Teilnehmende Beobachtung

Datum: 04.01.2023

Dauer: 13:30-14:30 Uhr

Ort: Parkbank, Bürgerpark Bremen

Ich befinde mich im Bürgerpark in Bremen und es ist 13:30 Uhr. Ich sitze auf einer Bank und blicke auf eine weite, grüne Wiese. Links und rechts vom Weg, an dem ich sitze, sind große Bäume, die über die Wiese ragen. Sie sind kahl und haben keine Blätter mehr. Unter Ihnen häuft sich das dunkle Laub. Der Weg ist braun vom Matsch und wegen der Steine, knirscht es bei jedem Schritt. Ich höre Vogelgezwitscher und Hundegebell, während der Himmel grau und das Wetter regnerisch und kalt ist.

Um 14:02 Uhr läuft ein Mann an mir vorbei. Er trägt eine schwarze Jacke, hat eine Wollmütze auf dem Kopf und seine Wangen sind errötet. Ich frage ihn, ob ich ihm Fragen für meine anthropologische Beobachtung stellen darf. Bevor er mir antwortet, geht er noch ein paar Schritte weiter. Er meint, es sei wahrscheinlich keine so gute Idee, weil er im Moment an Covid-19 erkrankt sei. Ich stimme ihm zu und verabschiede mich von ihm. Nun fängt es an zu regnen und der Wind weht stärker.

Um 14:15 Uhr frage ich eine Frau mit gelber Daunenjacke und einen Mann mit schwarzer Jacke, welcher einen Kinderwagen vor sich her schiebt, ob ich Ihnen Fragen zu meiner Forschung stellen darf. Die beiden reden lautstark miteinander und bemerken meine Frage zunächst nicht. Sie gehen weiter und meinen, sie könnten nicht stehenbleiben und müssten weiterschieben, da ihre Tochter sonst unruhig werden würde. Also verabschiede ich mich auch von diesen Menschen.

Um 14:22 Uhr kommt der blaue Himmel durch und es hört auf zu regnen, als eine Frau mit gelber Daunenjacke und ihrem Hund den Weg entlang läuft. Ich darf Ihr Fragen zu meiner Beobachtung stellen und sie erzählt mir, dass sie jeden Tag mit ihrem Hund, manchmal dreimal täglich, durch den Bürgerpark gehe. Ihr gefalle die Weitläufigkeit und die Natur des Parks. Aber ihr fehle eine Wiese, die Hunde freundlich ist. Während sie mir all diese Dinge erzählt, zieht der Hund kräftig an der Leine. Nach unserem Gespräch, verlasse ich um 14:30 Uhr den Bürgerpark.

Bei meiner Beobachtung ist mir aufgefallen, dass wahrscheinlich die meisten Menschen wegen der Natur, der frischen Luft und zur Bewegung in den Bürgerpark kommen.

Der Mann, welcher an Corona erkrankt ist, wollte vielleicht aus seiner Wohnung und der Quarantäne fliehen, um frische Luft schnappen zu können. Er hat sich eventuell eingeengt und einsam gefühlt. Allerdings hat er keine FFP-2 Maske getragen. Dabei sind ihm vielleicht die Folgen von der Krankheit, die er anderen Menschen damit hätte, antun können beziehungsweise sogar antut, egal oder nicht bewusst gewesen. Ich würde sagen, dass das den Freiheitsdrang und teilweise auch den Egoismus der Menschen in der Corona-Pandemie zeigt.

Wenn ich an das Paar mit dem Kinderwagen denke, kommt es mir so vor, als hätten sie schon lange nicht mehr so ein intensives Gespräch geführt. Aufgrund dessen, dass es dem Mann wichtig gewesen ist, dass das Kind nicht unruhig wird, ist es wahrscheinlich selten so still wie in diesem Moment gewesen. Dies hat dem Paar die Möglichkeit gegeben, sich in Ruhe zu unterhalten. Also ist der Park auch ein Ort, um sich mit anderen Menschen auszutauschen und die seltene gemeinsame Zeit zu genießen.

Die Frau, die mir tatsächlich Fragen beantwortet hat, scheint ihr Hund sehr wichtig zu sein. Schließlich geht sie dreimal täglich mit ihm spazieren und wünscht sich eine Hundewiese für ihn. Was mir ebenfalls auffällt ist, dass einige Menschen, besonders wenn sie in Gesellschaft durch den Park laufen und sehr in ihr Gespräch vertieft sind, nicht wirklich die Natur beachten. Dann ist der Bürgerpark nur ein Zweck, um mit seinen Mitmenschen in Ruhe kommunizieren zu können. Generell würde ich sagen, dass die Einstellung der Personen dem Bürgerpark gegenüber positiv ist. Denn selbst bei regnerischen und windigen Wetterumständen, welche üblicherweise eher vermieden werden wollen, sind sie durch den Park spaziert. Das verdeutlicht die Verbundenheit von Mensch und Natur. Außerdem waren die Spaziergänger*innen, wenn sie denn in Gesellschaft unterwegs waren, immer mit Bezugspersonen zusammen. Ob Freund*innen, Partner*innen oder mit der Familie. Den Bürgerpark genießen die meisten also mit Menschen, denen sie nahestehen. Oder sie erkunden den Park alleine, um aus seinen Alltagszwängen und der Routine zu entfliehen und Ruhe in der Natur zu finden.

#6: Das Werder-Frauenspiel im Weserstadion als kulturelle Veranstaltung

Ein Schritt in die richtige Richtung?

Es ist Samstag, der 26. November 2022. Meine Freunde und Ich machen sich wie so häufig auf den Weg Richtung Stadion. Wie immer stehen wir auch an diesem Tag in der Ostkurve. Doch heute spielen da nicht wie sonst die Männer sondern die Werder-Frauen die ebenfalls in der ersten Fussball-Bundesliga. Warum das so besonders ist? Die Frauen spielen an diesem Tag das erste Mal im Weserstadion und somit auch das erste mal vor so großem Publikum. Im Vorfeld des Spiels hatten die Ultragruppen des SV Werder Bremen dazu aufgerufen, lieber ins Weserstadion zu den Werder Frauen zu kommen statt sich die zum selben Zeitpunkt stattfindende, stark kritisierte WM in Katar anzuschauen. Das Spiel der Werder Frauen zählt zu einer Reihe von Aktionen die die Werder Ultras im November und Dezember als Boykott gegen die Fussball-WM organisiert haben.

Mit ein paar Bier und guter Laune schauen wir das Spiel und unterstützen das Team mit lautstarker Unterstützung. An diesem Tag kommen freudiger Weise knapp 20.000 Zuschauer ins Stadion.. Ein Erfolg für die gesamte Frauen-Bundesliga. Schließlich haben sie seit Jahrzehnten mit Vorurteilen zu kämpfen und stehen deutlich im Schatten der Fussballprofis im Männerbereich. Sowohl was Gehälter angeht aber auch Sponsoren, Zuschauerzahlen, Ablösesummen etc.. Doch in den letzten paar Jahren ist ein positiver Trend zu erkennen. Dieses Spiel ist ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung um in der Gesellschaft und der Fankultur ein breites Bild der Anerkennung zu zeichnen.

Insgesamt war es ein erfolgreicher Tag, die Stimmung in der Ostkurve war sehr gut und trotz einer knappen Niederlage wurden die Spielerinnen nach dem Spiel gefeiert.

#5: Zeit/Semesterfazit

Das erste Semester neigt sich dem Ende entgegen.. Das kann doch eigentlich gar nicht sein?! Gefühlt hat es gerade erst begonnen, das ist es schon wieder vorbei. Mir kommt es so vor, als würde im Moment die Zeit so schnell vergehen wie noch nie. Ich erinnere mich noch an Sätze wie „unsere Präsentation ist doch erst in sechs“ oder „es ist ja noch Zeit bis zur berühmt berüchtigten KMW Klausur“. Und dann waren all diese Dinge plötzlich doch schon ganz nah und jetzt steht schon die vorlesungsfreie Zeit an. Was nehme ich aus dem ersten Semester mit?

Angefangen mit der O-Woche die einerseits sehr spannend und aufregend war, anderseits bei mir und vielen anderen aber auch große Überforderungen hervorbrachte. Die ersten Wochen der Veranstaltungszeit haben dies dann aber schnell geändert. Man orientierte sich, fand sich zurecht und knüpfte erste Kontakte..

Mit der Zeit standen erste Abgaben und Präsentationen an, ein einmaliges 8 stündiges Seminar kam hinzu und so langsam aber sicher begann Anfang Januar das lernen für die KMW Klausur.. Nachdem diese jetzt ebenfalls absolviert wurde steht für mich in der jetzt anstehenden vorlesungsfreien Zeit noch das Podcast-Projekt aus dem Modul 2b Seminar „Bremer Klang-und Klubkultur“ an. Hierbei werden wir in den kommenden Tagen und Wochen in einer Bremer Location Aufnahmen machen ((Live-)Musik, O-Töne, etc.) und daraus einen Podcast schneiden. Ich bin gespannt wie dieses letzte Projekt des ersten Semesters als Endprodukt aussieht und wie dann das nächste Semester beginnt…

 

Niklas Bunke

Heimat

In Bremen sagt man Moin,

das weiß ich jetzt.

Doch manchmal gucke ich zurück,

vermiss ein Stück,

meiner Heimat.

Da wo ich her komm,

kenn ich meinen Lieblingsplatz.

Hier weiß ich noch immer nicht,

welcher Bäcker der beste ist.

Aber in Bremen sagt man Moin,

das weiß ich jetzt.

 

Kennst du dieses Gefühl? Nach einem Neuanfang ist nicht immer alles leicht. Wir vermissen Menschen. Orte. Momente. Dabei gibt es diese auch an neuen Plätzen. Dennoch fühlt man Fremde.

Wo soll ich hin? In der Heimat weiß ich es. Aber hier?

Sich ein neues Leben aufbauen ist nicht immer und nur leicht.

Es bedeutet auch Schmerz. Abschied. Unsicherheit.

Genauso bedeutet es Neugier. Abenteuer. Ungewissheit.

So viele Gefühle und Emotionen prasseln auf einen ein.

Doch wir sind jetzt. Hier. In diesem Moment. Mit einem weinenden und einem viel größeren lachenden Auge.

In Bremen sagt man Moin. Das Wort ist mir noch neu.

Teilnehmende Beobachtung

Anmerkung: Ich habe den Menschen nach ihrem Erscheinungsbild Geschlechter zugeordnet, die Bezeichnung „Mann“, „Frau“ beziehen sich auf die stereotypen Geschlechterbilder unserer Gesellschaft.

Es ist Samstag der 14. Januar 2023 um 20:30 Uhr. Ich befinde im Noon/ Foyer Kleines Haus. Um 21 Uhr soll das Konzert „Club: Rob and Flammer Dance Band“ beginnen. Ich bin schon seit 18 Uhr hier und darf für ein Seminar hinter die Kulissen blicken. Ich habe bereits den Soundcheck erlebt und mit einigen Beteiligten gesprochen.

Jetzt sitze ich hier an einem der Tische. Der Raum ist offen gestaltet. Das DJ Pult wurde gerade aufgebaut und die Mitarbeiter warten auf die Gäste. Die Eingangstür befindet sich hinter mir. Mein Blick ist auf die DJs gerichtet. Links von mir befindet sich die Bar. Hinter dieser steht ein junger Mann mit beigem Oberteil, heller Hose und seine Arme sind Tätowiert. Da kommt auch eine junge Frau rein und begrüßt ihn fröhlich, indem sie ihn umarmt.

Ich entscheide mich dazu, meine Jacke zur Garderobe zu bringen, die sich rechts von mir befindet. Zwei junge Menschen stehen an der Garderobe, um die Jacken entgegen zu nehmen, ich spreche sie an und frag, ob sie im weiteren Verlauf des Abends bereit wären ein Interview zu geben. Die beiden in schwarz gekleideten Menschen sind interessiert und bereit später einmal mit mir zu sprechen.

Ich mache den anderen Menschen Platz, die ebenfalls ihre Jacken und Mäntel abgeben wollen und mache mich auf den Weg zurück an meinen Tisch, wo auch meine Begleitung sitzt. Als ich ankomme, ist eine der Mitarbeiterinnen dort, um uns unsere roten Armbändchen zu geben, mit denen wir zeigen, dass wir Besucher des Konzertes sind. Nachdem sie gegangen ist, setzte ich mich auf die Bank, diesmal habe ich die Eingangstüre im Blick und kann beobachten, wer alles den Raum betritt und zu dem Konzert kommt.

Es füllt sich langsam. Der DJ spielt seine Musik, aber die nehme ich kaum wahr. Ich konzentriere mich auf das Treiben um mich herum. Da sind sehr unterschiedliche Menschen. Das Alter ist durchmischt. Viele holen sich noch ein Getränke und setzten sich an die umliegenden Tische oder stellen sich an den Rand und unterhalten sich angeregt. Alle scheinen gespannt zu sein, kaum einer weiß, was ihn gleich auf der Bühne erwarten wird.

Rechts neben mich setzten sich zwei ältere Damen einander gegenüber. Sie trinken Wein. Links neben mir sitzen zwei Männer die Bier trinken.

Ich beobachte eine junge Frau mit kurzen dunklen Haaren, sie ist ganz in weiß gekleidet und ist für einen Moment allein. Sie schaut sich um, als würde sie überlegen was sie als nächstes tun sollte. Da wird meine Aufmerksamkeit schon wieder zur Türe gezogen. Zwei ältere Damen betreten den Raum. Sie scheinen über siebzig zu sein. Die eine geht an einem Stock. Sie holen sich ihre Bändchen und bringen ihre Mäntel zur Garderobe.

Schon wieder geht meine Konzentration zu einem anderen Menschen, der Tontechniker kam auf mich zu und meinte, dass er nun Zeit für ein Interview habe. Er hat sich noch einen Kaffee geholt und dann sind wir hinter die Bühne gegangen, und wir konnten ein paar Fragen für unser Seminar stellen. Von einem Lichtdurchfluteten, hellen und lauten Raum, kamen wir in einen abgedunkelten Raum, in dem man das Geschehen von draußen noch dumpf wahrnehmen kann.

Er erzählt uns ein wenig von seiner Arbeit  und auch von dem Soundcheck, den wir zuvor mitverfolgen durften. Er hat uns fast zehn Minuten lang von seiner Arbeit erzählt, in dieser Zeit lag mein Fokus ganz bei uns. Nach dem Gespräch habe ich wieder die Menschen und Geräusche um uns herum wahrgenommen. Vor der Bühne hat sich der Raum etwas gefüllt.

Wir sind auf der Suche nach weiteren Personen, die wir interviewen können und sehen zwei Damen. Wir sprechen sie an und sie berichten voller Vorfreude, dass sie schon häufiger bei der Veranstaltungsreihe Club des Theater waren. Sie kennen die Künstler nicht, die gleich auf der Bühne stehen werden, aber die vergangenen Veranstaltungen seien immer gut gewesen.

Es kommen nach und nach mehr Menschen von draußen in den Raum. Also suchen wir uns einen Platz, relativ weit hinten, neben den Tontechnikern. Von dieser Stelle aus kann ich alle Menschen beobachten, die den Raum betreten. An der Decke hängt eine Diskokugel, die mit bunten Farben beleuchtet wird. Ich blicke Richtung Bühne. Rechts befinden sich zwei Türen, durch die jeder gehen muss, der den raum betreten möchte. Neben mir steht eine Frau, sie scheint sich auf das Konzert zu freuen. Sie trägt ein T-Shirt, hat sich eine Jacke um die Hüfte gebunden und  ihre Haare fallen offen über ihre Schultern.

Da sehen ich wieder die alte Dame, die mir bereits an der Eingangstüre aufgefallen ist. Sie ist klein und geht am Stock, aber das hält sie nicht davon ab, sich einen Weg durch die Menschen zu bahnen und sich einen guten Platz zu suchen. Sie kann kaum die Bühne sehen, da all die anderen Menschen ihr die Sicht versperren, das sehen die Mitarbeiter und holen sie auf die kleine Anhöhe der Tontechniker hoch.

Es dauert noch eine ganze Weile bis das Konzert beginnt. Aber am Ende war es ein voller Erfolg, die meisten Menschen waren begeistert, von dem was ihnen geboten wurde.

Mir ist bei meiner Beobachtung aufgefallen, wie schwer ist in so einem großen Raum sich zu fokussieren. Es passiert so vieles um einen herum, dass die Aufmerksamkeit ständig neu beansprucht wird. Es waren viele Menschen, so vieles ist zur gleichen Zeit passiert.

#4 von Sophia

Ein Nachtrag zu Weihnachten und der Romantisierung von Armut

Das Student*innenleben in runtergekommenen WGs und Ernährung über Nudeln mit Ketchup wird oft romantisiert. Besonders in der linken Szene ist eben diese Romantisierung von Armut ein Problem: Löcher in Jeans als Kapitalismuskritik,  Billigbier als Selbstzweck. 

 

Ende letzten Jahres bringt Balenciaga eine Kollektion mit Adidas raus, in welcher Kleidung, die eins zu eins mit dem sportlichen Stil der Working Class Jugend aus den Neunzigern in Großbritannien zu vergleichen ist, zu überteuerten Preisen verkauft und einige Wochen später von Stars auf der Paris Fashion Week getragen wird. Abgetragene Kleidung und Plastiktüten funktionieren aber eben nur als Modestatement, wenn man die Wahl hat andere Dinge zu tragen.

 

Denn zu Weihnachten fahren eben diese Student*innen zu ihren Familien in die Heimat, zurück in ihre Gründerzeitvillen im besten Viertel der Stadt und Gesprächen über den Börsenmarkt am Abendbrottisch – weg vom Billigbier und hin zum teuren Wein. Der Heiligabend gestaltete sich wahrscheinlich hier auch seit der Kindheit idyllisch, zumindest in materieller Hinsicht: reich geschmückter Weihnachtsbaum, Festtagsessen und hochpreisige Geschenke. 

“Lieber, guter Weihnachtsmann,

guck mich nicht so böse an.

Stecke deine Rute ein,

will auch immer artig sein!”

lautete das Gedicht, das ich einen Großteil meiner Kindheit jeden Heiligabend vor der Bescherung aufsagte. Eine britische Studie (Park et al., 2016) wirft nun aber die Frage auf, warum so viele Kinder zu Weihnachten leer ausgehen und hat herausgefunden, dass nicht Verhalten der Kinder oder Nähe zum Nordpol einen Unterschied bei Santa’s Zielen machen, sondern rein sozioökonomische Faktoren. Kindern, die also eh schon unterprivilegiert sind, wird häufig nicht mal ein Besuch des Weihnachtsmannes beschert. 

Mal das Geld von den Eltern nicht anzunehmen, oder zurzeit kein Geld zu haben, weil man für die nächste Reise spart, hat nichts mit Armut zu tun. Armut ist nämlich nicht nur die Abwesenheit von Geld, es ist die Abwesenheit von jeglicher Sicherheit. Kein Netz, kein doppelter Boden. Armut hat nichts Poetisches, ist kein vernebeltes Foto mit grober Körnung und Beton. Die Romantisierung von Armut ist erniedrigend für die, die ihr ausgesetzt sind und tatsächlich lebt ein Drittel der Studierenden unter der Armutsgrenze (Schabram et al., 2022). Aber eine Studentin mit Ärzte-Eltern, die während des Studiums die Wohnung durch die Eltern finanziert und 1.000 Euro monatlich überwiesen bekommt, ist wohl kaum armutsgefährdet. Studieren als freie Entwicklung der Persönlichkeit verwandelt sich mehr und mehr zu einem Privileg für die Kinder der bürgerlichen Klassen. 

Wie können wir also beim Feiern und Sprechen über Weihnachten der Lebenswirklichkeiten unterschiedlicher Menschen gerecht werden?

 

Quellen:

Park, J J; Coumbe, B. G. T.; Park, E. H. G.; Tse G, Subramanian, S. V.; Chen, J. T. et al. Dispelling the nice or naughty myth: retrospective observational study of Santa Claus doi:10.1136/bmj.i6355.

Schabram, G.; Aust, Dr. A.; Rock, Dr. J. Armut von Studierenden in Deutschland. Aktuelle empirische Befunde zu einer bedarforientierten Reform der Berufsausbildungsförderung in Deutschland. Berlin. 2022.

Beobachtungsaufgabe

Ort: Kinderhaus Arche (Kirchweg 55, 28201 Bremen)

Zeit: 17. Januar 2023, 13:19 Uhr – 14:30 Uhr

Es ist 13:19 Uhr an einem Dienstag im Januar. Die Sonne zeigt sich das erste Mal seit ein paar Tagen und ich sitze am Fenster, kann von hier oben im vierten Stock die Kinder der Kindertagesstätte Arche beim Spielen hören und beobachten. In meinem Blickfeld befinden sich, zwischen Tanne und Hausmauer, etwa 15 Kinder und 4 Betreuer*innen, die auf einem tristen Spielplatz spielen, welcher von einer etwa 2 Meter hohen Mauer umrahmt wird. Da die Mauer sich mir gegenüber befindet und keinen Durchgang hat, kommen die Menschen entweder von rechts oder links in mein Blickfeld. Von links kommen Menschen von außerhalb der KiTa, in dem Fall Mütter, die Kinder und Erzieher*innen von rechts, denn dort befinden sich die Innenräume der Tagesstätte im gleichen Haus wie ich. 

Drei Betreuer*innen sind zwischen 40 und 50 Jahre alt, eine Person davon ist männlich gelesen. Eine weitere betreuende Person ist etwa in meinem Alter. Bis auf die jüngere Betreuerin tragen alle eher funktionale Kleidung: Jeans, Stepp- oder Regenjacken und Boots. Es fällt mir schwer, die Kinder aus der Entfernung aufgrund äußerlicher Merkmale zu unterscheiden. Alle sind etwa zwischen zwei und fünf Jahren alt und aufgrund der geringen Außentemperatur mit Mützen und wetterfesten Winterjacken ausgestattet.

Die Dynamik der Erwachsenen unterscheidet sich fundamental von der der Kinder in Schnelligkeit und Interaktion. Die Erwachsenen stehen häufig an verschiedenen Orten auf dem Hof in zweier oder dreier Grüppchen zusammen und scheinen sich zu besprechen. Zwei halten Schlüssel in der Hand. Eine Person, welche aufgrund ihres präsenten Auftritts, Ansprechperson für alle zu sein scheint, hält ein Klemmbrett und Stift in der Hand. Eine Erzieherin schiebt ruhig ein Kinderfahrrad über den Hof in Richtung Ausgang. Die Dynamik der Erwachsenen ist eine ruhige. Dagegen ist die Dynamik zwischen den Kindern sehr viel lebhafter. Es wird jedoch in keinem Fall von den Erzieher*innen interveniert. Es herrscht freies Spiel mit nur wenig Spielzeug: Drei Kinder spielen Fangen. Fünf Kinder laufen in einer Reihe Hände haltend über den Hof, schließen die Linie bald zu einem Kreis und drehen sich. Eine Person rutscht die Rutsche vom Kletterfelsen herunter, ansonsten wird dieser aber wenig beachtet. Grundsätzlich ist jedes Kind individuell mit seinem/ihrem Spiel beschäftigt, Begegnungen scheinen eher spontan und kurzweilig.

Es ist 13:46 Uhr, eine halbe Stunde später. Eine Betreuerin schließt mit dem zuvor noch in der Hand gehaltenen Schlüssel einen weißen Schuppen, mit einer Tür und einem kleinen Fenster auf. Zuvor sind zwei Kinder auf sie zugekommen, die ihr dann zu dem Schuppen gefolgt sind. Die Kinder bleiben vor der Tür stehen, während die Betreuerin hineingeht und kleine Dreiräder herausholt. Dies bemerken andere Kinder schnell und kommen immer wieder in zweier bis dreier Grüppchen heran und stellen sich ungeordnet vor dem kleinen Haus auf. Der Lärmpegel steigt, es werden immer lauter diverse Namen der Kinder gerufen, ansonsten sind mir die Worte eher unverständlich. Dennoch scheint die Kommunikation zu funktionieren. Die Kinder fahren nun stürmisch auf ihren unterschiedlichen Fahrzeugen über den Hof, es ergibt sich eine Art Verkehr, der im Kreis um den Kletterfelsen verläuft. Ein paar Kinder ändern plötzlich die Richtung, fahren auf andere zu und initiieren scheinbar absichtlich kleinere Unfälle, die aber mit Leichtigkeit hingenommen werden. Einige halten und warten, finden imaginäre Parkplätze. 

Einige Minuten später scheint es Abholzeit zu sein, es fallen mir vor allem zwei Begegnungen auf: Mutter 1 kommt an und geht, ohne ihre Umgebung wahrzunehmen, zielstrebig auf die erwachsene Ansprechperson zu. Sie unterhalten sich einige Zeit, zeigen dabei immer wieder auf ein Kind, das auf seinem Roller umher fährt. Dieses scheint die Blicke zu bemerken, unterlässt das Spiel aber nicht. Mutter 2 kommt auf den Hof und schaut suchend umher. Wenige Sekunden später kommt ein Kind auf sie zugelaufen und umarmt sie. Die Beiden wirken vertraut und ich merke schnell, dass sie Mutter und Tochter sind. Die Mutter kniet sich hin, geht auf Augenhöhe mit ihrem Kind. Sie umarmen sich. Die Ansprechperson bemerkt die Interaktion und kommt auf die beiden zu. Während des Gesprächs der Erwachsenen steht das Kind dicht an ihrer Mutter, welche ihr über den Kopf streicht.

Ich bemerke, dass Kinder in einer relativ selbstregulierten, autonomen sozialen Welt leben, die nach eigenen, mir unersichtlichen Regeln funktioniert. Ich gehe von meiner Fensterposition nicht in den Kontakt. Vielleicht wegen der Distanz, vielleicht weil ich Angst habe, als Erwachsene ihre natürliche Dynamik zu verändern. Ich merke auch, wie die unterschiedliche Präsenz der Bezugspersonen die Dynamik verändert, während die Erzieher*innen, als akzeptierte Teile des Rudels, scheinbar unsichtbar wandeln. Mutter 2 und ihr Kind scheinen eine sehr viel engere Bindung zu haben als das erste Paar. Scheinbar, weil Mutter 2 auf Augenhöhe mit ihrem Kind geht, die Stimme des Kindes hört und die kindliche Sicht der Dinge ernst nimmt, dem Kind Liebe vermittelt, indem sie ihr körperlich nah ist, anstatt Fürsorge verbal auszudrücken. Mutter 2 geht auf ihr Kind zu , betrachtet es weniger als passives Produkt eines von Gesellschaft und Kultur beeinflussten Entwicklungs- und Sozialisationsprozesses und mehr als kompetenten Akteur in seiner eigenen Lebenswelt und scheint damit nicht nur Selbstbewusstsein des Kindes, aber auch das Vertrauen in eine enge Verbindung zwischen Mutter und Kind zu stärken.

Teilnehmende Beobachtung …

Teilnehmende Beobachtung
Modul 1 – Einführung in die Ethnologie Lena Woköck

Datum: 05.01.2023
Dauer: 14.00-15.00Uhr
Ort: Noon / Foyer Kleines Haus, Goethepl. 1-3, 28203 Bremen

Um 14 Uhr erreiche ich das Noon. Von meinen Freunden habe ich mir sagen lassen, dass man dort sehr gut arbeiten und lernen kann. Ich war bis jetzt noch nie dort. Etwas versteckt liegt es im Hinterhof des Theaters am Goetheplatz. Ich sehe durch die großen Fensterscheiben viel Platz und viele Menschen im Innenraum.

Als ich das Cafe betrete, herrscht ein reges Hin und Her. Ein großer Innenraum mit unterschiedlichen Abspaltungen. Hinter dem Tresen ist eine kleine Menschenmasse versammelt. Ich bin neugierig und erstaunt, dass hier direkt etwas los ist, damit hätte ich gar nicht gerechnet. Eine junge Dame trägt ein schwarzes T-Shirt mit gelber Aufschrift und hält einen Vortrag auf einer kleinen Bühne, jedoch in einer Sprache, die ich nicht verstehe. In der Masse erkenne ich noch mehr viele andere Menschen mit dem gleichen T-Shirt.

Ich beschließe mir erst einmal einen ruhigen Platz zu suchen und mit meiner Beobachtung anzufangen. Ich setzte mich an einen großen Tisch. Mir gefällt die Atmosphäre gut. Das Cafe hat ein neu modernes Design und Charakter. Der weite Raum gibt Möglichkeiten für Privatsphäre und Fokus.

Die meisten Personen, die hier sitzen, scheinen sich ihre Arbeit mitgebracht zu haben. Fast jeder sitzt mit seinem Laptop oder Schreibsachen am Tisch. Ich sehe zwei Mädchen, die zusammen lernen, am Tisch hinter ihnen eine älterer Mann, mit Aktenkoffer und Cappuccino, vertieft in seine Notizen. Ansonsten ist das Cafe gefüllt mit vielen Besuchern der Veranstaltung und einer Familie ganz hinten im Raum.

Die Menschentraube vor dem Tresen hat sich mittlerweile aufgelöst und es stehen viele Kleingruppen im Cafe und tauschen sich miteinander aus. Nach einer Weile formt sich im Nebenraum eine Schlange, es gibt scheinbar ein Büffet für die Menschen, die Teil dieser Veranstaltung sind.

Nun setzen sich mehr Menschen mit ihren Tellern an den großen Tisch, an dem ich auch sitze, und fangen an, sich miteinander zu unterhalten und zusammen zu essen und zu trinken. (Immer noch in einer Sprache, die ich nicht verstehen kann.)

Während ich all diese Menschen beobachte, freue ich mich, dieses besondere Cafe zu entdecken. Der weite Raum und das Konzept eines Co-Working Space gefällt mir sehr gut, etwas anderes, was ich so vorher noch nicht kannte. Ebenso die Möglichkeit für unterschiedliche Veranstaltungen, wie diese hier, finde ich natürlich im kulturellen Hintergrund umso interessanter.

Zeit, mir auch einen Kaffee zu besorgen. Vor dem Tresen liegen viele Flyer mit unterschiedlichen Schauspielen des Theaters und Poster eines Jazzabends. Nachdem ich meinen Kaffee bestellt habe, frage ich die Dame am Tresen, was denn hier heute los sei.

Sie erzählt mir, dass eine Theater Initiative mit Schülern und Schauspielern aus Guatemala zu Besuch da ist und heute sei der Abschluss der Veranstaltung. Auch sonst ist das Noon ein Ort für vielerlei unterschiedliches Programm wie zum Beispiel, Lesungen, Theater, Performances, Working Space, Flohmärkte, Konzerte und noch vielem mehr.

Die Schlange hinter mir wird länger und ich setzte mich wieder zurück an meinen Platz. Es herrscht nun etwas mehr Ruhe im Cafe, die Menschenmenge hat sich etwas ausgedünnt.
Ich fange an, weitere Notizen aufzuschreiben.

Nach einer Weile setzten sich 2 ältere Damen an den Tisch gegenüber von mir. Beide haben ein Weinglas mit sich und unterhalten sich entspannt miteinander. . Ich überlege, ob die beiden Damen danach wohl ins Theater gehen.

Zusammenfassung:

Im Noon findet sich ein breites Publikum von Menschen unterschiedlicher Altersgruppen. Von jungen Student*innen hin zur Familie mit Kindern oder Menschen aus dem Büro. Aus meiner Beobachtung nehme ich wahr, dass dieser Ort zum gemeinsamen Zusammenkommen genutzt wird, aber auch zur Arbeit und zum Austausch. Ebenso bietet dieser Ort durch die Zusammenarbeit mit dem Theater Bremen eine unglaubliche Vielzahl an Veranstaltungen und kulturellem Austausch. Während meiner Beobachtung stellte ich mir auf jeden Fall die Frage, weshalb es nicht mehr von solchen Konzepten gibt, da ich es als sehr Sinnvoll empfinde, Orte der Gemeinschaft vielfältig zu nutzen.