Vom Ort zum Raum — vom Ort zum Nicht-Ort

„Insgesamt ist der Raum ein Ort, mit dem man etwas macht. So wird zum Beispiel die Straße […] durch die Gehenden in einen Raum verwandelt. – Michel De Certeau, 1988.

Wie der Titel dieses Beitrages bereits verrät, werde ich nun ein bisschen mehr Theorie einfließen lassen. Bisher habe ich Begriffe wie Ort und Raum einfach verwendet ohne wirklich zu erläutern, was hinter dieser Terminologie steckt! Doch damit nun ein Ende: Verschiedene Theoretiker haben sich zu einigen Begrifflichkeiten geäußert, welche ich nun nacheinander vergleichen und einige interessantere Aspekte gesondert herausnehmen werde. Außerdem werde ich einige weitere Termini aus dem Bereich erwähnen, die mir in dem Zusammenhang wichtig erscheinen und das Feld erweitern.

Michel de Certeau, Historiker des 20. Jh., gelingt es meiner Meinung nach sehr gut, früh die Unterscheidung von Ort und Raum zu veranschaulichen: Eingeleitet wird das Kapitel 4 „Berichte von Räumen“ mit einem Zitat von Pierre Janet: „Die Erzählung hat die Menschheit geschaffen.“ Im Anschluss wird erklärt, dass das Wissen und der Wert der Menschheit durch vielfältige Kommunikation im Alltag der Menschen selber festgehalten wird. Durch die Interaktion zwischen den Menschen werden Orte zu Räumen:

„Jeden tag durchqueren und organisieren sie die Orte; sie wählen bestimmte Orte aus und verbinden sie miteinander; sie machen aus ihnen Sätze und Wegstrecken. Sie sind Durchquerungen des Raumes“ (De Certeau 1988: S. 215).

Orte haben neben ihrer räumlichen Instanz gleichzeitig eine Gesetzmäßigkeit inne, nach der sich die einzelnen Orte selber nur nebeneinander befinden können, dementsprechend niemals zwei Orte auf einer Lokalität liegen können. Jeder Ort habe folglich seinen “ ‚eigenen‘ und abgetrennten Bereich, den es definiert“, der geregelt und beständig sei . Davon ausgehend bilden sich Räume, die im Gegensatz zum einfachen Ort einem Netzwerk von wandlungsfähigen Gliedern entsprechen und weder eindeutig noch zuordenbar seien. Der Raum ist in dem Sinne dehnbar, dass er wie ein Wort in unterschiedlichen Dialekten und Mündern ausgesprochen werden kann und dadurch abhängig wird von Faktoren wie Bewegung, Aktivität, Richtung, Geschwindigkeit und Zeit (De Certeau 1988: 218).

Um auf die bildliche Darstellungsebene zurückzukommen: „Jeder Bericht ist ein Reisebericht – ein Umgang mit dem Raum […]. Diese erzählten Abenteuer, die gleichzeitig Handlungsgeographien produzieren, […] lenken tatsächlich Schritte“ (De Certeau 1988: 216). Dies bedeutet, dass sämtliche Auskünfte über räumliche (oder virtuelle räumliche) Erfahrungen, die außerhalb der normalzugänglichen Alltagswelt der meisten Menschen liegt, den Horizont erweitert und im wahrsten Sinne des Wortes richtungsweisend für die große Masse der Bewohner einer Stadt ist.

Ähnliche Gedanken entwickelt Marc Augé, Ethnologe des 20. Jh., in seinen Arbeiten. Im Vergleich zu De Certeau allerdings verwendet er anstatt „Raum“ den Begriff „Nicht-Ort“: Seiner Meinung nach sei „ein Ort durch Identität, Relation und Geschichte gekennzeichnet“; ein Raum, der diese drei Eigenschaften nicht besitze, müsse schlussfolgernd als „Nicht-Ort“ bezeichnet werden (De Certeau 1994: 92). Dabei sei hingegen zu beachten, dass weder Ort noch Nicht-Ort in ihren absoluten Formen bestehen, denn Orte können sich nur bis zu dem Maße auflösen wie Nicht-Orte sich niemals ausformen können – keiner der Prozesse ist über kurz oder lang vollständig (De Certeau 1994: 94). Seine Hypthese enthält die negativ konnotierte Ansicht, dass „die »Übermoderne« Nicht-Orte hervorbringt, also Räume, die selbst keine anthropologischen Orte sind und […] die alten Orte nicht integrieren […]“ . Damit in Relation setzt er, dass sich immer mehr „Transiträume“ bilden, immer mehr Orte, zu denen Individuen keine langfristigen, intimen Beziehungen eingehen können, da sie reine Mittel zum Zweck sind bzw.  „der Durchreise, dem Provisorischen und Ephemeren überantwortet“ (De Certeau 1994: 93). Dennoch seien diese Nicht-Orte ein Merkmal De Certeaus Zeit, welches nach seiner Idee interessanterweise messbar sei, indem die Strecken aller Verkehrsmittel, Knotenpunkte, Freizeitangeboten und Leitungen virtueller Informationsübermittlung addiert werden.

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