Ist YouTube das ideale Werkzeug für interessenesbasiertes Lernen?
Prof. Mizuko (Mimi) Ito ist Kulturanthropologin am Humanities Research Center der University of California in Irvine, USA. In dem Buch „Hanging out, Messing Around, and Geeking Out“ (Open Access) beschreibt sie mit Kolleginnen, wie Jugendliche heute außerhalb formaler Bildungssysteme mit digitalen Medien lernen.
In meinem Interview mit ihr weist sie eindringlich darauf hin, dass der Digital Divide nicht durch einen bloßen digitalen Zugang aufgehoben wird:
„Lernen mit Onlinevideos ist ein mögliches Medium, um die Lernmöglichkeiten von Jugendlichen mit einem niedrigen Bildungshintergrund zu erweitern. Allerdings nur, wenn es Unterstützungsangebote, Lerngemeinschaften und Kontexte gibt, welche das aktive Lernen unterstützen. Die Forschung macht sehr klar, dass es nicht ausreicht, freie Online-Ressourcen bereitzustellen. Junge Menschen brauchen Gründe und auch Unterstützung, um sich mit Themen auseinanderzusetzen, welche ihnen fremd sind. Die Forschungsevidenz wächst, dass es gerade die bereits hochgebildeten und ökonomisch privilegierten Lernenden sind, welche die freien und offenen Bildungsressourcen nutzen, nicht aber die weniger privilegierten Jugendlichen.“ – Mimi Ito
Mimi Ito sieht enorme Potentiale auch in kommerziellen Platformen wie YouTube, erläutert aber in dem Interview, welche Probleme die starke Kommerzialisierung dieser Plattformen mit sich bringen. Schließlich sind es in vielen Subkulturen ganz andere Plattformen, in denen sich online das Lernen abspielt.
Ist YouTube gut für die Bildung?
Ein weiteres Highlight (ok, es waren viele Highlights in dem Buch für mich) war es, mit Prof. Neil Selwyn von der University Monash in Melbourne, Australien über Erklärvideos auf YouTube zu sprechen. Neil ist bekannt für seinen kritischen Blick auf Bildungstechnologien – was man anhand der Titel seiner Bücher unproblematisch erkennen kann:
In dem Interview erörtere ich mit Neil, inwieweit die Liste der Suchresultate auf YouTube eine Art algorithmisches Curriculum darstellen und ob nicht die YouTube Algorithmen eher kommerziell als bildungsorientiert sind und welche Anforderungen das an die Benutzer/innen stellt:
„Sicherlich sind einige Nutzer/innen so versiert, dass sie die Logik hinter solch einem System durchschauen und zwischen echten bzw. hilfreichen Suchergebnissen und von Werbepartnern hervorgehobenen Suchergebnissen unterscheiden. Andere Nutzer/innen aber auch gerade nicht. Das wäre sicherlich auch eine wichtige Aufgabe für die Medienbildung, aber das würde m.E. das Problem auch nur wieder den Individuen aufbürden. Ich denke, dass es Aufgabe der Plattformen sein sollte, da transparenter zu agieren. Hier sollten YouTube, Amazon und Co. im öffentlichen Interesse agieren.“ – Neil Selwyn
Im weiteren Verlauf des Interviews frage ich Neil Selwyn nach einer möglichen YouTube-Logik für die Produktion von Videoinhalten und ob diese dem eigentlichen Bildungsanspruch zuwiderlaufen:
„Ich behaupte nicht, dass das [die Videologiken] die verfolgten Bildungsziele beschädigt, aber es lenkt von speziellen Arten des Lernens, des Wissens und der Kommunikation ab. Alles in allem ist YouTube sehr vielfältig – genauso, wie wir online die Wiedergeburt »langer « (Text-)Artikel mit fünf bis sechstausend Wörtern beobachten, gibt es mittlerweile auch längere Videos, auch weil die Plattformen sie zulassen.“ – Neil Selwyn
Im weiteren Verlauf des Interviews beschäftigen wir uns mit der These, freie Angebote würden zu einer „McDonaldisierung“ der Bildung führen, ob meine und Mimi Itos positive Sicht auf das Geeking Outs (interessenbasiertes vertieftes Lernen) doch zu sozialromantisch ist und schließlich, welche anderen Potenziale er sieht. Für Neil Selwyn zieht er m.E. nach ein recht positives Urteil im Gegensatz zum Bildungsfersehen! Kritische Anmerkungen gibt es dabei neben der Kommentarkultur auch – Achtung Nachhaltigkeit – für den hohen Ressourcenverbrauch von Videostreaming.
Alles im Detail ab dem 8. April nachzulesen: