Reflexionsbericht zum Thema: Einsatz von Lehr- und Lernvideos im naturwissenschaftlichen Unterricht
In einer digitalen Gesellschaft, in der nahezu jeder Haushalt über Smartphones, einen Computer oder Laptop und Internetzugang verfügen (mpfs, 2018), ist der Alltag geprägt von der Nutzung digitaler Medien und sollte somit auch ein maßgeblicher Bestandteil der schulischen Ausbildung sein. Nicht nur der Umgang mit digitalen Medien und Aufklärung über die Bewertung von digitalen Inhalten, Filterblasen und Co. sollte ein essenzieller Bestandteil der Ausbildung sein, sondern auch die Einbindung digitaler Medien in die Unterrichtsgestaltung. Die Abhängigkeit dieses Ziels von der Ausbildung der Lehrkräfte auf dem Themengebiet digitaler Medien ist zweifellos eine der wichtigsten Schlüsselrollen. Daher ist es umso wichtiger Seminare in die Lehrkraftausbildung zu integrieren, die diese Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien fördern und Möglichkeiten aufzeigen digitale Medien produktiv als Lernwerkzeuge in den Unterricht einzubinden. Es zeigt sich, dass eine gute Ausbildung der Lehrkräfte für den Einsatz digitaler Medien mit einer positiveren Selbstwirksamkeit und Einstellung zur Nutzung dieser Medien einhergeht. (Krause & Eilks, 2015) Die Kultusministerkonferenz (KMK) entwickelte im Zuge der Digitalisierung eine Strategie zur „Bildung in der digitalen Welt“, in der sie die Anforderungen und nötigen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler im Umgang mit digitalen Medien erläutern. Im Rahmen dieser Strategie werden sechs Bereiche für „Kompetenzen in der digitalen Welt“ formuliert, die in jedem Unterrichtsfach einbezogen werden sollen: Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren; Kommunizieren und Kooperieren; Produzieren und Präsentieren; Schützen und sicher Agieren; Problemlösen und Handeln; Analysieren und Reflektieren. (KMK, 2016) Die Wichtigkeit und Relevanz des Themas „Lehr- und Lernvideos“ wird durch die JIM-Studie 2018 verdeutlicht, die innerhalb der Nutzung des Internets durch Jugendliche Videos auf Plattformen wie YouTube als zweite Informationsquelle nach den üblichen Suchmaschinen aufzeigt. Zwischen fünfzehn und zweiundzwanzig Prozent (altersabhängig) nutzen Plattformen wie YouTube täglich oder mehrmals in der Woche für Tutorials. (mpfs, 2018) In diesem Kontext soll der Einsatz von (Lern-)Videos im naturwissenschaftlichen Unterricht näher beleuchtet werden. Er bietet eine vielseitige Gestaltungsmöglichkeit von Unterrichtseinheiten: Von dem Einsatz kleiner Videosequenzen, die das Gelernte unterstützen sollen, bis hin zur Erstellung eigener Videos durch die Schülerinnen und Schüler (SuS) beispielsweise durch StopMotion-Videos oder umfangreichere Erklärvideos. Die Visualisierung biochemischer Prozesse auf Teilchenebene und die intensive Auseinandersetzung mit den Inhalten bewirkt ein nachhaltigeres Lernen der SuS.
Video. Das Medium „Video“ im didaktischen Kontext profitiert sowohl von Multicodierung als auch von Multimodalität, da die Nutzung von verschiedenen Sinneskanälen die Aufnahmekapazität der SuS erhöht. Die Nutzung von verschiedenen Symbolsystemen bzw. die dynamische Zusammenführung von Bild, Ton, Animationen, Diagrammen u.v.m. wirkt sich vor allem positiv auf die Vernetzung verschiedener Repräsentationsformen aus. (Girwidz & Hoyer, 2018) So können beispielsweise in der Biologie oder in der Chemie bestimmte Prozesse zunächst auf der makroskopischen, phänomenologischen Ebene betrachtet und auf die (sub-) mikroskopische Ebene übertragen werden. Dies lässt sich ebenso für die visuelle Verknüpfung von Naturerscheinungen mit abstrakten Erklärungen beziehen. Der Abstraktionsgrad durch die Betrachtung auf diesen unterschiedlichen Ebenen macht (bio-)chemische Konzepte schwieriger für SuS greifbar, sodass die Förderung von Abstraktionsfähigkeit eine zentrale Rolle spielt. Die Lernwirksamkeit von Lehr- und Lernvideos ist somit abhängig von der Gestaltung: Die kognitive Theorie multimedialen Lernens nach Mayer (2014) beschreibt die voneinander unabhängige Verarbeitung von auditiven und visuellen Erfahrungen, sodass die Gedächtniskapazität „verdoppelt“ wird. Das bedeutet, komplexe Sachverhalte können zusätzlich zur visuellen Darstellung durch eine auditive unterstützt werden, sodass die Informationsinhalte auf die beiden Systeme (visuell und auditiv) aufgeteilt werden können und somit die kognitive Belastung reduzieren. Auch der Bildüberlegenheitseffekt beschreibt die langfristige Verankerung von Wissen durch die duale Encodierung, das heißt eine Kopplung von auditiver und visueller Darstellung. (Hoffmann & Engelkamp, 2013) Weitere Vorteile sind die Förderung der kognitiven Flexibilität hinsichtlich der Verbesserung der Flexibilität für verschiedene Repräsentationsformen und -ebenen und die Förderung der Modellkompetenz bezüglich des Wechsels realitätsnaher Abbildungen und realitätsferner, abstrakter Modelle. (Girwidz & Hoyer, 2018)
SlowMotionVideo. Das Medium „SlowMotion Video“ gibt den SuS die Möglichkeit naturwissenschaftliche Phänomene, die mit dem menschlichen Auge aufgrund der hohen Geschwindigkeit nicht erfassbar sind, sichtbar zu machen. Beispielsweise können die Vorgänge bei chemischen Reaktionen oder biologischen Bewegungsabläufen mithilfe von Bild-für-BildAnalyse detailliert betrachtet werden, wobei die Auswertung differenziert erfolgen kann. Durch die Einbindung in Konzepte wie forschend-entwickelnden Unterricht können so Kompetenzen zum Überprüfen von Hypothesen gefördert werden. (Hilfert-Rüppell & Sieve, 2017)
Erklärvideo. Das Medium „Erklärvideo“ ist insbesondere im Zuge des Angebots für onlineNachhilfe, wie beispielsweise durch „Sofa Tutor“ oder „Khan Academy“ angeboten, in den Fokus didaktischer Einsätze gerückt. Hierbei gibt es jedoch durch die enorme Angebotsvielfalt auch erhebliche qualitative Unterschiede hinsichtlich der Fachkompetenz der Autoren, die durch die einfache und professionell gestaltete Eigenproduktion von Erklärvideos verursacht werden und für den Laien – insbesondere für die Adressaten (SuS) – nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. (Anders, 2019)
StopMotionVideo. Das Medium „StopMotion Video“ bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten für den Einsatz im Unterricht: So können fachliche Prozesse beschrieben und/oder simuliert, Regelwissen angewendet und Experimente dokumentiert werden. Es findet eine intensive Auseinandersetzung mit den Inhalten statt, da das Fachwissen zunächst erarbeitet wird und anschließend die Planung für die Umsetzung des Videos bzw. der Sequenzen und der Videodreh erfolgt. Durch die Arbeit in Kleingruppen wird zusätzlich die Kommunikationskompetenz der SuS durch den Austausch untereinander gefördert. Die Erstellung eigener Videos fördert zudem
die Verständnistiefe und den Umgang mit der Fachsprache. Das Produkt der SuS ist nachhaltig und kann im Nachhinein zur Reaktivierung von Wissen genutzt werden. (Krause & Eilks, 2018) Wirksamkeit. Die Wirksamkeit des Einsatzes digitaler Medien – insbesondere im naturwissenschaftlichen Unterricht (MINT-Fächer) – wird in einer Metastudie des Zentrums für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) und der Technischen Universität München (TUM) in Zusammenarbeit mit der Kultusministerkonferenz (KMK) belegt: Der Einsatz von digitalen Medien im Vergleich zum traditionellen Unterricht geht mit einem gesteigerten Lernerfolg einher. Dies zeigen Ergebnisse von Leistungstest von Klassen die traditionell unterrichtet wurden im direkten Vergleich mit Klassen, die digitalen Medien nutzten. Allerdings sind bestimmte Rahmenbedingungen mit einem positiveren Effekt auf dem Lernerfolg verbunden, wie beispielsweise die Kombination von digitalen und traditionellen Materialien statt dem ausnahmslosen Einsatz digitaler Medien. Die Nutzung in Partner- und Gruppenarbeiten ist ein weiterer fördernder Aspekt, da durch den konstruktiven Austausch der SuS untereinander die Kommunikationskompetenz gefordert wird. Weiterhin sind adaptive Lernprogramme bevorzugter zu nutzen als Hypermediasysteme und die Steuerungsaufgabe der Lehrkräfte nicht zu vernachlässigen. (Hillmayr et al., 2017) Insgesamt ist durch die enorme Vielfalt an digitalen Medien jedoch keine allgemeingültige Aussage über den gewinnbringenden Einsatz digitaler Medien abzuleiten und muss individuell durch praktische Erfahrungen der Lehrkräfte erschlossen werden. Der Einsatz sollte an die individuellen Voraussetzungen der Lerngruppe angepasst und auf die Lerninhalte abgestimmt werden. Der motivationale Effekt der Arbeit mit digitalen Medien ist anfänglich dem Neuheitseffekt zuzuordnen und die Notwendigkeit für den abwechslungsreichen Einsatz von Medien und Methoden sollte weiterhin im Fokus stehen. Die Erstellung eigener Videos durch die SuS ermöglicht eine Verbindung des Aufbaus individueller Medienkompetenz mit der Vermittlung von bestimmten fachlichen Inhalten. Die SuS gestalten hierbei ihre eigene Lernumgebung und erlernen den sowohl den kooperativen als auch den kritischen Umgang mit digitalen Medien. Darüber hinaus wird ihre Kommunikationskompetenz enorm gefordert und gefördert. (Girwidz & Hoyer, 2018) Allerdings darf die Gefahr der kognitiven Überreizung („cognitive overload“), seitens der SuS, nicht unterschätzt werden. Die Cognitive Load-Theorie beschreibt die Beschränkung der Verarbeitungskapazität des menschlichen Gedächtnisses, wobei sich die kognitive Belastung beim Lernen in eine intrinsische und extrinsische Belastung unterteilt. Die intrinsische Belastung meint den Schwierigkeitsgrad des Lerngegenstandes, während die extrinsische Belastung von der Qualität der Lernumgebung beeinflusst wird. (Sweller, Ayres & Kalyuga, 2011) Eine Überforderung durch zu viele unterschiedliche oder auch unnötige Darstellungsformen, die nicht vernetzt oder zugeordnet werden können, wirken sich somit negativ auf den Lernprozess mit digitalen Medien aus. Des Weiteren sollten die Produkte der SuS durch eine kriteriengeleitete Bewertung, die im Voraus transparent gemacht werden muss, reflektiert werden, um eine Bewertungskompetenz bezüglich von Lernvideos zu erreichen. Die Förderung der Medienkompetenz der Lehrkräfte fördert auch den Einsatz digitaler Medien im Unterricht, da mit steigender Sicherheit der Lehrkräfte in der Thematik (Selbstwirksamkeitserwartung) auch die Einstellung zu ihnen positiv verstärkt wird. (Krause & Eilks, 2015) Dieser Aspekt wird ebenfalls durch die oben erwähnte Metastudie des ZIB und der TUM bestätigt. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass mir Seminare im Bereich Mediendidaktik neue Einblicke zum Einsatz digitaler Medien und eine gewisse Sicherheit für deren Einsatz gegeben haben. Die Erprobung verschiedener Apps und deren Möglichkeiten für den Unterricht schon während der Lehramtsausbildung zu erarbeiten, halte ich somit für sehr sinnvoll und hilfreich. Allerdings würde ich auch sagen, dass der Umfang dieser Angebote an der Universität und auch bezüglich Weiterbildungen für bereits ausgebildete Lehrkräfte durchaus erweitert werden sollte.
Fazit. Die Auseinandersetzung mit den aktuellen Möglichkeiten digitaler Medien ist enorm wichtig und sollte fortlaufend aktualisiert werden. Allerdings sollte man sich auf eine gewissen Auswahl an Medien beschränken, mit denen man sich intensiver befasst und in die man sich gut einarbeitet, welche danach im Unterricht fokussiert genutzt werden können. Findet diese Auswahl nicht statt, so besteht die Gefahr sich im „Ausprobieren“ immer wieder neuer Apps verliert ohne einen Mehrwert aus diesen zu ziehen. Dies könnte sich ebenso in einer Demotivation bezüglich des Einsatzes digitaler Medien seitens der Lehrkräfte als auch der SuS ausdrücken. Somit sollte vor der Anschaffung von Geräten und Programme eine intensive Auseinandersetzung und Abwägung des Mehrwerts durchgeführt werden, um Fehlinvestitionen zu vermeiden und den zur Verfügung stehenden Etat sinnvoll – und falls möglich auch fachübergreifend – zu nutzen. Die Einbindung digitaler Medien zur Neugestaltung von Lehrund Lernprozessen sollte somit sinnvoll strukturiert, didaktisch begründet und unter Berücksichtigung der digitalen Kompetenzen eingesetzt werden, um eine positive Wirksamkeit für den Lernprozess zu erreichen. Folglich sollten digitale Medien eine gewinnbringende Ergänzung für den Unterricht darstellen, statt des Einsatzes um des Mediums Willen. Die Wirksamkeit des Einsatzes digitaler Medien steht somit in direkter Korrelation zur Kompetenz der Lehrkraft im Umgang mit digitalen Medien. Die Betonung der Relevanz und Notwendigkeit von professionellen Schulungen der Lehrkräfte zu diesem Thema ist mir an dieser Stelle enorm wichtig!
Literaturverzeichnis
Anders, P. (2019): Kapitel 18: Erklärvideos. In: Einführung in die Filmdidaktik. Anders/Staiger/Albrecht/Rüsel/Vorst (Hrsg.), J.B. Metzler Verlag, Berlin, S. 255 ff. Girwidz, R. und Hoyer, C. (2018): Didaktische Aspekte zum Einsatz digitaler Medien – Leitlinien zum Lehren mit Multimedia, veranschaulicht an Beispielen. In: Naturwissenschaften digital. Meßinger-Koppelt, J. & Maxton-Küchenmeister, J. (Hrsg.), Joachim Herzt Siftung Verlag, Hamburg, S. 6 ff.
Hilfert-Rüppell, D. & Sieve, B.F. (2017): Entschleunigungen biologischer und chemischer Abläufe durch Zeitlupenaufnahmen, In: J. Meßinger-Koppelt, S. Schanze & J. Groß (Hrsg.), Lernprozesse mit digitalen Werkzeugen unterstützen – Perspektiven aus der Didaktik naturwissenschaftlicher Fächer, Joachim Herz Stiftung Verlag, Hamburg, S. 147 ff.
Hillmayr, D., Reinhold, F., Ziernwald, L., Reiss, K. (2017): Digitale Medien im mathematischnaturwissenschaftlichen Unterricht der Sekundarstufe – Einsatzmöglichkeiten, Umsetzung und Wirksamkeit, Waxmann-Verlag,
Hoffmann, J. und Engelkamp, J. (2013): Lern- und Gedächtnispsychologie, Springer-Verlag, Heidelberg, S. 177 ff.
Krause, M. und Eilks, I. (2015): Lernen über digitale Medien in der Chemielehrerausbildung. Ein Projekt Partizipativer Aktionsforschung. CHEMKON 22, Nr. 4, Wiley VCH Verlag, Weinheim, S. 173 – 178
Krause, M. & Eilks, I. (2018): Wissen in Bewegung setzen – Im naturwissenschaftlichen Unterricht StopMotion-Videos selbst erstellen. Computer + Unterricht 109, S. 18 ff. Kultusministerkonferenz (KMK) (2016): Bildung in der digitalen Welt Strategie der Kultusministerkonferenz, kmk.org
Mayer, R. E. (2014): Cognitive Theory of Multimedia Learning, In: R. E. Mayer (Hrsg.), The Cambridge Handbook of Multimedia Learning, Cambridge University Press, New York, 2. Auflage, S. 43 ff. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs) (2018): JIM-Studie 2018. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger., Stuttgart
Sweller, J., Ayres, P. & Kalyuga, S. (2011): Cognitive Load Theory, Springer-Verlag, New York, S. 57 ff.
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CC-BY-NC-SA: Yasmin Seedorf