Lehre empfunden, in dem Studierende eigene demokratietheoretische Ideen ausprobieren und durchaus gewagte, gut argumentierte Thesen in ein Plenum hineingeben konnten. Dabei kam für alle TeilnehmerInnen zu lehrreichen Diskussionen, die als sinnvolle Anregungen für die in den Semesterferien entstehenden Hausarbeiten dienen können. Die Idee einer Neuauflage, auch in einem anderen Seminarkontext, traf auf breite Zustimmung seitens der KonferenzteilnehmerInnen.
Unterm Strich: ein tolle Veranstaltung.

Die Autoren dieses Artikels sind Studierende des Masterstudiengangs Politikwissenschaft.

Bildnachweis:AutorInnenfotos und alle Abbildungen: Frederik Köller (privat)

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