Romeo und Julia

Die Lehrerin erwartet von den ausländischen Mädchen der Klasse, dass sie Parallelen zu tatsächlich erfahrenen Schicksalen vieler Mädchen in ausländischen Kulturen entdecken, in denen Eltern über die Freundschaft ihrer Kinder bestimmen, ohne Ihnen selbst die Entscheidung zu überlassen. Die Verärgerung der Lehrerin über die ausgebliebenen Antworten offenbart ein vorurteilbehaftetes Verständnis ihrer Schülerin.

Muss ein türkisch stämmiges Mädchen auch türkisch denken? Gibt es überhaupt ein „typisch türkisches“ Denken? Können Lehrkräfte ihre ausländischen Schüler als Repräsentanten ihres Heimatlandes und vor allem auch als Vertreter der in der Öffentlichkeit verbreiteten Meinung sehen? In diesem Denken sehe ich meines Erachtens den Kern der Problematik zwischen der Lehrerin und der Schülerin.

Als Mitglied einer europäisch-deutschen Gesellschaft kann sich das Gedankengut des Heimatlandes von Menschen mit Migrationshintergrund ändern. Möglicherweise werden die Wertsysteme und Gedankengänge des Umfelds übernommen; zumindest aber werden sie davon beeinflusst oder geprägt. Warum sollte also eine Türkin in Deutschland einer Türkin in der Türkei entsprechen? Ohnehin ist es schwierig, Menschen vermeintlich typische Eigenschaften ihres Heimatlandes zuzuschreiben. So ist auch nicht jeder Deutsche gleich ein von Ordnung besessener Mensch.

Als Lehrkraft sollte man demnach reflektieren, wo man vorurteilbehaftet denkt, um ein ungerechte Behandlung von Schülern zu umgehen. Mithilfe von Romeo und Julia ist es durchaus möglich die Zwangsbestimmung von Eltern zu thematisieren, ohne dabei in ein Schubladendenken von aussereuropäischen Ländern abzurutschen.

 

Published in: on 22. April 2015 at 13:58 Comments (1)
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  1. on 24. April 2015 at 10:46 Luis Said:

    Ich glaube, dass die Lehrerin ihre Erwartungen nicht aus einer kulturrassistischen Annahme generiert haben muss, sondern sie lediglich erwartet hat, dass sich ihre türkischstämmigen SchulerInnen grundsätzlich der Situation in dem Herkunftsland ihrer Kultur bewusst sind und so eine höhere Kompetenz zu der Thematik haben. Sie hat lediglich erwartet, dass sie den Bogen schlagen vom Unterrichtsthema zu einer Realität, von der sie vllt zu unrecht annahm sie ihnen bewusster wäre als den anderen Schülern, die viel weniger Kontakt zu dieser Kultur haben. Die Lehrerin hat erwartet, dass sie sich kompetent mit dem Thema Zwangsheirat auseinandersetzen können, allein schon aus kultureller Nähe zu diesem Gedankengut. Auch wenn sie es selbst nicht vertreten sollten ist es ohne Zweifel existent, sollte ihnen bekannt sein und kann so als Gegenstand der interkulturellen Bildung gewählt werden.

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