Autor: Jil

Work-Life-Balance – Ein Selbstläufer?

▶︎ von Elias Marks, Eila Daghighi Roohy, Esther Freese und Jil Höfker

Work-Life-Balance erhält zunehmend Aufmerksamkeit in Zeiten, in denen Vorgesetzte einen nach Feierabend noch mit WhatsApp-Nachrichten bombardieren können oder Online-Meetings um 22 Uhr stattfinden müssen, wenn Projektmitarbeiter:innen am anderen Ende der Welt sitzen. Work-Life-Balance-Programme zur Unterstützung von Mitarbeiter:innen existieren bereits, doch das allein reicht nicht, damit diese erfolgreich sind. Wie können die Programme von Führungskräften in der Praxis angewandt werden?

Ein Ehepaar sitzt am Frühstückstisch und plötzlich klingelt das berufliche Smartphone. Schon wird das Brot beiseite gelegt und der Ehemann hängt bereits am Telefon und versucht den englischsprachigen Anruf zu händeln – es gibt Probleme in der Logistik. Die Ehefrau schaut derweil in den Laptop. Zwischen all den neuen E-Mails ist vor allem eines von Bedeutung: Heute ist Deadline-Day! Nach einem kurzen Augenrollen ist zu hören, wie das gemeinsame Kind anscheinend aufgewacht ist und anfängt zu schreien.

Das beschreibt deinen Alltag? Herzlich willkommen in der Arbeitswelt, durchzogen von unvorhersehbaren Arbeitsabläufen, flexiblen Arbeitszeiten und vor allem ständiger Verfügbarkeit. Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben wird in dieser Arbeitswelt eine immer größere Herausforderung. Nicht nur Arbeitnehmer:innen beschäftigen sich deshalb mit Work-Life-Balance, sondern auch Organisationen und Entscheidungsträger:innen setzen sich zunehmend damit auseinander. Viele Unternehmen versuchen den Mitarbeiter:innen mit freiwillig eingeleiteten Initiativen wie Home-Office-Möglichkeiten und flexiblen Arbeitszeiten zu helfen, eine bessere Balance zu erreichen. Entworfen und verabschiedet werden sie auf Organisationsebene, doch verwaltet werden sie durch Teamleiter:innen. Theoretisch gibt es also eine Vielzahl an Programmen, diese werden von den Teamleiter:innen in der Praxis jedoch oft nicht umgesetzt. Stellt sich damit die wichtige Frage: Welche Faktoren wirken sich auf das Verhalten der Teamleiter:innen aus, Work-Life-Balance-Programme  aktiv umzusetzen und Mitarbeiter:innen zu unterstützen?

Eine Antwort kann möglicherweise die Theory of planned behavior liefern, mit welcher das Verhalten von Teamleiter:innen erklärt werden kann. Doch was ist die Theory of planned behavior überhaupt?

Theory of planned behavior

Die Theory of planned behavior von Ajzen (1991) nimmt an, dass das Verhalten einer Person durch dessen Absicht, das Verhalten auszuführen, bestimmt ist. Absicht wird auch als unmittelbare „Vorstufe“ zur Verhaltensausführung beschrieben. Diese ergibt sich aus den eigenen Einstellungen hinsichtlich des Verhaltens, den subjektiven Normen und der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle.

Unter Einstellung fasst Ajzen (1991) die persönliche Meinung einer Person dazu, ob ein bestimmtes Verhalten „gut” oder “schlecht“ ist. Subjektive Normen beschreiben die Überzeugungen von relevanten Gruppen, wie Familie, Freund*innen, Bekannte oder die Gesellschaft im Allgemeinen auf das spezifische Verhalten. Der letzte Faktor – die wahrgenommene Verhaltenskontrolle – wird definiert als die Wahrnehmung der eigenen Fähigkeit, ein bestimmtes Verhalten auszuführen. Es gilt: Je positiver die Einstellung und je größer die subjektive Norm und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle, desto stärker ist die Absicht einer Person, das Verhalten auch auszuführen.

Und damit zurück zu den Teamleiter:innen. Sie haben einen erheblichen Einfluss auf die Nutzung der Programme, da sie engen Kontakt zu den Mitarbeiter:innen pflegen, die letztendlich von den Work-Life-Balance-Angeboten profitieren sollen. Auch Purcell et al. (2003) kommen in einer Längsschnittstudie zu diesem Ergebnis. Somit sind Teamleiter:innen das Bindeglied zwischen der strategischen Ebene und der operationalen Ebene.

How to: Mitarbeiter:innen zu einer gesunden Work-Life-Balance führen

Nach McCarthy, Darcy & Grady (2009) gibt es fünf Faktoren, welche bestimmen, wie Teamleiter:innen die Nutzung von Work-Life-Balance-Angeboten unterstützen können. Ihre Annahmen beruhen zum Teil bereits auf empirischen Befunden.

  1. Bewusstmachen aller Richtlinien und Programme zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben

Die Teamleiter:innen müssen das Work-Life-Balance-Programm kennen und auch wissen, wie dieses im Arbeitskontext implementiert werden kann. Das ist die Basis für die Absichten sowie das Verhalten der Teamleiter:innen.

  1. Persönliche Einstellung zu Work-Life-Balance-Programmen

Doch wie steht der:die Teamleiter:in eigentlich persönlich zu den Work-Life-Balance-Programmen? Gesetzt den Fall, dass der:die Teamleiter:in die Work-Life-Balance-Programme zwar kennt, aber selbst kaum nutzt und nicht als sinnvoll empfindet, so sind die Chancen hoch, dass sich diese Tendenz auf das Team überträgt. Der:Die Teamleiter:in muss mit gutem Beispiel vorangehen und aufzeigen, dass das Nutzen der Work-Life-Balance-Programme erlaubt und sogar erwünscht ist – dies zeigen auch Umfrageergebnisse von Casper et al. (2004).

  1. Wahrgenommene Wirksamkeit der Work-Life-Balance-Programme

Nun kann es sein, dass der:die Teamleiter:in prinzipiell die Work-Life-Balance- Programme gutheißt und auch selbst nutzen würde – aber dennoch nicht von der positiven Wirkung im wirtschaftlichen Sinne überzeugt ist. Teamleiter:innen sind nicht zuletzt (neben der physischen und psychischen Gesundheit der Mitarbeiter:innen) für die Performance ihrer Teams verantwortlich. Einige Teamleiter:innen zweifeln an, dass Work-Life-Balance-Programme die Performance der Mitarbeiter:innen positiv beeinflussen können. Die Teamleiter:innen sollten allerdings von der positiven Wirkung auf das Geschäft überzeugt sein.

  1. Nachfrage der Mitarbeiter:innen nach Work-Life-Balance-Programmen

Die Intentionen und das Verhalten der Teamleiter:innen sind auch abhängig von der Situation des Arbeitsmarktes. Diese ist gekennzeichnet durch hohe Anforderungen an die Arbeiternehmer:innen, einer Erhöhung der Rate von weiblichen Arbeitnehmerinnen und Familien, in denen beide Elternteile neben dem Familienleben ihre Karrieren verfolgen. Um diesen Anforderungen gerecht werden zu können, ist es beinahe unumgänglich, mehr Zeit für soziale Aktivitäten und Familienleben einzuräumen. Die Nachfrage nach Work-Life-Balance bewegt das Höhere Management der Unternehmen entsprechende Programme zu entwickeln. Dieses Umfeld stellt die subjektive Norm im Sinne der Theory of planned behavior dar und nimmt somit maßgeblich Einfluss auf die Absicht und das Verhalten der Teamleiter:innen.

  1. Wahrgenommene Kontrolle der Teamleiter:innen auf die Umsetzung der Work-Life-Balance-Programme

Teamleiter:innen können mit ihrem Verhalten einen Einfluss auf die Nutzung von Work-Life-Balance-Programmen haben. Nicht immer sind sie davon aber überzeugt. Die Absicht und das Verhalten sind jedoch dadurch geprägt, was die Teamleiter:innen selbst glauben bewirken zu können. Die wahrgenommene Kontrolle kann beispielsweise davon abhängig sein, inwiefern diese überhaupt in die Entwicklung der Work-Life-Balance-Programme einbezogen worden sind. Es ist empirisch belegt, dass die Beteiligung an der Entwicklung sich positiv auf die Wahrnehmung auswirkt (Maxwell, 2005). In diesem Fall haben Teamleiter:innen eher das Gefühl, dafür sorgen zu können, dass diese Programme auch Anwendung in ihren Teams finden.

Aber – Theorie ist nicht gleich Praxis

Natürlich ist die Theory of planned behavior nicht frei von Kritik und stößt in ihrer Aussagekraft an ihre Grenzen. Beispielsweise finden in der Theorie Gewohnheiten keine Berücksichtigung. Dies führt dazu, dass sie die praktische Umsetzung von Work-Life-Balance-Initiativen vereinfacht darstellt. Auch wenn Teamleiter:innen sich mit einer gesunden Work-Life-Balance auseinandersetzen und an deren Verbesserung arbeiten, hat das vergangene Handeln eine Auswirkung auf die Handlungen in der Gegenwart. Haben Teamleiter:innen beispielsweise in der Vergangenheit schlechte oder gar keine Erfahrungen mit Work-Life-Balance-Programmen gemacht, so kann dies einen Einfluss auf die Bereitschaft zur Umsetzung haben. Es zeigt sich also, dass die Theorie sich nicht eins zu eins auf die Praxis übertragen lässt.

Für konkrete Handlungsempfehlungen müssen die beschriebenen Faktoren noch wissenschaftlich geprüft werden. Welche der Faktoren beeinflusst das Verhalten von Teamleiter:innen besonders? Können die Absichten und Verhaltensweisen von Teamleiter:innen auch wirklich die Work-Life-Balance von Mitarbeiter:innen beeinflussen?

Und wenn die Umsetzung schließlich erfolgreich verläuft, stellt sich immer noch die wichtige Frage: Ist die Work-Life-Balance überhaupt ein Erfolgsgarant für Unternehmen und die Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter:innen? Wahrscheinlich nicht. Die Wünsche und Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen sind so komplex und vielfältig wie der Arbeitsmarkt selbst. Während die subjektive Zufriedenheit einiger Mitarbeiter:innen in keiner Weise von der Nutzung der Work-Life-Balance-Programme abhängt, ist sie für andere essenziell.

Festhalten lässt sich allerdings, dass die Fähigkeit eines Unternehmens, wirksame Work-Life-Balance-Maßnahmen zu entwickeln und im Team umzusetzen, nicht schädlich ist. Im Gegenteil: In vielen Fällen werden die Mitarbeiter:innen dadurch zufriedener sein. Deshalb lohnt es sich für Teamleiter:innen, sich mit der Förderung von Work-Life-Balance zu beschäftigen und die Umsetzung unter Berücksichtigung der Theory of planned behavior zu unterstützen.

Quellen:

Ajzen, I. (1991). The theory of planned behavior. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 50(2), 179–211.

Casper, W. J., Fox, K. E., Sitzmann, T. M., & Londy, A. L. (2004). Supervisor referrals to work–family programs. Journal of Occupational Health Psychology, 9(2), 136−151.

Maxwell, G. A. (2005). Checks and balances: The role of managers in work-life balance policies and practices. Journal of Retailing and Consumer Studies, 12(3), 179−189.

McCarthy, A., Darcy, C., & Grady, G. (2010). Work-life balance policy and practice: Understanding line manager attitudes and behaviors. Human Resource Management Review, 20, 158-167.

Purcell, J.A., Kinnie, N., Hutchinson, S., Rayton, B.A., & Swart, J. (2003). Understanding the people and performance link: Unlocking the black box. CIPD Publishing.

 

Bildquellen:

Anna Tarazevich via Pexels

cottonbro via Pexels

CC

Domenico Loia via unsplash

CC