Erklärvideos und Videotutorials sind praktisch, wenn man im Moment eine Erklärung braucht, wie etwas funktioniert oder wie man etwas macht. Woran macht man nun aber die Qualität solcher Videos fest? In unserem Buch haben wir dazu einige Experten/innen zu Wort kommen lassen.
Zur Lernpsychologie von Erklärvideos
Prof. Florian Schmidt-Borcherding leitet das Arbeitsgebiet „Empirische Lehr-Lern-Forschung und Pädagogische Psychologie“ an der Universität Bremen stellt in seinem Beitrag die Frage, ob Videos das Lernen aus Texten gleichwertig ersetzen bzw. sogar besser sein können? Alle, die sich mal kompakt den aktuellen Theoriestand vergegenwärtigen wollen, wird hier geholfen. Zunächst die Theorie der Dualen Kodierung beim Lernen aus Texten
„…es geht in der Regel immer um eine Ergänzung sprachlich-symbolischer Information durch Visualisierungen, nicht darum, den Text durch Bilder zu ersetzen! Zwar wird gerne das chinesische Sprichwort zitiert, nach dem ein Bild mehr wert sei als tausend Worte (…). Im Sinne der Theorie der dualen Kodierung ist ein Bild aber nur dann etwas wert, wenn es auch mit (tausend) Worten erklärt wird.“ – Florian Schmidt-Borcherding
Dann gilt es die Kognitive Theorie Multimedialen Lernens (KTML) zu berücksichtigen, demnach
„…sollten alle Maßnahmen positiv sein, die die gleichzeitige Organisation und Integration zusammengehöriger sprachlicher und bildlicher (also: multimedialer) Informationen unterstützen bzw. die (sensorischen) Kosten der Selektion multimedialer Informationen niedrig halten: Die Nähe zwischen geschriebenem Text und Abbildungen (räumliches Kontiguitätsprinzip), die gleichzeitige Darbietung von (geschriebenem oder gesprochenem) Text mit zugehörigen Abbildungen (zeitliches Kontiguitätsprinzip), die Nutzung (sprachlicher und/oder visueller) Hinweisreize für die Verknüpfung sprachlicher und bildlicher Informationen (Signalisierungsprinzip) und das Weglassen von unnötigen Informationen (Kohärenzprinzip).“ – Florian Schmidt-Borcherding
Wenn man nun das Lernen aus Texten mit dem Lernen aus Erklärvideos vergleicht, sind nach Florian Schmidt-Borcherding fünf Aspekte von Bedeutung:
(1) die Möglichkeiten und Grenzen statischer und dynamischer Visualisierungen
(2) die Komplexität der Verknüpfungen von sprachlichen und visuellen Informationen
(3) die Flüchtigkeit von dynamischen Informationen (beim Anschauen von Videos)
(4) die Anwendung von Lernstrategien beim Lesen vs. Zuschauen
(5) individuelle Unterschiede der Lernenden
Alles wunderbar zugänglich nachzulesen, wirklich ein tolles Beispiel für verständliche Wissenschaftskommunikation mit hohem Transferpotential.
Didaktische Kriterien für gute Erklärvideos
Ebenfalls an der Universität Bremen forscht der habilitierte Physik- und Deutschlehrer Christoph Kulgemeyer als Privatdozent am Institut für Didaktik der Naturwissenschaften zu Erklärporzessen im naturwissenschaftlichen Unterricht. Er stellt in unserem Buch den unserer Kenntnis nach einzigen empirisch validierten Kriterienkatalog für die didaktische Qualität von (natur-)wissenschaftlichen Erklärvideos.
Christoph Kulgemeyer beschreibt in dem Beitrag 14 Kriterien für die didaktische Gestaltung von Erklärvideos: Adaption an Vorwissen, Fehlvorstellungen und Interesse; Einbindung von Beispielen; Nutzung von Analogien und Modellen; Veranschaulichung durch Darstellungsformen und Experimenten; Anpassung der Sprachebene; Anpassung des Mathematisierungsgrads; Prompts zu relevanten Inhalten; Direkte Ansprache der Adressaten; Regel-Beispiele für Fachwissen und Beispiel-Regel für das Lernen von Routinen; Zusammenfassungen geben; Exkurse vermeiden; Hohe Kohärenz des Gesagten; nur neue Prinzipien erklären, welche zu komplex für die Selbsterklärung sind; Anschließende Lernaufgaben.
Wenn man sich das im Detail durchliest, wird einem schnell klar, dass die Adaption an das Gegenüber beim Erklären mit die wichtigste Rolle für das Verstehen spielt. Das kann ich natürlich im Erklärvideo (= Aufnahme; keine direkte Interaktion) gerade nicht leisten. Die Rezipienten müssen also die passenden Videos selbst auswählen (siehe auch meine These der selbstselektierenden Adressatenschaft dazu) – allerdings können dabei Probleme entstehen:
„Schüler/innen wissen natürlich, welches Video sie mögen – aber das ist nicht unbedingt das Video, das eine fachlich richtige oder individuell angemessene Erklärung für sie beinhaltet. In der Literatur ist die »Verstehensillusion« als wichtige Hürde beschrieben worden (z. B. Chi/Bassok/Lewis/ Reimann/Glaser 1989). Das bedeutet: Manchmal glaubt man, etwas verstanden zu haben, merkt aber, wenn man das Wissen verwenden soll, dass das gar nicht der Fall ist. Schüler/innen brechen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit aber die Suche nach einem guten Video ab, wenn sie glauben, etwas verstanden zu haben – auch wenn das nicht der Fall ist.“ – Christoph Kulgemeyer
Was macht ein gutes Erklärvideo aus?
Dr. Sandra Schön und Univ.-Doz. Dr. Martin Ebner von der TU Graz haben ja die wirklich gelungen Praxis-Handreichung „Gute Lernvideos …so gelingen Web-Videos zum Lernen!“ veröffentlicht. In ihrem Beitrag stellen sie kompakt die wichtigsten Formate sowie „Kniffe“ zur Produktion von Erklärvideos zusammen. Hilfreich ist auch ihre Ideensammlung für das Erstellen eines Lernvideos:
Lessons Learned bei der Erstellung von Erklärvideos
Ein weiteres Highlight ist mein Interview mit Lee LeFever, dem Gründer der Firma Common Craft, die am 30.05.2007 mit dem Video „Wiki in Plain English“ mein Interesse an Erklärvideos begründet haben.
Im Jahr 2013 hat Lee seine „Lessons learned“ in zehn Punkten zusammengefasst (nachzulesen in dem Buch The Art of Explanation):
(1) das Erklärziel früh zu nennen; (2) ein Problem zu lösen; (3) sich kurz zu fassen; (4) visuelle und auditive Ablenkung (»noise«) zu minimieren; (5) Visualisierungen zu nutzen; (6) Perfektionismus zu vermeiden; (7) langsam zu erklären; (8) zeitlose Beispiele zu wählen; (9) barrierefrei zu präsentieren und schließlich (10) Spaß zu haben! – Lee LeFever von Common Craft
In dem Interview unterhalten wir uns über darüber hinausgehende Erkenntnisse von Lee bei der Produktion von Erklärvideos seit Erscheinen des Buches. Einen ganz wichtigen Tipp, den ich zwar auch immer gebe, aber jetzt kommt er ja vom Meister persönlich:
„Deshalb ermuntere ich die Menschen, das Erklären zu üben, indem sie ein Skript für ein Video schreiben. Es kommt gar nicht darauf an, ob das Video jemals gedreht wird. Einfach die Ideen zu durchdenken und sie in einem Skript aufzuschreiben ist aufschlussreich und hilfreich. Es zwingt einen zu analysieren, was man weiß und was man nicht weiß über das Thema.“ – Lee LeFever
Alles im Detail ab dem 8. April nachzulesen:
Danke für diesen informativen und schön aufgearbeiteten Blog!