On my way home

29. Januar 2021

Hello liebe Leser*innen, von mir gibt es heute eine weitere teilnehmende Beobachtung für euch. Sie ist schon etwas länger her, aber ich erinnere mich noch sehr gut an die Situation und wie alles ablief. Es hat mir sehr Spaß gemacht zu beobachten und den Text zu schreiben, ich hoffe er gefällt euch. Lasst mich gerne wissen, was ihr dazu sagt, freue mich immer über Rückmeldungen!:)

 

Es ist der 18.12.2020, ich sitze im RB41 nach Hamburg Hauptbahnhof in Wagen 5. Ich beginne meine Beobachtung um 13:38 Uhr.

Der Zug steht noch im Bremer Hauptbahnhof, ich warte darauf, dass er bald losfährt. Vereinzelnd sitzen auch schon ein paar andere Personen mit mir im Zug. Es ist sehr still, ich höre nur die Lüftung rauschen und ein leises Knistern hinter mir. Kurz darauf höre ich eine männliche Stimme, die relativ laut in ein Handy spricht. Das Telefonat ist schnell beendet. Mir fällt eine männliche Person, ein paar Sitze schräg gegenüber von mir, auf. (Im fortlaufenden Text beschreibe ich diese Person als „er“ oder „ihm“, da ich vor allem diese Person beobachtet habe.) Er sitzt alleine auf einem Vierer am Fenster. Eine große schwarze Adidas-Tasche steht auf dem Tisch und durch die hellblaue MundNasen-Maske, die er trägt, kann ich nicht sein ganzes Gesicht erkennen. Er hat einen silbernen Ohrring am linken Ohr, trägt eine schwarze Wolljacke, darunter einen roten Pullover und dazu noch einen grün-rot-blau karierten Schal. Sein Kopf ist nach unten gerichtet, aber durch die Adidas-Tasche vor ihm kann ich nicht erkennen, was er betrachtet. Seine Haare sind millimeterkurz und schwarz, wir haben kurzen Blickkontakt und ich sehe, dass seine Augen braun sind.

Er ändert seine Sitzposition und ich kann sehen, dass er auf sein Handy schaut und am Mittelfinger einen silbernen Ring trägt. Ich bemerke, dass immer mehr Personen in den Zug einsteigen, er lässt sich nicht davon ablenken und ist immer noch auf sein Handy fokussiert, bis sich zwei Personen auf den Vierer neben ihm setzen. Er schaut kurz auf und wir haben wieder kurzen Blickkontakt. Vor mir setzt sich eine weitere Person hin, ich kann nur grau-weiße Haare und etwas Glatze erkennen.

Es ist 13:52 Uhr, in sechs Minuten fährt der Zug los.

Ich habe wieder kurzen Blickkontakt mit ihm, er hat sich eine Zeitschrift aus seiner Tasche geholt und zieht seine Jacke und seinen Schal aus und legt diese neben sich ab. Wir haben wieder kurzen Blickkontakt. Er blättert in seiner Zeitschrift, die „inexplore“ heißt. Auf den Zweier neben mir hat sich eine Person hingesetzt. Die Person trägt eine schwarze Mund-Nasen-Maske, hat nur noch wenige Haare, die kurz und grau sind. Die Person trägt eine dunkelblaue Jeans und einen dunkelblauen Pullover. Ich konzentriere mich wieder auf ihn, er hat mittlerweile seinen roten Pullover ausgezogen und darunter trägt er ein schwarzes Langarmshirt. Seinen roten Pullover knüllt er zusammen und platziert ihn zwischen seinen Hinterkopf und der Lehne.

Der Zug fährt los, es ist 13:52 Uhr.

Ich gucke aus dem Fenster und sehe mir die Wohnungen an, an denen der Zug vorbeifährt. Der Himmel ist fast ausschließlich blau und die Sonne scheint. Ich merke, dass der Zug immer schneller wird. Außer meines Parfums, nehme ich keine anderen Gerüche wahr. Es ist still im Abteil, keiner redet. Ich schaue wieder aus dem Fenster und sehe Häuser, Gärten und Bäume an denen der Zug vorbeirast. Die Durchsage zum nächsten Halt durchbricht die Stille im Abteil. Der Zug hält in Bremen-Oberneuland, Ausstieg in Fahrtrichtung rechts.

Er blättert die nächste Seite seiner Zeitschrift um und liest weiter. Die Person vor mir steht auf, verlässt das Abteil und nimmt Jacke und Tasche mit. Der Zug hält in Sagehorn. Er legt seine Zeitschrift wieder zurück in die Tasche und holt stattdessen Kopfhörer und sein Handy raus. Er steckt sich die Kopfhörer in die Ohren, tippt kurz auf seinem Handy herum und schaut anschließend aus dem Fenster, seine Augen bewegen sich dabei langsam. Seinen roten Pullover hat er mittlerweile neben sich gelegt. Wir haben wieder kurzen Blickkontakt. Die Person neben mir hat die Augen zu.

Der Zug hält in Ottersberg (Hau), ich sehe neun Personen die aussteigen. Ich gucke wieder aus dem Fenster und beobachte die Landschaft, die an mir vorbeizieht. Nächster Halt ist Sottrum, Ausstieg in Fahrtrichtung rechts. Der Zug quietscht sehr laut beim Halten. Eine Person die aussteigt fällt mir besonders auf, weil sie eine glitzernde Mund-Nasen-Maske trägt.

Es ist 14:23 Uhr, noch eine Stunde und zwei Minuten, dann bin ich in Hamburg.

Ich spüre kalte Luft an meinen Beinen, die Sonne scheint auf mein Notizbuch und meine Hand wirft einen Schatten darauf. Die Person neben mir hat immer noch geschlossene Augen. Der Zug hält in Rotenburg (Wümme), die Person neben mir hat keine geschlossenen Augen mehr, steht auf und geht zur Tür. Mir fällt auf, dass alle bisherigen Orte, wo der Zug gehalten hat, fast menschenleer waren.

Er nickt mit seinem Kopf zur Musik, die er durch seine Kopfhörer hört und fängt an auch seinen Oberkörper etwas zur Musik zu bewegen. Wir haben wieder Blickkontakt. Auf einmal riecht es süßlich in meiner Nähe, wie Kaugummi. Der Zug hält in Scheeßel und die letzte Minute meiner Beobachtung bricht an. Der Zug hält länger als sonst und eine Durchsage ertönt: „Sehr geehrte Fahrgäste bitte treten Sie aus den Türen zurück.“.

Es ist der 18.12.2020, ich sitze im RB41 nach Hamburg Hauptbahnhof in Wagen 5. Ich beende meine Beobachtung um 14:38 Uhr.

Ich habe mich während meiner Beobachtung oft gefragt, ob die Personen, die ich beobachtet habe sich auch beobachtet gefühlt haben. Vielleicht hatten wir nur deswegen so oft Blickkontakt, weil er sich gewundert hat, was ich da mache. Gerade bei ihm habe ich mich auch gefragt, wo seine Reise hingeht. Fährt er auch zu seiner Familie nach Hause, so wie ich oder wohnt er in Hamburg und war nur kurz in Bremen? Und wie ist überhaupt das Leben in Orten wie Sottrum und Rotenburg, wo ich alles so verlassen und einsam wahrgenommen habe, was womöglich gar nicht der Wahrheit entspricht. Die meisten Personen die ich beobachtet habe wirkten erschöpft und müde, vor allem die Person neben mir. Als diese Person geschlafen hat, wurde ich selbst auch etwas müde. Ich hatte das Gefühl, dass ganze Abteil wurde müde. Es war so still und alles wirkte so friedlich. Der Nicht-Ort „Zug“, schaffte es alle Personen in diesem Abteil zur Ruhe kommen zu lassen, wenn auch nur für kurze Zeit.

 

von Martha Rusche

(Prüfungsleistung)

Entry Filed under: Allgemein. .



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