Aufarbeitung der Bremer Kolonialgeschichte

Bremen spielte eine wichtige Rolle im deutschen Kolonialismus. Bremer Kaufleute wie Adolf Lüderitz und Heinrich Vogelsang waren stark in den Kolonialhandel involviert. Außerdem war Bremen als Hafenstadt generell ein zentraler wirtschaftlicher Akteur (buten un binnen 2019) und Umschlag- und Veredlungsort von kolonialen Waren wie Baumwolle, Kaffee und Tabak. Der vom Bremer Hermann Heinrich Meier (nach dem bis heute die H.-H.-Meier-Allee benannt ist) mitgegründete Norddeutsche Lloyd (baute außerdem die Verbindung nach West- und Südafrika aus und legte damit die Basis für die systematische Unterwerfung der dortigen Bevölkerung (buten und binnen 2019). Daher war es kein Zufall, dass im Jahr 1931 das Reichskolonialehrendenkmal (Gustafsson 2003: 308)  – heute das Antikolonialdenkmal – in Bremen errichtet wurde. Während des NS-Regimes trug Bremen sogar den Titel „Stadt der Kolonien“, was der Bedeutung der Stadt im deutschen Kolonialismus Ausdruck verleihen sollte. Im Folgenden wird der Stand der Aufarbeitung der Bremer Kolonialvergangenheit dargestellt, wobei der besondere Fokus auf dem „Bremischen Erinnerungskonzept Kolonialismus“ liegt.

Anfänge der Aufarbeitung

Seit den 1970/80ern haben sich bremische Kultureinrichtungen, allen voran das Übersee-Museum mit dem Thema der deutschen und bremischen Kolonialgeschichte beschäftigt. Neben dem Staatsarchiv wirkte das Übersee-Museum beispielsweise an der Entstehung des Buchs „Weiß auf schwarz. 100 Jahre Einmischung in Afrika. Deutscher Kolonialismus und afrikanischer Widerstand“ (Bremische Bürgerschaft 2018) mit. In den 1980ern engagierten sich zudem Gruppierungen wie die Anti-Apartheid-Bewegung und das Namibia Projekt (Gustafsson 2003: 429) in der Thematik und somit wurden breite Bremer Bevölkerungsschichten mit der Rolle Bremens im Kolonialismus konfrontiert. Diskurse über die Verantwortung und den Umgang Bremens mit seiner Geschichte keimten auf. Der zentral in der Stadt stehende Elefant geriet immer stärker in den öffentlichen Diskurs und die Bürgerschaft beschloss im Jahr 1989 auch im Kontext der europäischen Aktion „Städte gegen Apartheid“ das Denkmal in ein Antikolonialdenkmal umzuwidmen. Im März 1990 erlangte Namibia dann die Unabhängigkeit und Bremen „feierte“ mit. Seit dem Jahr 2001 ist Bremen eine Partnerstadt von Namibias Hauptstadt Windhoek.

„Bremisches Erinnerungskonzept Kolonialismus“

Im Februar 2016 beschloss die Bremische Bürgerschaft auf Antrag des Bündnis 90/Die Grünen und der SPD ein „Bremisches Erinnerungskonzept Kolonialismus“. Der Antrag nahm insbesondere Bezug auf den Völkermord an den Herero und Nama in den Jahren 1904 bis 1908. Das damalige Gebiet der Herero und Nama hatte der bereits erwähnte Adolf Lüderitz durch einen unlauteren Vertrag im Jahr 1884 in Besitz genommen. Beim Genozid wurden ca. 85.000 Herero und Nama (Spiegel 2015) von deutschen Truppen getötet. Lange Zeit hatte die deutsche Bundesregierung keine Stellung zu diesen Verbrechen genommen und im Jahr 2012 sogar ein

Abbildung 1: Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und SPD zum Bremischen Erinnerungskonzept Kolonialismus. Quelle: Bremische Bürgerschaft 2016

en Völkermord negiert.  Erst im Jahr 2015, mehr als 100 Jahre nach den Gräueltaten, sprach die deutsche Bundesregierung erstmals von einem „Kriegsverbrechen und Völkermord“ (Spiegel 2015). Entschädigungs-zahlungen lehnt die Bundesrepublik allerdings weiterhin ab.

Erklärtes Ziel des Bremischen Erinnerungskonzept Kolonialismus ist die Aufarbeitung der Rolle Bremens im deutschen Kolonialismus und der bis in heute bestehenden Folgen. In Folge der Annahme des Antrages wurde eine Gesprächsrunde unter dem Namen „Koloniales Erbe“ initiiert, die in den Jahren 2017 bis 2019 insgesamt vier Mal stattfand. In diesen Gesprächs-runden wurde u.a. der Status Quo der Aufarbeitung, Bildungs- und Auf-klärungsangebote von Bremer Akteur*innen, die zukünftige Bildungspolitik und viele weitere Punkte besprochen und dokumentiert. In den Gesprächsrunden sind durchaus viele gute Handlungs-ansätze und Handlungsempfehlungen entstanden, jedoch wurde für deren Um-setzung kein konkreter Zeitplan erstellt. Auch eine Überprüfung der angestrebten Ziele fehlt.

Straßennamen

Ein Aspekt, der ebenfalls im Bremischen Erinnerungskonzept niedergeschrieben und oftmals medial diskutiert wird, ist das Thema der Straßennamen. Einige Bremer Straßen sind bis heute nach Personen benannt, die sich durch den deutschen Kolonialismus bereicherten und/oder brutale Verbrechen in dieser Zeit begingen. Bekanntestes Beispiel ist vermutlich die „Lüderitzstraße“ im Bremer Stadtteil Schwachhausen. Gemeinsam mit dem ebenfalls aus Bremen stammendem Heinrich Vogelsang – nach dem bis heute ebenfalls eine Straße benannt ist – war Lüderitz der erste deutsche Landbesitzer in der deutschen Kolonie Deutsch-Westafrika, dem heutigen Namibia. Bereits seit den 1970ern (Taz 2015, Gustafsson 2003) gab es Bestrebungen zur Umbenennung der Straße, die bis zum jetzigen Zeitpunkt aber keinen Erfolg hatten. Im Jahr 2018 wurde erneut intensiv über eine Umbenennung diskutiert, jedoch wehrten sich gegen diese Veränderung vor allem die Anwohner*innen der Straße. Allgemein ist die Umbenennung einer Straße ein sehr langwieriger Prozess, bei dem den Bewohner*innen viel Mitspracherecht eingeräumt wird. Ein neuer Straßennahmen hat für die dort wohnenden Menschen relativ weitreichende Folgen, so müssten alle Ausweisdokumente geändert werden (was natürlich Kosten verursacht) als auch die neue Adresse im Umfeld der Anwohner*innen bekannt gemacht machen. Aufgrund des Widerstandes der  Anwohner*innen behielt die „Lüderitzstraße“ ihren Namen. Als ein Kompromiss bzw. ein Schritt der Aufklärung wurden unter den Straßenschildern jedoch Tafeln angebracht, die über den Namensgeber und dessen Verbrechen informieren.

Abbildung 2: „Lüderitzstraße“ im Stadtteil Schwachhausen. Quelle: Weser Kurier 2020 (Foto: Petra Stubbe)

Ein solches Anbringen von Infotafeln wurde auch bei weiteren Bremer Straßennamen angewandt, so etwa bei der Hedwig-Heyl-Straße (Mitbegründerin des Frauenbundes im deutschen Kolonial-verein) oder auch bei der H.-H. Meier-Alle. Eine weitere Straße, die zwar nicht umbenannt, aber zumindest umgewidmet wurde, ist die Karl-Peters-Straße im Stadtteil Walle. Karl Peters (eigentlich Carl Peters) war ein deutscher Publizist und gilt als Gründer der Kolonie Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Gebiet von Tansania, Burundi, Ruanda und Mosambik. Eigentlich sollte die Straße umbenannt werden, allerdings sprachen sich bei einer Anwohner*innenbefragung nur 18 Anwohner*innen für und 36 Anwohner*innen gegen die Umbenennung aus (Weserkurier 2010). Und dies obwohl der sozialdemokratische Innensenator Mäurer die kostenlose Änderung der Ausweisdokumente versprochen hatte.

Museen und Lehrpläne

Abbildung 3: Übersee-Museum Bremen. Quelle: Mussen in Bremen (Foto: Matthias Haase)

 

Über die infrastrukturellen Verbindungen zu den kolonisierten Gebieten sind auch unzählige kulturelle Objekte nach Europa und speziell nach Bremen verschifft worden (buten un binnen 2019), so dass auch heute noch ethnografische Sammlungen in Bremen zu finden sind, wie etwa im Übersee-Museum. Das 1896 eröffnete Museum trug auf Beschluss des Bremer Senats in der Zeit zwischen 1935 – 1945 sogar den Namen „Deutsches Kolonial und Übersee-Museum“.

Rund 70 % der ethnologischen und naturkundlichen Sammlungen des Übersee-Museums (Weser Kurier 2018) stammen aus den ehemaligen deutschen Kolonien. Im Übersee-Museum sind seit ein paar Jahren allerdings durchaus Bemühungen und auch konkrete Taten in der Aufarbeitung der eigenen kolonialen Vergangenheit und kolonialen Vergangenheit Bremens wahrzunehmen.  Seit 2016 untersucht das Museum in einem vierjährigen Projekt gemeinsam mit drei Forschenden der Universität Hamburg die Herkunft und Geschichte der Sammlungen aus Kamerun, dem ehemaligen Deutsch-Ostafrika (dem heutigen Tansania, Ruanda und Burundi) und Deutsch-Südwestafrika (dem heutigen Namibia). Außerdem finden seit ein paar Jahren Museumgespräche, Vorträge und Ausstellungen zum Thema deutscher Kolonialismus statt. Eine digitale Ausstellung, die ihr noch bis November 2020 sehen könnte ist „Aus den Augen? Postkoloniale Fragemente“.

Studierende der Universität Bremen treten mit einer Figur aus einer ehemaligen deutschen Kolonie in Ozeanien in den Dialog und die Gruppe der Studierenden hinterfragt kritisch die koloniale Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (Übersee-Museum). Auch andere Bremer Museen haben sich mit der Kolonialvergangenheit auseinandergesetzt, so hat sich die Kunsthalle Bremen im Jahr 2017 mit der Ausstellung „Der blinde Fleck. Bremen und die Kunst in der Kolonialzeit“ der Herkunft von ihren Kunstgegenständen und deren kolonialen Zusammenhängen gewidmet. Laut der Bremer Wissenschaftlerin Cordula Weißköppel konzentriert sich beispielsweise das Hafenmuseum eher auf die nachkoloniale Ära (buten und binnen 2019) und die „Verstrickung der Hafenentwicklung mit dem Kolonialismus“ (buten und binnen 2019) wird eher vernachlässigt (Stand 2019). Cordula Weißköppel kritisierte ebenfalls, dass Bremens Rolle im deutschen Kolonialismus im Lehrplan der Bremer Schulen nicht explizit auftauche. Im aktuellen Bildungsplan für die gymnasiale Oberschule (Sekundarbereich II) etwa ist nur an einer Stelle von der „Dekolonialisierung“, dessen Untersuchung von Entstehung und Verlauf „in besonderem Maße zu einem Verständnis der Gegenwart bei[trägt]“ (Landesinstitut für Schule Bremen) die Rede und im vorherigen Sekundarbereich I taucht das Thema Kolonisierung gar nicht auf.

Akteure

In Bremen gibt es eine Vielzahl an Gruppierungen und Akteuren, besonders auch zivilgesellschaftliche, die sich in der Aufarbeitung und der Sichtbarmachung der Bremer Kolonialvergangenheit und Gegenwart engagieren. Beispiele sind das Afrika Netzwerk Bremen, Der Elefant oder auch die Organisation Decolonize Bremen, die Spaziergänge durch Bremen veranstaltet und so auf die kolonialen Spuren aufmerksam macht.

Aktueller Stand und Bewertung

Im aktuellen Koalitionsvertrag des Bremer rot-grün-roten Senats ist nur an einer Stelle von der Kolonialzeit die Rede und das bereits bestehende Erinnerungskonzept wird erwähnt. Darüber hinaus wird auf das Fehlen eines zentralen Erinnerungsortes für die Opfer des Kolonialismus hingewiesen und mehr oder weniger der Plan für die Etablierung eines solchen Zentrums im Nelson-Mandela-Park angekündigt, der allerdings im vagen „Wir wollen“ Stil verbleibt (Koalitionsvereinbarung 2019).

Im „Bremer Erinnerungskonzept Kolonialismus“ kann ein durchaus ein politischer Wille zur Aufarbeitung gesehen werden, jedoch ist deutlich zu sagen, dass der Großteil der Aufarbeitungsarbeit allerdings von zivilen Akteur*innen geleistet wird. Cordula Weißköppel stellte im vergangen Jahr fest, dass sich Bremen allgemein in der Aufarbeitung noch schwer tut (buten un binnen 2019). Der Anfang ist gemacht, aber die Aufarbeitung der dunklen Bremer Vergangenheit hat gerade erst begonnen.

Literatur:

 

4 Gedanken zu „Aufarbeitung der Bremer Kolonialgeschichte

  1. Danke für den informativen Überblick! Gibt es denn auch Beispiele für erfolgreiche Straßenumbenennungen, aus denen man etwas lernen kann? Hat sich das Erinnerungskonzept bisher bewährt? Hat es nach seiner Verabschiedung politisch nochmal eine Rolle gespielt? Wie wirkt sich die aktuelle Politisierung des Kolonialismus in Bremen aus?

    • Ja erfolgreiche Beispiele für Straßenumbenennungen gibt es durchaus. So wurde etwa in München im Jahr 2006 die „Von-Trotha-Straße“ in die Hererostraße umbenannt. Der ehemalige Namensgeber General von Trotha hatte den Vernichtungsbefehl für den Völkermord an den Herero und Nama gegeben. Ein geographisch näheres Beispiel ist die Umbenennung der ehemaligen „Hedwig-Heyl-Straße“ in Oldenburg, die seit 2015 den Namen „Hilde-Domin-Straße“ trägt, obwohl sich der Großteil der Anwohner*innen gegen die Umbenennung ausgesprochen hatte. Die Entscheidung pro Umbenennung des Oldenburger Stadtrates setzte sich aber letztendlich durch.

      Es ist nicht ganz einfach zu sagen, ob sich das Bremer Erinnerungskonzept bisher bewährt hat, da eine „offizielle“ Evaluation fehlt. Meiner Einschätzung nach hat das Erinnerungskonzept größtenteils aber durchaus Erfolge in der Aufarbeitung erzielt. So wurden sehr viele Straßenschilder mit kolonialem Zusammenhang mit Legenden versehen, im Übersee-Museum gibt es einen Kolonialismus Ausstellungsschwerpunkt und der Völkermord an den Herero wurde von der BRD offiziell anerkannt, wobei ich nicht weiß, inwiefern Bremen dabei eine Rolle gespielt hat. Das Konzept spielte nach seiner Verabschiedung politisch jedoch nicht mehr wirklich eine Rolle. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass sich der Stadtstaat zumindest teilweise etwas auf dem Konzept „ausruhe“.

  2. Sehr interessanter Beitrag Franzi!

    Zur Aufarbeitung der bremischen kolonialen Vergangenheit hätte ich eine Frage. Und zwar würde mich interessieren, ob es auch irgendwelche Konzepte oder Bestrebungen gibt, koloniale Taten nicht nur aufzuarbeiten sondern auch (sofern möglich) “rückgängig” zu machen? Natürlich wird es ein “zurück” in dem Sinne nie geben, doch könnten beispielsweise Gegenstände aus den Sammlungen der Museen an die ehemaligen Kolonien zurückgegeben werden. Oder gibt es Bestrebungen, beispielsweise den Bildungsplan zu ändern und das Thema Kolonialismus präsenter zu gestalten? Bist du da bei deiner Recherche auf etwas gestoßen?
    Ich finde, dass die reine Aufarbeitung und das Feststellen von Fehlern bei diesem brisanten Thema einfach nicht genügen. Dies kann eigentlich nur ein erster Schritt sein, danach muss noch mehr passieren. Wie beispielsweise das Ändern von Straßennamen o.ä..

  3. Ein wichtiger Punkt, den du ansprichst Timo! In Bezug auf die Rückgabe von Sammlungsgegenständen aus Bremer Museen an ihre Herkunftsländer bin ich auf eher zurückhaltende Pläne gestoßen. Der Deutsche Museumsbund hat im Jahr 2018 den Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten herausgegeben, (https://www.museumsbund.de/wp-content/uploads/2018/05/dmb-leitfaden-kolonialismus.pdf) an dem auch die Direktorin des Übersee-Museums Bremen Wiebke Ahrndt mitgewirkt hat. Im Leitfaden heißt es, dass im Diskurs mit den Herkunftsländern “keineswegs immer nur um Rückgabe, sondern meist um Beteiligung, Einbindung, Aushandlungsprozesse, Deutungshoheit und um Wissenstransfer” geht. Wiebeke Ahrnt hat in einem Interview 2018 aber auf jeden Fall signalisiert, dass die Bereitschaft zur Rückgabe im Übersee-Museum grundsätzlich da ist. Das Problem an der Rückgabe von den oft gestohlenen Kulturgütern ist allerdings auch die Beweislast, die auf der Seite der Herkunftsländer liegt. D.h. wenn nicht bewiesen werden kann, dass der Gegenstand unrechtmäßig erlangt wurde, so gilt er als rechtmäßig und fair erworben.
    Allerdings muss man aber auch sagen, dass sich in der Rückgabe-Debatte schon einiges getan hat. 1976 hatte sich der damalige Direktor des Übersee-Museums Herbert Ganslmayr öffentlich für die Rückgabe von unrechtmäßig erworbenen Gegenständen im kolonialen Kontext ausgesprochen und ihm schlug daraufhin eine Welle der Ablehnung vom Rest der deutschen Museumslandschaft entgegen. Heutzutage besteht tendenziell ein vorsichtiger Konsens zur Rückgabebereitschaft.
    Was die Bremer Bildungspläne angeht bin ich auf gar kein Änderungbestreben gestoßen, allerdings geben die Informationen hier auch nicht so viel her.

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