Einleitung

von Sabine Doff und Marion Wulf (Gastherausgeberinnen)

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Mit dieser Sonderausgabe des Magazins „Resonanz“ präsentiert das BMBF-Projekt „Schnittstellen gestalten“, gefördert aus dem Bund-Länder-Programm „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“, nach zwei Jahren Laufzeit seine ersten Ergebnisse.

Das Bund-Länder-Programm „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ begegnet zunehmenden Anforderungen und Ansprüchen an schulische Lehrkräfte. Diese zweite innovationsfördernde Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zur Verbesserung von Studium und Lehre (neben dem Qualitätspakt Lehre) will einen breit wirkenden Impuls geben, mit dem eine nachhaltige Verbesserung für den gesamten Prozess der Lehrerbildung bis in die berufliche Einstiegsphase und die Weiterbildung inhaltlich und strukturell erreicht werden soll (https://www.qualitaetsoffensive-lehrerbildung.de).

Das Projekt „Schnittstellen gestalten“ an der Universität Bremen greift die zentralen Handlungsfelder des Bund-Länder-Programms auf; darunter sind Theorie-Praxis-Verknüpfung, Kohärenz der fachdidaktischen, fachwissenschaftlichen und erziehungswissenschaftlichen Studieninhalte, organisatorische Verankerung in der Hochschule, Forschungs- und Nachwuchsförderung, Verzahnung der drei Phasen der Lehrerbildung sowie Professionalisierung im Umgang mit Heterogenität. Unter dem Leitbild einer reflexionsorientierten Lehrerbildung (Reflective Practitioner, s. u.) wird an der Universität Bremen mit vier Teilprojekten sowie mit dem Kooperationsprojekt „Duale Promotion“ (Kombination von fachdidaktischer Promotion und Referendariat) die Kohärenz der Lehrerbildung gestärkt (siehe Abb.1: Struktur des Projektes). Die beiden zentralen Schnittstellen dafür sind die zwischen Theorie und Praxis und die zwischen den unterschiedlichen an der Lehrerbildung beteiligten Disziplinen (Fachdidaktiken, Fachwissenschaften und Erziehungswissenschaften).

Abbildung 1: Struktur des Projektes „Schnittstellen gestalten“

Abbildung 1: Struktur des Projektes „Schnittstellen gestalten“

Das Teilprojekt „FIT – Forschungswerkstatt integriert“ zielt auf den systematischen Auf- und Ausbau von Kompetenzen forschenden Lernens und Studierens in der ersten und zweiten Phase der Lehrerbildung. Dieses Ziel wird auf der Grundlage von Onlinekursen („Research in Education“) mit einem phasenübergreifenden Ausbildungskonzept („Schule innovieren“ – in Kooperation mit dem Landesinstitut für Schule) und der Etablierung eines „Expertendialogs“ verfolgt.

Ziel des Teilprojektes „e-Portfolio“ ist es, für alle Lehramtsstudierenden ein e-Portfolio im Sinne einer individuellen Lern- und Dokumentationsplattform zu entwickeln. Dieses dient in erster Linie der Darstellung und Reflexion der Lernprozesse, in denen die Praxisphasen mit dem Schwerpunkt „Umgang mit Heterogenität“ verbunden werden. Ziel dieser Schwerpunktsetzung im Portfolio ist die systematische Initiierung von Reflexionsprozessen der Lehramtsstudierenden im Hinblick auf eigene Praktiken sowie der kontinuierliche Aufbau einer professionellen Handlungskompetenz im Umgang mit Heterogenität im schulischen Kontext.

Mit dem Teilprojekt „Studien-Praxis-Projekte“ (SPP) sollen Arrangements zur Förderung eines kompetenten Umgangs mit Theorie in der Praxis geschaffen werden. SPP sind kontraktbasierte Entwicklungsprojekte in der Masterphase zu praxisrelevanten Themen der Schul- und Unterrichtsentwicklung, die in Forschungsfragen überführt werden.

Im Teilprojekt „Spotlights Lehre“ sind insgesamt vier Projekte gebündelt, die mit unterschiedlichen Seminarkonzepten und Methoden Fachwissenschaften und Fachdidaktiken miteinander verzahnen. Die Vernetzung soll Studierende dazu befähigen, eine Fachwissenschaft und Fachdidaktik vernetzende Reflexionskompetenz zu entwickeln sowie ihre Identifikation mit dem Studienfach zu stärken.

Das Kooperationsprojekt und Qualifizierungsprogramm „Duale Promotion“ sieht eine Kombination von zweiter Ausbildungsphase (Referendariat) und fachdidaktischer Promotion in einem Zeitraum von vier Jahren vor. Im Bremer Konzept ist die „Duale Promotion“ an die wissenschaftliche und praktische maßnahmenverbindende Forschungsmethodologie „Design-Based Research“ gebunden; dadurch werden Synergie-Effekte zwischen Berufsfeld und Forschung (Schnittstelle von Praxis und Theorie) für die Lehrerbildung nutzbar gemacht.

Für die interne Schnittstellengestaltung wurde eine alle Teilprojekte verbindende Struktur etabliert, die verschiedene Formen der konstanten Zusammenarbeit und des regelhaften Austausches mit den Projektbeteiligten aus allen lehrerbildenden Fachbereichen fördert. Die verschiedenen Elemente der Projektstruktur haben sich gut etabliert und wurden um die Veranstaltungsreihe „Nachgefragt!“ sowie das 2017 gegründete Doc-Netzwerk „Reflective Practitioner in der Lehrer*innenbildung“ erweitert.

 

Das Projekt „Schnittstellen gestalten“

Mit dem Bund-Länder-Programm „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ soll eine qualitativ nachhaltige Verbesserung für den gesamten Prozess der Bildung von Lehrkräften bis in die berufliche Einstiegsphase und die Weiterbildung inhaltlich und strukturell erreicht werden. Dafür werden 500 Millionen Euro eingesetzt, um Projekte in insgesamt 59 lehrerbildenden Hochschulen zu fördern. Die geförderten Projekte ermöglichen eine Lehrerausbildung aus einem Guss und eine stärkere Abstimmung all jener an einer Hochschule, die für die Ausbildung von Lehrkräften verantwortlich sind. Das kann gelingen, indem die Inhalte der Ausbildung stärker aufeinander bezogen und die Zusammenarbeit von Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Erziehungswissenschaft intensiviert wird. Ziel der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ ist es, eine praxisorientierte Ausbildung zu fördern, die universitäre Ausbildung und Schulwirklichkeit konsequent aufeinander bezieht. Dafür sollen von Anfang an schulpraktische Elemente in der Lehrerausbildung verankert und die drei Ausbildungsphasen – Lehramtsstudium, Referendariat und Lernen im Beruf – eng miteinander verzahnt werden (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2016).

Im Projektkonzept „Schnittstellen gestalten“ wurden die zentralen Handlungsfelder des Bund-Länder-Programms aufgenommen; diese werden in vier Teilprojekten mit unterschiedlichen Strategien zur (Weiter-)Entwicklung der Lehrerbildung verfolgt.

Das Projekt zielt auf die Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte als Reflective Practitioner, die beide Schnittstellen (er-)kennen, kritisch reflektieren und für ihr professionelles Handeln produktiv nutzen. Vor diesem Leitbild sind die vier Teilprojekte „FIT – Forschungswerkstatt integriert“, „e-Portfolio“, „Studien-Praxis-Projekte“ und „Spotlights Lehre“ konzipiert. Diese setzen schwerpunktmäßig in der ersten Phase (Lehrerbildung an der Universität) an, beziehen jedoch die zweite und dritte Phase sowie außeruniversitäre Akteure der Lehrerbildung ein. Die Teilprojekte eint das übergeordnete Ziel, durch Ausgestaltung der erläuterten beiden Schnittstellen die Kohärenz insbesondere (aber nicht ausschließlich) in der ersten Phase der Ausbildung von Lehramtsstudierenden zu stärken. Darüber hinaus soll die Verbindung zwischen forschendem Lernen und reflektiertem Handeln zur Stärkung der Reflexionskompetenz professionell weiter ausgestaltet werden.

 

Projektstruktur

Für die universitätsinterne Schnittstellengestaltung hat sich die im Projekt-Antrag skizzierte und inzwischen erfolgreich etablierte Projektstruktur als äußerst förderlich erwiesen. Das Projekt ist im Zentrum für Lehrerinnen-/Lehrerbildung und Bildungsforschung[1] (ZfLB) angesiedelt und wird geleitet von der Direktorin des ZfLB, Prof. Dr. Sabine Doff.

Mehr als 50 Angehörige der Universität Bremen aus allen lehrerbildenden Fachbereichen für allgemein bildende Schulen sowie aus dem ZfLB und dem Zentrum für Multimedia in der Lehre (ZMML) engagieren sich im Projekt. Die Steuerung des Projektes erfolgt zum einen durch den Lenkungskreis, dem neben der Hochschulleitung (Konrektor für Lehre und Studium, Prof. Dr. Thomas Hoffmeister) und der Projektleiterin (Prof. Dr. Sabine Doff), die fünf Teilprojektverantwortlichen (siehe im Einzelnen unten), der Leiter des ZMML (Prof. Dr. Karsten D. Wolf), die Geschäftsführung des ZfLB sowie die Projektkoordinatorin (Dr. Marion Wulf) und der Mitarbeiter für Evaluation (Dr. Christoph Duchhardt) angehören. In Rücksprache mit der Hochschulleitung ist der Lenkungskreis für die strategische Planung, Adaption und ggf. Neuausrichtung des Projektes zuständig. Der Lenkungskreis tritt innerhalb der Vorlesungszeit monatlich zusammen; bei Bedarf werden Sondersitzungen auch in der vorlesungsfreien Zeit einberufen.

Zum anderen wird die erfolgreiche Umsetzung des Gesamtprojektes begleitet und gewährleistet durch das am ZfLB angesiedelte „Kolleg Reflective Practice“. Das Kolleg setzt sich aus allen am Projekt Beteiligten zusammen, fördert deren inhaltlichen Austausch und begleitet das Projekt während der gesamten Laufzeit in theoretischen und methodischen Fragen. Das Kolleg findet einmal im Semester in Form eines Workshops statt, der themenspezifisch durch externe Expertinnen bzw. Experten unterstützt wird.

 

Gesamtteam

Gesamtteam

 

Veranstaltungsreihe „Nachgefragt!“

Die Veranstaltungsreihe „Nachgefragt!“ wurde konzipiert, um eine weitere Möglichkeit zur Schnittstellengestaltung mit Schülerinnen und Schülern sowie mit Studierenden der Universität Bremen zu schaffen. Diese werden in die Entwicklung und Gestaltung der Veranstaltungen einbezogen. Die Veranstaltungsreihe folgt dem Leitgedanken des Projektes „Schnittstellen gestalten“ und möchte in mehreren Einzelveranstaltungen verschiedene Lebenswelten, wie Schule und Ausbildung, Theorie und Praxis sowie verschiedene Fächer und Ausbildungsphasen miteinander verzahnen. Während der gesamten Projektlaufzeit wird in jedem Semester in einer Veranstaltung ein bestimmtes Thema aufgegriffen. Bisher wurden folgende Veranstaltungen in der Reihe „Nachgefragt!“ durchgeführt:

  • Auftaktveranstaltung: „Geld regiert die Welt! Warum eigentlich?“
  • „Abgehängt? Was die IQB Bildungstrends 2015 über den Leistungsstand Bremer Schülerinnen und Schüler aussagen. “
  • „Bildung in der digitalen Welt: Und nun?“.

Doc-Netzwerk „Reflective Practitioner in der Lehrer*innenbildung“

In allen Teilprojekten des BMBF-Projektes ist die Anfertigung von Promotionen (insgesamt neun) vorgesehen. Die Promotionsthemen sind eng an die Inhalte und Ziele des Projektes geknüpft. Um die Promovierenden gut begleiten und inhaltlich sowie methodisch in ihrer Arbeit unterstützen zu können, sie miteinander zu vernetzen und den Kontakt mit den Promovierenden des Graduiertenprogramms „Duale Promotion“ zu fördern, wurde ein am ZfLB angesiedeltes Promotionskolleg „Schnittstellen gestalten“ ins Leben gerufen. Das Kolleg bietet die Möglichkeit zum inhaltlichen Austausch und zur Diskussion theoretischer und methodischer Themen, aber auch zum Austausch von Erfahrungen, die im Forschungsprozess gewonnen wurden. Begleitet wird das Kolleg durch das Einbringen inhaltlicher Expertise von verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern aus dem Projekt „Schnittstellen gestalten“ sowie durch spezifische Workshop-Angebote. Im Sommer 2017 wurde aus dem Promotionskolleg das Doc-Netzwerk „Reflective Practitioner in der Lehrer*innenbildung“ gegründet (http://www.uni-bremen.de/de/byrd.html?sword_list[]=BYRD&no_cache=1).

 

Evaluation des Gesamtprojektes

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Dr. Christoph Duchhardt, Evaluation

Um das Projekt „Schnittstellen gestalten“ möglichst umfassend zu evaluieren, gilt es, verschiedene Arten von Informationen und Ergebnissen zu integrieren. Ein wesentlicher Bestandteil ist dabei eine übergreifende Fragebogenstudie, die primär die Frage beantworten soll, inwieweit die Summe der projektbezogenen Maßnahmen dazu führt, Lehramtsstudierende in ihrer Haltung als Reflective Practitioner zu begleiten und zu fördern.

Um solche Prozesse abbilden zu können, ist diese Studie längsschnittlich angelegt (vgl. Abb. 2). Zielgruppe sind alle Lehramtsstudierenden in projektrelevanten Semestern. Von Interesse sind dabei Skalen, die direkt oder indirekt Haltungen oder Selbsteinschätzungen zu reflektierenden Tätigkeiten operationalisieren. Perspektivisch sollen auch Vignetten eingesetzt werden, die reflexive Fähigkeiten direkt ansprechen. Um Einflüsse, die nicht direkt mit der universitären Lehre zusammenhängen, kontrollieren zu können, werden zudem Variablen aus angrenzenden Bereichen erfasst, wie z. B. aus der pädagogischen Psychologie. Aussagekräftige Ergebnisse dieser Studie sind ab dem Wintersemester 2018/19 zu erwarten.

Ergänzend dazu sollen kleine Interviewstudien durchgeführt werden, die z. B. Aspekte der Validität der eingesetzten Skalen klären oder vertiefen, inwieweit Lehrveranstaltungen – aus Sicht der Studierenden – einen Beitrag zur Umsetzung des Leitbildes des Gesamtprojektes liefern. Sie helfen damit, die quantitativen Ergebnisse der Längsschnitt-Fragebogenstudie einzuordnen.

Diese übergreifenden Erhebungen lassen sich somit als primär summative Makroevaluation von Ergebnissen klassifizieren, die auch formative Elemente enthält (vgl. Ditton 2010).

Ergebnisse dieser Erhebungen werden für die Gesamtevaluation mit weiteren wesentlichen Perspektiven kombiniert: Zum einen werden im Rahmen von Forschungsvorhaben und Dissertationsprojekten teilprojektbezogene Evaluationen durchgeführt, die detailliertere Einblicke in spezifische Fragen ermöglichen. Zum anderen wird als ein weiterer entscheidender Faktor in die Gesamtevaluation einbezogen, wie gut sich Strukturen und Prozesse – sowohl universitätsintern als auch in Kooperation mit außeruniversitären Akteuren wie Schulen, dem Landesinstitut für Schule oder Behörden –  etablieren, die durch das Projekt geschaffen werden.

Abbildung 2: Längsschnittliches Design der Gesamtevaluation

Abbildung 2: Längsschnittliches Design der Gesamtevaluation

 

Professionalisierung zum Reflective Practitioner

Lenkungskreismitglieder Angelika Bikner-Ahsbahs, Sabine Doff, Till-Sebastian Idel, Anne Levin, Maria Peters, Karsten D. Wolf für das Gesamtprojekt

Der Lenkungskreis des Projektes „Schnittstellen gestalten“ im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung hat sich auf das folgende Leitbild verständigt:

Präambel

Die Lehrerbildung an der Universität Bremen verfolgt als ein wesentliches Ziel die reflexive Professionalisierung von Lehramtsstudierenden im Medium der Wissenschaft. Der wissenschaftliche Charakter der Lehrerbildung soll durch Forschendes Lernen gestärkt werden. Für Lehramtsstudierende sollen intelligente und anspruchsvolle Studienangebote eröffnet werden, die Gelegenheiten bieten, sich wissenschaftliches Wissen, die Formen seiner Erzeugung in den Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften sowie einen kompetenten Umgang damit anzueignen. Zugleich sollen diese Studienangebote bei Lehramtsstudierenden entwicklungsbezogenes Denken in Verbindung mit einem professionellen Selbstverständnis als Reflective Practitioner anregen.

Gerade auch in der Vorbereitung auf die verantwortungsvolle gesellschaftliche Tätigkeit, als Lehrperson in Schule ertragreiche Erziehungs- und Bildungsprozesse zu initiieren und Kinder und Jugendliche in ihrem Aufwachsen zu begleiten, ist das übergreifende Leitbild Lehre der Universität Bremen (www.uni-bremen.de/lehre-studium/leitbild-lehre.html) für die Lehrerbildung maßgebend: Im Forschenden Lernen sollen sich Studierende in einem reflexiven Diskurs mit den Lehrenden und untereinander zu verantwortungsvollen und kritisch denkenden Persönlichkeiten mit starker fachlicher Kompetenz entwickeln können. Die Lehrenden arbeiten in partizipativen Prozessen mit den Studierenden daran, diese Leitziele für das Lehramtsstudium zu konkretisieren. In der Umsetzung der Qualitätsoffensive Lehrerbildung an der Universität Bremen ist hierfür die idealtypische Figur des Reflective Practitioner richtungsweisend.

 

Lehrkräfte als Reflective Practitioner

Professionelles Handeln findet in komplexen Situationen statt, die zwar geplant werden müssen, faktisch aber nur bedingt vorherzusehen sind. In ihrem Ablauf und ihren Wirkungen sind sie ungewiss. Sie konfrontieren die Lehrpersonen mit Offenheit, die kompetent gestaltet werden muss.

Donald B. Schön hat bereits in den 1980er Jahren vor dem Hintergrund dieser Handlungskonstellation die Leitfigur des Reflective Practitioner entworfen. Bei aller Unterschiedlichkeit der heute diskutierten Ansätze in der Professionsforschung stimmen diese darin überein, dass Reflexivität konstitutiv für professionelles Handeln ist. Reflexivität ist – neben Wissen, Erfahrung, Persönlichkeit und Ethos – ein zentrales Element professioneller Handlungskompetenz. Reflective Practitioner können Situationen im Unterricht und in der Schule auf fachliche, fachdidaktische und pädagogische Anforderungen, unterschiedliche individuelle Ausgangslagen in heterogenen Lerngruppen und in Bezug auf institutionelle Rahmungen und Widersprüche untersuchen. Sensibel für die eigenen Verstrickungen darin, verstehen sie es auch, die pädagogischen Situationen systematisch für sich und im Austausch in der Gemeinschaft der Professionellen zu analysieren. Auf diese Weise kann Handeln reflexiv werden; dann entsteht ein Raum von Handlungsalternativen, in dem sich Professionelle bewegen und ihre Handlungsweisen verändern und weiter entwickeln können.

 

Reflexion und Handeln

Ausgangspunkt des Modells des Reflective Practitioner nach Schön ist die Einheit von Denken und Handeln: Reflective Practitioner sollen in der „reflection-in-action“ in einen reflexiven Dialog mit der Situation treten, sich in der „reflection-on-action“ ihr handlungsleitendes Wissen („knowing-in-action“) verfügbar machen und es in theoretische Horizonte einrücken. Unter anderem kritisieren Leonhardt und Abels diese Vorstellung von Reflexion deutlich und weisen darauf hin, dass eben dieser Handlungsmodus der „reflection-in-action“ gerade nicht in der universitären Lehrerbildung erlernt werden könne (vgl. Leonhardt/Abels 2017). Ihre Kritik richtet sich auf die Unmöglichkeit, gleichzeitig in der Handlung zu planen und zu reflektieren. Reflexion erfordere ein „Inne-halten“, für das der Situationsfluss unterbrochen werden müsse. Handlungsbegleitende Kognitionen ebenfalls als Reflexion zu bezeichnen, führe zu einer Verwässerung des Begriffs (ebd.).

Wir verstehen Reflexion, genauer „reflection-on-action“, als komplexen, von der Situation sich distanzierenden Prozess, der Theorie- und Praxiswissen aufeinander bezieht. Gleichzeitig werden dabei sowohl die unterschiedlichen Perspektiven der beteiligten Akteure als auch die gesellschaftlichen und institutionellen Bedingungen berücksichtigt, um Handlungsalternativen zu entwickeln. „Reflection-in-action“ verstehen wir als situationsbezogenes Handeln (d. h. auf der Mikro-Ebene), das einen Teilprozess in einem Zyklus der Reflexionsentwicklung bildet, der nicht isoliert von Prozessen der „reflection-on-action“ denkbar ist.

Wenn Reflexion nicht als persönliche Aufgabe des Einzelnen begriffen wird, ergibt sich für das Lehramtsstudium daraus, dass gemeinsame Reflexion auch institutionell geschaffene Räume benötigt (vgl. Häcker 2017). Eine zentrale Aufgabe der universitären Lehrerbildung besteht demnach darin, Anlässe zu schaffen, in denen „reflection-on-action“ möglich und „reflection-in-action“, insbesondere in fachbezogenen Lehr-/Lernprozessen, angebahnt wird, mit dem übergeordneten Ziel, dass Studierende einen Habitus als Reflective Practitioner einüben können.

 

Reflexivität als Beitrag zur Professionalisierung im Lehramtsstudium

Reflexivität lässt sich als in der Professionalisierung kultivierte Bereitschaft zur Reflexion fassen. Sie gründet in einer inneren Disposition und Haltung, mit der sich (zukünftige) Lehrkräfte auf sich und auf ihre Umwelt beziehen können. Im Lehramtsstudium und insbesondere in den Teilprojekten der Bremer Qualitätsoffensive wird das Ziel verfolgt, mit der Ausbildung einer forschenden und selbstepistemischen Grundhaltung den Aufbau eines reflexiven Habitus als Kern des professionellen Selbst zu unterstützen. Dieses professionelle Selbst ist jene innere Instanz, die im Berufsleben Handlungs- und Entwicklungsfähigkeit im Rahmen von Gelegenheitsstrukturen reguliert. Die vier Teilprojekte der Qualitätsoffensive Lehrerbildung an der Universität Bremen zielen darauf, den skizzierten professionalisierungstheoretischen Ansatz unter dem Leitmotiv Schnittstellen gestalten zu konzeptualisieren:

  • Im Teilprojekt 1 („FIT – Forschungswerkstatt integriert“) durch den Aufbau eines online-gestützten Forschungstools („BOOC: Blended Open Online Course“) und durch eine Intensivierung der Vernetzung zwischen den Ausbildungsorten bzw. -phasen („InPhas: Institutionen entwickeln phasenübergreifende Kompetenzen“);
  • im Teilprojekt 2 („e-Portfolio“) durch eine individuelle Lern- und Dokumentationsplattform,
  • im Teilprojekt 3 („SPP: Studien-Praxis-Projekte“) durch Mitwirkung an konkreten Unterrichts- und Schulentwicklungsprojekten;
  • im Teilprojekt 4 („Spotlights Lehre“) durch die reflektierende Verzahnung von fachwissenschaftlichem und fachdidaktischem Wissen in praxisnahen Situationen.

Mit diesen innovativen Formaten eines im weiteren Sinne Forschenden Lernens werden folgende Dimensionen einer Lehrerbildung gefördert, die auf die Kultivierung eines reflexiven Habitus zielen:

  • Vernetzung und Zusammenhangstiftung: Die Studierenden sollen fachliches, fachdidaktisches und erziehungswissenschaftliches Wissen nicht nur am Ausbildungsort der Universität, sondern auch im Kontakt mit der Schulpraxis in Übergangsräumen sinnstiftend in ein Verhältnis setzen können.
  • Selbstbestimmtes Lernen: Die Studierenden sollen ihre Lernprozesse unter Regie nehmen und im Sinne von Selbstbildung und in einer aktiven Nutzung der Lerngelegenheiten eigene Entwicklungsaufgaben und -perspektiven formulieren können.
  • Rekontextualisierungskompetenz: Studierende sollen in Methoden und Praktiken des Reflektierens und der Wissenskonstruktion ausgebildet werden. Um theoriegeleitet das eigene Handeln sowie Unterrichtspraxis analysieren und reflektieren zu können, müssen die Studierenden lernen, autonom mit theoretischem Wissen umzugehen und dieses jenseits einfacher Übertragungslogiken für praktische Kontexte rekonstruieren zu können.
  • Kooperation: In Antizipation von kollegialer Kooperation als Ort kommunikativer Reflexivität sollen Studierende häufiger die Gelegenheit erhalten, sowohl mit anderen Peers wie auch mit Hochschullehrenden und Lehrpersonen aus der Praxis gewinnbringend und auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten. So lernen sie Reflexion nicht als einsame, sondern gemeinschaftliche Praxis der Perspektivenübernahme und ‑kontrastierung sowie des voneinander Lernens kennen und schätzen.
Abbildung 3: Leitbild

Abbildung 3: Das Leitbild Reflective Practitioner

 

[1] Das Zentrum für Lehrerbildung (ZfL) befindet sich derzeit in einem Prozess der Umwandlung in eine Wissenschaftliche Einrichtung der Universität Bremen. Nach dem formalen Abschluss dieses Prozesses lautet die Bezeichnung dann Zentrum für Lehrerinnen-/Lehrerbildung und Bildungsforschung (ZfLB).

 

Bildnachweis:

  • Autor_innenfotos: Harald Rehling; Marion Wulf (privat); Christoph Duchhardt (privat)
  • Foto Gesamtteam: Marion Wulf
  • Abb. 1, 2, 3: Projekt „Schnittstellen gestalten“; Universität Bremen

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