I. Formulieren Sie basierend auf den Vorlesungsinhalten drei Thesen, die für Sie einen modernen Chemieunterricht für alle ausmachen. Orientieren Sie sich gerne an den Grundannahmen von STL (Scientific and Technological Literacy for All), setzen Sie jedoch eigene Schwerpunkte.

1. These: Der Chemieunterricht muss das echte Leben einbeziehen und praxisorientiert stattfinden.
Den Schüler:innen wird somit die Möglichkeit gegeben, alltägliche Abläufe und abstrakte Theorien gedanklich zu verbinden. Sie entwickeln ein Bewusstsein für chemische Vorgänge im Alltag und wo Chemie überall eine Rolle spielt. Auch interessengeleiteter Chemieunterricht kann integraler wirken und zur Entwicklung von einer grundlegenden Allgemeinbildung in der Chemie beitragen.

2. These: Der Chemieunterricht soll zur Diskussion anregen und kontroverse Themen behandeln.
Damit wird den Schüler:innen die Möglichkeit gegeben sich eine eigene Meinung zu bilden und die Komplexität chemischer Vorgänge zu erfassen. Naturwissenschaftliche Bildung schließt somit eine gesellschaftliche Perspektive mit ein und bezieht sich auf das echte Leben.

3. These: Der Chemieunterricht soll jegliche Art medialer Kommunikation und Vermittlung nutzen.
Zur Wissenssicherung und zur Gestaltung einer kritischen Haltung gegenüber Informationsquellen, sollte jegliches Medium verwendet werden, das den Lernprozess der Schüler:innen fördert. Die Einbeziehung medialer Instrumente aus dem Interessenkreis der Schüler:innen in den Chemieunterricht ist dabei ein gutes Mittel. So lernen die Schüler:innen Informationen zu hinterfragen und wissenschaftliche Fakten von „Fakenews“ zu unterscheiden. Auch wird so nochmals eine andere Ebene der Kommunikation im Unterricht erreicht und eine gewisse Aktivität der Schüler:innen gefordert. [1]

II. Reflektieren Sie auf Basis der Vorlesungsinhalte und des Grundlagentextes, inwieweit chemisches Wissen im Allgemeinen und naturwissenschaftliches Wissen im Speziellen aus Ihrer Sicht als Teil des Allgemeinwissens (im Sinne einer „Scientific Literacy for All“) angesehen werden kann. Beziehen Sie hier auch ihre eigenen Erfahrungen aus dem schulischen Chemieunterricht oder Ihrem Alltag ein.

„Chemie ist überall. Alles ist Chemie.“ – Diese These stellte Frau Belova ganz zu Beginn der Vorlesung auf. Sie möchte darauf hinaus, dass naturwissenschaftliches Wissen und speziell chemisches Wissen Teil der grundlegenden Allgemeinbildung sein sollte, da dieses in fast jedem Lebensbereich Anwendung findet. Doch sollte das so sein?

Der Chemieunterricht hat die Aufgabe Schüler und Schülerinnen naturwissenschaftliches Wissen zu vermitteln. Dabei soll ihr Interesse für naturwissenschaftliche Fragen und Diskurse geweckt und ihr Horizont für die Welt erweitert werden. So wird gewährleistet, dass sie später entscheidungsfähig sind und ein Bewusstsein für menschliches Handeln entwickeln. [2]

Das grundsätzliche Problem des Chemieunterrichts ist jedoch, dass die Unterrichtsinhalte und Themen durch den Großteil der Schüer:innen als „irrelevant“ und „lebensfremd“ empfunden werden. Die meisten Schüler:innen können zwischen dem vermittelten Fachwissen und dem alltäglichen Leben keine Bezüge herstellen, sodass das Fach Chemie als „verstaubt“ und „unnahbar“ erscheint. Vieles wird im Unterricht schlichtweg schnell wieder vergessen, da es keine konkreten Verknüpfungselemente und Erinnerungsanker gibt. Unteranderem deswegen ist die Motivation und das Interesse der Schüler:innen an chemischen und naturwissenschaftlichen Vorgängen im Unterricht eher gering. Ich erinnere mich noch aus meiner Schulzeit, wie wir die „Knallgasprobe“ gemacht haben, Oxidations- und Reduktionsprozesse analysiert und „Elefantenzahnpasta“ hergestellt haben. In fast jeder Unterrichtsstunde wurde der Bunsenbrenner angeschmissen oder das Periodensystem studiert, doch einen konkreten Alltagsbezug gab es nicht und wirklich viel hängen geblieben ist durch die Abstraktheit auch nicht. Zusätzlich wird im Chemieunterricht oft der multidimensionale Charakter von Scientific Literacy vernachlässigt, insbesondere in der gesellschaftlichen Dimension von naturwissenschaftlicher Bildung. Aufgabe der Chemielehrer:innen ist es folglich diese Vorurteile gegenüber dem Fach Chemie und die Lebensfremdheit zu revidieren und Schüler:innen für ihr Fach zu motivieren, sodass die Chemie als Teil des Allgemeinwissens gelten kann und auch als dieses angesehen wird. Zusätzlich muss am Image von Chemie gearbeitet werden, denn in der Gesellschaft wird dieser Oberbegriff meist mit schlechten Eigenschaften wie „giftig“ oder „unnatürlich“ verbunden. Dabei ist Chemie das Natürlichste der Welt. [3]

Abb. 1: Pixabay / Arthur Budkevics – Tomate

Chemie steckt in unserem Alltag. Sie passiert durch chemischen Reaktionen und Gegenreaktionen und ist für uns in ganz alltäglichen Situationen relevant. Sei es in der Nahrungsmittelproduktion und –aufnahme durch Zusatzstoffe oder Backtriebmittel, oder beim Stechen eines Tattoos im Tattoostudio. Auch beim Zähneputzen, bei der Verwendung akkubetriebener Geräte oder bei der Benutzung von Kosmetikprodukten laufen chemische Prozesse im Hintergrund ab. Selbst auf Lebensmittelverpackungen stehen Hinweise zu chemischen Inhaltsstoffen. So trinken wir Wasser, das besonders natriumarm ist, essen  vegane oder vegetarische Ersatzprodukte, schlucken Nahrungsergänzungsmittel und frieren  Produkte ein oder tauen sie wieder auf. Sogar die entwickelten Corona-Impfstoffe lösen chemische und biologische Prozesse in unserem Körper aus.

Chemie sollte als Teil der Allgemeinbildung (im Sinne einer „Scientific Literacy for All“) gelten, da sie uns alle betrifft und uns in jeder Lebenslage umgibt. Von Schulabsolvent:innen wird oft nach dem Schulabschluss bemängelt, dass die Schule kaum lebensnahe Inhalte vermittelt und wenig auf das „echte Leben“ vorbereitet. Durch Chemieunterricht, der sich an den Interessen der Schüler:innen orientiert, könnte eine solche Vorbereitung stattfinden. So könnten z.B. die chemischen Zusammensetzungen von Drogen behandelt werden und wie sich diese biologisch auf den Körper auswirken. Ebenso ist die Ernährung ein tolles Thema, bei dem man den Schüler:innen chemische Prozesse erklären könnte. Schüler:innen hätten dadurch Bezugspunkte zu alltäglichen Themen und durch einen praxisorientierten Unterricht die Chance für ihr „echtes Leben“ zu lernen.

III. In einem Interview zur Sinnhaftigkeit des Hinterfragens naturwissenschaftlicher Informationen in sozialen Medien (zum Beispiel naturwissenschaftsbasierter „Fakenews“) sagte eine Lehrkraft:

„Es ist blöd zu sagen, aber es ist im Endeffekt eine intellektuelle Grenze für mich; also auch-… oder Lebensumstandsgrenze, wenn die [Anm.: Die Schüler:Innen] einfach in ihrem Lebensumfeld so anders damit umgehen und nur plakative Äußerungen sozusagen verbreiten und nutzen und das auch völlig in Ordnung ist in deren Umfeld, so…, dann werden die da nicht rauskommen. Also das schaffen die dann alle nicht, das geht dann nicht, das ist dann so Kampf gegen Windmühlen.“.

Verfassen Sie eine Antwort darauf.

Das alltägliche Leben, das die Chemie in ihren Unterricht einbeziehen sollte, bezieht tagtäglich auch soziale Netzwerke und „Social Media“ mit ins echte Leben ein. Nicht umsonst steckt in den Begriffen schon das Wort „sozial“. Massenmedien und gerade Plattformen wie Instagram & Co gehören zum alltäglichen Tagesgeschehen von den meisten Schüler:innen.  Durch solche Kommunikationskanäle wird den Schüler:innen eine ganz andere Kommunikationsebene eröffnet, in der sie im regelmäßigen Austausch sein und ständigen Input bekommen können. So erreichen die Schüler:innen auch auf diesem Weg naturwissenschaftliche Informationen.

Die Lehrkraft, die hier die vorliegende Aussage getätigt hat, kritisiert die oberflächliche Kommunikation in sozialen Medien und begründet dies mit der Plakativität der Beiträge, die meist nur eine Teilmenge der Informationen verbreiten und schnell zu „Fakenews“ mutieren. Dabei liegt das Problem der „intellektuellen Grenze“ vielleicht gar nicht bei den Schüler:innen, sondern viel mehr auf Seite der Lehrkräfte. Diese sollten sich viel mehr auf mediale Vielfalt einlassen und die Stärken von „Social Media“ in Hinblick auf ihre Unterrichtsmethoden nutzen. Ein kritische Umgang mit Medien, der den Schüler:innen vermittelt wird, stößt nicht nur die individuellen Denkprozesse an, sondern fördert auch das Hinterfragen von Informationen, die durch digitale Medien vermittelt werden. So können Schüler:innen selbst zu Forscher:innen werden und die Lehrkräfte können die Nutzung von sozialen Netzwerken in verantwortungsvolle Bahnen lenken. Gerade dieses situierte Lernen fördert die Verknüpfung von vermitteltem Fachwissen mit dem eigenen Lebensumfeld. Da die Schüler:innen in einem vertrauten Medium naturwissenschaftliche Fragen stellen können, hat das Gelernte potenziell mehr Verankerungserfolg im Langzeitgedächtnis. Ebenso messen die Schüler:innen möglicherweise naturwissenschaftliche Themen durch die Einbeziehung von „Social Media“ eine höhere Bedeutung bei. Damit könnte Chemie einen echten Erinnerungscharakter erhalten und ein Fach für alle sein.  

[1] Belova, Dr. Nadja, PPP zur Ringvorlesung 04, Chemie – Kein Fach für alle? Gesellschaftskritische Ansätze aus der Chemiedidaktik, Folie 6, 18.
[2] Belova, Dr. Nadja, PPP zur Ringvorlesung 04, Chemie – Kein Fach für alle? Gesellschaftskritische Ansätze aus der Chemiedidaktik, Folie 12.
[3] Belova, Dr. Nadja, PPP zur Ringvorlesung 04, Chemie – Kein Fach für alle? Gesellschaftskritische Ansätze aus der Chemiedidaktik, Folie 19.