RV02 | Migration und die Reaktion von Schule – ein Blick auf schulpolitische Hintergründe, Strukturen und Konzepte

I a. Was sind die Kernaussagen der Grafik auf Folie 16?

Die Grafik auf Seite 16 des Foliensatzes zur Ringvorlesung „Umgang mit Heterogenität in der Schule“ vom 20.04.2021 zeigt eine Übersicht der erreichten Abschlüsse der Schulentlassenen in der Stadtgemeinde Bremen aus dem Jahr 2018. Visualisiert werden prozentual die Schulentlassenen ohne Migrationshinweis (blau), die Schulentlassenen mit Migrationshinweis und ohne Vorkurs oder mit Vorkurs vor 2014 (rot) und die Schulentlassenen mit Vorkurs ab 2014 (grün), die das Abitur, den Mittleren Schulabschluss, die Erweiterte Berufsbildungsreife, die Einfache Berufsbildungsreife oder keinen Schulabschluss erreicht haben.

Abb. 1: Grafik, Y. Krakasoglu, PPP RV 02, Folie 16.

Besonders auffällig ist hierbei, dass lediglich 2% der Absolvent:innen mit einem Vorkurs ab 2014 das Abitur erwarben und der Großteil (36%) sogar überhaupt keinen Schulabschluss erreichte. Schulentlassene ohne Migrationshinweis absolvierten hingegen unübersehbar oft das Abitur (49%) und bildeten gegenteilig einen sehr niedrigen Prozentsatz an Schüler:innen ohne Schulabschluss (5%) ab.

Als Kernaussagen lassen sich folglich formulieren: Je höherwertig der erreichte deutsche Schulabschluss, desto geringer der Prozentsatz an Absolvent:innen mit Migrationshinweis. Je niedriger gestellt der erzielte Schulabschluss bis hin zu keinem Schulabschluss, desto höher die Prozentzahl an Schulentlassenen mit Migrationshinweis und Besuch eines Vorkurses. [1]

I b. Welche Hinweise gibt die Grafik zum Zusammenhang zwischen Migrationshinweis, Neu-Zuwanderung und Bildungsbenachteiligung?

Nimmt man die Grafik aus Ia genauer in den Blick, fällt auf, dass deutliche Unterschiede zwischen den Schulentlassenen mit Migrationshinweis und ohne Vorkurs oder mit Vorkurs vor 2014 und den Schulentlassenen ohne Migrationshinweis bestehen. Nahezu die Hälfte (49%) aller Absolvent:innen ohne Migrationshintergrund im Jahr 2018 in der Stadtgemeinde Bremen erreichte das Abitur, während lediglich 27% der Schüler:innen mit Migrationshinweis und ohne Vorkurs oder mit einem Vorkurs vor 2014 den höchsten deutschen Schulabschluss erreichten. Erschreckend niedrig ist die Zahl der zugewanderten Schüler:innen mit einem Vorkurs ab 2014, die die Allgemeine Hochschulreife erzielten. Lediglich zwei Prozent können das Abitur mit entsprechendem Zertifikat vorweisen. Beim Mittleren Schulabschluss (MSA) ist hingegen ein hoher Prozentsatz an Absolvent:innen mit Migrationshinweis und ohne Vorkurs oder mit Vorkurs vor 2014 zu verzeichnen. Dort erhielten 40% den Mittleren Schulabschluss. Direkt darauf folgen die Absolvent:innen mit Besuch eines Vorkurses ab 2014 mit 33%. Nah an diesem Prozentwert liegen auch die Schüler:innen ohne Migrationshinweis. Sie erreichten dort ihren zweithöchsten Wert mit 30%. Angenäherte Prozentzahlen von Schüler:innen mit und ohne Migrationshinweis sind beim Erwerb der Erweiterten Berufsbildungsreife (ErwBBR, entspricht dem Erweiterten Hauptschulabschluss) zu sehen. 18% der Absolvent:innen mit Migrationshintergund und ohne Vorkurs oder mit Vorkurs vor 2014 erzielten die ErwBBR. 16% der zugewanderten Schüler:innen mit Besuch einer Deutschlernklasse ab 2014 erhielten diesen Abschluss und 10% der Schüler:innen ohne Migrationshinweis erreichten die Erweiterte Berufsbildungsreife. Als gestaffelt ist hingegen der Erwerb der Einfachen Berufsbildungsreife (EinfBBR) zu beschreiben. In der Grafik wird visualisiert, dass hier nur noch 5% an Schüler:innen ohne Migrationshintergrund die EinfBBR erzielten, jedoch deutlich mehr Schulentlassene mit Besuch eines Vorkurses ab 2014 (13%) einen solchen Abschluss erwarben. Auch 7% der Absolvent:innen mit Migrationshinweis und ohne Vorkurs oder mit Vorkurs vor 2014 schlossen 2018 mit der Einfachen Berufsbildungsreife ihre Schullaufbahn ab.

Die Grafik zeigt deutlich, dass Schüler:innen, die zugewandert sind und einen Deutschvorkurs ab 2014 belegten, große Schwierigkeiten haben einen hohen deutschen Schulabschluss – wie das Abitur – zu erlangen. Mögliche Gründe dafür können kaum zu überwindende Sprachbarrieren und das herausfordernde Bildungsniveau an deutschen Schulen sein. Auch die Deutschlernklassen sind eventuell nicht effektiv genug. Zudem spielt der zeitliche Faktor eine große Rolle. Schüler:innen, die erst im Jugendlichenalter nach Deutschland kommen, haben nur wenige Jahre Zeit die deutsche Sprache fehlerfrei zu erlernen. Ebenfalls wird vermutlich in ihrem persönlichen Umfeld nicht immer Deutsch als Hauptkommunikationssprache verwendet. Der Erwerb der deutschen Sprache hängt jedoch unmittelbar mit dem Erreichen eines deutschen Schulabschlusses zusammen.

Einen konkreten Hinweis auf den Zusammenhang von Zugewanderten und Schüler:innen mit Migrationshinweis und der Bildungsbenachteiligung ist hier jedoch nicht zu benennen. Es fällt aber auf, dass seiteneinsteigende Schüler:innen deutlich niedrigere Schulabschlüsse erzielen als Schüler:innen, die bereits in Deutschland leben und einen Migrationshinweis oder auch keinen Migrationshinweis haben. Auch bei Absolvent:innen mit Eltern, die nicht von Beginn an die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen, sind höhere Schulabschlüsse als bei zugewanderten Schüler:innen mit Besuch eines Vorkurses ab 2014 festzustellen. Insofern kann von einer Bildungsbenachteiligung gesprochen werden, dass auffällig wenig Schüler:innen mit Besuch eines Vorkurses ab 2014 einen hohen deutschen Schulabschluss erlangten und somit ihre weitere Bildungslaufbahn nicht so vielfältig aufgefächert ist, wie bei Schüler:innen, die z.B. das Abitur erwarben. [2]

II. Inwiefern fordert Migration das nationalstaatlich verfasste Schulsystem Deutschlands heraus?

Migration ist für das nationalstaatliche Schulsystem eine Herausforderung. Fend formuliert Migration als Schlüsselthema der Veränderung vom nationalen Bildungssystem. Seine „Theorie der Schule“ besagt, dass jede neue Generation über das Bildungswesen an den Stand der Fähigkeiten, des Wissens und der Werte herangeführt wird, welcher für den Fortbestand der Gesellschaft erforderlich ist. Migration erschüttert nach dieser Theorie die Vorstellung einer ethnischen, kulturellen und sprachlich homogenen Gemeinschaft und ist Grundstein für Heterogenität. Migration wird demnach als „Durchbrecher“ einer Logik des Bildungssystems angesehen, bei der davon ausgegangen wird, dass jede:r das System von Beginn an bis zum Ende am gleichen Ort durchläuft. Diese Logik spielt auf die räumliche und zeitliche Kontinuität von Bildung an und versteht die Gesellschaft als nationalstaatlich verfasste Gesellschaft. [3]

Migration wird in dem Sinne als heterogenitätsfördernder Faktor angesehen, als dass Schüler:innen mit Migrationshinweis im Durchschnitt viel öfter von sozialen Risikolagen betroffen sind, als Schüler:innen ohne Migrationshinweis. Gründe hierfür sind meist ein niedriger Bildungstand oder die Erwerbslosigkeit der Eltern und ein Familieneinkommen unter der Armutsgefährdungsgrenze. Diese Faktoren gelten insbesondere für Zugewanderte. Auch das Lernen einer anderen Erstsprache, welche nicht das Deutsche ist, kann ein solcher heterogenitätsfördernder Faktor sein. In 91% der Schulen im Land Bremen sind mehr als 10 Erstsprachen vertreten. In mehr als 50% der Schulen werden sogar mehr als 20 Erstsprachen gesprochen. Dies stellt eine Herausforderung für die Schüler:innen, das Schulsystem und die Lehrkräfte dar. Trotzdem ist ein Migrationshinweis in diesem Kontext nicht gleichzusetzen mit einer Risikolage, obwohl Schüler:innen mit Migrationshinweis deutlich öfter von einer solchen betroffen sind als Kinder ohne Migrationshinweis. Gleichzusetzen ist dies dennoch nicht. [4]

Gleichwohl muss sich der Blick hin zu einer Veränderung von Schule wenden, welche eine Wandlung von exklusiver Perspektive hin zu inklusiver Perspektive vollzieht. Von nicht hinterfragten Anpassungsanforderungen an die Schüler:innen im Hinblick auf die Organisationsprinzipien und Erwartungen der Institution zu einer Veränderung von Schule und der in ihr verantwortlich Handelnden im Hinblick auf ihren Umgang mit der Vielfalt von Schüler:innen und Eltern und deren Bedürfnissen. [5]

Nach Karakasoglu und Mecheril gibt es vier migrationsgesellschaftliche Entwicklungsbedarfe von Schule. Auf struktureller Ebene können solche Bedarfe z.B. über ein Angebot an unterschiedlichen Schulformen gedeckt werden, die auch für seiteneinsteigende Schüler:innen geeigneter und durchlässiger sind und die eine gewisse internationale Kompatibilität aufweisen. Auf Ebene der Ressourcen kann eine solche Entwicklung durch zusätzliche Lehrer:innenstellen, multiprofessionelle Teams und eine gute Ausstattung der Schulgebäude und Lehrmaterialien gewährleistet werden. Auch eine Konzeptentwicklung und die Einbeziehung von kollegialer Supervision wären unterstützende Faktoren. Auf der Ebene der pädagogischen Konzepte, der didaktischen Methoden und verwendeten Lehrmittel (u.a. Schulbücher) wäre eine Vielfalt an geistigen und materiellen Ressourcen geeignet, um den migrationsgesellschaftlichen Biographien der Schüler:innen und Eltern gerecht zu werden. Auf der Ebene der Lehrer:innenausbildung müssten angehende Lehrer:innen in allen drei Phasen der Ausbildung für das Thema Migration sensibilisiert werden. Dies würde zu einer hohen Flexibilität der Lehrkräfte führen, die eine solche Komplexität und Heterogenität meistern könnten. [6]

Ebenso müsste es eine Sensibilisierung im Bereich des Schulbuchs geben. Das Georg-Eckert-Institut für Schulbuchforschung veröffentlichte 2015 eine Studie über die Begriffsverwendung von „Ausländer“, „Fremde“, „Migranten“ und „Menschen mit Migrationshintergrund“. Dabei kam heraus, dass diese Begriffe häufig als Synonyme zueinander verwendet werden, es also keine Differenzierung im Schulbuch und im Text gibt. Gleiches stellte die neue Studie zu Migration und Bildungsmedien von Eva Matthes im Jahr 2020 fest. Somit ist migrationsgesellschaftliches Wissen und Reflexionskompetenz von vielen Seiten nötig, um das Lernmaterial gesellschaftlichen Realitäten und aktuellen wissenschaftlichen Standards und Erkenntnissen anzupassen, sodass keine Vorurteile reproduziert werden. Aufgrund der Entwicklungsbedarfe im Bereich der Lehrkräfte und Schulen und im Hinblick auf die Schulbücher ist Migration als gegenwärtige und auch zukünftige Herausforderung für das nationalstaatliche Schulsystem anzusehen. [7]

III. Inwiefern kann das folgende Beispiel als Ausdruck von „Doing Culture“ durch Lehrer:innenhandeln im Unterricht herangezogen werden? Was ist problematisch daran? Erinnern Sie sich aus ihrer eigenen Schulzeit an ein Beispiel für „Doing Culture“ im Lehrer:innenhandeln?

Kim (Name geändert), eine Lehramtsstudierende, berichtet in einer Aufgabe:
„Einer meiner ehemaligen Mathelehrer nahm mich des Öfteren bei Fragen an die gesamte Klasse dran, ohne dass ich mich gemeldet hatte, da er der Meinung war‚ die Asiatin müsse es ja wissen, die seien doch so gut in Mathe. Da Mathe nicht eine meiner Stärken war und ich dementsprechend keine richtige Antwort auf die Fragen geben konnte, hieß es seitens des Lehrers ‚Da hätte ich aber jetzt mehr erwartet‘ (…). Obwohl ich zu diesem Zeitpunkt noch nie in Asien war und dementsprechend keinerlei Berührungspunkte oder persönliche Erfahrungen mit der Kultur und Mentalität habe, wird von mir erwartet, besser in Mathe zu sein, als Schüler*innen die nicht daher kommen.“

Im vorliegenden Fallbeispiel greift die Lehrkraft, hier der Mathelehrer, auf stereotypische Vorurteile gegenüber Asiaten zurück, indem er das Mädchen namens Kim drannimmt, obwohl sie sich nicht gemeldet hat. Kim hat offenkundig asiatische Wurzeln und scheint auch äußerlich so auszusehen. Die Lehrkraft weist ihr aufgrund ihres Migrationshinweises gute Fähigkeiten im Fach Mathematik zu. Dabei geht die Lehrkraft nicht von den individuellen Fähigkeiten des Mädchens aus, sondern konstruiert eine Auffassung von „Kultur“. Hier führt die pauschale Zuordnung eines nationalen, ethnischen, kulturellen Kollektivmerkmals zur Verunsicherung der Schülerin. Ebenso ist das Drannehmen mit der Aussage „die Asiatin müsse es ja wissen, die seien doch so gut in Mathe“ fälschlich gleichsetzend und verallgemeinernd. Kim ist nämlich nicht so gut in Mathe. Ebenfalls ist das Drannehmen ohne Melden ein Bloßstellen vor der gesamten Klasse und der Mathelehrer setzt im selben Zug mit seinem Kommentar höhere Anforderungsmaßstäbe an Kim, als an ihre Klassenkameraden. Die geschieht nur aufgrund ihres Aussehens und ihrer Wurzeln. Das Fallbeispiel kann somit gut als Ausdruck von „Doing Culture“ durch Leher:innenhandeln verwendet werden.

Ich persönlich habe in meiner Schulzeit kaum „Doing Culture“-Erfahrungen gemacht, was auch ein großes Glück ist. Lediglich die Einstellung mancher Lehrkräfte war dahingehend ausgelegt, dass Kinder mit Migrationshintergrund im Durchschnitt geringere Leistungen erbringen als Kinder ohne Migrationshintergrund. Auch Kindern mit sozialen oder schulischen Problemen wurde schnell ein Migrationshintergrund nachgesagt und das Problem auf die Eltern geschoben. Auch Fragen nach der Herkunft eines Kindes, obwohl dieses in Deutschland geboren ist, habe ich miterlebt. Dort wird von der Herkunft der Eltern oder aufgrund von Äußerlichkeiten pauschal auf die Nationalität und Identifikation mit einem anderen Land geschlossen. Viele Lehrkräfte vermitteln dabei leider den Schüler:innen das Gefühl von „anders sein“ und fördern somit selbst die Heterogenität in einer Klasse.

Ein Lösungsansatz für diese Problematik wäre eine dauerhafte kritische Selbstreflexion der Lehrkräfte in Hinblick auf die eigenen Aussagen und Kompetenzen. Auch das Akzeptieren der Migration als facettenreiche Alltagserfahrung und Perspektive in der globalisierten Welt wäre ein Ansatz. Zusätzlich müsste Unterrichtsmaterial kritisch analysiert und auf Stereotypen hin untersucht werden. Damit würde Mehrsprachigkeit und Migration als Normalität anerkannt und im Unterricht besser berücksichtigt werden. [8]

[1] Migration und Bildungsbenachteiligung in Bremen (2018), Abbildung 6: Schulentlassene nach Abschlüssen in der Stadtgemeinde Bremen 2018, in: (Welt-)Gesellschaftliche Veränderungen, Migration und die Reaktion von Schule – ein Blick auf schulpolitische Hintergründe, Strukturen und Konzepte, PPP 02, Folie 16 , Prof. Dr. Yasemin Karakasoglu.
[2] Ebenda.
[3] Schroeder, Joachim/ Seukwa, Louis Henri 2018, S. 141.
[4] vgl. PPP zur Ringvorlesung 02, Prof. Dr. Yasemin Karakasoglu, Folie 15.
[5] vgl. PPP zur Ringvorlesung 02, Prof. Dr. Yasemin Karakasoglu, Folie 19.
[6] Karakasoglu / Mecheril 2019.
[7] Georg-Eckert-Institut für Schulbuchforschung 2015, S. 68; Matthes 2020; BIM/SVR 2017; Doğmuş/Karakaşoǧlu/Mecheril/Shure 2018.
[8] vgl. PPP zur Ringvorlesung 02, Prof. Dr. Yasemin Karakasoglu, Folie 22.

3 Kommentare

  1. Annabelle

    Zu der zweiten Fragestellung: Ich bin einverstanden mit dem, was du geschrieben hast. Das „sichere Europa“ wenn ich mich so ausdrücken darf, ist das Ziel von vielen Menschen, in besonderem Maß noch einmal nach 2015, somit ist die Zahl an Kindern mit einem Migrationshintergrund in Westen Europa, und speziell in Deutschland in den letzten Jahren gestiegen. Es konnte eine große Herausforderung für die Lehrkräfte sein, die mit neuen Kulturen konfrontiert waren, aber auch mit Schülern, die nicht dieselbe Muttersprache haben, wie du ganz richtig geschrieben hast. Möglicherweise waren nicht alle Lehrkräfte dieser Anforderung gewachsen, da es ja auch nicht Bestandteil ihrer Ausbildung war. Auch stellt sich die Frage, ob die Vorkurse in ausreichendem Umfang und zeitlicher Dauer eingerichtet und durchgeführt wurden. Auch ist wahrscheinlich ein Teil der Eltern dieser Schüler, aufgrund ihrer eigenen Sprachdefizite, auch wenn sie Hilfen geben möchten, weniger in der Lage, bei schulischen Problemen zu unterstützen.

    Ich möchte dazu anhand der zweiten Präsentation etwas ergänzen, und erlaube ich mir Fend mit seiner Theorie der Schule zu zitieren, dass jede neue Generation „über das Bildungswesen an den Stand der Fähigkeiten, des Wissens und der Werte herangeführt“ wird, der „für das Fortbestehen der Gesellschaft erforderlich ist“. Aber werden dabei die Unterschiede zwischen den Ländern und den Schulen betrachtet? Weil ja der Anteil an Schülern mit einem Migrationshintergrund immer sehr unterschiedlich verteilt ist.

    Zu der dritten Frage würde ich gerne sagen, dass ich selbst einen Migrationshintergrund habe, da ich vor 6 Jahren aus Frankreich zugezogen bin.
    Aber ich persönlich habe zum Thema Doing Culture kaum Erfahrungen gemacht, auch als ich hier die Schule besuchte. Hängt das damit zusammen, dass ich einen typischen Nachname meiner Heimat habe oder ich mich äußerlich nicht von Schülern ohne Migrationshintergrund unterscheide? Das weiß ich ja nicht. Ich kann mich aber auch an nichts Negatives erinnern, was meine Schulkameraden in Frankreich betraf, die eine andere Nationalität hatten, aber in Frankreich lebten.

    Auch wenn ich nach Deutschland vor ein paar Jahren umgezogen bin und Deutschkurse besucht habe, habe ich nicht den Eindruck gehabt, dass ich wegen meines Nachnamens, der typisch französisch klingt, oder sogar wegen meines Akzents anders behandelt wurde. Wenn ich in seltenen Situationen doch bisschen anders behandelt wurde, dann war es nur mit den positiven Klischees, die mit Frankreich verbunden sind.

    Mir ist aber schon aufgefallen, dass manch andere Teilnehmer im Kurs mit einem arabischen oder chinesischen Hintergrund etwas anders angesprochen wurden, als ob sie einfach Analphabeten wären oder ähnliches. Dass hatte mich damals ziemlich schockiert.

    In der heutigen Welt der Globalisierung sollte aus meiner Sicht eine solche Diskriminierung nicht mehr stattfinden. Ich stimme dir ganz zu, eine andere Nationalität zu haben, sollte heute als Normalität anerkannt und besser berücksichtig werden.

    • Katharina Keite

      Hallo Annabelle,

      vielen Dank für deinen Kommentar unter meinem Beitrag zur zweiten Ringvorlesung. Es freut mich sehr, dass du deine persönlichen Erfahrungen einbringst und mit mir teilst. Es ist sehr spannend zu hören, wie du selbst „Doing Culture“ erlebt bzw. auch nicht erlebt hast. Danke dafür!

      Du stellst die Frage, ob bezüglich der Migration und schulischen Konzepte -in Bezug auf Fends „Theorie der Schule“- auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und deren Schulsystemen beachtet werden. Gemäß der Publikation der Europäischen Kommission zur „Integration von Schülern mit Migrationshintergrund an Schulen in Europa“ aus dem Jahr 2019 liegen nicht nur in Deutschland, sondern auch in den meisten europäischen Bildungssystemen Schüler:innen mit Migrationshintergrund hinter den im Inland geborenen Schüler:innen zurück. Als Gründe werden hier Herausforderungen in Verbindung mit dem Migrationsvorgang, mit den allgemeinen sozioökonomischen und politischen Rahmenbedingungen und mit der Bildungsbeteiligung von Schüler:innen benannt. Auch unangemessene Platzierung von Schüler:innen in einzelnen Jahrgangsstufen, Sprachangebote, die nicht an die Bedürfnisse der Schüler:innen angepasst sind und das Fehlen eines Zugehörigkeitsgefühls sind Probleme, die erkannt werden. [1]

      Meines Erachtens nach sollte hier die Frage nicht nach den Unterschieden der einzelnen Bildungssysteme in den verschiedenen Ländern und der Verteilung von Schüler:innen mit Migratonshintergrund in ihnen gestellt werden, sondern eher die Frage nach den gemeinsamen Problemen von Migration und Integration in Schulen, und wie diese zu lösen sind. Letztendlich muss jedes Schulsystem in Europa versuchen Kindern mit Migrationshintergrund guten Zugang zu allgemeiner und beruflicher Bildung zu verschaffen und die Integration an Schulen zu unterstützen. Unterschiede zwischen den Systemen müssen dann von den jeweiligen Staaten selbst analysiert und bewältigt werden, denn minderjährige Migrant:innen und Jugendliche mit Migrationshintergrund im schulpflichtigen Alter haben in den meisten europäischen Bildungssystemen dieselben Bildungsrechte und –pflichten wie im Inland geborene Mitschüler:innen. Lehrkräfte sollten also auch dasselbe Ziel verfolgen und diese Gleichwertigkeit und Chancengleichheit herstellen, auch wenn dieses nicht Teil ihrer Ausbildung war.

      Mich freut es sehr, dass du in deiner Schulzeit nicht anders behandelt wurdest oder kaum Erfahrungen mit „Doing Culture“ gemacht hast. Auch deine persönliche Geschichte finde ich bewundernswert. Ich kann mir vorstellen, dass eine Zuwanderung aus Frankreich eventuell für Lehrkräfte und Mitschüler:innen nicht so „fremd“ ist, wie eine Zuwanderung von einem anderen Kontinent nach Europa. Frankreich und Deutschland haben im alltäglichen Geschehen viele Berührungspunkte und sind sogar Nachbarländer, daher hast du vielleicht nicht so viele negative Erfahrungen mit „Doing Culture“ gemacht, was natürlich dennoch keine Vorurteile rechtfertigt.

      Ich finde es schön, dass wir uns einig sind, dass Multikulturalismus als Normalität gelten sollte.

      Ganz liebe Grüße
      Katharina

      [1] Europäische Kommission/EACEA/Eurydice, 2019. Integration von Schülern mit Migrationshintergrund an Schulen in Europa: nationale politische Strategien und Maßnahmen. Eurydice-Bericht. Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, Seite 9.

  2. Georg Neuf

    Ich finde es gut zu anerkennen, das es in jedem Land unterschiedliche kulturelle Varianten gibt. Das ist bereichernd. Wenn die Kulturen jedoch ganz getrennt leben und keine gemeinsame Normen haben, kann es problematisch werden.

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