Kategorie: Allgemein

“Kommt ein neuer Mitarbeiter zu seiner Chefin…”

Wie Humor den Einstieg in eine neue Arbeitsgruppe beeinflussen kann
von Sita Begusch, Franziska Geißler, Julia Kurkowski & Laura Naujoks


Der Einstieg in ein neue Arbeitsgruppe fällt nicht allen leicht. Humor kann dabei unterstützen, den Eintritt für neue Mitglieder aber auch für die bestehende Gruppe zu erleichtern. Dabei gilt es zu beachten, dass jede:r Humor anders bewertet. Der Einsatz von Humor sollte also stets sensibel und einfühlsam gewählt werden.

Wir sind es alle schon einmal gewesen oder werden es irgendwann sein: Die oder der Neue. Egal, ob jemand in einen Sportverein eintritt, sich einem Chor anschließt oder sich auf eine neue Arbeitsstelle einlässt. Moreland und Levine (1994) entwickelten dafür ein Modell der Gruppensozialisation. Es beschreibt den Weg eines Einzelnen durch verschiedene Phasen in einer (für ihn:sie neue) Gruppe. Die Beziehung zwischen dem:der Einzelnen und der Gruppe verändert sich im Laufe der Zeit. Sowohl die Person als auch die Gruppe erreichen dabei irgendwann einen Punkt, an dem beide bereit sind in eine neue Phase einzutreten. Die Phase, in der jemand das „neue Mitglied“ ist, wird von Moreland und Levine als Sozialisationsphase bezeichnet. Es handelt sich dabei um einen Prozess, bei dem sich eine Person in eine Gruppe eingliedert. Auch die Gruppe muss dem neuen Mitglied entgegenkommen und sich anpassen. Diese Veränderungen können bei allen Beteiligten Stress und Unsicherheiten auslösen. Eine erfolgreiche Sozialisation von Mitarbeiter:innen ist deshalb besonders wichtig für Organisationen. Sie legt den Grundstein für den weiteren Werdegang im Unternehmen. Doch wie genau kann neuen Mitgliedern der Einstieg in eine neue Organisation erleichtert werden? Eine mögliche Antwort darauf ist: Humor.

Funktionen und Wirkungen von Humor in der Sozialisationsphase

Humor bedeutet dabei nicht nur, dass etwas zufällig amüsant ist. Vielmehr ist Humor ein kommunikativer Prozess, bei dem Mehrdeutigkeiten eine gemeinsame Bedeutung gegeben wird. Humor stellt somit eine Schnittstelle zwischen den normalen, vorhersehbaren sowie den abnormalen, unerwarteten Situationen des Organisationslebens dar und gibt ihnen einen Sinn. Dass Humor ein zweischneidiges Schwert ist, welches sowohl positive als auch negative Konsequenzen nach sich ziehen kann, zeigt eine Studie von Heiss und Carmack (2012). Für ihre Studie untersuchten die Wissenschaftlerinnen die Mitarbeiter:innen eines Unternehmens. Die Hälfte von ihnen arbeitete dort erst seit maximal anderthalb Jahren. Heiss und Carmack fanden mit Hilfe von Beobachtungen und qualitativen Interviews heraus, dass Humor genutzt wird, um die Jobanforderungen, die Unternehmenskultur und die Unternehmenszugehörigkeit zu vermitteln.

Jobanforderungen

Was muss ich hier eigentlich machen? Um diese Frage zu beantworten, sind neue Mitarbeiter:innen auf mehr als nur die Stellenbeschreibung und offizielle Unternehmensdokumente angewiesen. Bestehende Mitarbeiter:innen dagegen haben dieses wertvolle Wissen. Humor hilft beiden Seiten, die Anforderungen auf spielerische Weise zu kommunizieren. Bestehende Mitarbeiter:innen können Fehler ansprechen, ohne die Gefühle der Neulinge zu verletzen. Nehmen wir zum Beispiel Tom: Seine Kollegin fragte letzte Woche scherzhaft, ob er bei seinem vorherigen Arbeitgeber noch nie ein Kund:innengespräch geführt hätte. Doch gut gemeint ist – wie in Tom’s Fall – nicht immer gut gemacht. Heiss und Carmack zeigten, dass sich neue Mitarbeiter:innen dadurch eher verunsichert fühlen, insbesondere wenn unklar ist, was sie falsch gemacht haben. Die neuen Mitarbeiter:innen wiederum setzen Humor ein, um an Informationen zu kommen. Eine Frage wie: “Hey, kannst du mir nochmal zeigen, wie ich in das Programm komme? Ich habe mein Gehirn heute wohl zu Hause vergessen.”, hilft ihnen Schwächen zu überspielen. Außerdem können sie so das Gefühl vermeiden, die bestehenden Mitarbeiter:innen im stressigen Arbeitsalltag zusätzlich zu belasten.

Unternehmenskultur

Die Kultur eines Unternehmen ist schwer greifbar. Neue Mitarbeiter:innen lernen die Werte, ungeschriebenen Regeln und Traditionen durch Beobachtung und im Umgang mit der bestehenden Belegschaft. Dies geschieht meist in Situationen abseits der geplanten Unternehmensabläufe. Tom’s Kollege beispielsweise spaßte beim Kaffeeplausch über eine eigene, unangenehme Erfahrung. Damit will er ihm derartige Peinlichkeiten ersparen. Laut der Forscherinnen wird aber vor allem scherzhaft darauf aufmerksam gemacht, wenn Neulinge gegen ungeschriebene Regeln verstoßen. So wie ein:e Mitarbeiter:in die:der zu spät kommt und mit dem Spruch “Schön, dass du’s noch geschafft hast”, begrüßt wird. Während die Neulinge so die Kultur kennenlernen, wird sie für die bestehenden Mitarbeiter:innen gefestigt.

Unternehmenszugehörigkeit

Neue Mitarbeiter:innen werden nicht automatisch mit ihrem Eintritt in das Unternehmen als vollwertiges Gruppenmitglied akzeptiert. Die bestehenden Mitarbeiter:innen teilen Geschichten und Wissen, das Neulingen nicht zugänglich ist. Das verbindet und stärkt den Zusammenhalt. Wie die Studie von Heiss und Carmack zeigt, können bestehende Mitarbeiter:innen diese „Insiderinformationen“ einsetzen, um neue Mitarbeiter:innen in die Gruppe einzuschließen. Auf der anderen Seite können sie dadurch ihre Überlegenheit demonstrieren und neue Mitarbeiter:innen ausgrenzen. Dies kann vielfältige Gründe haben. Einige Mitarbeiter:innen tun sich schwer mit der Veränderung, wohingegen andere neuen Personen grundsätzlich erst einmal skeptisch gegenübertreten. Die alten und neuen Mitarbeiter:innen müssen das Spannungsfeld zwischen dem was sie trennt und dem was sie verbindet bewältigen. Um von der Gruppe anerkannt und akzeptiert zu werden, lernen die Neulinge wie sie den Humor im Unternehmen interpretieren und gezielt einsetzen können. Denn Humor löst positive Emotionen aus, die den Beziehungsaufbau erleichtern. Letztlich dient Humor auch als Indikator dafür, ob die volle Mitgliedschaft bzw. Akzeptanz der Gruppe erreicht worden ist. Woran merkte Tom, dass er als volles Mitglied akzeptiert wurde? Als er und seine Kolleg:innen die erste gemeinsame „Insiderstory“ teilten.

Humor kann den Eintritt von Neulingen in ein Unternehmen also sowohl erleichtern als auch erschweren. Bestehende Mitarbeiter:innen setzen Humor zunächst auf eine etwas „aggressive“ Art ein. Damit behaupten sie ihre Macht und wahren die kulturelle Stabilität sowie den Gruppenzusammenhalt. Die Neulinge müssen erst einen „Humor-Spießrutenlauf“ absolvieren, um ein fester Teil der Gruppe zu werden. Gleichzeitig setzen Mitarbeiter:innen einfühlsamen Humor ein, wenn sie bei Fehlern die Würde der Neulinge wahren wollten. Sobald Neuankömmlinge von der Gruppe akzeptiert werden, wandelt sich der aggressive zu einem freundlichen, einfühlsamen Humor. Die Neuankömmlinge selbst erleichterten sich die Suche nach Informationen über die Unternehmenskultur und die Jobanforderungen mit Humor. So müssen sie nicht befürchten, ihr Gesicht zu verlieren.

Also… ein humorvoller Start in ein neues Unternehmen?

Fragen Sie sich als Leser:in einmal selbst: Wie möchte ich in einem neuen Unternehmen aufgenommen werden? Die Antwort ist wahrscheinlich „herzlich“. Viele Wege führen nach Rom. Allerdings eröffnet vor allem Humor die Möglichkeit, einen roten Faden in die Unternehmenskultur zu manifestieren, der direkt zu einer angenehmen Arbeitsatmosphäre führt. Doch Vorsicht: Wie die Forschungsbefunde von Heiss und Carmack (2012) gezeigt haben, hat Humor zwei Seiten und ist nicht immer nur gut. Richtig eingesetzt, hilft Humor sich empathisch und wertschätzend an noch unbekannte Menschen und ihre Bedürfnisse heranzutasten. Organisationsmitglieder mit toxischen Motiven könnten Humor hingegen als Türöffner für unterschwellige Herabwürdigungen nutzen. Der Schlüssel – insbesondere für Führungskräfte – ist, bei der Sozialisation neuer Gruppenmitglieder auf „humorvolle“ Bemerkungen zu achten. Lässt sich beispielsweise ein Ausdruck von Unsicherheit erkennen oder eine versteckte und nicht akzeptable Spitze? Führungskräfte müssen genau hinsehen, an welchen Stellen Humor aufgrund einer unzureichenden Einarbeitung eingesetzt wird.

Insbesondere im Onboarding sollten nicht nur Misserfolge und Fehler kommuniziert werden, sondern Erfolge und positive Nachrichten in den Vordergrund gestellt werden. Die Kultur kann sich über verschiedene Unternehmen hinweg sehr unterscheiden. Mitarbeiter:innen wissen nicht immer, wie sie humorvolle Aussagen interpretieren oder selbst anwenden können. Mentor:innen können als direkte Ansprechpartner:innen und Vertrauenspersonen dafür eine Brücke schlagen und in dem Sozialisierungsprozess zusätzlich unterstützen.

In einem organisierten Rahmen und einfühlsam eingesetzt, kann Humor die Aufnahme von neuen Mitgliedern in ein Unternehmen durchaus erleichtern – für alle Parteien.

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Heiss, S. N., & Carmack, H. J. (2012). Knock, Knock; Who´s There? Making Sense of Organizational Entrance Through Humor, Management Communication Quarterly 26(1), S. 106-132.
Levine, J. M., & Moreland, R. L. (1994). Group socialization: Theory and research. European Review of Social Psychology, 5(1), S. 305-336.

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Work-Life-Balance – Ein Selbstläufer?

▶︎ von Elias Marks, Eila Daghighi Roohy, Esther Freese und Jil Höfker

Work-Life-Balance erhält zunehmend Aufmerksamkeit in Zeiten, in denen Vorgesetzte einen nach Feierabend noch mit WhatsApp-Nachrichten bombardieren können oder Online-Meetings um 22 Uhr stattfinden müssen, wenn Projektmitarbeiter:innen am anderen Ende der Welt sitzen. Work-Life-Balance-Programme zur Unterstützung von Mitarbeiter:innen existieren bereits, doch das allein reicht nicht, damit diese erfolgreich sind. Wie können die Programme von Führungskräften in der Praxis angewandt werden?

Ein Ehepaar sitzt am Frühstückstisch und plötzlich klingelt das berufliche Smartphone. Schon wird das Brot beiseite gelegt und der Ehemann hängt bereits am Telefon und versucht den englischsprachigen Anruf zu händeln – es gibt Probleme in der Logistik. Die Ehefrau schaut derweil in den Laptop. Zwischen all den neuen E-Mails ist vor allem eines von Bedeutung: Heute ist Deadline-Day! Nach einem kurzen Augenrollen ist zu hören, wie das gemeinsame Kind anscheinend aufgewacht ist und anfängt zu schreien.

Das beschreibt deinen Alltag? Herzlich willkommen in der Arbeitswelt, durchzogen von unvorhersehbaren Arbeitsabläufen, flexiblen Arbeitszeiten und vor allem ständiger Verfügbarkeit. Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben wird in dieser Arbeitswelt eine immer größere Herausforderung. Nicht nur Arbeitnehmer:innen beschäftigen sich deshalb mit Work-Life-Balance, sondern auch Organisationen und Entscheidungsträger:innen setzen sich zunehmend damit auseinander. Viele Unternehmen versuchen den Mitarbeiter:innen mit freiwillig eingeleiteten Initiativen wie Home-Office-Möglichkeiten und flexiblen Arbeitszeiten zu helfen, eine bessere Balance zu erreichen. Entworfen und verabschiedet werden sie auf Organisationsebene, doch verwaltet werden sie durch Teamleiter:innen. Theoretisch gibt es also eine Vielzahl an Programmen, diese werden von den Teamleiter:innen in der Praxis jedoch oft nicht umgesetzt. Stellt sich damit die wichtige Frage: Welche Faktoren wirken sich auf das Verhalten der Teamleiter:innen aus, Work-Life-Balance-Programme  aktiv umzusetzen und Mitarbeiter:innen zu unterstützen?

Eine Antwort kann möglicherweise die Theory of planned behavior liefern, mit welcher das Verhalten von Teamleiter:innen erklärt werden kann. Doch was ist die Theory of planned behavior überhaupt?

Theory of planned behavior

Die Theory of planned behavior von Ajzen (1991) nimmt an, dass das Verhalten einer Person durch dessen Absicht, das Verhalten auszuführen, bestimmt ist. Absicht wird auch als unmittelbare „Vorstufe“ zur Verhaltensausführung beschrieben. Diese ergibt sich aus den eigenen Einstellungen hinsichtlich des Verhaltens, den subjektiven Normen und der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle.

Unter Einstellung fasst Ajzen (1991) die persönliche Meinung einer Person dazu, ob ein bestimmtes Verhalten „gut” oder “schlecht“ ist. Subjektive Normen beschreiben die Überzeugungen von relevanten Gruppen, wie Familie, Freund*innen, Bekannte oder die Gesellschaft im Allgemeinen auf das spezifische Verhalten. Der letzte Faktor – die wahrgenommene Verhaltenskontrolle – wird definiert als die Wahrnehmung der eigenen Fähigkeit, ein bestimmtes Verhalten auszuführen. Es gilt: Je positiver die Einstellung und je größer die subjektive Norm und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle, desto stärker ist die Absicht einer Person, das Verhalten auch auszuführen.

Und damit zurück zu den Teamleiter:innen. Sie haben einen erheblichen Einfluss auf die Nutzung der Programme, da sie engen Kontakt zu den Mitarbeiter:innen pflegen, die letztendlich von den Work-Life-Balance-Angeboten profitieren sollen. Auch Purcell et al. (2003) kommen in einer Längsschnittstudie zu diesem Ergebnis. Somit sind Teamleiter:innen das Bindeglied zwischen der strategischen Ebene und der operationalen Ebene.

How to: Mitarbeiter:innen zu einer gesunden Work-Life-Balance führen

Nach McCarthy, Darcy & Grady (2009) gibt es fünf Faktoren, welche bestimmen, wie Teamleiter:innen die Nutzung von Work-Life-Balance-Angeboten unterstützen können. Ihre Annahmen beruhen zum Teil bereits auf empirischen Befunden.

  1. Bewusstmachen aller Richtlinien und Programme zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben

Die Teamleiter:innen müssen das Work-Life-Balance-Programm kennen und auch wissen, wie dieses im Arbeitskontext implementiert werden kann. Das ist die Basis für die Absichten sowie das Verhalten der Teamleiter:innen.

  1. Persönliche Einstellung zu Work-Life-Balance-Programmen

Doch wie steht der:die Teamleiter:in eigentlich persönlich zu den Work-Life-Balance-Programmen? Gesetzt den Fall, dass der:die Teamleiter:in die Work-Life-Balance-Programme zwar kennt, aber selbst kaum nutzt und nicht als sinnvoll empfindet, so sind die Chancen hoch, dass sich diese Tendenz auf das Team überträgt. Der:Die Teamleiter:in muss mit gutem Beispiel vorangehen und aufzeigen, dass das Nutzen der Work-Life-Balance-Programme erlaubt und sogar erwünscht ist – dies zeigen auch Umfrageergebnisse von Casper et al. (2004).

  1. Wahrgenommene Wirksamkeit der Work-Life-Balance-Programme

Nun kann es sein, dass der:die Teamleiter:in prinzipiell die Work-Life-Balance- Programme gutheißt und auch selbst nutzen würde – aber dennoch nicht von der positiven Wirkung im wirtschaftlichen Sinne überzeugt ist. Teamleiter:innen sind nicht zuletzt (neben der physischen und psychischen Gesundheit der Mitarbeiter:innen) für die Performance ihrer Teams verantwortlich. Einige Teamleiter:innen zweifeln an, dass Work-Life-Balance-Programme die Performance der Mitarbeiter:innen positiv beeinflussen können. Die Teamleiter:innen sollten allerdings von der positiven Wirkung auf das Geschäft überzeugt sein.

  1. Nachfrage der Mitarbeiter:innen nach Work-Life-Balance-Programmen

Die Intentionen und das Verhalten der Teamleiter:innen sind auch abhängig von der Situation des Arbeitsmarktes. Diese ist gekennzeichnet durch hohe Anforderungen an die Arbeiternehmer:innen, einer Erhöhung der Rate von weiblichen Arbeitnehmerinnen und Familien, in denen beide Elternteile neben dem Familienleben ihre Karrieren verfolgen. Um diesen Anforderungen gerecht werden zu können, ist es beinahe unumgänglich, mehr Zeit für soziale Aktivitäten und Familienleben einzuräumen. Die Nachfrage nach Work-Life-Balance bewegt das Höhere Management der Unternehmen entsprechende Programme zu entwickeln. Dieses Umfeld stellt die subjektive Norm im Sinne der Theory of planned behavior dar und nimmt somit maßgeblich Einfluss auf die Absicht und das Verhalten der Teamleiter:innen.

  1. Wahrgenommene Kontrolle der Teamleiter:innen auf die Umsetzung der Work-Life-Balance-Programme

Teamleiter:innen können mit ihrem Verhalten einen Einfluss auf die Nutzung von Work-Life-Balance-Programmen haben. Nicht immer sind sie davon aber überzeugt. Die Absicht und das Verhalten sind jedoch dadurch geprägt, was die Teamleiter:innen selbst glauben bewirken zu können. Die wahrgenommene Kontrolle kann beispielsweise davon abhängig sein, inwiefern diese überhaupt in die Entwicklung der Work-Life-Balance-Programme einbezogen worden sind. Es ist empirisch belegt, dass die Beteiligung an der Entwicklung sich positiv auf die Wahrnehmung auswirkt (Maxwell, 2005). In diesem Fall haben Teamleiter:innen eher das Gefühl, dafür sorgen zu können, dass diese Programme auch Anwendung in ihren Teams finden.

Aber – Theorie ist nicht gleich Praxis

Natürlich ist die Theory of planned behavior nicht frei von Kritik und stößt in ihrer Aussagekraft an ihre Grenzen. Beispielsweise finden in der Theorie Gewohnheiten keine Berücksichtigung. Dies führt dazu, dass sie die praktische Umsetzung von Work-Life-Balance-Initiativen vereinfacht darstellt. Auch wenn Teamleiter:innen sich mit einer gesunden Work-Life-Balance auseinandersetzen und an deren Verbesserung arbeiten, hat das vergangene Handeln eine Auswirkung auf die Handlungen in der Gegenwart. Haben Teamleiter:innen beispielsweise in der Vergangenheit schlechte oder gar keine Erfahrungen mit Work-Life-Balance-Programmen gemacht, so kann dies einen Einfluss auf die Bereitschaft zur Umsetzung haben. Es zeigt sich also, dass die Theorie sich nicht eins zu eins auf die Praxis übertragen lässt.

Für konkrete Handlungsempfehlungen müssen die beschriebenen Faktoren noch wissenschaftlich geprüft werden. Welche der Faktoren beeinflusst das Verhalten von Teamleiter:innen besonders? Können die Absichten und Verhaltensweisen von Teamleiter:innen auch wirklich die Work-Life-Balance von Mitarbeiter:innen beeinflussen?

Und wenn die Umsetzung schließlich erfolgreich verläuft, stellt sich immer noch die wichtige Frage: Ist die Work-Life-Balance überhaupt ein Erfolgsgarant für Unternehmen und die Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter:innen? Wahrscheinlich nicht. Die Wünsche und Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen sind so komplex und vielfältig wie der Arbeitsmarkt selbst. Während die subjektive Zufriedenheit einiger Mitarbeiter:innen in keiner Weise von der Nutzung der Work-Life-Balance-Programme abhängt, ist sie für andere essenziell.

Festhalten lässt sich allerdings, dass die Fähigkeit eines Unternehmens, wirksame Work-Life-Balance-Maßnahmen zu entwickeln und im Team umzusetzen, nicht schädlich ist. Im Gegenteil: In vielen Fällen werden die Mitarbeiter:innen dadurch zufriedener sein. Deshalb lohnt es sich für Teamleiter:innen, sich mit der Förderung von Work-Life-Balance zu beschäftigen und die Umsetzung unter Berücksichtigung der Theory of planned behavior zu unterstützen.

Quellen:

Ajzen, I. (1991). The theory of planned behavior. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 50(2), 179–211.

Casper, W. J., Fox, K. E., Sitzmann, T. M., & Londy, A. L. (2004). Supervisor referrals to work–family programs. Journal of Occupational Health Psychology, 9(2), 136−151.

Maxwell, G. A. (2005). Checks and balances: The role of managers in work-life balance policies and practices. Journal of Retailing and Consumer Studies, 12(3), 179−189.

McCarthy, A., Darcy, C., & Grady, G. (2010). Work-life balance policy and practice: Understanding line manager attitudes and behaviors. Human Resource Management Review, 20, 158-167.

Purcell, J.A., Kinnie, N., Hutchinson, S., Rayton, B.A., & Swart, J. (2003). Understanding the people and performance link: Unlocking the black box. CIPD Publishing.

 

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Diskriminierungserwartung ohne Diskriminierung? – Wenn soziale Identitäten zu Hindernissen werden

▶︎ von Ricarda Kochems, Vanessa Kranz, Lennart Kötschau und Lara Watermann

„Die denken doch, dass eine Frau das nicht kann…“ – Hattest du schon mal das Gefühl, dass dir dieser Gedanke im beruflichen Kontext Steine in den Weg gelegt hat? Auch wenn verstärkt Maßnahmen zur geschlechtlichen Gleichbehandlung (wie Frauenquote, Diversity Management etc.) in den (beruflichen) Alltag integriert werden, spielt unsere soziale Identität – unsere Gruppenzugehörigkeit – nach wie vor eine große Rolle in Bezug darauf, wie wir unsere Jobchancen ausrechnen.

Stell dir vor, du bist auf der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle. Warum rechnest du dir hohe oder vielleicht auch niedrige Chancen für eine Einstellung aus? Viele Menschen setzen sich während der Jobsuche mit der Einschätzung auseinander, ob sie überhaupt grundsätzlich qualifiziert oder nicht qualifiziert sind. Doch was passiert, wenn Menschen in diesem Prozess auf Einflüsse stoßen, die sie nicht kontrollieren können? Zu diesen Menschen gehören häufig Frauen. Und warum? Na, weil sie sich mit der sozialen Gruppe „Frau“ identifizieren! Und das ist ein bedeutsamer Punkt: die eigene soziale Gruppenzugehörigkeit hat starke Auswirkungen auf die eigene Wahrnehmung. Um der Frage nachzugehen, inwiefern Gruppenprozesse die Überzeugung hinsichtlich der eigenen Jobchancen beeinflussen, bieten der Ansatz der sozialen Identität und die Selbstkategorisierungstheorie eine notwendige Grundlage.

“Wir sind besser als ihr…” oder: Die Theorien der sozialen Identität und der Selbstkategorisierung

Die Theorie der sozialen Identität erklärt, wie der soziale Kontext die Beziehungen zwischen Personengruppen beeinflusst. Sie blickt aus einer sozialpsychologischen Perspektive auf die Macht- und Verhaltensentwicklungen innerhalb von Gruppen. In den frühen 70er Jahren zeigten mehrere Experimente, dass Menschen Mitglieder der eigenen Gruppe (Ingroup) gegenüber Mitgliedern einer anderen Gruppe (Outgroup) bevorzugen. Der Sozialpsychologe Henri Tajfel und Kolleg:innen argumentierten, dass die Teilnehmer:innen einem auf Wettbewerb ausgerichteten Gruppenverhalten folgten. Darauf aufbauend entwickelten Tajfel und sein Kollege John Turner die “Social Identity Theory”. Demnach sind zwischenmenschliche Interaktionen, bei denen Menschen ausschließlich als Individuen auftreten, die Ausnahme. Vielmehr würden soziale Interaktionen gruppenübergreifend stattfinden, bei denen die Menschen sowohl als Individuum als auch als Mitglied einer sozialen Gruppe auftreten. Im Extremfall kann die Gruppenzugehörigkeit sogar individuelle Merkmale einer Person unbedeutend machen. Die sogenannte soziale Identität überlagert dann die persönliche Identität. Diese Kategorisierung verändert nicht nur die Art und Weise, wie Menschen andere Menschen beurteilen, sondern auch, wie sie sich selbst sehen (also ihr Selbstkonzept). Tajfel & Turner argumentierten, dass die Motivation für wettbewerbsorientiertes Verhalten zwischen Gruppen aus dem Bedürfnis nach einem positiven, stabilen Selbstkonzept resultiert. 

Die Selbstkategorisierungstheorie nach Turner besagt, dass Menschen sich immer situationsgerecht und subjektiv selbstkategorisieren. Je nach sozialem Kontext wählen sie also die persönliche oder soziale Identität, die für sie in einer Situation am passendsten erscheint.  Weist eine soziale Kategorie in einer bestimmten Situation eine hohe Passung auf, sehen Menschen sich selbst und andere Personen dieser Kategorie (Mitglieder der Ingroup) weniger als Individuen. Stattdessen sehen sie sich vielmehr als austauschbare Exemplare eines klischeehaften Gruppenmitglieds.

Was dieser Kategorisierungsprozess für Mitglieder gesellschaftlich stigmatisierter Gruppen bedeuten kann, wird bei Betrachtung der nachfolgenden Studien deutlich.

“Ich denke, dass die denken, dass ich so bin…” oder: Metastereotype im Arbeitskontext

Unter Rückgriff auf den Ansatz der sozialen Identität untersuchten Owuamalam und Zagefka bei Mitgliedern stigmatisierter Gruppen, welche Auswirkungen Metastereotype auf die Überzeugung bezüglich der eigenen Beschäftigungsfähigkeit haben.

Beschäftigungsfähigkeit beschreibt dabei die Fähigkeit, am allgemeinen Arbeits- und Berufsleben teilnehmen zu können. Metastereotype sind stereotype Überzeugungen, dass Mitglieder einer bestimmten Outgroup eine stereotype Meinung über die eigene Ingroup haben. In anderen Worten sind Metastereotype die stereotype Erwartung von Stereotypen. Metastereotype sind häufig negativ, rufen Gefühle der Ablehnung hervor und sind insbesondere für historisch benachteiligte Gruppen mit negativen Konsequenzen verbunden. 

In diesem Zusammenhang ist das Selbstwertgefühl von Bedeutung, welches die Bewertung des eigenen Selbstkonzeptes umfasst und damit die grundlegende Einstellung einer Person gegenüber sich selbst beschreibt. Dabei kann zwischen dem allgemeinen Selbstwertgefühl (“von Natur aus”) und dem situationsspezifischen Selbstwertgefühl unterschieden werden.

Owuamalam und Zagefka führten 2008/9 eine Studie mit 80 britischen Studentinnen durch. Die Ergebnisse zeigten, dass je negativer ein bestimmtes Metastereotyp eingeschätzt worden ist, desto schlechter die Überzeugung bezüglich der eigenen Beschäftigungsfähigkeit ausfiel. Die Autor:innen führten dies auf eine Verringerung des situationsspezifischen Selbstwertgefühls nach Aktivierung der negativen Metastereotype zurück. Insbesondere bei Teilnehmerinnen, deren allgemeines Selbstwertgefühl hoch war, konnte der Effekt beobachtet werden. In einer zweiten Studie mit britischen Student:innen südasiatischer Herkunft konnten ähnliche Ergebnisse erzeugt werden.  

Die Studien von Owuamalam und Zagefka zeigen zusammenfassend, dass die stereotype Erwartung von negativen Stereotypisierungen durch eine gesellschaftlich dominante Outgroup die Überzeugung bezüglich der eigenen Beschäftigungsfähigkeit erheblich verschlechtert. Dieser Effekt wird durch Einbuße im situationsspezifischen Selbstwertgefühl bewirkt. Dies tritt insbesondere bei Personen auf, die ein hohes allgemeines Selbstwertgefühl haben. Im ersten Moment mag das überraschend klingen. Innerhalb der Studien wurde allerdings gezeigt, dass das sonst so hohe Selbstwertgefühl umso stärker geschwächt wird, wenn den Personen die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlich stigmatisierten Gruppe (z.B. ‘Frauen’, ‘Asiat:innen’ etc.) bewusst wird. Dann könnten diese Personen den Verdacht hegen, dass sie auf Grundlage von Stereotypen bewertet werden – und eben nicht auf Grundlage ihrer persönlichen Qualifikationen, die sie ja als grundsätzlich hoch einschätzen.

Erstaunlich ist dabei, dass auch negative Metastereotype aus arbeitsfernen Bereichen einen direkten Einfluss auf die Selbstwahrnehmung im Arbeitskontext zu haben scheinen. Die Erkenntnisse der Studien sind vor allem vor dem Hintergrund alarmierend, dass die Einstellung zur Arbeitssuche erwiesenermaßen Auswirkungen auf das Verhalten bei der Arbeitssuche haben kann. 

Long story short… was wir nun daraus mitnehmen können

Die Studienergebnisse sollten vor allem Personalverantwortliche in Organisationen sensibilisieren. Beim Aufbau diverser und inkludierender Teams muss beachtet werden, dass bereits die Erwartung einer Diskriminierung eine hemmende Wirkung auf Bewerber:innen haben kann. Gleichzeitig sollten sich Unternehmen aktiv für eine diverse Belegschaft aussprechen, um künftigen Bewerber:innen offen und einladend entgegen zu treten. 

Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene liefern die Studien wichtige Erkenntnisse für Fachleute der Sozialfürsorge. Sie sollten die Resilienz, das heißt die psychische Widerstandsfähigkeit, von Mitgliedern stigmatisierter Gruppen bei der Arbeitssuche stärken – insbesondere bei Personen, die aufgrund ihres hohen allgemeinen Selbstwertgefühls nicht auf Unterstützung angewiesen zu sein scheinen. Besonders in der Förderung dieser Personengruppen und deren Bewältigungsstrategien liegt weiterer Forschungsbedarf. Gleichzeitig sollte die Ursache der Diskriminierungswahrnehmungen durch politische Maßnahmen zur Gleichbehandlung bekämpft werden. Für Frauen im Arbeitskontext könnte dies zum Beispiel durch die Schaffung von weiblichen Vorbildern oder die Etablierung einer entsprechenden Frauenquote erreicht werden. Jedoch sind auch solche Maßnahmen mit Vorsicht zu betrachten. So kann eine Frauenquote einerseits das Bild von Frauen in Führungspositionen normalisieren und somit Stereotypisierungen reduzieren, andererseits können mit solchen “künstlichen” Maßnahmen neue Stereotypisierungen angeregt werden (im Sinne “Die ist doch nur eine Quotenfrau!”).

Auch wenn die Aussagekraft der Experimente aus den 70er Jahren zur sozialen Identität häufig angezweifelt wurde, ist es heutzutage schwierig, über die Beziehungen zwischen Gruppen nachzudenken, ohne in irgendeiner Weise Macht, Status und Stabilität unberücksichtigt zu lassen. Reflektiere gerne beim nächsten Bewerbungsprozess dein Denken und Handeln: Ist dir deine eigene soziale Identität (un)bewusst zum Hindernis geworden? Lass‘ dich von bestehenden Stereotypen nicht unterkriegen, denn letztendlich beginnt vieles in unseren Köpfen! Wenn du dich in einer fairen Bewerbungssituation befindest, dann entscheide dich bewusst für die Selbstkategorisierung auf Grundlage deiner persönlichen Identität, anstatt mit dem Hintergrund deiner sozialen Identität(en) zu denken und zu handeln. 

Referenzen

Hornsey, M. J. (2008): Social Identity Theory and Self-categorization Theory – A Historical Review, Social and Personality Psychology Compass, 2(1), 204-222.

Owuamalam, C. K., & Zagefka, H. (2014): On the Psychological Barriers to the Workplace – When and Why Metastereotyping Undermines Employability Beliefs of Women and Ethnic Minorities, Cultural Diversity and Ethnic Minority Psychology, 20(4), 521-528.

 

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Unsichtbar, unvermeidbar, unbezwingbar?

Auswirkungen von faultlines auf den Erfolg von strategischem Wandel.

▶︎ von Marvin Goecke, Ada Ross & Carla Wemken

„Gleich und gleich gesellt sich gern“. Doch indem ich mich bestimmten Menschen zuwende, wende ich mich zugleich auch immer von anderen Menschen ab. Innerhalb von Teams kann dieses Phänomen daher zu Spannungen führen – und ist bei Managerinnen und Managern nicht ohne Grund äußerst unbeliebt.

Formieren sich innerhalb eines neuen Teams gleich zu Beginn verschiedene Subgruppen (bspw. Frauen vs. Männer, jung vs. alt), so wird in der in der Sozialpsychologie von faultlines gesprochen. Diese sind hypothetische Trennlinien, die Teams in homogene Subgruppen hinsichtlich der betrachteten Merkmale unterteilen. Skurril, finden Sie nicht? Eigentlich existieren diese “Trennlinien” gar nicht. Dennoch lassen wir uns oftmals von ihnen leiten. Verstärkt wird dieser Effekt dann, wenn die Gruppentrennung für mehrere Merkmale gleich ausfällt, also bspw. wenn alle Frauen in der Gruppe über 60 und alle Männer unter 30 Jahren alt sind. Haben sich solche Subgruppen erst einmal gebildet, bleiben sie oftmals über einen längeren Zeitraum bestehen. Daher stellt sich die Frage: Was sollten Managerinnen und Manager über faultlines wissen und wie können Sie diesen aktiv entgegenwirken?

Grundlegend geht die faultline theory nach Lau und Murninghan (1998) davon aus, dass faultlines ein enormes Konfliktpotential in sich bergen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich die Gruppenaufgabe auf die faultlines bezieht. Beispielsweise sei hierfür eine Schulklasse in der Oberstufe genannt, die sich für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen einsetzen soll: Während die Mädchen der Klasse sich engagiert für das Projekt einsetzen, bleiben die Jungs lieber unter sich und albern herum. Der Konflikt ist also vorprogrammiert.

Nicht zu unterschätzen ist zudem die Subgruppengröße. Denn oftmals dominieren größere Subgruppen das Gruppengeschehen, ohne große Rücksicht auf die kleineren Subgruppen zu nehmen. Gelangen die unterdrückten Anliegen der Minderheiten dann doch an die Oberfläche, ist das Konfliktpotential immens. Ein Beispiel hierfür ist der Busboykott der schwarzen Bürgerrechtsbewegung um Rosa Parks: Nach jahrelanger Diskriminierung setzte sie sich Mitte des 20. Jahrhunderts für die Gleichberechtigung von „schwarzen“ und „weißen“ Menschen ein, indem sie ihren Platz im Bus nicht für einen „weißen“ Fahrgast freimachte – das landesweite Aufsehen war groß. Haben die verschiedenen Subgruppen eine ähnliche Größe, kann es hingegen schnell zu offenen und intensiven Konflikten kommen, die es schnellstmöglich zu überwinden gilt. Denn nur so kann es gelingen, ein Team langfristig zu einen, statt es weiter zu spalten.

Diversität ist heutzutage ein großes Thema in der Managementwelt, endet aber nicht mit einer Frauenquote. Denn besonders in diversen Teams herrschen Trennlinien innerhalb der Gruppe, die Auswirkungen auf strategische Handlungen und Innovationen haben können. Doch Managerinnen und Manager können trotz vorhandenen faultlines und Subgruppenbildung die Teamproduktivität in ihrer Organisation erhöhen und hindernde Faktoren minimieren (Lau & Murninghan, 1998). Um das Scheitern eines Change-Prozesses aufgrund von ungenutzten Widerständen und Machtkämpfen zu vermeiden, können Managerinnen und Manager das Wissen über faultlines nutzen, um ihre Teams positiv zu beeinflussen und bspw. die Produktivität zu steigern. Es bedarf demnach nicht nur einem guten Konzept und Methoden, sondern auch einem faultlinemanagement, um die Trennlinien bewusst wahrzunehmen. Dafür müssen zunächst die für Spannungen sorgenden faultlines identifiziert werden, um Konflikte vorzubeugen und die Arbeitsmoral sowie das Leistungsniveau hoch zu halten.

Sind die Trennlinien im Team nicht ersichtlich, ist es am einfachsten mit den vermeintlich offensichtlichen Trennlinien zu starten. Eine offensichtliche Trennlinie bei einem neu zusammengesetzten Team könnte bspw. eine grobe Trennung nach Alter, Geschlecht oder äußeren Merkmalen sein. Generell haben faultlines in ihrem Team einen Effekt auf den Erfolg des Change-Prozesses. Ein bspw. moderates Level an Diversität kann die faultlines erhöhen und zu Konflikten führen (Lau & Murninghan, 1998). Deswegen ist es wichtig, das passende Level an Diversität für ihr Team zu finden. Hierfür ist es wichtig, dass Sie die jeweilige Aufgabe oder den zu bearbeitenden Prozess ihres Teams berücksichtigen, da Teams unterschiedlich gut an verschiedenen Problemen arbeiten. Es gilt demnach einen Team-Process-Fit zu schaffen. 

Händeschütteln als Sinnbild für einen Team-Process-Fit

Bei einem eher weniger komplexen Prozess sollten Sie immer ein Auge auf die faultlines in ihrem Team haben. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass die Trennlinien im Team sich negativ auf den Change-Prozess auswirken (Wu et al., 2021). Hier gilt die Devise: Weniger Trennlinien im Team erhöhen die Chance für einen erfolgreichen Veränderungsprozess. Anders sieht es aus, wenn der Change-Prozess komplexer ist. Dann ist es so, dass die faultlines einen positiven Einfluss auf den Erfolg des Wandels haben (Wu et al., 2021). Sie können zu mehr Kreativität führen und Entscheidungsprozesse verbessern. Insbesondere können einzelne konträre Stimmen in ihrem Team die Ideenvielfalt des ganzen Teams befeuern und so den Change-Prozess positiv beeinflussen. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass die neuen Mitglieder noch nicht mit den Gruppennormen vertraut sind. Empfehlenswert ist es deshalb, (Minderheiten-) Meinungen zu hören und zu akzeptieren. Damit kann die Qualität des Teams Entscheidungen zu treffen verbessert sowie die gesamte Teamleistung gesteigert werden. Um in diesem Zusammenhang hindernde Faktoren wie z.B. das nicht Hören von (Minderheiten-) Meinungen zu minimieren, können Sie bspw. unterstützende Regeln und eine Teamleitung einführen, welche die Gruppe in eine entsprechende Richtung lenkt. Nutzen Sie deshalb Ihre Stellung und unterstützen Sie überhörte Stimmen, um diesen Effekt zu bewirken (Lau & Murnighan, 1998).

Ein Weg um faultlines im Allgemeinen zu vermeiden ist die Verbesserung des Informationsaustauschs innerhalb der Teams. Durch einen dauerhaften Austausch lernen sich ihre Teammitglieder besser kennen. Dadurch kann die Bildung von Subgruppen nach typischen Attributen wie Geschlecht oder Alter unterbunden werden (Lau & Murninghan, 1998). Zudem können Recruiterinnen und Recruiter durch eine bereits im Vorfeld abgestimmte Personalauswahl (bspw. durch Alter, gewisse Attribute, etc.) dazu beitragen, die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Subgruppen und potenziellen Teamkonflikten zu minimieren, indem Sie ein moderates Level an Team-Diversität herbeiführen (Lau & Murninghan, 1998).

Zusammenfassend liefern faultlines einen wichtigen Beitrag, um die Bildung und Aufrechterhaltung von Subgruppen zu erklären und zu verstehen. Sie gelten als natürlich, da wir Menschen uns fast automatisch zu „Gleichem“ oder „Ähnlichem“ gesellen. In der Literatur werden zahlreiche negative Effekte und negative Folgen dargestellt. Allerdings ist es auch so, dass ein Team trotz faultlines und Subgruppenbildung funktionieren kann (Lau & Murninghan, 1998). Auch Change-Prozesse müssen nicht an einem hohen Maß an Team-Diversität scheitern (Wu et al., 2021). Ausgeprägte Vielfältigkeit führt oft zu neuen Ideen, Impulsen sowie kreativen Austauschen. Umbrüche sind auf diese Weise somit schon fast vorprogrammiert (Wu et al., 2021). Für die zukünftige Management-Praxis gilt demnach: Werden Sie sich der Existenz von faultlines und Subgruppen sowie deren negativen und positiven Folgen bewusst und haben Sie im Blick, mit welchen Strategien Sie positive Effekte fördern und negative abschwächen können.

Literaturquellen

Lau, D. C., & Murnighan, J. K. (1998). Demographic Diversity and Faultlines: The Compositional Dynamics of Organizational Groups. The Academy of Management Review, 23(2), 325–340. https://doi.org/10.2307/259377

Wu, J., Triana, M. del C., Richard, O. C., & Yu, L. (2021). Gender Faultline Strength on Boards of Directors and Strategic Change: The Role of Environmental Conditions. Group & Organization Management, 46(3), 564–601. https://doi.org/10.1177/1059601121992889

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Die Spaltung einer Kalksteinmasse als Sinnbild für faultlines in Gruppen: rkit via pixabay

Händeschütteln als Sinnbild für einen Team-Process-Fit: 8385 via pixabay

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Frau die sich am Arbeitsplatz freut

Das emotionale Alphabet: Wie sich ein „J“oker zwischen ehrliches und betrügerisches Verhalten drängt.

▶︎ von Trea Christiansen & Clara Stelzenmüller

Bereits in einem Alter von 4-8 Jahren entwickeln wir das Wissen um unsere Emotionen. Durch Erfahrungen, die eigene Wahrnehmung und die Unterscheidung der Emotionen lernen wir. Doch was ist, wenn diese Emotionen beginnen unser Handeln stark zu beeinflussen? Eine Studie untersuchte dafür zweierlei Leistungsaufgaben unter dem Druckmittel Geld und kam zu beeindruckenden Erkenntnissen … 

Jeden Tag treffen wir eine Vielzahl an Entscheidungen. Denken hilft zwar, nützt aber nichts — zumindest nicht immer. Ein wesentlicher Unterschied wird durch Ihr Langzeitgedächtnis und einem übergeordneten Scharfsinn geprägt. Menschen verarbeiten Informationen auf unterschiedliche Arten. Zwei diskrete Emotionen (Wut & Schuld) beeinflussen unethisches Verhalten. Wissenschaftler:innen vertreten die Ansicht, dass Emotionen bei Entscheidungen vor allem eine spontane Verarbeitung beeinflussen. Wahrheit oder Pflicht, Ehrlichkeit oder Unehrlichkeit oder von Emotionen geleitet — ist das hier die Frage?

Unser tägliches Handeln, die Fähigkeit systemisch zu denken und unsere emotionalen Reaktionen können mithilfe von dualen Prozessen erklärt werden. Dabei wird zwischen einem schnellen impulsiven (IS) und einem langsamen reflexiven System (RS) unterschieden. Das IS steuert das Verhalten auf Grundlage erlernter Verhaltensmuster. Zudem legt es seinen Fokus auf die Befriedigung der Grundbedürfnisse (Hunger, Durst, Schlaf etc.). Damit keine dieser überlebenswichtigen Handlungen vergessen wird, werden die gesammelten Informationen im Langzeitgedächtnis abgespeichert. Dank des RS sind wir in der Lage unser Verhalten zu reflektieren und anzupassen. Damit dies funktioniert findet ein Informationsaustausch mit dem IS statt. Jedoch werden die Informationen nur verarbeitet, wenn gerade keine wichtigeren Prozesse laufen. Bei einer Gehaltsverhandlung kann die betroffene Person beispielsweise schnell und impulsiv antworten. Alternativ könnte sie die erste Vorstellung noch einmal gründlich überdenken und erst danach antworten. Zudem wird unser Verhalten stark durch die vorherrschende Stimmung beeinflusst. Weshalb wir gerade in wichtigen Gesprächen einen kühlen Kopf bewahren sollten.

Kennen Sie das Gefühl schlagartig wütend zu sein? Herzlichen Glückwunsch! Sie haben nicht nur mit einer Primäremotion Bekanntschaft gemacht sondern auch die Arbeitsweise des impulsiven Systems kennengelernt. Sie leiden vermehrt unter Schuldgefühlen? Bei Ihnen arbeitet das reflexive System verstärkt. Bisherige Forschungsergebnisse konnten Wut mit einer erhöhten Impulsivität und Risikobereitschaft in Verbindung bringen. Zudem besteht die Vermutung, dass wütende Menschen schneller unethisches und süchtiges Verhalten (z.B. Drogenkonsum, Bulimie, Kaufzwang) zeigen. Personen die häufig das Gefühl von Schuld spüren verhalten sich nicht nur ethischer sondern kümmern sich auch vermehrt um ihre Mitmenschen. Die Forschergruppe um Daphna Motro untersuchte die Auswirkungen von Schuld und Wut auf unethisches Verhalten. Dazu führten sie zwei Studien mit Geldeinsatz an öffentlichen amerikanischen Universitäten durch. Die Teilnehmenden starteten mit einer Leistungsaufgabe auf Zeit und mit Geldeinsatz. Gefolgt von einer Schreibaufgabe bei der entweder über Wut oder Schuld geschrieben wurde. Im Anschluss fand eine Überprüfung der Emotionsmanipulation statt. Abschließend sollten die Teilnehmenden ihre eigene Leistung bei der Leistungsaufgabe bewerten. Dies bot ihnen die Möglichkeit sich unethisch zu verhalten. Indem sie ihre Leistung zu hoch angaben und gleichzeitig eine unverdiente Entschädigung einforderten.

Geldscheine und Taschenrechner auf dem Tisch liegendBei der Leistungsaufgabe der ersten Studie mussten die Teilnehmenden 20 Kopfrechenaufgaben lösen. Für jede richtige Antwort gab es 0,25 Dollar, maximal 5 Dollar. Die Auszahlung erfolgte nach eigener Leistungseinschätzung. Durch einen Zahlencode konnten die Aufgabenblätter den entsprechenden Briefumschlägen und Auszahlungen zugeordnet werden. Bei den „wütenden“ Teilnehmenden nahm das unethische Verhalten, im Vergleich zu einer neutralen Gruppe, um das Doppelte zu. Während es bei den Teilnehmenden mit Schuldgefühlen eindeutig ethisch erwünschter ausfiel.

Bei der Leistungsaufgabe der zweiten Studie handelte es sich um spieltheoretische Aufgabe. Die Teilnehmenden erhielten ein Startkapital von 100 Dollar und mussten bei 40 Versuchen angeben, ob eine „J“oker-Karte abgebildet wurde. Durch das Melden von „J“ verringerte sich der Gewinn, sodass durch eine ehrliche Spielweise maximal 20 Dollar übrig blieben. Auch bei der zweiten Studie zeigten die wütenden Teilnehmenden vermehrt unethisches Verhalten. Die beiden Studien belegen, dass ein konsistentes Verhaltensmuster zwischen den Emotionen Wut und Schuld, in Verbindung mit unethischen Handeln, besteht. Emotionen beeinflussen unser handeln stark. Je nachdem ob wir uns Zeit für Selbstreflexion nehmen oder impulsiv handeln wird das IS oder RS aktiviert. Dadurch werden die gewonnen Erkenntnisse durch die Theorie der dualen Prozesse gestützt.

Um genau dieselbigen Prozesse geht es in unserem Gehirn. Ein Dirigent leitet sowohl einen Chor als auch ein Orchester. Synchron gestaltet und interpretiert er das Kunststück. Wir können die Stimmen bzw. Instrumente besetzen und dadurch unser Arbeitsverhalten langfristig prägen. Umso häufiger eine Nervenzelle aktiviert wird, desto stärker wird die Verbindung. Wodurch das Verhalten immer routinierter wird. Dies lässt uns leistungsfähiger werden. Das IS und RS stehen bei jeder alltäglichen Verlockung im Konflikt zueinander und kämpfen um die Vorherrschaft. Chatte ich, während der Arbeitszeit mit Freunden? Oder lenke ich meine Konzentration mit voller Energie auf die Arbeit? Wer nun den Verlockungen im Arbeitsalltag nachgibt erreicht seine beruflichen Ziele höchstwahrscheinlich nicht, so der Forscher Jürg Dietrich. In Führungspositionen gilt es den richtigen Mix zu finden. Die bewusste und situative Anpassung unseres Verhaltens, kann nicht nur bei der Teamführung, sondern auch bei der Interaktion mit Bewerbern hilfreich sein. Mithilfe der Erkenntnisse wird deutlich, wie wichtig es ist, dass wir uns unserer Gefühle bewusst sind. So sollten wir versuchen eine gute emotionale Wegweisung zu bilden, um uns bei wichtigen Entscheidungen oder in Beziehungen moralisch und ethisch leiten lassen. Zudem kann so sichergestellt werden, dass wir dauerhaft der Dirigent unser eigenen Emotionen bleiben.

Mit einem Spillover-Effekt können Emotionen in einem bestimmten Kontext, Ergebnisse in einer nicht damit verbundenen Situation beeinflussen. Das ist der Zeitpunkt in dem Emotionen beginnen unser Handeln zu kontrollieren und teilweise aus der Intuition heraus ein Handeln hervorrufen. Wir können also festhalten, dass Emotionen nicht nur die spontane Verarbeitung (IS) beeinflussen. Jedoch unter dem Einsatz von Druckmitteln wie bspw. einem belohnenden Geldgewinn schnell die Oberhand übernehmen. Emotionen können sich durch erneutes triggern verstärken. Die Aufmerksamkeit darf nicht nur den Emotionen der Schuld und Wut geschenkt werden. Vielmehr wäre eine weitere Forschung in Verbindung mit den Grundemotionen Freude, Überraschung, Ekel und Angst sehr interessant. Verlasse ich mich hierbei ebenfalls auf mein Langzeitgedächtnis oder benötige ich Bedenkzeit um meine Entscheidung zu fällen? Da es sich hier um nur eine Studie zu Schuld und Wut handelt, ist das lesen von weiteren Studien zu diesem Thema wichtig. Zudem sollte weitere Forschungsarbeiten in dem Bereich getätigt werden, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. Und am Ende der Geschicht’ bleibt nur zu sagen: „Es gibt nichts besseres, als ruhig zu bleiben, in einer Situation, wo jeder von dir erwartet, dass du die Beherrschung verlierst.“ (Joker). Denn Emotionen mögen dich kontrollieren, aber du kannst sie genauso beherrschen.

 

Literatur

Deutsch, R., & Strack, F. (2006). Duality models in social psychology: From dual processes to interacting systems. Psychological Inquiry, 17(3), 166-172. https://doi.org/10.1207/s15327965pli1703_2.

Dietrich, J. (2014). Gehirngerechtes Arbeiten und beruflicher Erfolg – Eine Anleitung für mehr Effektivität und Effizienz. In: Den eigenen Dirigenten bewusst aktivieren und einsetzen. S. 11ff., Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-04862-4

Motro, D., Ordóñez, L. D., Pittarello, A., & Welsh, D. T. (2018). Investigating the effects of anger and guilt on unethical behavior: A dual-process approach. Journal of Business Ethics, 152(1), 133-148. https://doi.org/10.1007/https://link.springer.com/article/10.1007/s10551-016-3337-x#citeass10551-016-3337-x.

 

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Wie unsichtbare Annahmen sichtbare Hierarchien bilden

 > von Jonas Rheinwald, Philipp Hahling, Yannik Himstedt & Katharina Haller

Habt ihr oft das Gefühl in manchen Gruppen nicht entsprechend wahrgenommen zu werden, sei es am Arbeitsplatz oder auch woanders? Wird anderen dafür umso mehr Beachtung geschenkt und ihr versteht nicht wieso? Woran dies liegen könnte und wie das möglicherweise mit der Gender-Pay-Gap zusammenhängt, soll in diesem Beitrag erklärt werden.

In der Stark AG wird die gesamte Marketingabteilung umstrukturiert. Aufgrund des starken Wachstums im letzten Jahr wird zudem viel neues Personal eingestellt. Die einzelnen Teams werden völlig neu zusammengewürfelt. Sabine freut sich riesig, dass sie von nun an die Werbeanzeigen mitgestaltet, denn in diesem Bereich liegen ihre Stärken. Sie hat vor, sich einzubringen und strebt eine leitende Position an. In ihrem letzten Team kam sie sich nämlich wie eine Mitläuferin vor. Die Strukturen waren dort ziemlich starr und eingefahren. Das soll sich jetzt ändern! Am Tag des Kennenlernens des neuen Teams hält sie sich zunächst bedeckt, um ihre neuen Teammitglieder zu beobachten. Kurt fällt ihr besonders auf. Er zeigt sich sehr kommunikativ und betont zudem seine Erfahrungen im Bereich der Werbung. Sabine ist davon eher weniger beeindruckt. Sie findet, dass sie selbst mehr Expertise mitbringt. In den darauffolgenden Tagen werden die ersten Kampagnen geplant. Kurt kommt ihr mit den guten Ideen zwar immer zuvor, Sabine zeigt sich aber trotzdem äußerst motiviert. Nach einiger Zeit hat sich eine Hierarchie in dem neuen Team etabliert. Kurts anfängliche Dominanz verhalf ihm an dessen Spitze. Sabine ist frustriert. Wie konnte es so weit kommen? 

 

Welche Aspekte Einfluss darauf haben, wer an der Spitze einer Hierarchie steht 

Die Beobachtung von Unterschieden innerhalb von sozialen Gruppen bildet den Nährboden für Ungleichheit. Aus diesen Beobachtungen schließen wir auf die Kompetenz einer Person und erwarten eine entsprechende Leistung. Daraus bildet sich mit der Zeit eine Statushierarchie. Diese wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Treibende Kräfte sind (a) Merkmale der Person, (b) Belohnungen und (c) Verhaltensmuster. 

 

(a) Dass Kurt der Ranghöchste der sozialen Hierarchie wurde, ist nicht verwunderlich. Dies ist auf sein Geschlecht zurückzuführen. 

Die Wahrnehmung bestimmter Merkmale lässt uns unbewusst auf Kompetenz dieser Person schließen. Zwei Arten von Merkmalen sind hier relevant: 

Spezifische werden in Bezug auf eine Aufgabe gebildet. So nehmen wir an, dass jemand mit Computerexpertise fähiger ist, wenn sich die Aufgabe auf etwas technisches bezieht. Diffuse ziehen eine allgemeine Betrachtung hinzu und beziehen sich auf das Geschlecht oder die Herkunft. So wird beispielsweise wahrgenommen, dass ein Mann generell kompetenter ist als eine Frau. Auf Basis dieser Merkmale erwarten wir eine bestimmte Leistung von einer Person. Diese Leistungserwartungen werden in eine Hierarchie innerhalb der sozialen Gruppe umgewandelt. 

 

(b) Kurt ist bereits viele Jahre in der Stark AG angestellt. Er erhält ein höheres Gehalt als Sabine und besitzt zudem ein schöneres Büro. Dadurch wird Kurt mehr Kompetenz zugesprochen, was sich wiederum positiv auf seinen Rang in der Hierarchie auswirkt.  

Eine ungleiche Verteilung von Belohnung ist an die Erwartungen bzgl. der Leistung einer Person geknüpft. Eine Art von Belohnung ist z. B. das Gehalt. Erfahren oder erwarten wir beispielsweise, dass jemand viel verdient, sprechen wir ihm auch viele Einflussmöglichkeiten zu. Weiterhin erwarten wir, dass diese Person eine hohe Leistung erbringt. So scheint die höhere Bezahlung als gerechtfertigt. Daraus bildet sich eine neue oder festigt sich eine bestehende Hierarchie. 

 

(c) Anfangs versuchte Sabine ihre Ideen einzubringen. Allerdings hat Kurt seine Vorschläge oftmals durchsetzen können. Mit der Zeit hat er im Team viel Respekt erlangt. Aufgrund der durchweg positiven Bewertung werden größtenteils Kurts Ideen umgesetzt.

Die Verhaltensmuster sind ein weiterer Indikator für die Kompetenz einer Person. Hier bildet sich eine wechselseitige Beziehung: Die dominanteste Person der Gruppe hat ein hohes Durchsetzungsvermögen. Die Ideen werden respektiert und positiv bewertet.  Außerdem wird sie insgesamt als kompetenter wahrgenommen. Das bestärkt sie, in Zukunft weitere Aufgabenvorschläge zu machen. Diese Beziehung kann abhängig von unterschiedlichen Merkmalen sein – so tritt ein Mann häufig durchsetzungsfähiger auf als eine Frau. Gleiches gilt, wenn eine Person eine für die Aufgabe relevante Ausbildung vorweist. So ist es für Kurt zusätzlich förderlich, dass er seine vorhandene Expertise bereits beim Kennenlernen postuliert. 

 

Zwischen diesen drei Aspekten gibt es spannende Verlinkungen. Die Sozialpsychologen Stewart und Moore untersuchten in einer Studie, inwiefern Lohnunterschiede und die angenommene Leistungsfähigkeit zusammenhängen. Die Versuchspersonen wurden paarweise zugeteilt. Einige Paare erhalten Informationen über eine Entlohnung für die Teilnahme an der Studie, wobei einer der beiden mehr Geld erhält. Im Folgenden lösen sie die gleiche Aufgabe in Einzelarbeit. Vor Abschluss der Aufgabe kann die eigene Lösung mit der des Gegenübers verglichen werden. In 80 % der Fälle wird angezeigt, dass der*die Partner*in die Aufgabe anders gelöst hat. Nun besteht die Möglichkeit, bei der ursprünglichen Meinung zu bleiben oder die eben gezeigte Lösung anzunehmen. Anhand dessen untersuchten Stewart und Moore, inwiefern sich Personen bei der Lösung einer Aufgabe beeinflussen lassen. In dem Zusammenhang betrachteten sie zudem, ob die unterschiedliche Entlohnung darauf einen Einfluss hat. Die Untersuchungen belegen vorhandene Unterschiede der Einschätzung der Leistungsfähigkeit in Abhängigkeit von der Entlohnung. Männer und Frauen, die mehr verdienen als ihr*e Partner*in, sind widerstandsfähiger gegen die Beeinflussung durch diese*n Partner*in. Daraus kann man schließen, dass Kurt aufgrund seines Gehalts durchsetzungsfähiger auftritt. Sprich, die in Abschnitt (b) aufgezeigten Belohnungen können auf die in Abschnitt (c) erklärten Verhaltensweisen wirken. 

Weitere Untersuchungen deuten auf einen Unterschied zwischen den Geschlechtern hin. Gutverdienende Männer treten widerstandsfähiger gegenüber weniger verdienenden Frauen, als gegenüber weniger verdienenden Männern auf. Weniger Gehalt wird mit geringerer Kompetenz assoziiert. Der Gender-Pay-Gap verstärkt so die Ungleichheit der Geschlechter. Die geringe Anzahl weiblicher Führungskräfte ist also nicht verwunderlich. So ist Kurt beständiger gegen Widerworte von Sabine, als von männlichen Kollegen. Diffuse Merkmale (siehe Abschnitt a) beeinflussen also vor allem, wie Männer sich verhalten.  Müssen Kurt und alle anderen Männer Feministen werden und Frauen mehr Fähigkeiten zusprechen? Ganz so einfach ist das nicht. 

 

Die soeben thematisierten Überzeugungen sind einvernehmlich, das heißt, sowohl Männer als auch Frauen teilen diese Ansichten. Das führt dazu, dass Frauen auf eine dementsprechende Art und Weise handeln. Das bestärkt Männer zusätzlich in ihrer dominanten Rolle.  

Es liegt nicht an dem Geschlecht, dass Frauen nicht als Führungskraft angesehen werden. Vielmehr steckt die Erwartung dahinter, dass sie weniger kompetent sind und auch so auftreten, eben weil sie eine Frau sind. Zusätzlich werden ihre guten Ergebnisse sehr kritisch hinterfragt, weil von ihnen keine guten Leistungen erwartet werden. Diese Phänomene sind nicht auf das Geschlecht limitiert. Ähnliches gilt beispielsweise für die Hautfarbe von Menschen. Schwarze Personen werden aufgrund ihres Erscheinungsbildes als weniger fähig eingestuft. Somit sind auch sie seltener in leitenden Positionen zu finden. Es wird deutlich, dass das Gehalt in der Praxis zumindest einen ersten wichtigen Dreh- und Angelpunkt darstellt, um der Ungleichheit entgegenzuwirken.

 

Was bedeutet das für uns?

An den Beispielen von Kurt und Sabine lässt sich erkennen, dass es nicht so einfach ist, sich an die Spitze zu kämpfen. Viele Faktoren spielen in die Entstehung von Statushierarchien und Leistungserwartungen von Beschäftigten. Belohnungsstrukturen, Verhaltensmuster und Überzeugungen, aber auch Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit eines*einer Beschäftigten haben dabei großen Einfluss. Die daraus entstandenen unbewussten Annahmen lassen ungleiche Strukturen entstehen. Das Verständnis der Entstehung und Reproduktion von Ungleichheit hilft diesem entgegenzuwirken. Der Schlüssel für eine Auflösung solcher ungerechten Strukturen ist die Aufklärung über die beschriebenen unbewussten Annahmen, denn die Wichtigkeit der Faktoren sind nicht dauerhaft festgeschrieben und somit veränderbar. Weiterhin können betriebliche Maßnahmen der Entstehung von Ungleichheiten entgegenwirken. 

Der in der Studie beobachtete wahrgenommene Kompetenzunterschied zwischen Männern und Frauen am Arbeitsplatz zeigt eine sehr lange bestehende Baustelle auf. Diese vorherrschenden Einschätzungen können sich in aber Zukunft auch ändern. Männer- und Frauenbilder haben sich in den letzten Jahrzehnten rasant entwickelt und wir rücken einer Gleichstellung der Geschlechter im Alltag und im Beruf näher und näher.

 

Literaturquellen

Correll, S. J., & Ridgeway, C. L. (2006). Expectation states theory. In Handbook of social psychology (pp. 29-51). Springer, Boston, MA.

Human Development Report Office (2020). Human Development Perspectives. Tackling social Norms – A game changer for gender inequalities. New York. 

Stewart, P. A., & Moore Jr, J. C. (1992). Wage disparities and performance expectations. Social Psychology Quarterly, 78-85.

 

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“Hilfe, mein Chef mobbt mich!” – Ist es Mobbing oder der fundamentale Attributionsfehler?

Laut ver.di sind in Deutschland rund 1,8 Millionen Erwerbstätige von Mobbing betroffen. Dabei sind in über 50% der Fälle Vorgesetzte dafür verantwortlich oder maßgeblich daran beteiligt (ver.di o.J.). Doch handelt es sich tatsächlich immer um Mobbing, wenn jemand dieses Wort in den Mund nimmt?

Mobbing findet heutzutage nicht nur in der Schule statt, sondern immer häufiger auch am Arbeitsplatz. Sei es ein herablassender Kommentar oder eine immer weiter anhaltende Ausgrenzung. Doch ob sich ein Mensch von seinem Umfeld gemobbt fühlt oder nicht, hängt von verschiedenen Faktoren ab. So nehmen Menschen Worte von anderen unterschiedlich wahr und schreiben dem Verhalten anderer unterschiedliche Ursachen zu. Einige sehen einen “negativen” Kommentar als direkten Angriff, während andere dies ganz anders wahrnehmen. Wie die Suche nach Ursachen für das Mobbing innerlich abläuft und wie gesammelte Vorerfahrungen mit dem Mobbenden diese beeinflussen, erfahrt ihr in diesem Beitrag.

Zur besseren Verständlichkeit werfen wir einen Blick auf Sabine. Sabine ist Mitarbeiterin bei einem Versicherungsmakler. Seit einiger Zeit kommt Sabine nicht mehr gerne zur Arbeit. Der Grund dafür ist ihr direkter Vorgesetzter, Wolfgang. Sie hat das Gefühl, von ihm nicht ernst genommen zu werden und gezielt aus den Vertriebskampagnen ausgeschlossen zu werden. Es kommt sogar vor, dass er sauer wird und gemeine Kommentare ablässt, was sich Sabine aber nicht traut anzusprechen. Den Kolleg:innen fällt das nicht mal mehr auf, solche Äußerungen sind für sie nichts Neues. 

Wird Sabine von Wolfgang gemobbt? Oder meint Wolfgang das alles gar nicht böse?

 

Mobbing am Arbeitsplatz

Mobbing ist ein ernstzunehmendes Problem innerhalb von Organisationen. Viel zu häufig ist es die Ursache für Kündigungen oder Burnouts. Doch was genau ist eigentlich Mobbing?

Entscheidend ist die Dauer des Mobbings. Erst wenn Anfeindungen verschiedener Art über einen längeren Zeitraum immer wieder stattfinden, spricht man von Mobbing (Steensman und Dijke, 2006). Doch häufig sind Aussagen oder Verhaltensweisen nicht eindeutig einzuschätzen. Ob eine Aussage als Mobbing verstanden wird, hängt davon ab, ob wir ihr eine böse Absicht unterstellen. Somit hängt Sabines Einschätzung, ob Wolfgang sie mobbt davon ab, welche Ursache sie seinem Verhalten zuschreibt.

 

Attribution und wie wir uns Selbst an der Nase herumführen

Wenn Sabine sich Gedanken darüber macht, welche Absichten Wolfgang mit seinem Verhalten ihr gegenüber verfolgt, nennt man das Attribution. Ganz allgemein bezeichnet es die Suche nach Ursachen für eine Handlung oder ein Ereignis. Unser Verstand spielt uns aber auch in Sachen Attribution gerne mal etwas vor. Es gibt einige Denkfehler, die uns zu falschen Ergebnissen führen. Einer ist der fundamentale Attributionsfehler. Dabei kommen wir fälschlicherweise zu dem Schluss, die Ursache eines Verhaltens liege in dem/der Akteur:in selbst. Also in seinen/ihren Werten und Eigenschaften. Äußere, also situative Faktoren, lassen wir dabei unberücksichtigt (Reeder, 2013). Beispielsweise ist Sabine sich sicher, dass Wolfgang sie nicht mag und ein unfreundlicher Mensch ist, weil er sie nicht gegrüßt hat, obwohl er lediglich heiser war oder sie sein Winken nicht gesehen hat.

Speziell hinsichtlich Mobbing ist die sog. Selbstwertdienliche Verzerrung interessant. Dabei handelt es sich um die Tendenz, positiven Ereignissen (gute Leistung) eher internale Faktoren zuzuschreiben (gute Kenntnisse/Anstrengungen) und negativen Ereignissen eher externale Faktoren (Situation, Zufall, Kolleg:innen). Eine Studie von Steensman und Dijke (2006), die sich mit dem Attributionsverhalten von Mobbing-Opfern beschäftigt, stützt sich auf eben diese Verzerrung, um ihre Ergebnisse zu begründen. Denn entgegen ihrer Annahmen haben Mobbing-Opfer überwiegend situationsbedingte Faktoren des jeweiligen Kontextes  als Ursache für das Mobbing gesehen.

 

Wie Moral unsere Attribution beeinflusst

Noch bevor wir attribuieren findet eine Beurteilung der beobachteten Situation statt. Ob wir etwas als richtig, falsch, nett oder böse erachten, hängt von unseren moralischen Wertvorstellungen ab. Im Bruchteil einer Sekunde merken wir, ob das beobachtete Verhalten im Einklang mit unseren Wertvorstellungen steht oder diesen widerstrebt. Erachten wir das Verhalten nicht als moralisch fragwürdig, schreiben wir ihm keine böse Absicht zu. Wenn wir allerdings ein Verhalten, z.B. eine Aussage, als nicht nett oder fies wahrnehmen, gehen wir häufig davon aus, dass diesem Verhalten eine bestimmte Absicht zugrunde liegt (Zedlacher, Salin, 2021). Dabei stellen wir uns bspw. die Frage: „Konnte der oder die Agierende frei handeln, oder wurde das Verhalten durch bestimmte Rahmenbedingungen vorgegeben?“ Im Beruf könnte es z.B. sein, dass aus Sicherheitsgründen eine Ermahnung, sich an gewisse Vorschriften zu halten, unbedingt notwendig ist. Interessant ist auch ein Blick auf unser Rollenverständnis. In der zitierten Studie hat sich herausgestellt, dass wir Führungskräfte generell moralisch strenger beurteilen, als Mitarbeiter:innen ohne leitende Funktion. Zusätzlich fällt unser Urteil eher auf langfristige Eigenschaften, sobald wir empfinden, dass die Führungskraft ihre Rolle nicht gut ausfüllt. Wenn also Sabines Erwartungen an Wolfgang als Führungskraft in vorherigen Situationen enttäuscht wurden, kann das dazu führen, dass sie ihn allgemein als schlechten Chef sieht. Diese empfundene Rollenverletzung führt dann dazu, dass Sabine die Ursache in Wolfgangs Verhalten eher in Eigenschaften wie Ungeduld und Unfreundlichkeit sucht, als in Faktoren der Situation, oder seiner aktuellen Laune. Es ist somit auch von Bedeutung, was für Vorerfahrungen wir mit der Person, deren Verhalten wir einschätzen, bereits gesammelt haben.

 

Der Einfluss von Vorerfahrungen mit dem Täter

Häufig lassen sich Aussagen oder Verhaltensweisen moralisch nicht eindeutig zuordnen. Hier spielen eine Reihe weiterer Faktoren eine Rolle, wie bspw. die Vorerfahrungen, die wir mit der beobachteten Person gemacht haben. Laut des Kovariationsprinzips von Kelley (1973) sind vor allem drei Aspekte entscheidend. Erstens geht es um die Konsistenz des gezeigten Verhaltens: „Reagiert Wolfgang auch in anderen Situationen so?“. Wenn das Verhalten auch in anderen Situationen gezeigt wird, dann ist es für diese Person offensichtlich ein übliches Verhalten und wirkt daher beim Schließen auf eine bestimmte Absicht mindernd (Zedlacher, Salin, 2021). Ganz nach dem Motto: „Der macht das halt immer so.“. Zweitens ist die Distinktheit für das Ergebnis unserer Attribution ausschlaggebend. Hierbei stellt sich die Frage, ob das gezeigte Verhalten ausschließlich gegenüber Sabine gezeigt wird oder auch gegenüber anderen Personen. Drittens ist der Konsens mit anderen Personen entscheidend. Nehmen andere das Verhalten ähnlich wahr, dann herrscht hoher Konsens über die Wahrnehmung des Verhaltens vor. Je nach Ausprägung dieser drei Aspekte schließen wir eher auf innere oder auf äußere Ursachen für das beobachtete Verhalten.

 

Was wir daraus lernen können

Ob es sich bei Sabine um Mobbing handelt oder um den fundamentalen Attributionsfehler lässt sich nicht generalisierbar beantworten. Denn viele unterschiedliche Aspekte sorgen dafür, ob wir Verhalten als Mobbing wahrnehmen oder nicht. Sei es nun aufgrund unterschiedlicher Wertvorstellungen, einem anderen Rollenverständnis oder der Vorerfahrung mit einem Menschen. Dabei ist es theoretisch auch egal, wenn unsere Wahrnehmung durch eine Verzerrung (wie dem fundamentalen Attributionsfehler) von der Wirklichkeit abweicht. Letztendlich führt die Wahrnehmung zu Gefühlen, die sich negativ auf Sabines Psyche und ihre Arbeitsleistung auswirken und sollten allein deswegen thematisiert werden. Doch auch Sabine kann und sollte hinterfragen, ob sie die Situationen mit Wolfgang bei der Arbeit eventuell zu kritisch wahrgenommen hat. Denn jeder – auch der/die Chef:in – kann mal einen schlechten Tag haben oder eben einfach falsch verstanden werden. Zu wissen, dass es vorkommen kann, dass wir bestimmten Verhaltensweisen eine falsche Ursache zuschreiben und somit eine Person falsch einschätzen, kann neue Perspektiven eröffnen. Probier es doch selbst mal aus!

 

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Work it, Mama! – Warmherzige Mutter oder kaltherzige Karrierefrau?

Auch wenn Männer und Frauen eigentlich gleichberechtigt sein sollten, sehen sich Mütter und Väter jedoch unterschiedlichen Stereotypen ausgesetzt. Doch worauf basieren diese unterschiedlichen Annahmen und die Ungleichbehandlung zu Lasten von Müttern im Arbeitsalltag? Das Stereotype Content Model von Fiske et al. (2002) liefert dafür einen Erklärungsansatz.

Karriere und Kinder – (k)ein Widerspruch?

Mütter sind Superheld:innen, oder? Sie wissen immer, wohin man den eigenen Impfpass verlegt hat und sind wahre Organisationstalente. Das Bild der fürsorglichen und unerschrockenen Löwenmutter ist sicherlich den meisten ein Begriff. Berufstätige Mütter meistern zusätzlich den Spagat zwischen Beruf und Familie. Dennoch kommt immer wieder die Frage auf, ob sie wirklich Kindererziehung und Beruf parallel bewältigen können. Dementsprechend ergibt sich in den Köpfen vieler der hartnäckige Widerspruch warmherzige Mutter versus kaltherzige Karrierefrau. Unter Umständen können solche Stereotype zu sozialer Ausgrenzung führen und diskriminierende Folgen haben. Aber woher kommen diese Einstellungen und das daraus resultierende Verhalten Müttern gegenüber im Arbeitskontext? Hierzu lohnt es sich das sozialpsychologische Stereotype Content Model (SCM) von Fiske, Cuddy, Glick und Xu (2002) heranzuziehen. Das Modell erklärt, dass Individuen soziale Gruppen anhand der zwei Dimensionen Wärme und Kompetenz einschätzen. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch geschlechtsspezifische Stereotype auf den beiden Dimensionen abbilden.

Das Stereotype Content Model als Erklärungsansatz

Das SCM von Fiske et al. aus dem Jahre 2002 bietet einen theoretischen Rahmen für die Erklärung und Einordnung von unterschiedlichen Stereotypen. Im Gegensatz zu der herkömmlichen Annahme, dass Stereotype tendenziell negativ behaftet sind, geht das SCM von einem vielschichtigen Bild aus und betrachtet Gruppen differenziert. So können verschiedene stereotype Gruppen anhand von zwei Dimensionen unterschieden werden: Wärme und Kompetenz. Haben Sie sich schon mal die Frage gestellt, ob die fremde Person oder Gruppe Ihnen gegenüber gute oder schlechte Absichten hat? Menschen wollen erst einmal die Intention des Gegenübers in Erfahrung bringen. Die wahrgenommene Wärme hängt nämlich von der wahrgenommenen Konkurrenz ab, die von der Person bzw. Gruppe ausgeht. Oder haben Sie sich gefragt, ob Ihr Gegenüber die Kompetenz hat, um ihre Ziele auch zu erreichen? Über die Kompetenzdimension wird abgebildet, ob die andere Person überhaupt dazu fähig ist, die Intention auszuüben. Die Bewertung der Kompetenz stützt sich auf den wahrgenommenen Status der Person bzw. Gruppe. Gruppen werden also anhand dessen bewertet, inwiefern sie Einfluss auf einen selbst oder die eigene Gruppe ausüben können. Zwar stellen wir uns im Alltag vermutlich nicht aktiv diese Fragen, wenn wir Gruppen bewerten. Dennoch beruht der Inhalt von Stereotypen nach dem SCM auf diesen beiden Aspekten. Aus den zwei Dimensionen und der jeweils hohen beziehungsweise niedrigen Ausprägung lassen sich vier verschiedene Kombinationen von Stereotypgruppen ableiten. Jedem Stereotyp bringen wir verschiedene Emotionen entgegen. Gruppen, denen wir uns zugehörig fühlen, schreiben wir oftmals eine hohe Wärme sowie eine hohe Kompetenz zu. Die Gruppen lösen dabei das Gefühl der Bewunderung in uns aus. Es gibt aber auch Gruppen, denen wir weder Wärme noch Kompetenz zuschreiben; wir schreiben Ihnen weder zu fähig zu sein noch finden wir diese Gruppen nett. Solchen Gruppen wird eher Verachten entgegengebracht. Zudem gibt es zwei Stereotypgruppen, die auf der einen Dimension als hoch und auf der anderen als niedrig eingestuft werden. Manche Gruppen werden wahrgenommen, als ob sie weder die Intention noch das Vermögen hätten, einem selbst oder der eigenen Gruppe zu schaden. Solche Gruppen werden als warm, aber nicht als kompetent wahrgenommen. Dadurch bringen Personen diesen Gruppen eher Mitleid entgegen. Im Gegensatz dazu können wir Gruppen auch als kompetent, aber nicht als warm empfinden. Diesen Gruppen bringen wir eher Neid entgegen.

Berufstätige Eltern im Stereotype Content Model

Eine Folgestudie von Cuddy, Fiske und Glick (2004), die auf dem SCM aufbaut, untersucht die Einordnung von berufstätigen Müttern auf den Dimensionen des SCM und vergleicht diese mit den von berufstätigen Vätern. Dabei wurden vier verschiedene Gruppen untersucht, in der jeweils das Geschlecht (weiblich, männlich) und Elternschaft (Kind, kein Kind) kombiniert wurden. Die Teilnehmer:innen wurden gebeten Profile fiktiver Berater:innen durchzulesen und hinsichtlich Wärme, Kompetenz sowie beruflicher Wertschätzung oder Diskriminierung (Einstellung, Beförderung, Weiterbildung) zu bewerten. Die Teilnehmer:innen sahen ein Profil, bei dem entweder eine männliche oder weibliche beratende Person (Dan oder Kate) mit identischer Berufserfahrung und der aktuellen Tätigkeit beschrieben wurde. Außerdem wurde lediglich beim Vorliegen einer Elternschaft der Satz eingefügt, dass der:die Berater:in und seine:ihre Partner:in vor kurzem ihr erstes Baby bekommen haben. So gelang es den Autor:innen eine sehr niederschwellige, aber aussagekräftige Unterscheidung zu schaffen. An der Studie nahmen insgesamt 122 Studierende der Princeton Universität teil (72 Frauen, 50 Männer, zwei Drittel weiß).

Kompetenzverlust durch Muttersein

Berufstätige Mütter könnten dem SCM entsprechend auf einen von zwei möglichen Stereotypen reduziert werden: die „Nestbauerin“ – warm aber inkompetent, oder die „Karrierefrau“ – kompetent aber kühl. Die Studienergebnisse sind schmerzlich wenig überraschend: Wenn Frauen Mütter werden, tauschen sie einen Teil ihrer wahrgenommenen Kompetenz gegen Wärme ein. Für berufstätige Väter galt dies innerhalb der Studie allerdings nicht. Sie werden im selben Maße als kompetent wahrgenommen wie kinderlose Berufstätige und gewinnen sogar noch an wahrgenommener Wärme dazu – win win für die Papas also. Die Wahrnehmung auf der Wärme-Kompetenz-Skala fällt zu Ungunsten der berufstätigen Mütter aus. Es besteht weniger Interesse daran, Mütter einzustellen, zu befördern oder aus- bzw. weiterzubilden als kinderlose Arbeitnehmer:innen. Aber warum ist das so? Mithilfe des SCM haben wir bereits erfahren, wie Stereotype entstehen und was sie in uns auslösen. Die Theorie geht aber noch weiter und spricht Stereotypen die Vorhersage von Mustern diskriminierender Verhaltensintentionen zu, konkret: von aktiven Angriffen, über passiven sozialen Ausschluss bis hin zu Hilfe oder Kooperation. Wer als stark warm wahrgenommen wird, dem wird eher Hilfe angeboten und wird seltener Opfer aktiver Angriffe. Wer hingegen als stark kompetent wahrgenommen wird, der erntet Anerkennung und vermeidet so die soziale Exklusion. Frauen werden in dem SCM in gemischte Stereotyp-Cluster und eher zwiespältig eingeordnet. Entweder werden sie als kühle Wettbewerberinnen respektiert und beneidet (Karrierefrauen) oder sie werden gemocht aber wenig anerkannt (Hausfrauen). Es erscheint entsprechend der Logik des SCM schier unmöglich, dass Frauen auf beiden Dimensionen hoch eingeschätzt werden. Die Studie von Cuddy et al. (2004) zeigt, dass die Teilnehmenden lieber Beratende befördern, die als kompetent wahrgenommen werden. Der Anstieg an wahrgenommener Wärme bringt berufstätigen Müttern folglich keinen Vorteil im Berufsleben. Wenn Mütter nach der Geburt wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren, haben sie vermutlich an wahrgenommener Kompetenz verloren und werden zudem seltener am Arbeitsplatz gefördert. Dies lässt wiederum die Schlussfolgerung zu, dass die wahrgenommene Wärme als irrelevant zur Beurteilung der Arbeitsleistung angesehen wird. Für berufstätige Väter gilt das nicht. Die Autor:innen gehen davon aus, dass die stärker wahrgenommene Wärme bei Müttern schlichtweg die wahrgenommene Kompetenz überstrahlt.

Aktuelle Benachteiligung von Müttern am Arbeitsplatz

Das klingt alles ziemlich unfair, oder? Die Studie von Cuddy et al. stammt bereits aus dem Jahr 2004 und stützt sich auf ein scheinbar vereinfachtes Stereotypmodell. Trotzdem fühlt sich das Thema Diskriminierung von Müttern am Arbeitsplatz auch heute noch aktuell an. Auch wenn die Entwicklung hin zu mehr Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen stetig voranschreitet, sind viele Einstellungen zu Frauen noch immer geprägt von veralteten Vorurteilen im Job, wie eine Umfrage von 2018 zeigt (Initiative Chefsache, o.D.). Insbesondere berufstätige Mütter spüren die riesigen Hürden, die es zukünftig noch zu bewältigen gilt. Das SCM kann uns dabei helfen, unsere ambivalenten Gefühle zu verstehen und unsere Voreingenommenheit und Vorurteile bewusst abzubauen. Dieses Wissen könnte auch für Organisationen zur Gestaltung von Präventionsmaßnahmen, wie beispielsweise Trainings zur unbewussten Voreingenommenheit, hilfreich sein. Denn so kann sich die Art und Weise, wie wir unsere Mitmenschen einschätzen, nachhaltig verändern.

Die Veränderung beginnt also – wie so oft – im Kopf jedes Einzelnen.

 

Quellen

Cuddy, A. J. C., Fiske, S. T., & Glick, P. (2004). When professionals become mothers, warmth doesn’t cut the ice. Journal of Social Issues, 60(4), 701-718. https://doi.org/10.1111/j.0022-4537.2004.00381.x

Fiske, S. T., Cuddy, A. J., Glick, P., & Xu, J. (2002). A model of (often mixed) stereotype content: Competence and warmth respectively follow from perceived status and competition. Journal of Personality and Social Psychology, 82(6), 878-902. https://doi.org/10.1037/0022-3514.82.6.878

Initiative Chefsache (o.D). Repräsentative Umfrage: Vorurteile gegen Frauen im Job nehmen zu. https://initiative-chefsache.de/vorurteile-gegen-frauen-im-job-nehmen-zu/

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