Das Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) diskutiert auf seiner Website und in einer Evidenzsynthese die wissenschaftliche Evidenz zu verschiedenen Arten von Schutzmasken. Dabei kommen die Untersuchenden zum Schluss, dass die Verwendung einer Maske alleine nur inkompletten Schutz vor einer Virusbelastung bietet, aber zur Verringerung des Infektionsrisikos in der Allgemeinbevölkerung beitragen kann (durch die Reduktion des Risikos andere anzustecken).
Archiv der Kategorie: Wissenschaftliche Informationen
Quarantäne und psychische Gesundheit
Auswirkungen von Quarantänemaßnahmen auf die psychische Gesundheit: Stand der Evidenz und Möglichkeiten zur Reduktion
Zusammenfassung und Diskussion von:
Brooks, S. K., Webster, R. K., Smith, L. E., Woodland, L., Wessely, S., Greenberg, N., & Rubin, G. J. (2020). The psychological impact of quarantine and how to reduce it: rapid review of the evidence. The Lancet, 395(10227), 912-920. doi:10.1016/S0140-6736(20)30460-8
Kernaussagen:
- Quarantänemaßnahmen können schwerwiegende psychische Beeinträchtigungen nach sich ziehen.
- Wenn Quarantänemaßnahmen nötig sind, sollte die Dauer auf das absolute Minimum reduziert werden, und die Dauer und die Gründe für die Maßnahmen müssen klar kommuniziert werden, um psychische Belastungen zu reduzieren.
- Unterstützungsmaßnahmen während und nach Quarantänemaßnahmen sind entscheidend für die Auswirkungen auf psychische Gesundheit.
Hintergrund
Im Rahmen der Corona-Krise sind in vielen Ländern (darunter auch Deutschland) Maßnahmen zur Ausgangsbeschränkung (d.h., Vorschriften zur Reduktion von sozialen Kontakten im öffentlichen Raum) sowie konkrete Quarantänemaßnahmen (d.h., Ausgangsverbot und Kontaktbeschränkung von Menschen, die mit dem COVID-19-Virus infiziert sind) beschlossen worden.
Diese Maßnahmen gehen mit erheblichen sozialen und psychologischen Folgen einher, die immer im Zusammenhang mit der epidemiologischen Notwendigkeit von Quarantäne-Maßnahmen betrachtet werden müssen. Die Arbeit von Brooks et al. fasst den aktuellen Kenntnisstand über die psychischen Folgen von Quarantänemaßnahmen zusammen.
Zusammenfassung
In ihrem Rapid Review (eine spezielle Form von systematischen Überblicksarbeiten, bei denen vor allem die rasche Erstellung eines möglichst umfassenden Überblicks über den Stand der wissenschaftlichen Arbeiten zu einem bestimmten Thema) haben Brooks et al. 3166 Studien nach Informationen zu den psychischen Folgen von Quarantänemaßnahmen durchsucht und insgesamt 24 Studien zusammengefasst.
Darunter sind Studien aus so unterschiedlichen Ländern wie Kanada, Australien, China, Südkorea, Sierra Leone und Liberia. Die Gründe für die Quarantäne-Maßnahmen in den Studien reichten von der Isolation von medizinischem Personal, das in Westafrika dem Ebola-Virus ausgesetzt war bis hin zu kompletten Stadtvierteln in Hong Kong, die wegen der SARS-Epidemie unter Quarantäne gesetzt wurden.
Ergebnisse
Für wen stellt Quarantäne ein besonderes Risiko dar?
Insbesondere Menschen mit psychischen Vorerkrankungen und Beschäftigte im Gesundheitswesen zeigten ein höheres Risiko für psychische Probleme nach Ende der Quarantäne.
Welche Faktoren während der Quarantäne wirken sich auf psychische Gesundheit aus?
- Dauer der Quarantänemaßnahmen: Je länger Quarantänemaßnahmen andauerten, desto höher waren die psychischen Belastungen der Personen in Quarantäne
- Angst vor Infektion: Je stärker die Angst vor Infektion und die Angst, andere zu infizieren waren, desto höher waren die psychischen Belastungen nach der Quarantäne
- Frustration und Langeweile: Fast alle Studien berichteten von Frustration und Langeweile der Personen in Quarantäne, was hauptsächlich daran lag, dass gewohnten Alltagsaktivitäten nicht mehr nachgegangen werden konnte.
- Versorgungsengpässe: Wenn während der Quarantänemaßnahme grundlegende Versorgungsmittel knapp waren, war dies mit höheren psychischen Belastungen nach Ende der Quarantäne assoziiert.
- Unzureichende Information: Unzureichende Information über die Ursachen von Erkrankungen und Gründe für die Quarantäne führten in vielen Studien zu Frustration und Angst der Personen in Quarantäne. Insbesondere wenn aufgrund mangelnder Information nicht klar war, warum Maßnahmen notwendig sind, traten im Nachklang der Quarantäne Probleme auf.
Welche Faktoren nach Ende der Quarantäne haben Einfluss auf psychische Gesundheit?
Finanzielle Einbußen durch die Unterbrechung beruflicher Aktivitäten oder der Verlust des Arbeitsplatzes führten zu erheblich negativeren psychischen Auswirkungen der Quarantänemaßnahmen. Auch finanzielle Unterstützung wirkte nicht in allen Studien positiv, insbesondere dann, wenn sie als nicht ausreichend empfunden wurde.
Stigma durch die Quarantäne wirkte sich auf psychische Gesundheit aus – insbesondere dann, wenn sich aufgrund der Quarantänemaßnahmen die Qualität von sozialen Beziehungen zu Nachbarn, Freund*innen und Kolleg*innen verschlechterte.
Wie können psychische Beeinträchtigungen nach Quarantäne vermieden werden?
- Quarantänemaßnahmen so kurz wie möglich halten: Die Dauer von Quarantänemaßnahmen sollte so kurz wie möglich sein. Dabei sollte die Inkubationsdauer der Erkrankungen entscheidend sein und darüberhinaus möglichst keine weitere Quarantäne angeordnet werden.
- So viel und so gute Information wie möglich: Je besser die Informationen sind, die die Menschen in Quarantäne erhalten, desto eher lassen sich die Maßnahmen nachvollziehen.
- Grundlegende Bedürfnisse und Grundbedarf decken: Je besser Grundbedürfnisse an Nahrungsmitteln etc. gedeckt werden, und je schneller dies passiert, desto weniger Sorgen machen sich Menschen unter Quarantäne über ihre Versorgung.
- Kommunikation verbessern und Langeweile vermeiden: Praktische Hinweise darauf, wie die Zeit in Quarantäne sinnvoll genutzt werden kann, Unterhaltungsangebote und vor allem Angebote für Kinder sind entscheidend für die psychische Belastung. Je besser Kommunikation mit Freund*innen und Verwandten funktioniert, desto mehr soziale Unterstützung können sich Menschen unter Quarantäne zu Nutze machen.
- Wer sich freiwillig in Quarantäne begibt oder davon überzeugt ist, durch die Quarantänemaßnahme die Gesundheit anderer zu schützen, ist möglicherweise weniger stark von psychischen Beeinträchtigungen betroffen.
Einordnung der Studie
Diese Studie ist ein enorm wichtiger Beitrag zur Diskussion um die Folgen von Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie wie Ausgangsbeschränkungen. Auch wenn Quarantänemaßnahmen immer in einem isolierten Kontext stattfinden (d.h., die Quarantäne ist die Ausnahme, während draußen der Alltag weitergeht), und sich die im Rahmen der Corona-Pandemie diskutierten Ausgangs- und sozialen Beschränkungen auf den Alltag aller auswirkt, sind hier einige wichtige Punkte herauszustellen – die Dauer von Quarantänemaßnahmen (und damit eben auch die Dauer von Ausgangsbeschränkungen) sind auf ein Minimum zu reduzieren, um psychische Belastung zu vermeiden, und diese Dauer und der Grund von Beschränkungen müssen klar kommuniziert werden. Glücklicherweise sind Aspekte wie die Sicherstellung von Grundversorgung oder Stigma momentan wahrscheinlich eher weniger relevant, weil a) keine Versorgungsengpässe abzusehen sind, und b) alle von den Maßnahmen betroffen sind, aber vor allem im Hinblick auf Dauer und transparente Entscheidungsregeln sind die Ergebnisse aus dieser Überblicksarbeit wichtig.
Medienexposition über COVID-19
Zusammenfassung und Diskussion von:
Garfin, D. R., Silver, R. C., & Holman, E. A. (2020). The novel coronavirus (COVID-2019) outbreak: Amplification of public health consequences by media exposure. Health Psychology. Advance online publication. https://doi.org/10.1037/hea0000875
Kernaussagen:
- Während Krisensituationen ist zuverlässige und akkurate Berichterstattung sehr wichtig.
- Durch unklare und furchteinflößende Berichterstattung können sowohl psychische Belastung als auch Probleme in der Gesundheitsversorgung entstehen.
- Soziale Medien sollten gezielt zur Kommunikation akkurater Risiko- und Gesundheitsinformation genutzt werden.
Hintergrund
Im Rahmen der Corona-Krise nimmt auch die Berichterstattung über die Pandemie sowie über die gesellschaftlichen, sozialen, und ökonomischen Folgen der Pandemie zu. Während es auf der einen Seite sehr wichtig ist, zeitnah akkurate und wichtige Informationen zu einer Gesundheitskrise wie der aktuellen Pandemie zu kommunizieren, kann die Menge und potenziell angstauslösende Inhalte Ängste und Probleme in der Gesundheitsversorgung auslösen.
Zusammenfassung
Garfin et al. leiten aus ihren eigenen und verwandten Forschungsarbeiten zu psychischer Gesundheit in Folge von öffentlichen Krisensituationen (insbesondere 9/11, die Attentate auf den Boston Marathon und die Ebola-Krise) Erkenntnisse über die Berichterstattung aktueller Gesundheitskrisen ab.
Ergebnisse
Welche negativen Folgen kann Berichterstattung haben?
- Unklare Berichterstattung oder Berichterstattung über eine unklare Lage kann zu einer Zunahme von Gerüchten und damit Fehlinformationen führen.
- Abstrakte und schwer wahrnehmbare Risiken wie eine neuartige Viruserkrankung lösen mehr Ängste aus als bekannte (und möglicherweise ebenso schwerwiegende) Erkrankungen
- Berichterstattung, die reißerische Begriffe und potenziell furchterregende Bilder benutzt, kann Ängste auslösen.
- Studien im Zusammenhang mit 9/11 konnten einen direkten Zusammenhang zwischen dem Ausmaß von konsumierter Berichterstattung (Stunden pro Tag) und psychischen sowie körperlichen Gesundheitsproblemen feststellen – insbesondere Symptome posttraumatischer Belastungsstörungen waren noch nach mehreren Jahren nachzuweisen.
- Berichterstattung kann zu einer übermäßigen Belastung der Versorgungssysteme führen, insbesondere dann, wenn Notaufnahmen und Notrufnummern ohne Vorliegen eines Notfalls in Anspruch genommen werden, aber auch, wenn aus Furcht vor Versorgungsengpässen medizinisch wichtige Produkte wie Desinfektionsmittel oder Atemschutzmasken gehortet werden.
- Ein verantwortungsvoller Umgang mit sozialen Medien durch Akteure im Gesundheitssystem könnte helfen, mit potenziell unklarer Berichterstattung besser umzugehen.
Wie können negative Folgen von Berichterstattung vermieden werden?
- Akkurate und zeitnahe Information ist in Krisensituationen unabdingbar, vor allem auch, um Missverständnissen und Ängsten in der Bevölkerung vorzubeugen.
- Dabei ist vor allem darauf zu achten, dass Berichterstattung klar und so wenig missverständlich wie möglich geschieht.
- Durch strategischen Einsatz von sozialen Medien kann Fehlinformationen, die sich vor allem in sozialen Medien schnell verbreiten, vorgebeugt werden.
Einordnung der Studie
Dieser Kommentar weist auf einen wichtigen, oft vernachlässigten Aspekt von Berichterstattung in Krisensituationen hin. Neben der Zeitnähe sind vor allem die Güte, Verständlichkeit und Eindeutigkeit von Nachrichten wichtig, um Ängste und Sorgen in der Bevölkerung vorzubeugen.
Auch wenn dieser Kommentar im Anbetracht der Aktualität der COVID-19-Krise keine aktuellen Daten verwenden kann, scheinen die Rückschlüsse aus früheren Studien zu vergleichbaren nationalen und internationalen Krisensituationen zulässig. Das Risiko, durch unklare Berichterstattung (ganz zu schweigen von reißerischen Berichten) psychische Probleme hervorzurufen, sollte nicht vernachlässigt werden.
Vor allem im deutschen Kontext, in dem durch die föderale Struktur die Umsetzung von gesundheitlichen Maßnahmen heterogen ausfallen kann, sind diese Ergebnisse wichtig – weil sie aufzeigen, wie wichtig eindeutige und klar kommunizierte Informationen sind.