Der Knopf (SL)

09-50-M1-T2: Tutorium 2 zu „Einführung in die Ethnologie“ | Tutor: Ben Baumgarten | WiSe 2023 | 6297811 | Elisa Schulte | Freier Text

 

Meine Finger schlossen sich um das kalte, runde Metall in meiner Tasche. Die Finger, die vor kurzem noch warme, zarte Haut berührt hatten. Ich fuhr über die Schnörkel die sich um die runde Wölbung in der Mitte zogen, sie erinnerten mich fast ein wenig an Blätter. Eigentlich hatte ich vor gehabt den kleinen, goldenen Knopf wieder an ihren Mantel zu nähen bevor sie fährt, doch im letzten Moment hatte ich mich anders entschieden. Vielleicht würde sie ja zurück kommen – was für ein dummer Gedanke! Wer kam schon für einen Knopf wieder? Außerdem gab es die Post – auch wenn sie sich immer geweigert hatte, dass ich ihr zeigte wie man einen Knopf annähte.

Als ich aus dem Bahnhof hinaustrat wehte mir der kalte Wind ins Gesicht. Schnell sprang ich in die Tram bevor sie ein paar Sekunden später los fuhr – meine Hand immer noch fest um den Knopf geschlossen.

 

Ich erinnerte mich an das erste Mal, als ich ihr den Knopf angenäht hatte. Wir kannten uns erst einige Tage, nachdem sie neu in den Ort gezogen war. Es war erstaunlich gewesen, dass ich sogar einen ähnlichen Knopf in meiner Box gefunden hatte, doch er stach immer noch unter den anderen heraus. Er war bestimmt einen halben Zentimeter größer und von der Farbe her auch nicht ganz gleich. Er hatte ein etwas helleres Gold und glänzte etwas abgestumpft. Schaute man genau hin fiel einem schnell auf, dass er fehl am Platz wirkte und nicht dazu passte. Doch sie meinte es würde ihr nichts ausmachen – das mache den Mantel nur besonders. Ich verstand nicht ganz was sie meinte. Hätte ich ihn nicht lieber weiter aufbewahren sollen, bis man einen passenderen Platz für ihn fand? Doch sie fand ihn dort perfekt, also lies ich ihn an seinem neuen Platz.

Ein bisschen erinnerte es mich immer an das erste Mal, dass ich sie gesehen hatte. Unsere Gegend war nicht so klein, dass es einem sofort auffiel wenn jemand Neues her gezogen war, doch bei ihr wusste ich sofort, dass sie nicht von hier war. Ich konnte nie wirklich meinen Finger drauf legen, ob es ihr Aussehen, ihre Gestik oder ihre Art zu reden war, aber irgendetwas hatte sie an sich was anders war und sie vielleicht sogar etwas seltsam wirken lies unter den anderen Leuten hier.

 

Zu Hause angekommen nahm ich den Knopf aus meiner Jackentasche und legte ihn in eine kleine Schale auf meiner Kommode, neben die Vase in der ein kleiner Strauß Veilchen langsam vor sich hin welkte. Ich warf noch einen kurzen Blick auf den Knopf und musste etwas schmunzeln, wie unpassend er nun an jedem anderen Ort als an ihrem Mantel wirkte.

 

Schon eine Woche nachdem ich ihr den Knopf angenäht hatte, kam sie wieder zu mir – er war erneut abgegangen. Ich war etwas überrascht, aber erklärte es mir damit, dass ich wohl einen alten Faden verwendet haben musste, obwohl er mir beim nähen eigentlich stabil vorkam. Sie hatte den angebotenen Tee dankend angenommen um sich von der kalten Oktober Luft aufzuwärmen und selbst nachdem ich den Knopf schon lange wieder angenäht hatte, saßen wir noch in meinem Wohnzimmer – mit inzwischen kaltem Tee. Und als es draußen schon dunkel war saßen wir immer noch zusammen, inzwischen eingekuschelt unter Decken.

Das nächste Mal als sie wieder kam, mit dem Knopf in der einen und ihrem Mantel in der anderen Hand, wunderte es mich nicht. Ich hatte nicht erwartet, dass der Knopf mit nur zwei Stichen sehr lange halten würde. Dies wiederholte sich noch ein paar Mal, bis wir uns auch so immer öfter trafen, bald schon jeden Tag, und irgendwann war sie so oft bei mir, dass man fast meinen konnte sie wäre bei mir eingezogen.

 

Doch jetzt, nach erst einem halben Jahr, musste sie schon wieder umziehen. Sie hatte versprochen sich bei mir zu melden, doch ich wusste, dass sie mich früher oder später vergessen würde. War es nicht immer so? Wenn man jeden Tag zusammen verbrachte, aus welchem Grund auch immer, sei es, weil man sich wirklich mochte oder wegen mangelnder Alternativen – die es in unserem Ort wirklich nicht zu genüge gab -, und sich dann nicht mehr sah, war der andere doch meist schnell vergessen.

 

Es war seltsam. Hatte sie am Anfang noch etwas unpassend unter den anderen Leuten hier im Ort gewirkt, erschien mir jetzt alles, was sich vorher so gut ineinander gefügt hatte, ohne sie unpassend. So wie mein Knopf ohne ihren Mantel.

 

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