Auswertung des bewegten Interviews

Die Methode ist neben der örtlichen Vielfalt durch die Bewegung sehr gut geeignet, um biografische Forschungen zu betreiben und alltägliche Tagesabläufe und die Beziehung von Menschen zu Orten und Objekten zu erfassen. Die Bewegung im Raum und die Verantwortung zu konkreten persönlichen Räumen zu führen wirken als Impuls und Motivation und nehmen mögliche Bedenken oder Hemmungen bezüglich der Befragung bzw. Erzählung. So gelangt die befragte Person in einen Erzählfluss, an dem ich als Forscher teilhaben und nebenbei beobachten kann. Dabei gibt die Ortswahl der Person einen Einblick in das subjektive Raumerleben, in denen die Orte und Gegenstände selbst zu Akteuren und „anregenden Konversationspartnern“ werden (Keding/ With 2014: 133). Diese würden im klassischen Interviewsetting an einem Ort womöglich ausgelassen werden, weil der konkrete Impuls durch die direkte räumliche Wahrnehmung gefehlt hätte. Es gibt während dem Interview zwar ab und zu Pausen, die Stille währenddessen empfinde ich ab nicht als unangenehm, da die Person in Erinnerungen schwelgt und sich an weitere Teile ihrer Vergangenheit erinnert.

Mir wurde durch das bewegte Interview Zugang gewährt zu individuellem Erfahrungs- und Praxiswissen einer Person von einer Region, in der ich mich sonst nicht aufhalte. Ich erfuhr, wie eine Person welche Qualitäten bestimmten städtischen Räumen im Verhältnis zum gesamten Stadtraum zuschreibt (Keding/Weith 2014: 132).

Da die befragte Person in Findorff geboren und aufgewachsen ist, hat sie zu dem Stadtteil eine tiefe Bindung. Urbanistisch gesehen wäre der Hauptbahnhof die Mitte des Geschehens. Für sie ist jedoch Findorff das Zentrum, welches sie nur aus studien-, berufstechnischen oder wenigen freizeitlichen Aktivitäten verlässt. Sie verbindet den Stadtteil mit vielen Erinnerungen an ihre Vergangenheit, die noch bis jetzt reichen.

Als ersten Ort erwähnt sie eine Eisdiele als Treffpunkt mit Familienmitgliedern und Freunden, die sie sowohl in der Vergangenheit als auch heute noch besuchen und dort als Stammgast bekannt sind. Familie ist für sie ein zentraler Begriff, der sich durch das gesamte Interview zieht und der Beweggrund für jegliches Handeln oder Nicht-Handeln ist: Eltern, Großeltern, Partner, dazu auch Freunde. Sie sind ihre erste Priorität und ihr Zuhause. Obwohl sie in eine eigene Wohnung gezogen ist, die nicht weit entfernt und zu Fuß gut und schnell erreichbar ist, benennt sie das Elternhaus, in dem ihr ehemaliges Zimmer bereits umgestaltet wurde, als „Zuhause„. Es dauere ihrer Meinung nach sehr lange, um einen anderen Ort als den Ort des Aufwachsens als Zuhause zu bezeichnen. Dennoch habe sich die „häusliche Umgebung“ seit ihrem Auszug geändert und sie ist gleichzeitig verwundert darüber, dass sie ihre Eltern trotz der Nähe nicht so regelmäßig sieht wie erwartet. Das Leben in einer neuen Wohnung in einem fremden Haus ist wesentlich anonymer durch die unübersehbar vielen Parteien, wodurch es selten dazu kommt, seine Nachbarn wirklich kennenzulernen. Im Vergleich dazu erlebt sie die Umgebung des Elternhauses und damit ihrer Vergangenheit wesentlich schöner durch Elemente wie Nachbarschaft, Gemeinschaft und die familienfreundliche und bunte Umgebung.  Für die Zukunft könnte sie sich auch vorstellen außerhalb von Bremen zu ziehen, jedoch nur in der direkten Umgebung wie in einer Vorstadt. Die Familie ihres Partners wohnt dort nicht allzu weit entfernt, weshalb sie sie regelmäßig mit dem Auto besuchen fahren. Die Ruhe und der viele Platz wären ein Argument für sie, aus Findorff in so eine Vorstadt zu ziehen. Es wäre allerdings auch die maximale Distanz, die sie zwischen sich und dem Rest ihrer Familie in Findorff haben möchte. Eine Ausnahme wäre dabei ein verlockendes  Arbeitsangebot in der Umgebung von Bremen bis Hamburg, ansonsten würde sie aus Bremen nicht komplett weg ziehen. Dazu ist ihre innere Verbundenheit mit dem Stadtteil zu eng.

Ein weiterer entscheidender Moment in ihrer Vergangenheit ist das Freiwillige soziale Jahr in einer Kinderkrippe in der Nähe ihres Elternhauses: Selbst die Erinnerungen an den Weg, den sie den Tag gegangen ist und wir nun auch, sind romantisiert. Sie verbindet viele schöne Momente der Gemeinschaft mit diesem Ort und empfindet selbst nach dieser langen Zeit noch Nähe, welche auch räumlich noch besteht. Viele der Kinder kennt und erkennt sie und wird von ihren Eltern erkannt, welches ihr immer wieder ein Gefühl des Wohlbefinden. Durch Babysitting muss sie oft noch bei der Krippe und ihrem eigene Kindergarten vorbei gehen, was positive Erinnerungen weckt. Allgemein wirkt  sie glücklich und zufrieden in vertrauter Umgebung, verlässt diese vermutlich aber auch nicht so gern. Auf einer Karte eingezeichnet würden ihre alltäglichen Routen immer wieder über die gleichen Wege laufen: Sie geht in der Regel die gleichen Wege im Alltag, um auf schnellsten Weg das Ziel zu erreichen und besucht dabei immer die gleichen „spezielle Plätze“. Seit kurzer zeit hat sie aber wieder neue Orte durch eine Freundin kennengelernt, die in dem Stadtteil neu und dadurch viel erkundet. Außerdem würden ihre Großeltern mittlerweile öfters im Bürgerpark spazieren und einkehren, wodurch sie nun auch öfters dort ist.

Gleichermaßen wichtig lautet der Aspekt der Mobilität: Ihr Auto besitzt sie ca. seit dem Auszug aus dem Elternhaus nicht mehr, was infolgedessen ihre Mobilität einschränkt hat. Es kommt nun oft zu einem Zögern bei der Entscheidung den Stadtteil zu verlassen, weil streng genommen fast alle Wünsche und Bedürfnisse im eigenen Stadtteil befriedigt werden können. Sie kauft bei denselben Orten ein wie vor dem Auszug, geht zum gleichen Fitnessstudio und hat viele Freunde immer noch in der Nähe der neuen Wohnung. Was diese Dinge angeht ist, ist besondere Mobilität letztendlich nicht vonnöten. Deshalb ist sie auch mehr mit dem Fahrrad unterwegs und umgeht damit die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, mit denen sie zum Beispiel zu ihrer Praktikumstelle nahe Hauptbahnhof gelangte.

Mit dem Freizeitangebot ist sie sehr zufrieden, es wachse tendenziell und mache Findorff dadurch sogar noch attraktiver als Wohnviertel. Letzten Endes sei Findorff perfekt für sie, weil es eine gute Kombination aus Nähe zu Familie und Freunden, ausreichendem Freizeitangebot für junge Leute und einem positive Lebensatmosphäre ausstrahlendes Stadtviertel ist.

 

Bei dieser Methode habe ich mich wieder bewusst gegen die Dokumentation durch Fotos entschieden als auch gegen das Einzeichnen der Route (Wegprotokoll): Zunächst wird somit die genaue örtliche Zuordnung der befragten Person verhindert. Außerdem ist es meiner Meinung nach interessanter, sich über das Zuhören einen Zugang zu der persönlichen Lebenswelt der befragten Person zu verschaffen und nicht konkrete Orte, die einem möglicherweise bekannt sind, vorzustellen und damit die eigene Fantasie zu blockieren.

Wie sind deine Gedanken zu dieser Methode des bewegten Interviews? Oder auch zum Inhalt: Geht es dir ähnlich und stellst eine intensive Verbindung zu deinem Zuhause und der umliegenden Nachbarschaft fest? Oder ist Mobilität eine wichtige Bedingung für die Wahl deines Wohnortes, um schnell auch weiter entfernte Orte zu erreichen?

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