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Diskriminierungserwartung ohne Diskriminierung? – Wenn soziale Identitäten zu Hindernissen werden

▶︎ von Ricarda Kochems, Vanessa Kranz, Lennart Kötschau und Lara Watermann

„Die denken doch, dass eine Frau das nicht kann…“ – Hattest du schon mal das Gefühl, dass dir dieser Gedanke im beruflichen Kontext Steine in den Weg gelegt hat? Auch wenn verstärkt Maßnahmen zur geschlechtlichen Gleichbehandlung (wie Frauenquote, Diversity Management etc.) in den (beruflichen) Alltag integriert werden, spielt unsere soziale Identität – unsere Gruppenzugehörigkeit – nach wie vor eine große Rolle in Bezug darauf, wie wir unsere Jobchancen ausrechnen.

Stell dir vor, du bist auf der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle. Warum rechnest du dir hohe oder vielleicht auch niedrige Chancen für eine Einstellung aus? Viele Menschen setzen sich während der Jobsuche mit der Einschätzung auseinander, ob sie überhaupt grundsätzlich qualifiziert oder nicht qualifiziert sind. Doch was passiert, wenn Menschen in diesem Prozess auf Einflüsse stoßen, die sie nicht kontrollieren können? Zu diesen Menschen gehören häufig Frauen. Und warum? Na, weil sie sich mit der sozialen Gruppe „Frau“ identifizieren! Und das ist ein bedeutsamer Punkt: die eigene soziale Gruppenzugehörigkeit hat starke Auswirkungen auf die eigene Wahrnehmung. Um der Frage nachzugehen, inwiefern Gruppenprozesse die Überzeugung hinsichtlich der eigenen Jobchancen beeinflussen, bieten der Ansatz der sozialen Identität und die Selbstkategorisierungstheorie eine notwendige Grundlage.

“Wir sind besser als ihr…” oder: Die Theorien der sozialen Identität und der Selbstkategorisierung

Die Theorie der sozialen Identität erklärt, wie der soziale Kontext die Beziehungen zwischen Personengruppen beeinflusst. Sie blickt aus einer sozialpsychologischen Perspektive auf die Macht- und Verhaltensentwicklungen innerhalb von Gruppen. In den frühen 70er Jahren zeigten mehrere Experimente, dass Menschen Mitglieder der eigenen Gruppe (Ingroup) gegenüber Mitgliedern einer anderen Gruppe (Outgroup) bevorzugen. Der Sozialpsychologe Henri Tajfel und Kolleg:innen argumentierten, dass die Teilnehmer:innen einem auf Wettbewerb ausgerichteten Gruppenverhalten folgten. Darauf aufbauend entwickelten Tajfel und sein Kollege John Turner die “Social Identity Theory”. Demnach sind zwischenmenschliche Interaktionen, bei denen Menschen ausschließlich als Individuen auftreten, die Ausnahme. Vielmehr würden soziale Interaktionen gruppenübergreifend stattfinden, bei denen die Menschen sowohl als Individuum als auch als Mitglied einer sozialen Gruppe auftreten. Im Extremfall kann die Gruppenzugehörigkeit sogar individuelle Merkmale einer Person unbedeutend machen. Die sogenannte soziale Identität überlagert dann die persönliche Identität. Diese Kategorisierung verändert nicht nur die Art und Weise, wie Menschen andere Menschen beurteilen, sondern auch, wie sie sich selbst sehen (also ihr Selbstkonzept). Tajfel & Turner argumentierten, dass die Motivation für wettbewerbsorientiertes Verhalten zwischen Gruppen aus dem Bedürfnis nach einem positiven, stabilen Selbstkonzept resultiert. 

Die Selbstkategorisierungstheorie nach Turner besagt, dass Menschen sich immer situationsgerecht und subjektiv selbstkategorisieren. Je nach sozialem Kontext wählen sie also die persönliche oder soziale Identität, die für sie in einer Situation am passendsten erscheint.  Weist eine soziale Kategorie in einer bestimmten Situation eine hohe Passung auf, sehen Menschen sich selbst und andere Personen dieser Kategorie (Mitglieder der Ingroup) weniger als Individuen. Stattdessen sehen sie sich vielmehr als austauschbare Exemplare eines klischeehaften Gruppenmitglieds.

Was dieser Kategorisierungsprozess für Mitglieder gesellschaftlich stigmatisierter Gruppen bedeuten kann, wird bei Betrachtung der nachfolgenden Studien deutlich.

“Ich denke, dass die denken, dass ich so bin…” oder: Metastereotype im Arbeitskontext

Unter Rückgriff auf den Ansatz der sozialen Identität untersuchten Owuamalam und Zagefka bei Mitgliedern stigmatisierter Gruppen, welche Auswirkungen Metastereotype auf die Überzeugung bezüglich der eigenen Beschäftigungsfähigkeit haben.

Beschäftigungsfähigkeit beschreibt dabei die Fähigkeit, am allgemeinen Arbeits- und Berufsleben teilnehmen zu können. Metastereotype sind stereotype Überzeugungen, dass Mitglieder einer bestimmten Outgroup eine stereotype Meinung über die eigene Ingroup haben. In anderen Worten sind Metastereotype die stereotype Erwartung von Stereotypen. Metastereotype sind häufig negativ, rufen Gefühle der Ablehnung hervor und sind insbesondere für historisch benachteiligte Gruppen mit negativen Konsequenzen verbunden. 

In diesem Zusammenhang ist das Selbstwertgefühl von Bedeutung, welches die Bewertung des eigenen Selbstkonzeptes umfasst und damit die grundlegende Einstellung einer Person gegenüber sich selbst beschreibt. Dabei kann zwischen dem allgemeinen Selbstwertgefühl (“von Natur aus”) und dem situationsspezifischen Selbstwertgefühl unterschieden werden.

Owuamalam und Zagefka führten 2008/9 eine Studie mit 80 britischen Studentinnen durch. Die Ergebnisse zeigten, dass je negativer ein bestimmtes Metastereotyp eingeschätzt worden ist, desto schlechter die Überzeugung bezüglich der eigenen Beschäftigungsfähigkeit ausfiel. Die Autor:innen führten dies auf eine Verringerung des situationsspezifischen Selbstwertgefühls nach Aktivierung der negativen Metastereotype zurück. Insbesondere bei Teilnehmerinnen, deren allgemeines Selbstwertgefühl hoch war, konnte der Effekt beobachtet werden. In einer zweiten Studie mit britischen Student:innen südasiatischer Herkunft konnten ähnliche Ergebnisse erzeugt werden.  

Die Studien von Owuamalam und Zagefka zeigen zusammenfassend, dass die stereotype Erwartung von negativen Stereotypisierungen durch eine gesellschaftlich dominante Outgroup die Überzeugung bezüglich der eigenen Beschäftigungsfähigkeit erheblich verschlechtert. Dieser Effekt wird durch Einbuße im situationsspezifischen Selbstwertgefühl bewirkt. Dies tritt insbesondere bei Personen auf, die ein hohes allgemeines Selbstwertgefühl haben. Im ersten Moment mag das überraschend klingen. Innerhalb der Studien wurde allerdings gezeigt, dass das sonst so hohe Selbstwertgefühl umso stärker geschwächt wird, wenn den Personen die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlich stigmatisierten Gruppe (z.B. ‘Frauen’, ‘Asiat:innen’ etc.) bewusst wird. Dann könnten diese Personen den Verdacht hegen, dass sie auf Grundlage von Stereotypen bewertet werden – und eben nicht auf Grundlage ihrer persönlichen Qualifikationen, die sie ja als grundsätzlich hoch einschätzen.

Erstaunlich ist dabei, dass auch negative Metastereotype aus arbeitsfernen Bereichen einen direkten Einfluss auf die Selbstwahrnehmung im Arbeitskontext zu haben scheinen. Die Erkenntnisse der Studien sind vor allem vor dem Hintergrund alarmierend, dass die Einstellung zur Arbeitssuche erwiesenermaßen Auswirkungen auf das Verhalten bei der Arbeitssuche haben kann. 

Long story short… was wir nun daraus mitnehmen können

Die Studienergebnisse sollten vor allem Personalverantwortliche in Organisationen sensibilisieren. Beim Aufbau diverser und inkludierender Teams muss beachtet werden, dass bereits die Erwartung einer Diskriminierung eine hemmende Wirkung auf Bewerber:innen haben kann. Gleichzeitig sollten sich Unternehmen aktiv für eine diverse Belegschaft aussprechen, um künftigen Bewerber:innen offen und einladend entgegen zu treten. 

Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene liefern die Studien wichtige Erkenntnisse für Fachleute der Sozialfürsorge. Sie sollten die Resilienz, das heißt die psychische Widerstandsfähigkeit, von Mitgliedern stigmatisierter Gruppen bei der Arbeitssuche stärken – insbesondere bei Personen, die aufgrund ihres hohen allgemeinen Selbstwertgefühls nicht auf Unterstützung angewiesen zu sein scheinen. Besonders in der Förderung dieser Personengruppen und deren Bewältigungsstrategien liegt weiterer Forschungsbedarf. Gleichzeitig sollte die Ursache der Diskriminierungswahrnehmungen durch politische Maßnahmen zur Gleichbehandlung bekämpft werden. Für Frauen im Arbeitskontext könnte dies zum Beispiel durch die Schaffung von weiblichen Vorbildern oder die Etablierung einer entsprechenden Frauenquote erreicht werden. Jedoch sind auch solche Maßnahmen mit Vorsicht zu betrachten. So kann eine Frauenquote einerseits das Bild von Frauen in Führungspositionen normalisieren und somit Stereotypisierungen reduzieren, andererseits können mit solchen “künstlichen” Maßnahmen neue Stereotypisierungen angeregt werden (im Sinne “Die ist doch nur eine Quotenfrau!”).

Auch wenn die Aussagekraft der Experimente aus den 70er Jahren zur sozialen Identität häufig angezweifelt wurde, ist es heutzutage schwierig, über die Beziehungen zwischen Gruppen nachzudenken, ohne in irgendeiner Weise Macht, Status und Stabilität unberücksichtigt zu lassen. Reflektiere gerne beim nächsten Bewerbungsprozess dein Denken und Handeln: Ist dir deine eigene soziale Identität (un)bewusst zum Hindernis geworden? Lass‘ dich von bestehenden Stereotypen nicht unterkriegen, denn letztendlich beginnt vieles in unseren Köpfen! Wenn du dich in einer fairen Bewerbungssituation befindest, dann entscheide dich bewusst für die Selbstkategorisierung auf Grundlage deiner persönlichen Identität, anstatt mit dem Hintergrund deiner sozialen Identität(en) zu denken und zu handeln. 

Referenzen

Hornsey, M. J. (2008): Social Identity Theory and Self-categorization Theory – A Historical Review, Social and Personality Psychology Compass, 2(1), 204-222.

Owuamalam, C. K., & Zagefka, H. (2014): On the Psychological Barriers to the Workplace – When and Why Metastereotyping Undermines Employability Beliefs of Women and Ethnic Minorities, Cultural Diversity and Ethnic Minority Psychology, 20(4), 521-528.

 

Bildquellen

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