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Gendersensibler Sachunterricht

1. Im Rahmen eines Projekttages dürfen die Schüler*innen der 3b wählen, ob sie lieber Naturgegenstände sammeln und damit ein Waldmandala gestalten oder aber in Bäumen aufgehängte Nistkästen abhängen und reparieren möchten. Sandra interessiert sich mehr für die Nistkästenaufgabe, wählt aber wie die meisten anderen Mädchen der Klasse das Mandala-Vorhaben. Finden Sie mögliche Erklärungen für diese Entscheidung vor dem Hintergrund der „grundlegenden psychologischen Bedürfnisse“ nach Deci und Ryan (1993).

Es gibt drei grundlegende psychologische Bedürfnisse nach Deci und Ryan. Diese sind das Kompetenzerleben, die Selbstbestimmung oder auch Autonomie und die soziale Eingebundenheit. In unserem Fall möchte ich besonders auf die soziale Eingebundenheit eingehen. Da dieses Mädchen sich gegen die eigenen Interessen entscheidet, gehe ich davon aus, dass sie sich in der Gruppe die ihren eigenen Interessen nicht akzeptiert fühlen würde, weshalb sie sich doch für die andere Aufgabe entscheidet. Sie wäre das einzige Mädchen in einer Gruppe von Jungs. Dies lässt mich darauf schließen, dass das Technikselbstkonzept des Mädchens zu gering oder negativ behaftet ist. Hier könnten Vorbilder helfen, die dem Mädchen zeigen, dass auch Frauen an Technik interessiert sein können, ohne, dass dies problematisch ist. Hiermit würden reproduzierte Vorurteile und Geschlechtszuschreibungen unterbrochen werden.

2. Welche didaktischen Entscheidungen konterkarieren in dieser Situation (paradoxer Weise?) für den Großteil der 3b die Förderung vielfältiger Interessen?

Die Lehrperson hat versucht Vielperspektivität zu ermöglichen und möglichst viele Interessen zu treffen. Dennoch hat sie bereits zwei Themen gewählt, welche schnell männlichen oder weiblichen Interessen zugeschrieben werden kann. So werden die Kunst und Ästhetik, in deren Feld die Aufgabe mit den Mandalas fällt, oft mit Frauen und die Technik, das Reparieren von Nistkästen, oft mit Männern in Verbindung gebracht. Die Vorurteile, Erfahrungen und Selbstkonzepte der Kinder wurden hierbei nicht oder nur wenig bedacht.

3. Eine Kollegin berichtet im Lehrer*innenzimmer, dass sie im Werkunterricht bei Partnerarbeiten meist Junge/Mädchen kombiniert, um Kompetenzunterschiede auszugleichen. Kommentieren Sie diesen Ansatz mit Blick auf verschiedene denkbare Ausprägungen technikbezogener Selbstkonzepte der Schülerinnen und Schüler.

Aus meiner Sicht betreibt die Lehrperson hier eindeutige Interessen- und Kompetenzzuschreibungen. Sie reproduziert Vorurteile, da sie signalisiert, dass die Mädchen die Zusammenarbeit mit den Jungs benötigen, um ein positives Technikselbstkonzept zu entwickeln. Generell denke ich, dass eine Mischung von Jungs und Mädchen zwar positive Auswirkungen haben kann, dies sollte dann jedoch auf einer Ebene geschehen in der beide Seiten davon profitieren können und nicht, um Kompetenzunterschiede auszugleichen.

4. Sie möchten eine Bachelorarbeit zu gendersensiblem Sachunterricht schreiben. Formulieren Sie eine mögliche Forschungsfrage hierzu und erläutern Sie, inwiefern Unterrichtsbeobachtungen oder Befragungen von Schüler*innen bzw. Lehrer*innen für Ihre Bearbeitung der Forschungsfrage hilfreich sein könnten.

Meine Idee zu einer Forschungsfrage wäre „Wie unterscheidet sich die Mitarbeit von Jungen und Mädchen in gemischten Gruppen, reinen Mädchen- bzw. Jungsgruppen sowie in Einzelarbeit. Hierzu könnte man die Mitarbeit von festen Schüler*innen in den unterschiedlichen Gruppen beobachten und vergleichen. Zudem könnte man die Schüler*innen fragen wie sie sich selbst in den jeweiligen Gruppen fühlten und schauen, ob man dies in der jeweiligen Mitarbeit ersichtlich findet.

~ by Jacqueline on 13. Mai 2020. Tagged:

2 Responses to “Gendersensibler Sachunterricht”

  1. Liebe Jacqueline,
    
vielen Dank für deinen informativen Beitrag.

    

Für die Erklärung von Sandras Entscheidung hast du dein Augenmerk auf das psychologische Bedürfnis soziale Eingebundenheit gewidmet. Deine Begründung hierfür ist dir gut gelungen. Meines Erachtens dürfte eine weitere Erklärung auch wie folgt lauten. Sandra fürchtet sich, ihr Interesse an einer eher männlich geprägten Tätigkeit zu offenbaren, weil die anderen Mitschülerinnen sie daraufhin wegen des „Anderssein“ ausschließen könnten.
    Ergänzend möchte ich auf das psychologische Bedürfnis Kompetenzerleben eingehen und aus dieser Sicht Sandras Entscheidung begründen. Durch die mangelnde Erfahrung bezüglich der Reparatur von Nistkästen oder ähnlichen Holzgegenständen könnte sie sich als handlungsunfähig einschätzen und deswegen die Aufgabe mit dem Waldmandala auswählen. Ein anderer Grund könnte auch die negative Erfahrung beim Versuch der Reparatur sein, wodurch Sandra glaubt, der Herausforderung nicht gewachsen zu sein. 


    Die Lehrerin hat, wie du bereits erwähnt hast zwei Aufgaben gewählt, die klischeehaft mit einem Geschlecht in Verbindung gebracht werden. Dass die klischeehafte Zuordnung von weiblicher und männlicher Tätigkeit, die Entscheidungen der Schülerinnen und Schüler beeinflussen können, hat die Lehrkraft nicht berücksichtigt.

    

Deiner Meinung unter Punkt drei stimme ich zu und möchte hinzufügen, dass die Lehrkraft durch solches Gedankenmuster die Kinder stigmatisiert. Des Weiteren den Kindern das Gefühl vermitteln kann, dass sie eigenständig Aufgaben nicht bewältigen können, da ihre Kompetenzen allein nicht ausreichen. Eine sinnvoll eingesetzte gemischtgeschlechtliche Partnerarbeit und die damit verbundene Kompetenzförderung ist meines Erachtens erforderlich.



    Deine Idee zu einer möglichen Forschungsfrage halte ich für ein interessantes und umfassendes Thema, welches sich im Rahmen der Bachelorarbeit gut behandeln lässt. Die Erkenntnisse, die du daraus gewinnen würdest wären bedeutsame Anhaltspunkte, die du für die Gestaltung deines gendersensiblen Unterrichts nutzen kannst. 



    Es war interessant, deinen Beitrag zu lesen.

    

Liebe Grüße

    Seyma


  2. Hallo Seyma!

    Danke für deinen Kommentar.
    Du hast Recht, aus diesen Blickwinkeln könnte man es auch betrachten. Die Angst ausgeschlossen zu werden, könnte ein sehr einflussreicher Faktor sein. Auch, dass sie denken könnte, dass sie nicht das nötige handwerkliche Geschick aufweisen könnte, klingt für mich sehr plausibel.
    Zu Punkt drei stimme ich dir auch uneingeschränkt zu. Es ist schade, wenn Schüler*innen bereits in der Grundschule durch diese Zuschreibungen eingegrenzt werden. Hier könnte die Reflexion der Lehrkraft gegenüber ihrer eigenen Geschlechtszuschreibungen hilfreich sein, damit die Partnerarbeit weniger stigmatisiert wird.

    Ich danke dir für deine wirklich guten, und meinen Standpunkt erweiternden, Ansichten!

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