Klickt man auf die Website „Freie Hansestadt Bremen“ bekommt man einen kurzen Überblick über das Selbstbild: Bremen sei traditionell von Seefahrt und Handel geprägt, habe die größte Containerumschlagsanlage Europas und die Häfen seien durch moderne Technik mit die schnellsten der Welt. Mit Bremerhaven bildeten sie den zweitgrößten Seehafen und Außenhandelsstandort Deutschlands. Die Hochschule in Bremerhaven biete auf diese Tradition aufbauend Studiengänge wie Schiffsbetriebstechnik oder Maritime Technologien an. Auch wird unter dem Punkt „Kultur der Weltoffenheit“ mit dem 1896 gegründeten Überseemuseum geworben (Bremen Erleben 2020).
Diese Punkte nehmen eigentlich den größten Teil der Vorstellungsseite ein. Damit bestehe ein großer Teil Bremens Identifikation aus postkolonialen Elementen wie den Häfen oder dem Überseemuseum, mit dem als besonderes Ausflugsziel geworben werde. Letzteres stelle noch heute im Kolonialismus erworbene Artefakte aus und sei im Zuge des Versuches der Stadt Bremen in den 1930er Jahren als „Stadt der Kolonien“ anerkannt zu. werden in Deutsches Kolonial- und Überseemuseum unbenannt (Hethey 2018). Nach Frank Hethey war insbesondere in Bremen die Kolonialbegeisterung nach dem Verlust der Kolonien stark. Da die erste Landeinnahme Deutschlands in Afrika durch den Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz erfolgte, schrieb sich Bremen eine koloniale Gegenwarts- und Zukunftsaufgabe zu. So sei es kein Zufall gewesen, dass das „Reichskolonialehrenmal“ 1931 in Bremen errichtet wurde und Bremen 1938 beim dreitägigen Kolonialtreffen Gastgeber spielte (Hethey 2018). Die Initiierung des deutschen Kolonialismus von Bremen aus, den Reichtum der Stadt der durch Handel mit Kolonialwaren entstand und fortgeführt wird und der scheinbare Stolz darauf sind Aspekte die unter einem postkolonialen Blick näher untersucht werden sollten.
Abbildung1:https://wkgeschichte.weser-kurier.de/als-bremen-stadt-der-kolonien-sein-wollte/ (22.7.2020 16:28)
Bevor ich fortfahre, möchte ich nun grob erklären, was in diesem Blogeintrag unter einer postkoloniale Perspektive auf die Häfen verstanden werden kann. Postkoloniale Theorien sind, so Kerner, im Verlauf der 2. Hälfte des 20 Jahrhunderts entstanden und etablierten sich in den meisten Ländern in den 80er Jahren im akademischen Betrieb (Kerner 2013: 20). Nach den Autorinnen Maria do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan ist der Begriff postkolonial unscharf und immer noch heiß debattiert. Er bedeute viel mehr als nur der Zustand der ehemaligen Kolonien, nach dem offiziellen Ende der Kolonialherrschaft. Es gehe um die darüberhinaus wirkenden kolonialen Strukturen bis in die Gegenwart. Dabei sei es erstmal wichtig zu verstehen, dass westliche Geschichten unmöglich zu erzählen wären, ohne das die Geschichte kolonisierte Länder erzählt werde. Eine postkoloniale Perspektive versuche Widerstandsformen gegen koloniale Herrschaft, ihre Konsequenzen und die Brüche und Wiedersprüche der Dekolonisierungsprozesse sichtbar zu machen. Insgesamt sei ein uniformes Verständnis von Postkolonialität wenig sinnvoll, da es sich je nach Kontext unterschiedlich äußere (Dhawan/ do Mar Castro Varela 2015: 15 – 16).
In Bezug auf Bremens Häfen würde eine postkolonialer Blick also versuchen sichtbar zu machen welche Fragmente des Kolonialismus bis heute dort agieren. Da wäre insbesondere die Selbstidentifikation über die Häfen und die wirtschaftlich erfolgreiche Vergangenheit, die erzählt wird, ohne Erwähnung der Geschichte der kolonisierten Länder. So erfolgte Bremens wirtschaftlicher Erfolg Ende des 18 Jahrhundert bis in die 1870er Jahre primär durch Welthandel anstatt durch Industrialisierung. Der Welthandel wurde über die Bremer Häfen abgewickelt und basierte auf Kolonialwaren, die durch die Plantagenwirtschaft mit versklavten Arbeitskräften erwirtschafte worden. Dieses Kapital spielt aber in der bremischen Geschichtsschreibung als glorreiche Hanse- und Handelsstadt quasi keine Rolle (Rössler 2016: 75-76). Durch die im transatlantische Dreieckshandel exportierten Kolonialwaren in Hansestädten machten Bremer Fernkaufleute als Zwischenhändler starken Profit (Rössler 2016: 78). Der transatlantische Dreieckshandel brach um die Jahrhundertwende zusammen. Daraufhin importierten Bremer Kaufleute die Kolonialwaren direkt als Stapelprodukte, die auf dem inzwischen illegalem Sklavenhandel beruhten ( Rössler 2016: 80- 82).
Um Teil des Kolonialhandels zu sein, egal in welche Position des Systems, war die Ausbeutung der indigenen Bevölkerung und die Entmenschlichung dieser nötig. Nur so konnte Kolonialismus und Raub von Land, Ressourcen und Wissen legitimiert werden. Koloniale Produkte wie Tabak wurden begehrte Konsummittel des europäischen Bürgertums. Diese konnten nur durch Sklaven – Plantagenarbeit kostengünstig produziert werden und so europäischen Ländern, Städten wie Bremen zu Reichtum verhelfen (Dhawan/ do Mar Castro Varela 2015: 26- 27). Auch Teil des postkolonialen Blickes ist die ökonomische bis heute andauernde Ungleichheit die durch den Kolonialismus eingeläutet wurde, als Voraussetzung des Wachstums des europäischen Industriekapitalismus (Dhawan/ do Mar Castro Varela 2015: 34).
Des weiteren waren Bremer Kaufleute stark am Profit beteiligt vom Transport von chinesische Vertragsarbeiter*innen, die anstatt von Sklaven in der zweiten Hälfte 1840 nach Amerika gebracht wurden. Sie waren mit ähnlich schrecklichen Bedingungen wie Sklaven konfrontiert (Rössler 2016: 93). Auch die bremische Firma W.A. Fritze & co die mit Zucker von Plantagen aus Kuba handelte war stark in den illegalen Sklavenhandel verstrickt (Rössler 2016: 102 – 103).
Bremens direkte Verwicklung in den Kolonialismus sollte durch diese aufgeführten Beispiele deutlich geworden sein. Nach der Kulturwissenschaftlerin Cordula Weißköppel sei die Aufarbeitung der deutschen Kolonialzeit durch die des Nazi Regimes überlagert worden. Bremen sei als Hafen- und Handelsstadt ein zentraler wirtschaftlicher Akteur gewesen. Durch Reedereien wie der Norddeutsche Lloyd wurden Schiffsverbindungen ausgebaut, die den kolonialen Handel erst ermöglichten und damit auch die Unterwerfung und Lieferung von Waffen. Postkoloniale Spuren seien also in Häfen, Reedereien oder Produkten wie Tabak und Kaffee zu finden. Laut Weißköppel ist eine postkoloniale Perspektive in der Bremer Bildungslandschaft noch nicht wirklich angekommen und die Aufarbeitung würde einzelnen NGO’s überlassen werden (Bilanceri 2019).
Abbildung 2: ehemaliges „Reichskolonialdenkmal“ – umbenannt in Antikolonialdenkmal: (https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/politik/aufarbeitung-deutscher-kolonialen-geschichte-bremen-namibia-herero-100.html (22.7.2020 16:28)
Nun habe ich einige Aspekte Bremens besonderer historischen Rolle im Kolonialismus erwähnt, um diese offen zu legen und ihre Bedeutung für die Gegenwart zu verstehen. Neben der schon angesprochenen Identifikation der Stadt über die Häfen und die wirtschaftlich erfolgreiche Vergangenheit existieren in Bremen auch noch wirtschaftlich starke Akteure die mit ehemaligen Kolonialwaren handeln und deren Macht sich auf einem ungleichen, ausbeuterischen Kolonialhandel aufgebaut hat. So spielen heute Baumwollakteure in Bremen weiterhin eine wichtige Rolle. Die ICA Bremen ist z.B. die letzte Instanz wenn es um die Qualitätssicherung von Baumwolle geht. Etwa die Hälfte des nach Deutschland gelieferten Kaffees kommt nach Bremen, die Bremer Röstereien sind ein wichtiger Wirtschaftszweig und Bremen betrachtet sich selbst als Deutschlands Kaffee Stadt. Doch eine kritischer Blickwinkel auf diese gestörte Identifikation findet selten statt (Ankerpunkte 2020) . Laut Achille Mbembe sei es die Aufgabe von postkolonialen Studien westliche Repräsentationsmuster zu durchbrechen. Diese seien nämlich dadurch charakterisiert, dass sie imperiale Machtbeziehungen ausblenden (Kerner 2012: 59). Dies habe ich in diesem Blogeintrag versucht, indem ich die Lücken der Bremer Geschichte was Kolonialismus betrifft angerissen habe und verdeutlich habe, dass wenn Bremens Identität so stark auf den Häfen beruht eine intensive Auseinandersetzung mit Kolonialismus dringend nötig ist.
Literatur
- Ankerpunkte (2020): https://ankerpunkte.ak-hafen.de (22.7.2020 16:22)
- Bilanceri, Serena (2019): Forscherin: Bremen muss seine Kolonialgeschichte besser aufarbeiten. In: buten un binnen online. Abrufbar unter: https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/politik/aufarbeitung-deutscher-kolonialen-geschichte-bremen-namibia-herero-100.html (Zugriff 22.7.2020 16:00)
- Bremen Erleben (2020): Freie Hansestadt Bremen. Abrufbar unter: https://www.bremen.de/freie-hansestadt-bremen (Zugriff 22.7.2020 16:00)
- Dhawan, Nikita/ do Mar Castro Varela, Maria ( 2015): Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung. 2., komplett überarbeitete und erweiterte Auflage. In: Cultural Studies Band 36. Bielefeld: transcript Verlag
- Hethey, Frank (2018): Als Bremen „Stadt der Kolonien“ sein wollte. In: Weser Kurier Geschichte Online. Abrufbar unter: https://wkgeschichte.weser-kurier.de/als-bremen-stadt-der-kolonien-sein-wollte/ ( Zugriff 22.7.2020 16:00)
- Kerne, Ina (2012): Postkoloniale Theorie – zur Einführung. Hamburg: Junius Verlag GmbH
- Rössler, Horst (2016): Bremer Kaufleute und die transatlantische Sklavenökonomie 1790 – 1856.
Bildquellen
- Bild 1: https://wkgeschichte.weser-kurier.de/als-bremen-stadt-der-kolonien-sein-wollte/ (22.7.2020 16:28)
- Bild 2 : https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/politik/aufarbeitung-deutscher-kolonialen-geschichte-bremen-namibia-herero-100.html (22.7.2020 16:28)
Kennt eigentlcih jemand von der postkolonialen Theorie inspirierte Literatur zu Häfen und maritimer Kultur?
Spannend sind auch nicht nur die kolonialen Spuren, die auf die Vergangenheit verweisen, sondern die anhaltenden neokolonialen Machtverhältnisse. Wem fallen dafür Beispiele ein?