Teilprojekt 2: p:ier – Portfolio: individuell, elektronisch, reflektiert

von Alexander Del Ponte, Christoph Fantini, Georgia Gödecke, Stephanie Grünbauer, Andreas Grünewald, Annika Grünwald, Yasemin Karakasoglu, Anne Levin, Katja Meyer-Siever, Sven Nickel, Dörte Ostersehlt, Karsten D. Wolf und Melanie Zylka

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Konzeption des Teilprojektes

Vor dem Hintergrund der Förderung des Umgangs mit Heterogenität und Zielsetzung des Reflective Practitioner im Gesamtprojekt „Schnittstellen gestalten“ der Universität Bremen wird mit der Entwicklung, Implementation und Evaluation von e-Portfolios im Teilprojekt p:ier die systematische und synergetische Verknüpfung von fachdidaktischen sowie erziehungswissenschaftlichen Elementen des lehrerbildenden Studiums verfolgt. Dabei müssen sowohl didaktische, systemische und technische Besonderheiten bzw. Anforderungen solcher elektronischen Formate, als auch Herausforderungen zur theoretischen Modellierung und Operationalisierung des Konstruktes „Reflexion“ berücksichtigt, konstruktiv gelöst und integriert werden. Der folgende Beitrag zeigt entsprechende Entwicklungen und Ergebnisse des Teilprojektes p:ier auf.

Das Teilprojekt „e-Portfolio“, welches im Rahmen des Gesamtprojektes „Schnittstellen gestalten“ an der Universität Bremen durchgeführt wird, verfolgt das Ziel, durch ein die Fachdidaktiken (der sprachlich/ästhetischen und gesellschaftswissenschaftlichen sowie der MINT-Fächer im Gymnasial- und Oberschullehramt, als auch der Deutschdidaktik im Primarbereich) und die Erziehungswissenschaften verbindendes e-Portfolio, das zunächst primär an den Praxisphasen anknüpft, eine systematische Vernetzung von Fachdidaktiken und Erziehungswissenschaft zu fördern.

Zwar werden im Rahmen der Lehrerbildung an der Universität Bremen innerhalb der unterschiedlichen Fachdidaktiken und den Erziehungswissenschaften teilweise bereits Portfolios bzw. Portfolioelemente genutzt. Diese Elemente stehen jedoch in der Regel unverbunden nebeneinander. Im Rahmen des Teilprojektes werden, unter besonderer Berücksichtigung des übergeordneten, teilprojektübergreifenden Ziels der Entwicklung zum Reflective Practitioner und mit dem Schwerpunkt „Umgang mit Heterogenität“, Aufgabenformate entwickelt, welche von den Studierenden im Rahmen eines gemeinsamen e-Portfolios bearbeitet werden.

Neben der Sammlung der bearbeiteten Aufgaben in einer Art digitalen Sammelmappe kommt dem Portfolio eine weitere Bedeutung zu: So werden sowohl am Ende des Bachelors als auch im Masterstudium nach Abschluss des halbjährigen Praxissemesters individuelle Gespräche mit den Studierenden geführt, welche die Reflexion der professionellen Entwicklung zum Gegenstand haben. Diese Rückschau auf den eigenen Professionalisierungsprozess beinhaltet dabei sowohl den Blick auf die fachdidaktischen als auch auf die erziehungswissenschaftlichen Anteile des Studiums und verbindet die Erfahrungen zu einem Ganzen.

Das für die Lehrerbildung bedeutsame Schlüsselthema „Umgang mit Heterogenität“ wird dabei aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven bearbeitet, und die angebahnten Reflexionskompetenzen zum Umgang von Schule mit unterschiedlichen Dimensionen der Heterogenität von Schülerinnen und Schülern werden reflexiv aufeinander bezogen. Bereits im Bachelorstudium (B. A.) wird im Rahmen des Moduls „Bachelor Umgang mit Heterogenität“ (BAUM-HET) die Verbindung erziehungswissenschaftlicher und fachdidaktischer Perspektiven zur Heterogenität der Schülerschaft im Rahmen der einführenden Ringvorlesung durch ein dazu entwickeltes Blog-System gefördert. In diesem bearbeiten Studierende des zweiten B.A.-Semesters Reflexionsaufgaben der Dozierenden zu einzelnen Vorlesungseinheiten; die bearbeiteten Reflexionsaufgaben sollen dann durch Peers kommentiert werden (vgl. Dogmus/Karakasoglu 2016). Im Zuge der Entwicklung des hier vorgestellten e-Portfolios wird unter anderem dieser Vorlesungsblog des BAUM-HET-Moduls in die Gesamtkonzeption des e-Portfolios systematisch integriert. So wird in den Aufgaben, die bislang in den Fachdidaktiken und EW im Rahmen des Teilprojekts entwickelt wurden, explizit der Umgang mit Heterogenität aufgerufen und vor dem Hintergrund der jeweiligen fachdidaktischen, psychologischen oder pädagogischen Fragestellung reflektiert.

Der Unterstützung der Studierenden bei der Ausbildung einer reflexiven Grundhaltung kommt eine besondere Bedeutung zu, da die Ausbildung einer professionellen Haltung im Sinne eines Reflective Practitioner erst entwickelt werden muss. Dazu sind sowohl fachdidaktisches Wissen, das überhaupt erst eine kritische Reflexion von Fällen (Fallbeispielen, Beobachtungen, erlebten Situationen) vor einem theoretischen Hintergrund ermöglicht, als auch eine Erweiterung des eigenen Horizontes durch eine Fähigkeit zur Perspektivenübernahme der beteiligten Akteure erforderlich.

Im Rahmen des ersten Teils des vorliegenden Beitrages (Entwicklung der Reflexionskompetenz im Rahmen eines fächerübergreifenden e-Portfolios) soll zunächst ein Reflexionsmodell vorgestellt werden, welches auf Basis vorliegender theoretischer Ansätze zur Reflexion entwickelt wurde und das Ziel hat, im Rahmen der Lehramtsausbildung die Ausbildung von Reflexionskompetenz zu unterstützen.

Der zweite Teil des Artikels („P:ier – Beispiele aus den Erziehungswissenschaften und den Fachdidaktiken“) beginnt mit der Vorstellung des im Rahmen der Anforderungen an das zu implementierende e-Portfoliosystem und der Darstellung einer ersten Umsetzung. Es schließt sich eine Darstellung der Integration des Moduls BAUM-HET in das e-Portfolio an. Dieses stellt im Rahmen einer Ringvorlesung eine Verknüpfung der Fachdidaktiken mit den Erziehungswissenschaften vor dem gemeinsamen Hintergrund des Umgangs mit Heterogenität her. Es folgen Aufgabenbeispiele aus den Fachdidaktiken der Biologie, Deutsch (für den Primarbereich) und Französisch. Eine ausführliche Erläuterung einer exemplarischen Aufgabe aus der Fachdidaktik Französisch schließt sich an.

Der Ausblick schließlich verdeutlicht die anstehenden Arbeitsprozesse bei der Weiterentwicklung des Modells und der daran anknüpfenden Möglichkeiten der Entwicklung eines diagnostischen Instruments zur Erfassung von Reflexionskompetenz.

 

Entwicklung der Reflexionskompetenz im Rahmen eines fächerübergreifenden e-Portfolios

Anne Levin, Katja Meyer-Siever

Im folgenden Teil wird zunächst in das Thema „e-Portfolio“ eingeführt, und es werden Chancen des Formats, aber auch mögliche Probleme der Umsetzung beleuchtet.

Im Anschluss (Bedeutung der Reflexionsfähigkeit in der Lehrerbildung) erfolgt eine Klärung des Begriffs der Reflexion und der daran anknüpfenden Vorstellungen des „Reflective Thinking“ (Dewey 1933, S. 3) und des Reflective Practitioner. Zudem werden empirische Befunde von Studien dargestellt, die sich mit dem Versuch der Operationalisierung von Reflexion befasst haben.

Schließlich wird das Modell „STORIES“ („Students Training of Reflection in Educational Settings“) ausgehend von der aktuellen Literatur entwickelt und begründet.

 

Aufbau und Ziele von e-Portfolios

Zunächst stellen e-Portfolios nichts anderes als eine elektronische Form von Portfolios dar. Dokumente und Arbeiten, sogenannte Artefakte, werden gesammelt, um sie zu bestimmten Zeitpunkten und für eine bestimmte Zeit einem Publikum (der Studiengruppe, den Dozierenden) zugänglich machen zu können. Entsprechend sind e-Portfolio-Systeme als Systeme definiert, die zentrale Prozesse der e-Portfolioarbeit (Sammeln, Reflektieren, Publizieren) sowie den Austausch darüber (Peers, Betreuerinnen- und Betreuer, Öffentlichkeit) unterstützen und organisieren (vgl. Taraghi/Ebner/Schön 2013).

Die Inhalte der e-Portfolios reichen von Links (Veranstaltungen, Blogs, Bildungsprogramme) über Dateien (Audio, Text, Video etc.) bis hin zu Referenzen (Bescheinigungen, Zeugnisse etc.) und sind mit Lernzielen aus unterschiedlichen Kompetenzbereichen verknüpft (vgl. Brahm/Seufert 2007).

Darüber hinaus lassen sich e-Portfolios für unterschiedliche Zwecke nutzen. Hier sind zu unterscheiden: Bewerbungs-, Beurteilungs-, Entwicklungs- und Lernportfolios (vgl. Johnson et al. 2006).

Im Rahmen des an der Universität Bremen entwickelten e-Portfolios handelt es sich um eine Mischform aus Entwicklungs- und Lernportfolio. So soll den Studierenden durch die Rückschau auf erstellte Artefakte einerseits eine Reflexion des eigenen Professionalisierungsweges ermöglicht werden, andererseits werden aber innerhalb der Aufgabenbearbeitung Arbeiten erstellt, diskutiert und bewertet, die zu einem Kompetenz- und Lernzuwachs auf unterschiedlichsten Ebenen führen (z. B. können Wissen erworben, Sozial- und Sachkompetenz erreicht, Einstellungen verändert, Reflexion angeregt/angeleitet und der Selbstbezug erweitert werden). Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Berücksichtigung der Passung von Lernzielen, Lerninhalten und deren Beurteilung (vgl. Biggs 2003).

Auch auf der didaktischen Seite werden große Herausforderungen sichtbar: Im Rahmen des Portfolioeinsatzes müssen hochschuldidaktische Räume und Möglichkeiten geschaffen werden, das eigene Lernen zu analysieren und Lernen in (auch digitalen) Gruppen zu unterstützen bzw. zu befördern, um so einen dialogischen Austausch zu erleichtern (vgl. Schaffert et al. 2007).

Eine weitere Aufgabe besteht darin, eine Balance zu finden zwischen den Ansprüchen der akademischen Ausbildungsseite (Universität) und den Bedürfnissen und Motivationslagen der Studierenden. Empirische Studien zeigen, dass Studierende häufig gar nicht oder in zu geringem Maße in die Entwicklung der Portfolios einbezogen werden und diese eher als „ihnen aufgezwungen“ erleben (vgl. Ayala 2006). Insofern ist es im Rahmen von p:ier notwendig, Studierende nicht nur in die Weiterentwicklung der Aufgaben mit einzubeziehen, sondern auch die Aufgaben immer wieder dahingehend zu überprüfen, inwieweit sie den Entwicklungsbedarfen der Studierenden gerecht werden.

Der große Vorteil von e-Portfolios liegt darin, dass es nahezu unbegrenzte Möglichkeiten gibt, sich selbst zu reflektieren, Artefakte wechselseitig zu kommentieren und zu bearbeiten. Dies erzeugt aber auf der anderen Seite eine Fülle von Dokumenten und Kommentaren, die unter Umständen von den Dozierenden (und Peers) nicht mehr hinreichend gewürdigt werden können. In diesem Zusammenhang erscheint es notwendig, Rückmeldeformate zu entwickeln, die leicht handhabbar und dennoch informativ sind und die auch im Rahmen von Selbst- und Peerevaluation genutzt werden können.

Insgesamt zeigt sich, dass bei der e-Portfolioentwicklung ein langer Atem notwendig erscheint, der, gepaart mit immer wieder einzubeziehenden formativen und summativen Evaluationen, eine stete Fortentwicklung und Anpassung des Systems ermöglicht.

 

Bedeutung von Reflexionskompetenz in der Lehrerbildung

Im pädagogischen Diskurs wird Reflexion häufig als Schlüsselkompetenz professionellen Lehrerinnen- und Lehrerhandelns bezeichnet (vgl. Combe/Kolbe 2008; Häcker/Rihm 2005; Leonhard/Rihm 2011). Die Verwendung des Kompetenzbegriffs wird bewusst gewählt, da Kompetenz eine Vielzahl von erlernten/vorhandenen Fertigkeiten oder Fähigkeiten unter Berücksichtigung motivationaler und volitionaler Prozesse beschreibt, die eine Bearbeitung von komplexen Problemen ermöglicht (vgl. Weinert 2003). Im Kompetenzbegriff werden Wissen und Können (Handlungswissen) miteinander verbunden. Das im Rahmen dieses Beitrags vorgestellte Modell intendiert zunächst die Ausbildung verschiedener (Teil-)Fähigkeiten, um Studierende bei der Entwicklung hin zu einer reflektierenden Haltung im Sinne des Reflective Practitioner zu unterstützen und damit langfristig den Aufbau einer Reflexionskompetenz zu gewährleisten, die es ermöglicht, in der Praxis sowohl eigenes als auch fremdes Handeln analysieren und reflektieren zu können.

Dabei bleibt festzuhalten, dass die Fähigkeit zur Reflexion erlernt und eingeübt werden muss (vgl. Etscheidt/Curran/Sawyer 2012). Im Folgenden soll zunächst der Begriff der Reflexion betrachtet werden. Im Anschluss wird ein Überblick zu bestehenden Modellierungen von Reflexionskompetenz gegeben. Schließlich werden Möglichkeiten der Erfassung von Reflexionskompetenz und die damit verbundenen empirischen Befunde vorgestellt.

 

Reflexion – Begriffsbestimmung

Bengtsson merkt an, dass Reflexion zwar vielerorts als bedeutsam erachtet, der Begriff der Reflexion selbst aber häufig unreflektiert verwendet wird (vgl. Bengtsson 2003). Eine Durchsicht bestehender Aufgabenformate bestätigt diese Annahme insofern, als dass vielfach die Aufforderung „reflektieren Sie“ inflationär genutzt wird, wenngleich vielerorts deutlich spezifischere Arbeitsanweisungen (z. B. analysieren, bewerten, prüfen Sie) oder auch nur Teilprozesse einer umfangreichen Reflexion intendiert sind.

Um sich dem Begriff der Reflexion zu nähern, kann auf Müller verwiesen werden, der versucht, begrifflich zwischen Reflex, Reflektion und Reflexion zu unterscheiden (vgl. Müller 2010). Den Reflex beschreibt Müller als agierendes Moment, das Selbstgewissheiten erzeugt und sich in den Alltag erleichternden Routinen äußert, die allerdings zunächst gegenüber der Reflektion und Reflexion abgeschottet sind (ebd.). Erst die Reflektion der Routinen ermöglicht im zweiten Schritt eine Verbesserung der Routinen, weil sie die konstruktiven Anteile des Subjektes erkennt und anerkennt. Müller beschreibt dies als Aufhebung der Selbstvergessenheit. Im nächsten Schritt kann nun durch Reflexion erkannt werden, dass sich sowohl im Ausgangsmoment als auch bezogen auf das sich ergebende Handlungsspektrum autonomiefördernde als auch autonomieeinschränkende Momente gegenüberstehen. Reflexion ist also einerseits (wie die Reflektion) an das Subjekt gebunden, weist aber auch konstitutiv darüber hinaus (ebd.). Ziel der Reflexion im Rahmen des Lehramtsstudiums wäre es dann, die Handlungsmöglichkeiten dadurch zu erweitern, dass sie die Einheit der intrasubjektiven, intersubjektiven und objektiven Handlungsoptionen und ‑bedingungen anerkennt (ebd.). Von diesem Verständnis von Reflexion ausgehend, muss ein Modell zur Förderung von Reflexionskompetenz zum einen die Fähigkeit, Theorie- und Praxiswissen aufeinander zu beziehen, befördern und sowohl die Reflexion eigener als auch fremder Handlungsabsichten (und ihnen eigenen Handlungsmöglichkeiten) sowie die ihnen zugrundeliegenden Werte und Normen einbeziehen. Die/der Reflektierende muss in der Reflexion also unterschiedliche Perspektiven einnehmen und zudem die Umgebungsbedingungen sowie die bestehenden Handlungsmöglichkeiten analysieren und anerkennen. Letzteres kann das Potenzial zur Veränderung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen in sich tragen, wenn diese als dysfunktional oder den eigenen Werten und Normen zuwiderlaufend erkannt werden.

 

Modellierung von Reflexionskompetenz und ihre Bedeutung in der Lehrerbildung

Bereits Dewey nähert sich dem Begriff der Reflexion über die Idee des „Reflective Thinking” (Dewey 1933, S. 3) und beschreibt Reflexion als eine bewusste und zielorientierte Form des Denkens und Nachdenkens. Diese wird aufgrund der Erfahrung von Widerständen, Zweifeln und Überraschung initiiert. Sie intendiert die Wiederherstellung des psychischen Gleichgewichts, indem die auslösende Situation analysiert und untersucht wird, um Erklärungen zu finden, die dazu beitragen ein bestehendes Problem zu lösen oder zu verstehen. Die Lösung eines Problems steht dabei nicht notwendigerweise im Mittelpunkt des Interesses, auch positive Ereignisse können reflexionsauslösend sein (vgl. Boud/Keogh/Walker 1985).

Während Dewey den Schwerpunkt der Betrachtung auf Reflexion als kognitiven Prozess legt, verknüpft Schön mit dem Reflective Practitioner Reflexion und Handeln und sieht in dieser Verknüpfung die Voraussetzung für die Entwicklung professioneller Handlungskompetenz (vgl. Dewey 1933; Schön 1983).

Damit gehen auch eine Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung des von Dewey konzipierten Reflexionsprozesses einher. Neben der Verknüpfung reflexiver Denkprozesse mit der Handlung fügt Schön durch die Unterscheidung von „Reflexion-in-der-Handlung“ und „Reflexion-über-die-Handlung“ in seinem Prozessmodell eine zeitliche Komponente hinzu. Die Phase der „Reflexion-in-der-Handlung“ bzw. „reflection-in-action“ erfolgt nach Schön, wenn die Praktikerin bzw. der Praktiker zur Forschenden bzw. zum Forschenden ihrer/seiner Praxis wird und unabhängig von bestehenden Theorien und Techniken eine eigene fallbezogene Theorie entwickelt. Denken und Handeln erfolgen nicht getrennt voneinander, sondern sind aufeinander bezogen. Im Rahmen der reflexiven Auseinandersetzung werden nach Schön verschiedene Stufen durchlaufen: Zunächst wird der Reflexionsprozess dadurch ausgelöst, dass eine Situation als nicht routiniert lösbar erkannt wird. Im zweiten Schritt erfolgt eine erste Problemdefinition („naming and framing“). Diese kann unter Umständen ein Aufrufen analoger bekannter Situationen hervorrufen, die zur Problemlösung beitragen können, oder aber zu einer Reformulierung des Problems führen. Die handelnde Verwirklichung der ersten Problemdefinition stellt somit eine experimentelle Prüfung dar, welche entweder zu einer befriedigenden Einschätzung der Handlungskompetenzen oder zu neuen Diskrepanzen führt (vgl. Wyss 2013). Weiter muss geprüft werden, ob aus dem Experiment unerwartete, nicht antizipierte Konsequenzen erwachsen können (vgl. Schön 1983). Von der Einschätzung der Handlungskonsequenzen und der Evaluation des Experiments hängt schließlich ab, wie die Problemdefinition und die aus ihr resultierenden Handlungen beurteilt werden. Dabei wird nicht gefragt: „Did we achieve the ends we set?”, sondern „Do we like what we get?” (Argyris et al. 1985, S. 218 f.). Die erzielte Situation wird demnach nicht nur vor dem Hintergrund erwarteter Konsequenzen bewertet, sondern ganzheitlich betrachtet (vgl. Altrichter 2000).

Derartig im Prozess „reflection-in-action“ gewonnene Erfahrungen und Erkenntnisse können als praktisches Wissen gespeichert werden. Bei Diskrepanzen zwischen antizipierten Konsequenzen und Situationsverläufen bzw. der Realität kann erneut in den Prozess eingestiegen werden (vgl. Wyss 2013).

Während „reflection-in-action“ die Fähigkeit zur Selbstreflexion in der Handlung selbst darstellt, beschreibt „reflection-on-action“ ein Zurücktreten und Aussteigen aus dem Handlungsfluss, eine Distanzierung von der Reflexion über die primäre Handlung (vgl. Altrichter 2000).

Schön beschreibt das Heraustreten und die Vergegenständlichung aus dem Handlungsfluss als sekundäre Handlung, welche die primäre reflektiert (vgl. Schön 1983). Hierfür wird die primäre Handlung unterbrochen und kann sowohl kognitiv (z. B. in Form von bildhaften, begrifflichen Vorstellungen) objektiviert bzw. vergegenständlicht, als auch real objektiviert und damit statisch gehalten werden, indem Informationen der Handlung erfasst und analysiert werden. Nach Altrichter stellt die Fähigkeit zur Reflexion über die Handlung ein wichtiges Merkmal professioneller Kompetenz dar, da erst mit der Explikation von Handlungswissen eine Analyse und Reorganisation sowie die Vermittelbarkeit desselben gewährleistet werden können (vgl. Altrichter 2000).

Grundsätzlich liefert das Modell von Schön viele wichtige Überlegungen, um das Konstrukt Reflexion und den Prozess des Reflektierens definierend zu beschreiben und für die wissenschaftliche Forschung im Bereich der Lehramtsausbildung zu operationalisieren. Kritik wird in vielerlei Hinsicht geübt, z. B. bezüglich des fehlenden Einbezugs der sozialen Umwelt oder der gemeinsamen Reflexion (vgl. Wyss 2013). Vor dem Hintergrund der Forderung des Reflective Practitioner in der Lehramtsausbildung wird jedoch insbesondere ein Kritikpunkt virulent:

Unter anderem kritisieren Leonhard und Abels Schöns Vorstellung von Reflexion deutlich und weisen darauf hin, dass eben der Handlungsmodus der „reflection-in-action“ gerade nicht in der universitären Lehrerbildung erlernt werden kann (vgl. Leonhard/Abels 2017). Die Kritik der Autoren richtet sich auf die Unmöglichkeit, gleichzeitig in der Handlung zu planen und zu reflektieren, da Reflexion ein Innehalten erfordert und somit den Situationsfluss unterbrechen muss. Begleitende Kognitionen ebenfalls als Reflexion zu bezeichnen, führe zudem zu einer Verwässerung des Begriffs (ebd.). Dies zeigt sich, wie schon erwähnt, bereits in der gängigen Praxis: Der Auftrag „reflektieren Sie“ wird inzwischen inflationär und wenig treffend benutzt, wenn tatsächlich andere kognitive Tätigkeiten oder eben nur Teilprozesse des Reflektierens intendiert sind.

Begreift man Reflexion als komplexen, von der Situation sich distanzierenden Prozess, der Theorie- und Praxiswissen aufeinander bezieht und gleichzeitig sowohl die unterschiedlichen Perspektiven der beteiligten Akteure als auch die gesellschaftlichen und institutionellen Bedingungen berücksichtigt, um Handlungsalternativen zu entwickeln, dann folgt daraus, wenn Reflexion nicht als persönliche Aufgabe des Einzelnen begriffen werden soll, dass auch institutionell geschaffene Räume der gemeinsamen Reflexion benötigt werden (vgl. Häcker 2017) (s. a. Leitbild Reflective Practitioner w. o.).

 

Erfassung von Reflexion und empirische Befunde

Mit dem Bedeutungszuwachs, den die Entwicklung von Reflexionskompetenz in der Lehrerbildung erfahren hat, geht der Wunsch nach einer angemessenen Diagnostik von Reflexionskompetenz einher, um einschätzen zu können, inwiefern didaktische Konzepte in der Ausbildung tatsächlich reflexionsfördernd sind.

Bereits 1985 entwickelten Zeichner und Liston im Rahmen von diskursanalytischen Untersuchungen in der Lehrerbildung den „Reflective Teaching Index (RTI)“ (Zeichner/Liston 1985, S. 166). Sie analysierten Supervisionsbesprechungen zwischen Ausbilderinnen bzw. Ausbildern und angehenden Lehrkräften hinsichtlich des Grades an Reflexivität. Die deduktiv-induktive Konzeptionierung des daraus resultierenden Reflexionsmodells greift zum einen auf theoretische Überlegungen von van Manen zurück und zum anderen auf empirische Ergebnisse ihrer Untersuchung von Tonbandaufnahmen der Supervisionssitzungen (vgl. van Manen 1977). Zeichner und Liston formulieren daraufhin vier Niveaustufen (mit weiteren Unterkategorien), die im Diskurs unterschieden werden konnten (vgl. Zeichner/Liston 1985):

  1. „Factual Discourse“: Im sachlichen Diskurs beschäftigen sich die Beteiligten mit der Beschreibung des tatsächlichen bzw. offenkundigen Unterrichtsgeschehens und/oder mit dem, was zukünftig geschehen wird.
  2. „Prudential Discourse“: Der vernunfts- oder verständnisbezogene Diskurs schließt evaluative Überlegungen der pädagogischen Handlung bzw. das Abwägen von Handlungsalternativen ein.
  3. „Justifactory Discourse“: Im rechtfertigenden Diskurs werden verschiedene Argumente und Begründungen für geplantes, gegenwärtiges oder vergangenes Verhalten in pädagogischen Situationen zum Gegenstand der Betrachtung gemacht.
  4. „Critical Discourse“: Im kritischen Diskurs werden zum einen die Gründe für pädagogische Handlungen hinsichtlich ihrer Angemessenheit und Passung geprüft und zum anderen werden Werte, Einstellungen und Annahmen, welche in Lehrmethoden und Lehrplänen inkludiert sein können, kritisch betrachtet.

Anzumerken ist, dass empirisch kaum Diskurse auf kritischem Niveau analysiert werden konnten (ebd.). Zeichner und Liston erklären dies methodisch u. a. damit, dass die Unterkategorien der vier Stufen nicht gänzlich disjunkt sind (ebd.).

Aber auch zehn Jahre später stellen Hatton und Smith heraus, dass es den Bildungsprogrammen für Lehrkräfte überwiegend nicht gelingt, Reflexionskompetenz auf höchstem Niveau anzubahnen (vgl. Hatton/Smith 1995). Aus ihrer Sicht erweist sich die Begriffsdefinition von Reflexion als praxisuntauglich (ebd.). Auf der Basis eigener empirischer Untersuchungen von Lehramtsstudierenden (u. a. schriftliche Hausarbeiten) entwickelten Hatton und Smith ein weiteres Stufenmodell, welches beschreibende, dialogische und kritische Reflexion unterscheidet (ebd.).

Eine aktuelle Studie von Wyss bestätigt die empirischen Befunde der Vorjahre. So wird in den Reflexionen der Lehrkräfte das Lernen der Schülerschaft selten thematisiert, Handlungsalternativen finden kaum Beachtung, der Bezug zu theoretischen Erkenntnissen fehlt und es erfolgt keine Berücksichtigung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen (vgl. Wyss 2013). Zur Messung von Reflexion bei Lehrpersonen setzt Wyss verschiedene Instrumente (Reflexionsfragebogen, „Stimulated Recall“ Interview“, Videografie, Vignetten) triangulierend ein, wobei der Versuch von Wyss, Reflexionsbereitschaft mit Hilfe eines Fragebogens messbar zu machen, vor dem Hintergrund der kleinen Stichprobe nur eingeschränkt interpretierbar ist (ebd.). Festgestellt werden aber kann, dass zwischen Selbsteinschätzung der Reflexionspraxis und Fremdeinschätzung des Unterrichts (durch die Schülerinnen und Schüler) kein Zusammenhang besteht, und die positive Einschätzung der eigenen Reflexionsbereitschaft nicht mit dem Reflexionsverhalten (im „Stimulated Recall“) zusammenhängt. Letzteres könnte dadurch erklärt werden, dass einerseits die Bereitschaft zu Reflexion als sozial erwünscht angesehen und entsprechend beantwortet wird und andererseits die Reflexionsbereitschaft nur eine positive Einstellung zur Reflexion markiert, diese aber für sich genommen noch keine hinreichende Voraussetzung für eine tatsächlich stattfindende, tiefergehende Reflexion des eigenen Handelns darstellt. Die aufwändige Messung mit Hilfe von Interviews („Stimulated Recall“) erscheint deutlich treffsicherer (ebd.).

Tynjälä betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung schriftlicher Arbeiten, da diese eine Integration und Reorganisation von Informationen verlangen, die ein elaborierteres Nachdenken erfordern (vgl. Tynjälä 1998). Das bedeutet allerdings nicht, dass reflexive Aufgaben im Rahmen von Essays automatisch zu einer verbesserten Reflexionsleistung führen (vgl. Maclellan 2008). Kontextgebundene Aufgaben können Reflexionsleistungen erleichtern; Prompts im Sinne von gezielten Reflexionsanstößen können ebenfalls zur Reflexion anregen. Die Gefahr, die allerdings mit letzteren verbunden zu sein scheint, ist die, dass Reflexion als formales, normatives Vorgehen ohne eigenständigen Anteil quasi abgearbeitet wird (vgl. Häcker 2017).

Insgesamt kann folgende Problemlage beschrieben werden: Es gibt eine Vielzahl von Versuchen, Reflexionskompetenz messbar zu machen. Allerdings scheinen die Kategorien häufig nicht trennscharf zu sein. Ein weiteres Problem besteht darin, dass primär die unteren Kategorien besetzt sind, sich also die Frage stellt, ob Reflexion überhaupt auf sogenannten höheren Niveaustufen stattfindet oder ob möglicherweise – wie Hatton und Smith annehmen – das Verständnis von Reflexionskompetenz nicht praxistauglich ist. Autorinnen und Autoren kritisieren in diesem Zusammenhang häufig die hierarchische Anordnung der Reflexionsstufen und bemängeln an der höchsten Stufe der Reflexion (oftmals als „kritische Reflexion“ bezeichnet), dass deren geforderte Erfüllungskriterien, z. B. im Rahmen der Lehramtsausbildung, u. a. aufgrund knapper zeitlicher Ressourcen, nicht realisierbar seien (vgl. Wyss 2013). Letzteres ist anschlussfähig an die von Häcker angeführte Kritik, dass Reflexion nicht als allein individuelle Aufgabe verstanden werden sollte, sondern eines institutionalisierten Raumes bedarf (vgl. Häcker 2017).

 

„STORIES“ – Ein Reflexionsmodell für die Lehrerbildung

Für die Lehrerbildung stellt sich die Aufgabe, auch im Sinne einer Komplexitätsreduktion, ein Modell zu entwickeln, das Reflexion als Entwicklungsaufgabe für die Bildung von Lehrpersonen handhabbar macht, dabei aber dennoch die vielfältigen Perspektiven (theoretische, individuelle Perspektiven einzelner Akteure, gesellschaftliche/systemische) integriert. Gleichzeitig sollte es sich darin bewähren, Aufgaben zu verorten und perspektivisch die Entwicklung eines Reflexionskompetenzrasters zu ermöglichen, um diagnostische Rückmeldungen zu standardisieren und zu vereinfachen.

Entwicklung des Reflexionsmodells „STORIES“

Bei der Betrachtung vorliegender Kategorisierungen von Reflexionsebenen fällt zunächst auf, dass zwar häufig eine Unterscheidung bezogen auf die Reflexionstiefe (deskriptiv, argumentativ, kritisch) getroffen wird, allerdings zu wenig berücksichtigt wird, inwieweit die Reflexion breit angelegt ist. Werden z. B. alternative Erklärungsansätze berücksichtigt oder wird in einer spezifischen Sichtweise verharrt? Inwiefern wird das intendierte oder das tatsächliche Handeln in Bezug zu den genannten Perspektiven anderer Akteure und deren Absichten gestellt?

Wyss verweist in ihrer Studie auf eben dieses Problem, dass die Reflexion der Lehrpersonen überwiegend stark selbstbezogen erfolgt und primär das eigene Handeln zum Gegenstand von Reflexion gemacht wird (vgl. Wyss 2013). Dies ist zwar einerseits eine notwendige Voraussetzung für die Entwicklung von Reflexionsfähigkeit, dennoch ist sie nicht hinreichend (vgl. Leonhard 2008). „Multiperspektivität“ – die Fähigkeit, kognitive, emotionale und motivationale Bedingungen der an der Situation beteiligten Akteure sowie weitere systemisch relevante Strukturen ebenfalls explizit zum Gegenstand der Betrachtung zu machen und in Beziehung zum eigenen Handeln setzen zu können – wird „als wichtiger Teil von (Praxis-)Reflexion verstanden“ (Gutzwiller-Helfenfinger/Aeppli/Lötscher 2017, S. 145) und erscheint gerade im pädagogischen Arbeitsfeld unabdingbar, um anschlussfähig an die heterogenen Vorstellungen, Motivationslagen und Lernvoraussetzungen der Schülerschaft agieren zu können.

Darüber hinaus müssen Alternativen erkannt und systemisch reflektiert werden. Die Reflexion der real existierenden und möglicherweise reglementierenden gesellschaftlichen und institutionellen Bedingungen eröffnet erst die Frage, ob als angemessen oder vernünftig erkanntes Handeln unter den realen Bedingungen überhaupt möglich ist bzw. verhindert wird, und stellt damit das kritische Potenzial der Reflexion dar: Erkenne ich durch meine Reflexion, dass die eigene Sicht nur eine Möglichkeit unter vielen darstellt? Muss ich unter Umständen zu einer gesellschaftlichen oder institutionellen Veränderung beitragen, wenn ich sinnvoll handeln will?

Abbildung 3: „STORIES – Students Training of Reflection in Educational Settings”

Abbildung 2: „STORIES – Students Training of Reflection in Educational Settings”

Neben der Identifizierung voneinander zu unterscheidender Bereiche, die einzelne Reflexionsphasen markieren, soll mit der sukzessiven Erarbeitung aller Bereiche des Reflexionsmodells eine Reflexion in der Breite gefördert werden. Dabei orientiert sich das „4-Phasen-Modell“ („STORIES“, s. Abb. 2) an den bekannten Stufenmodellen von Zeichner und Liston ebenso wie an der begrifflichen Modellierung von Müller, welche explizit die Metaebene (systemische Reflexion) berücksichtigt (vgl. Zeichner/Liston 1985; Müller 2010). Wie auch Zeichners Stufen der Reflexion jeweils für sich eine eigene Reflexionsqualität beanspruchen, so intendiert das vorliegende Modell ausdrücklich eine Fokussierung auf einzelne, nicht zwingend aufeinander aufbauende Bereiche im Rahmen der im e-Portfolio vorgegebenen fachdidaktischen oder erziehungswissenschaftlichen Aufgabenstellungen (z. B. der biographischen Reflexion) (vgl. Zeichner 1994).

 

Beschreibung der einzelnen Aspekte des Modells „STORIES“

Ausgangspunkt der Reflexion ist der Reflexionsanlass im universitären und damit „handlungsentlasteten“ (Häcker 2017, S. 40) Setting. Dieser Anlass kann vorgegeben sein (z. B. im Rahmen eines Fallbeispiels), aber auch selbst erlebt (z. B. im Rahmen der biographischen Reflexion) oder beobachtet (z. B. im Rahmen eines Praktikums) worden sein. Die Darstellung des Reflexionsanlasses stellt bereits die erste Herausforderung dar, wenn sie zunächst vom Studierenden erstellt werden muss. Wie vielfältig die Information ist, die der bzw. dem Studierenden, die bzw. der die Situation beschreiben muss, zur Verfügung steht, hängt unter Umständen davon ab, welches Material sie oder er zur Verfügung hat. Wenn ein Beobachtungsprotokoll vorliegt oder Feedback von anderen gegeben wird, kann dies dazu beitragen, dass bereits die Explikation des Reflexionsanlasses deutlich facettenreicher erfolgt, als wenn die Studierende bzw. der Studierende nur auf die eigene Erinnerung zurückgreifen kann. Je nach Gestaltung (vorgegebenes Material versus selbst erstelltes Material) kann die bzw. der Studierende den Reflexionsinhalt selbst bestimmen (vgl. Wyss 2008). Letzteres hat den Vorteil, dass dadurch die subjektive Bedeutsamkeit des Reflexionsanlasses steigt und eine höhere Reflexionsbereitschaft erzeugt wird (vgl. Leonhard/Abels 2017). Ist der Inhalt der Reflexion bestimmt und die Situation hinreichend beschrieben worden, kann unter verschiedenen Gesichtspunkten eine Reflexion der Situation erfolgen.

 

Bezug zu Modellen und Theorien

Die Leitfragen dieser Phase lauten: Was ist das zentrale Thema in der dargestellten Situation? Welche Theorien und/oder empirischen Befunde kenne ich, die zur Erklärung der dargestellten Situation beitragen können?

In dieser Phase geht es darum, fallbezogen und fallübergreifend theoretische Grundlagen und empirische Befunde und deren Bedeutung zu analysieren sowie zwischen verschiedenen theoretischen Alternativen abzuwägen.

 

Einnahme unterschiedlicher Perspektiven

Die Leitfragen lauten: Wie wird die Situation aus der Perspektive der unterschiedlichen Beteiligten erlebt? Wie könnte sich das Verhalten der Beteiligten möglicherweise durch das Erlebte (die Handlung, das Vorhaben, die Situation) zukünftig verändern?

In dieser Phase wird systematisch die Perspektive aller Akteure, die von dem berichteten, erlebten Fall oder der antizipierten Handlung betroffen sind, eingenommen. In dieser Phase spielt die Wahrnehmung von Heterogenität eine bedeutsame Rolle. Schließlich geht es hier darum, unterschiedliche Lernvoraussetzungen zu erfassen, Wahrnehmungsunterschiede zu verstehen (weil z. B. die Situation vor dem Hintergrund verschiedener kultureller, sozialer oder geschlechtsspezifischer Erfahrungen aber auch der zugewiesenen Rollen (z.B. Lehrkraft vs. Schülerin bzw. Schüler) unterschiedlich interpretiert wird).

Ausgehend von dem Wissen um eigene Vorannahmen und Beobachtungsverzerrungen werden unterschiedliche Deutungen der Situation diskutiert. Ziel ist es, abwägen zu können, welche kognitiven, motivationalen und emotionalen Aspekte und Voraussetzungen (z. B. sprachliche, kulturelle etc.) eine Rolle spielen können und bei der Deutung des Falls bzw. der Situation berücksichtigt werden müssen, um abschätzen zu können, welche Folgen das antizipierte oder bereits gezeigte Handeln haben kann.

 

Alternativen entwickeln und reflektieren

Die Leitfragen lauten: Welche alternativen Verhaltensweisen sind ausgehend von der vorgehenden Analyse denkbar? Welche systemischen Veränderungen oder Unterstützungsmaßnahmen sind notwendig (z. B. auf schulischer Ebene)?

In dieser Phase sind zwei Schritte zu unterscheiden: Zum einen sollen Alternativen entwickelt werden und vor dem Hintergrund des Einbezugs unterschiedlicher Perspektiven der beteiligten Akteure bewertet und begründet werden. Ein Rückbezug auf die relevanten theoretischen und empirischen Befunde ist unabdingbar, wenngleich diese im Rahmen von spezifischen Aufgabenstellungen durchaus auch vorgegeben werden können. Zum anderen sollen die Grenzen und/oder Möglichkeiten des rahmenden bzw. umgebenden Systems (Kollegium, schulspezifische Bedingungen und Strukturen, Elternschaft, bildungspolitische sowie gesellschaftliche Rahmenbedingungen) reflektiert und in Bezug zu den genannten Alternativen gesetzt werden sowie nach Möglichkeiten gesucht werden, diese zu erweitern.

 

Bezug zur eigenen professionellen Entwicklung

Die letzte Phase thematisiert die eigene professionelle Entwicklung. Fragen in diesem Zusammenhang sind: Was bedeutet dies für mich und meine professionelle Entwicklung? Welche Stärken und Entwicklungsaufgaben können nach der Auseinandersetzung mit der eigenen professionellen Entwicklung und unter Einbezug vorhergegangener Analyseergebnisse beschrieben werden?

In der vierten Phase wird kritisch geprüft, ob die persönlichen Voraussetzungen gegeben sind oder waren, um die Situation sinnvoll zu meistern bzw. welche Stärken sich gezeigt haben und wo Entwicklungsbedarfe erkennbar geworden sind. Hier entsteht ein Bewusstsein darüber, dass die eigene Selbst- und Weltsicht begrenzt sind und die Rückmeldungen der anderen Akteure bereichernd sein können. Im Idealfall kommt es zu einer erweiterten Sicht auf das Selbst.

Im Prozess des Erwerbs von Reflexionskompetenz ist es wenig zielführend, immer den gesamten Prozess zu durchlaufen (vgl. Praxisbeispiele). Dies birgt die Gefahr des Ermüdens und führt möglicherweise zu einer formalen Reflexion. Es erweist sich daher als praktikabler und effizienter, einzelne Reflexionsaspekte herauszugreifen, um diese verstärkt in den Blick zu nehmen und zu trainieren, was nicht heißt, dass andere Aspekte von Reflexion ausgeblendet werden. So kann nach ersten Übungen zur Verknüpfung von Theorie und Praxis auf einer weiteren Reflexionsebene, möglicherweise auch aufeinander aufbauend, das Einnehmen verschiedener Perspektiven geübt werden und so fort. Nachfolgend kann sukzessive eine Verknüpfung der verschiedenen Phasen erfolgen, indem die einzelnen Phasen stärker aufeinander bezogen werden und so ein kohärentes Ganzes entsteht.

 

„P:ier“ – Beispiele aus den Erziehungswissenschaften und den Fachdidaktiken

Im Folgenden werden neben der erläuternden Darlegung systemischer Anforderungen an den Einsatz von e-Portfolios in der Lehrerbildung konkrete Praxisbeispiele der Fachdidaktiken vorgestellt.

 

Systemanforderungen an ein partizipatives e-Portfolio in der reflexiven Lehrerbildung

Alexander Del Ponte, Karsten Detlef Wolf

E-Portfolios sind serverbasierte Systeme zur interaktiven Gestaltung und Online-Bereitstellung digitaler Sammlungen beliebiger (auch multimedialer) Artefakte zur Dokumentation individueller Lernprozesse und –ergebnisse durch die Lernenden selbst (vgl. Hornung-Prähäuser et al. 2007). Sie sind als eine Form alternativer „assessments“ grundsätzlich offen und partizipativ angelegt. Entsprechend flexibel sind entsprechende Softwaresysteme auszulegen: Neben dem digitalen Archivieren von z. B. Texten, Bildern, Dateien, Audioaufnahmen oder Videofilmen bestehen Anforderungen an die ansprechende Gestaltung und Präsentation der Portfolios sowie Funktionen zur sicheren Bereitstellung der Portfolios.

Im p:ier-Projekt wird eine Mischung aus Reflexionsportfolio (über den eigenen Lernprozess) und Entwicklungsportfolio (Planung der eigenen beruflichen Laufbahn) genutzt. Aspekte eines Präsentationsportfolios, z. B. für den Übergang in die zweite Ausbildungsphase, sind erst für spätere Entwicklungsphasen geplant. Gemäß einer von Winter geforderten neuen Lernkultur werden Lernende in die Zielsetzung und die Gestaltung der Portfolios sowie die Bewertung (Selbst- und Peer-Assessment) mit einbezogen (vgl. Winter 2012).

Im Kontext des Einsatzes in der Lehrerbildung gibt es aber weitere Anforderungen zu berücksichtigen. Aus der Perspektive der Benutzenden – Lehramtsstudierende ohne eine besonders hohe Affinität zu digitalen Medien – ist die Software zur Sicherung einer hohen Akzeptanz einfach und in vielfältigen Kontexten – also auch mobil mit Smartphone oder Tablet – zu bedienen. Technisch betrachtet muss das System sicher sein und den Datenschutz ermöglichen, stabil und performant laufen, nachhaltig von einer „Entwicklungscommunity“ gepflegt und für das technische Personal leicht administrierbar sein sowie in vorhandene Software- und Serverinfrastrukturen passen.

Didaktisch und organisatorisch ergeben sich im p:ier-Projekt allerdings weitergehende funktionale Anforderungen, welche überwiegend aus den bisherigen Erfahrungen im Einsatz des, auch als Portfolio eingesetzten, Blog-Systems der Universität Bremen, „UBlogs“ (technisch eine „Wordpress-Blogfarm“ mit der „Community-Erweiterung“ „BuddyPress“ sowie einer Eigenentwicklung Feedback zur Organisation von „Peer-Feedback“; http://ublogs.uni-bremen.de), gezogen wurden.

Bei gleichzeitiger Sicherung der Offenheit und Flexibilität des Systems soll p:ier den Studierenden nicht nur bei der Strukturierung ihrer Reflexionsarbeit im Studienverlauf helfen, sondern durch die Gestaltungsfreiheiten Spaß, Motivation und Kreativität in der Portfolioarbeit freisetzen. Aber auch die Lehrenden sind in ihren Arbeitsprozessen der Anleitung, Betreuung, Rückmeldung und auch Bewertung organisatorisch zu unterstützen, um diese aufwendigen Prozesse nicht nur möglichst effizient, sondern auch qualitativ hochwertig durchführen zu können.

Nach einer umfangreichen Evaluation mehrerer e-Portfolio-Systeme sowie von Content-Management-Systemen und Learning Management Systemen mit e-Portfolio-Erweiterungen wurde die „Open Source Software Mahara“ (http://www.mahara.org) für die Implementation ausgewählt, welche in besonderem Maße an die speziellen Anforderungen des p:ier-Projektes angepasst werden kann. Aktuell werden Erweiterungen zu rubrikbasierten Bewertungen sowie Self- und Peer-Assessments implementiert; außerdem wird ein vorlagenbasiertes System für die in den einzelnen Unterrichtsfächern entwickelten Reflexionsimpulse erstellt.

Abbildung 3: Beispiel für einen multimedialen Reflexionsimpuls aus der Veranstaltung „EW-L GO3d Unterrichtsmethoden/Multimedia“

Abbildung 3: Beispiel für einen multimedialen Reflexionsimpuls aus der Veranstaltung
„EW-L GO3d Unterrichtsmethoden/ Multimedia“

 

Integration der Ringvorlesung „Umgang mit Heterogenität in der Schule“ in „p:ier“

Christoph Fantini, Yasemin Karakasoglu

Im Bachelorstudium zielt das für alle Lehramtsstudierenden seit 2010 obligatorische, sechs Credit Points (CP) umfassende Modul „Umgang mit Heterogenität in der Schule“, das aus einer Ringvorlesung mit vertiefenden Wahlpflichtseminaren besteht, mit seiner so spezifizierten inhaltlichen Ausrichtung auf die Vermittlung von Grundlagen „Interkultureller Bildung“, „Inklusiver Pädagogik“ und von „Deutsch als Zweitsprache“ aus erziehungswissenschaftlicher und fachdidaktischer Perspektive. Dabei geht es immer auch um Einsichten in das Spannungsfeld zwischen zielgruppenspezifischen pädagogischen Maßnahmen und dem Postulat der Inklusion und der inneren Differenzierung als Grundorientierung des Schulsystems für den Umgang mit Heterogenität(-en). Über die Verknüpfung von fachdidaktischen mit erziehungswissenschaftlichen Perspektiven und die exemplarische Auseinandersetzung mit Diversität und Differenz sollen die Studierenden darüber hinaus an die kritische Reflexion über die Wirksamkeit der Verschränkungen verschiedener Dimensionen von Heterogenität zu individuellen und kollektiven Merkmalen, an denen im Kontext von Schule häufig Förderbedürftigkeit, seltener die Identifikation besonderer Ressourcen und Fähigkeiten festgemacht wird, herangeführt werden (vgl. Dogmus/Karakasoglu 2016). Exemplarisch lässt sich dies etwa an der kritischen Reflexion zu der Verknüpfung der Merkmale sozialer Schicht mit dem Wohnort, dem Vorliegen eines (familiären) Migrationshintergrundes und dem Geschlecht bei der Zuweisung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs veranschaulichen.

Im neu konzipierten e-Portfolio bildet die Ringvorlesung, die für den Elementarbereich/Grundschullehramt im zweiten und für das Gymnasial- und Oberschullehramt im vierten Semester des Bachelorstudiums stattfindet, den auf den Umgang mit Heterogenität fokussierten Auftakt der reflexionsgestützten Auseinandersetzung mit Schulpraxis im Lehramtsstudium. In dieser Ringvorlesung werden die erziehungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Perspektiven auf (Aus-)Bildungsinhalte noch stärker als bisher systematisch miteinander verschränkt und dabei zieht sich die (Praxis-)Reflexionskomponente als roter Faden durch das Studium. Zur Gesamtkonzeption der Ringvorlesung gehört im Sinne der Initiierung von Lernprozessen, über die Anregung zur Reflexion seit Beginn, der Einsatz eines Blogsystems als Prüfungsform (http://blogs.uni-bremen.de). Dieses greift auf innovative Weise die komplexe Herausforderung auf, (selbst-)reflexive Lernprozesse der Studierenden im Rahmen einer Großveranstaltung zu initiieren, diese stärker als gemeinsame und aktive Reflexionspraxis zu unterstützen und gleichzeitig ein Prüfungsformat anzubieten, das sowohl dem Anspruch gerecht wird, individuelle Reflexionsräume zu schaffen, wie auch reflexionsorientierte Interaktionen zwischen den Studierenden in einer Großveranstaltung anzuregen.

Durch die Integration in das e-Portfolio und die Anbindung an das Konzept des Reflective Practitioner ergab sich als neue Herausforderung, die von den Dozierenden vorgenommene Aufgabenformulierung für die Blogbeiträge der Studierenden in Anlehnung an das oben dargestellte, von Levin und Meyer-Siever entwickelte Reflexionsmodell neu zu konfigurieren.

Dazu wurde jeweils ein vierstufiges Schema von den Dozierenden so variiert, dass die Studierenden sowohl

  1. zu einer theoriebezogenen Reflexion von Vorlesungsinhalten,
  2. zur Anbahnung eines Perspektivwechsels durch Reflexion eigener Praxiserfahrungen zum jeweiligen Thema,
  3. zur Generierung möglicher (Praxis-)Beobachtungs- und Forschungsfragen sowie
  4. zum Nachdenken über systembezogene Aspekte des Umgangs mit der Heterogenität von Schülerinnen und Schülern

aufgefordert werden.

Die auf diese Weise theoriegeleitet generierten Blogbeiträge werden nun nicht mehr nur – wie zuvor – analog als Teil des B. A.-Portfolios am Ende des Studiums für das mündliche Prüfungsgespräch aufgegriffen, sondern von vornherein in das e-Portfolio integriert. Damit wird die systematische Berücksichtigung der Perspektive „Umgang mit Heterogenität in der Schule“ stärker als bisher mit fachdidaktischen, professionstheoretischen und praktischen Perspektivanbahnungen verknüpft.

Abbildung 4: Ablaufplan Ringvorlesung „Umgang mit Heterogenität in der Schule", Sommersemester 2017

Abbildung 4: Ablaufplan Ringvorlesung „Umgang mit Heterogenität in der Schule“,
Sommersemester 2017

Aufgabenbeispiel aus der Physikdidaktik

  1. In einer Konferenz in Ihrem Fachbereich in Ihrem Fach an Ihrer Schule diskutiert das Kollegium über Maßnahmen zum Umgang mit Heterogenität. Sie erinnern sich kurz an diese Vorlesung: Nennen Sie zwei empirisch überprüfte Fakten zum Umgang mit Heterogenität, die der Diskussion dienen könnten!
  2. Erläutern Sie, welches Unterrichtsmuster Sie in Ihrer bisherigen Erfahrung selbst als das wirkungsvollste erlebt haben! Diskutieren Sie Ihre Beobachtung vor dem Hintergrund der Vorlesung!
  3. Entwickeln Sie eine kurze Aufgabe mit drei gestuften Lernhilfen, die Sie in Ihrem Fach morgen im Unterricht einsetzen könnten! Erläutern Sie die gestuften Lernhilfen und beschreiben Sie, wie sie im Unterricht erkennen können, ob diese erfolgreich gewählt sind.
  4. Eine Kollegin sagt: „Gesamtschulen sind ja immer mal wieder der letzte Trend, ob wir sie nun Oberschulen nennen oder Sekundarschulen, die Idee ist doch dieselbe. Alle werden gemeinsam unterrichtet, was für eine Ideologie. Dabei zeigt doch die empirische Forschung klar, dass das Gymnasium nur von den besten SuS besucht werden sollte. Die schlechten fühlen sich hier doch viel zu schnell überfordert und das frustriert sie so sehr, dass sie vollkommen abschalten.“

Was antworten Sie der Kollegin?

Quelle: Christoph Kulgemeyer, Physikdidaktik

 

Biologie individualisiert unterrichten – Aufgabenstellungen zur Ausbildung eines wissenschaftlich-reflexiven Habitus von zukünftigen Biologielehrkräften

Stephanie Grünbauer, Dörte Ostersehlt

Ob sprachsensiblen Unterricht gestalten, binnendifferenzierte Lernarrangements schaffen oder Lernvoraussetzungen individuell berücksichtigen: Auf die Studierenden kommen bei der Planung, Durchführung und Reflexion von Biologieunterricht große Herausforderungen zu. Zur Bewältigung dieser Herausforderungen wurden Aufgabenstellungen und Reflexionshilfen konzipiert, die an vielen Schnittstellen die Heterogenität der Lernenden an Schulen berücksichtigen, und die die Studierenden bei der Entwicklung eines professionellen Selbstverständnisses unterstützen.

Exemplarisch wird an dieser Stelle eine Aufgabenstellung zum „Umgang mit Alltagsvorstellungen von Lernenden“ vorgestellt. Nur über die Berücksichtigung der Perspektiven der Lernenden lassen sich in Relation zu fachlich geklärten Vorstellungen lernförderliche Arrangements konzipieren, die die individuellen Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler nicht überformen, sondern mit wissenschaftlichen Theorien anreichern, sodass selbige wiederum in der Alltagswelt der Schülerinnen und Schüler bedeutsam und anschlussfähig sind (vgl. Kattmann 2015).

 

Abbildung 5: Alltagsvorstellungen zu Immunbiologie

Abbildung 5: Alltagsvorstellungen zu Immunbiologie

 

Im Vorbereitungsseminar zu den praxisorientierten Elementen (erstes fachdidaktische Schulpraktikum) schätzen die Studierenden zunächst ihre Vorkenntnisse über übliche Alltagsvorstellungen zum Thema „Immunbiologie“ ein. Anschließend wird das theoretische Konstrukt zum Umgang mit Alltagsvorstellungen im Sinne der didaktischen Rekonstruktion nach Kattmann et al. erarbeitet (vgl. Kattmann et al. 1997). Im Anschluss erhalten die Studierenden die Aufgabe, anhand einer Videovignette, die ein Interview mit einem Schüler zum Thema „Immunbiologie“ zeigt, die genannten Begriffe (Metaphern), Konzepte und Denkfiguren zu extrahieren. Die Planung eines Lernarrangements unter Berücksichtigung der erhobenen Alltagsvorstellungen rundet die Aufgabenstellung ab. Die Ergebnisse werden gruppenweise im e-Portfolio dokumentiert und zur Diskussion gestellt.

Alle weiteren Lernaufgaben (z. B. zum moderaten Konstruktivismus oder zu Relevanzkriterien von Unterrichtsinhalten) werden in ähnlicher Struktur und Abfolge im Seminar bearbeitet.

Im schulpraktischen Studium können sich die Studierenden für zwei inhaltliche Schwerpunkte entscheiden. Dazu erhalten sie Prompts in Form von Leitfragen, die die Dimensionen der Reflexionsbreite abbilden (s. „STORIES“). Ziel der Reflexionshilfen ist, die Analyse des selbst erteilten Unterricht auf konkrete Aspekte zu fokussieren, sodass eine theoriegeleitete, multiperspektivische Analyse erleichtert wird. Die Bearbeitung dieser Schwerpunkte erfolgt in Form eines Einzelportfolios, welches digital über p:ier zur Prüfung eingereicht wird.

Abbildung 6: Aufbau der Reflexionshilfen am Beispiel der Aufgabenstellung „Umgang mit Schülervorstellungen“

Abbildung 6: Aufbau der Reflexionshilfen am Beispiel der Aufgabenstellung
„Umgang mit Schülervorstellungen“

 

Grundzüge des fachspezifischen e-Portfolios Deutsch in der Grundschule

Annika Grünwald, Sven Nickel

Portfolios sind in der Grundschule seit langem etablierte Instrumente der Lern- und Entwicklungsdokumentation. Ganz im Sinne einer Kongruenz von Inhalt und Form – der methodische Gegenstand, der gelehrt wird, wird selbst als Methode der Aneignung genutzt – sind Portfolios auch in der Lehramtsausbildung für die Grundschule bereits seit längerer Zeit verbreitet (vgl. Bräuer 2016). Für das Bremer Vorhaben p:ier wurden im Arbeitsgebiet „Sprach- und Literaturdidaktik der Grundschule“ erste Aufgaben entwickelt, die im Wintersemester 2017/18 pilotiert und anschließend evaluiert werden. Dabei richtet sich das entwickelte Angebot auf drei Zielkontexte:

  1. In den Praxisphasen (fachdidaktisches Kurzpraktikum im Bachelorstudiengang sowie das Praxissemester im Master of Education) geht es inhaltlich um eine kriteriengeleitete Unterrichtsbeobachtung sowie anschließend um die kritische Reflexion der eigenen Lehrtätigkeit: Welches fachdidaktische Ziel wurde verfolgt? Wie ist dieses Ziel in den Kompetenzbereichen des Deutschunterrichts zu verorten? Inwiefern wurde das Ziel erreicht? Wie wird der eigene Beitrag dazu eingestuft? Welche Handlungsalternativen hätte es gegeben? etc.
  2. In sämtlichen Pflichtseminaren („Spracherwerb“, „Schriftspracherwerb“, „Literarisches Lernen“) und den Wahlpflichtseminaren (die sich thematisch an den vier Kompetenzbereichen aus den Bildungsstandards der KMK orientieren) wird unterrichtliches Handeln u. a. an Fallbeispielen analysiert und reflexiv betrachtet. Die einzelnen Reflexionszugriffe orientieren sich an den vier Ebenen des für p:ier entwickelten Modells „STORIES“. Der Umgang mit Heterogenität (bezüglich Interkulturalität, Mehrsprachigkeit, Gender und sozialer Lage) wird dabei als Querschnittsdimension interpretiert, die in der Gestaltung sprachlicher Bildungsarbeit explizit stets zu berücksichtigen ist.
  3. In der Einführungsvorlesung im ersten Studienjahr steht – quasi als Einstieg in den Lehrerbildungsprozess – die biographische Auseinandersetzung im Mittelpunkt. Der biographischen Reflexion wird in der Sprachdidaktik eine große Bedeutung für die Entwicklung reflexiver Professionalität zugeschrieben.

Derzeit sind zwei derartige Reflexionsimpulse für die Einführungsvorlesung vorgesehen. Zum einen werden die Studierenden eine eigene Lesebiographie verfassen. Dabei sollen sie bezogen auf unterschiedliche Alters- und Entwicklungsabschnitte Leseinhalte, Leseorte, Lesemodelle und Lesepräferenzen berücksichtigen und zudem emotionale Erinnerungen einbeziehen. Auf Basis der daraufhin in der Vorlesung erarbeiteten Modelle der Lesesozialisation wird anschließend die eigene Lesebiographie analysiert. Dabei sollen bspw. Einsichten in sich verändernde Lebenswelten gewonnen oder die Weitergabe von Normen und Gewohnheiten hinterfragt werden (vgl. Graf 2007; Garbe/Philipp/Ohlsen 2009).

Zum anderen sollen die Studierenden in Anlehnung an Krumm ein Sprachenportrait anfertigen (vgl. Krumm 2001). Dazu wird die eigene Mehrsprachigkeit farbig innerhalb eines Körperumrisses visualisiert und dies innerhalb einer Arbeitsgruppe verglichen. Auch hier wird die eigene Situation anschließend vor dem Hintergrund des erarbeiteten Wissens um gesellschaftliche und individuelle Mehrsprachigkeit betrachtet und hinsichtlich der Bedeutung unterrichtlichen Handelns in mehrsprachigen Kontexten betrachtet.

Grundsätzlich wird im Teilprojekt 2 angestrebt, Reflexionsimpulse so zu stellen, dass eine Verknüpfung mit unterschiedlichen Stellen im Studienverlauf möglich ist und sie dadurch – ähnlich einem Spiralcurrciulum – auf stetig steigendem Niveau bearbeitet werden können. Beide skizzierten Aufgaben, Lesebiographie und Sprachenportraits, werden in späteren Seminaren („Literarisches Lernen“ und „Spracherwerb“) erneut Gegenstand der Betrachtung. Auch während der Praktika können Bezüge hergestellt werden. Beispielsweise ließe sich eine Lesebiographie eines ausgewählten Kindes verfassen. Zu analysieren wäre, inwiefern sich dessen Erfahrungen mit den eigenen ähneln, wo sich diese voneinander unterscheiden und was dies für die Bildungsbiografie des Kindes einerseits und für die Gestaltung von Unterricht andererseits bedeutet.

 

Das fachspezifische e-Portfolio Französisch

Georgia Gödecke, Andreas Grünewald

Bausteine einer reflexiven Lehrerbildung

Mit der Einführung der neuen Praxisphasen im B. A. und M.Ed. an der Universität Bremen haben sich auch neue Anforderungen an die praxisvorbereitenden und -begleitenden Lehrveranstaltungen ergeben. Durch die Implementierung des fachspezifischen e-Portfolios wird ein hohes Maß an Verzahnung innerhalb der schulpraktischen Studien in den Fächern „Französisch“ und „Spanisch“ und außerdem eine Steigerung der Kohäsion zwischen den beiden Studiengängen (B.A. und M.Ed.) erwartet. Letztgenannte Kohäsion erlaubt eine Graduierung des Komplexitätsgrades der Aufgabenstellungen je nach Studienphase und dadurch eine passgenaue Ausrichtung an die Vorbereitungs- und Begleitlehre zu den Praxisphasen.

Sowohl für Bachelorstudierende im Kurzpraktikum als auch für Masterstudierende im Praxissemester wurde ein fachspezifischer Aufgabenpool entwickelt. Die darin enthaltenen Aufgaben greifen grundlegende Konzepte der Französisch- bzw. Spanischdidaktik auf: Aspekte wie der Umgang mit Heterogenität, Reflexion des Hospitationsunterrichts sowie Konzeption und Durchführung eines eigenen Unterrichtsversuchs sind tragende Elemente schulpraktischer Studien im Land Bremen und somit auch obligatorisch im e-Portfolio zu bearbeiten. Aus den fakultativen Themenfeldern (z. B. Fertigkeitsbereiche, Leistungsmessung, Interkulturelle Kompetenz, Digitale Medien etc.) wählen die Studierenden diejenigen aus, die ihnen persönlich relevant erscheinen und die dabei helfen können, die in den Praxisphasen aufkommenden Fragen und Probleme aufzugreifen und zu diskutieren. Dabei sind die Aufgaben identisch aufgebaut und weisen die Teile „Wissenschaftliche Einführung“, „Weiterführende Literatur“ und „Aufgabenstellung“ aus. Die ausführliche Vorstellung einer solchen Aufgabe und deren Beitrag zum Aufbau fachspezifischer Reflexionskompetenz finden sich Die vorbereitende und begleitende Lehre gestaltet sich bei den romanistischen Studiengängen mit dem Berufsziel Schule wie folgt:

Abbildung 7: An die Praxisphasen anknüpfendes Lehrkonzept in der Didaktik der romanischen Sprachen, eigene Darstellung

Abbildung 7: An die Praxisphasen anknüpfendes Lehrkonzept in der Didaktik der romanischen Sprachen, eigene Darstellung

Der Portfolioeinsatz in den POEs (Praxisorientierte Elemente) wurde im vergangenen Semester evaluiert. Die Erkenntnisse aus dieser Evaluation werden für die Weiterentwicklung des e-Portfolios genutzt. Der Einsatz des fachspezifischen e-Portfolios im Praxissemester (M.Ed.) steht nun unmittelbar bevor. In der zweiten Projektphase steht dann der Transfer auf andere Fächer in der Lehrerbildung im Fokus. Einen Eindruck über die Arbeit mit dem e-Portfolio aus studentischer Sicht bietet ein hier einzusehender kurzer Film: https://vimeo.com/223112057 (Passwort: unibremen).

 

Das fachspezifische e-Portfolio Französisch/Spanisch zielt auf

  • einen verstärkten Berufsfeldbezug im Studium,
  • eine Stärkung der Kohäsion der schulpraktischen Studien zwischen Bachelor und Master,
  • eine Bereitstellung von Theorie und Praxis relationierender Lern- und Reflexionsgelegenheiten,
  • eine Verknüpfung zwischen e-Portfolioarbeit und Begleitveranstaltungen,
  • eine verstärkte Vernetzung zwischen den Fachdidaktiken und den Erziehungswissenschaften,
  • ein individuelles und unter den Fächern und EW aufeinander abgestimmtes Feedback für die Studierenden, das Zukunftsperspektiven aufzeigt,
  • die Weiterentwicklung des e-Portfolios zu einem verbindenden Element zwischen Universität und Schule,
  • und eine Ausweitung des Lehr-/Lernkonzepts auch auf andere lehramtsbezogene Fächer an der Universität Bremen.

Aufgabenbeispiel „Leistungsbeurteilung“ aus dem fachspezifischen e-Portfolio Französisch

Im Folgenden wird eine e-Portfolioaufgabe aus dem fachspezifischen Teil der Französischdidaktik im Detail erläutert.

Die ausgewählte Aufgabe „Leistungsbeurteilung“ ist eine Aufgabe aus dem fakultativen Bereich, die Masterstudierende mit Lehramtsoption im Fach „Französisch“ im Rahmen ihres Praxissemesters anwählen können. Die aufgabenspezifische Thematik der Leistungsbeurteilung ist keine kurzfristige Modeerscheinung im Fremdsprachenunterricht, sondern von erheblicher zeitloser Bedeutung: So geben bspw. Noten und Zeugnisse dem Einzelnen Rückmeldung über den eigenen Erfolg und können die Aufgabe der Selektion und der Erteilung von Berechtigungen übernehmen. Aus diesem Grund ist es notwendig, dass sich Lehrkräfte das eigene Beurteilungsverhalten regelmäßig bewusstmachen und ihre Formen der Leistungsbeurteilung immer wieder anpassen. Allerdings besteht bei den Lehrkräften nicht selten Unsicherheit bezüglich konzeptioneller und konkreter Varianten der Beurteilung, insbesondere dann, wenn es um die Evaluation mündlicher Leistungen geht. Das scheint auch nicht verwunderlich, denn während schriftliche Leistungen festgehalten und auch zu einem beliebig späteren Zeitpunkt wiederholt gelesen und gründlich korrigiert werden können, ist eine Beurteilung mündlicher Leistungen im Nachhinein deutlich schwieriger. Doch da gerade der Ausbau mündlicher Kompetenzen im Französischunterricht in den vergangenen Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat, ist es nur konsequent, auch mündliche Prüfungsformate mit geeigneten Inhalten und Aufgaben zu entwickeln. In einigen Bundesländern, wie bspw. Bremen, werden mündliche Prüfungen in der Sekundarstufe I bereits als Ersatz oder zumindest als Teil einer Klassenarbeit eingesetzt.

Ziel der e-Portfolioaufgabe ist es daher, die Studierenden bereits im Studium für mündliche Prüfungsformate zu sensibilisieren und sie in diesem Bereich auf ihre zukünftige Lehrtätigkeit vorzubereiten.

Wie jede Aufgabe aus dem fakultativen Bereich des fachspezifischen e-Portfolios unterteilt sich auch die Aufgabe „Leistungsbeurteilung“ in drei Teile: Zunächst werden die Studierenden durch einen überblicksartigen wissenschaftlichen Artikel an das Thema herangeführt, damit sie sich ausgehend von dieser Textgrundlage Charakteristika, Formen und Funktionen von Leistungsbeurteilungen im Fremdsprachenunterricht in Erinnerung rufen bzw. vertiefen können. Unmittelbar nach dieser Einleitung folgt eine gezielte Auswahl an Literaturhinweisen, die bei der Bearbeitung der eigentlichen Aufgabe dienlich sein soll. Neben dieser Zusammenstellung an themenspezifischen Werken sind die Studierenden aufgefordert, auch eigene themengebundene Literatur zu recherchieren und diese nach Aufgabenbearbeitung in Form eines eigenen Literaturverzeichnisses explizit aufzuführen. Im dritten Teil folgt die eigentliche Aufgabe, die wiederum in Teilaufgaben untergliedert ist und nachstehend vorgestellt wird (vgl. auch Abb. 8).

Abbildung 8: Aufgabe Leistungsbeurteilung

Abbildung 8: Aufgabe „Leistungsbeurteilung“, eigene Darstellung

Als erste Annäherung an den methodisch-didaktischen Schwerpunkt der Leistungsbeurteilung dient der rahmende „Reflexionsimpuls R1“. An dieser Stelle sind die Studierenden dazu aufgefordert, zu erläutern, warum sie sich für diese Aufgabe entschiedenen haben, welchen Auslöser es gab, was im Hinblick auf mündliche Prüfungsszenarien bereits bekannt ist und was neu erlernt werden möchte. Mit diesem Impuls knüpft die Aufgabe an die Lern-/Lehrbiografie der Studierenden an und kann dadurch biografische Erfahrungen, Einstellungen und Vorwissen transparent machen, die wie ein Filter wirken durch den neue Informationen und Erfahrungen überhaupt erst aufgenommen werden können. Dies erfolgt im zweiten Schritt, indem die Studierenden ausgewählte Fachliteratur konsultieren und ihr Theoriewissen über Charakteristika, Formen und Funktionen mündlicher Prüfungen spezifizieren. Aufbauend auf den eigenen Erfahrungen und unter dem Rückgriff auf das erworbene Fachwissen, treten die Studierenden im nächsten Schritt in einen Austausch mit ihrer Mentorin bzw. ihrem Mentor. In diesem Rahmen sollen eine Lerngruppe festgelegt und ein systematisch aufgebauter mündlicher Test mit geeigneten Inhalten und Aufgaben entwickelt werden. Der Aufbau eines solchen mündlichen Prüfungsformats könnte sich bspw. wie folgt gestalten: In einem ersten Teil erleichtert die prüfende Person (die Studierende bzw. der Studierende) der Schülerin oder dem Schüler den Einstieg in das fremdsprachliche Gespräch, indem sie bzw. er vertraute Fragen zu Schulalltag, Freizeit, Familie und Freunden etc. stellt (Teil I „Dialogisches Sprechen/Interview“). Im zweiten Teil wird der Schülerin bzw. dem Schüler die Gelegenheit gegeben, sich spontan und möglichst zusammenhängend zu einem spezifischen Sprechanlass zu äußern. Dabei ist es denkbar, ein Bild o. Ä. als Impuls einzusetzen, das mit dem vorausgegangenen Unterricht inhaltlich verknüpft ist (Teil II: „Zusammenhängendes monologisches Sprechen“). Im letzten Teil der Prüfung kann es das Ziel sein, ein Gespräch zwischen zwei Schülerinnen und Schülern entstehen zu lassen. Als Ausgangspunkt dient dabei bspw. eine kontroverse These, die ebenso in einer inhaltlichen Verbindung zu einer vorausgegangenen Unterrichtseinheit stehen sollte (Teil III: „Dialogisches Sprechen/Interaktion“).

Hinsichtlich der Erstellung eines solchen mündlichen Prüfungsformats können sich die Studierenden u. a. an den zahlreichen Handreichungen orientieren, die das Landesinstitut für Schule Bremen (LIS) oder das Landesinstitut für Schule und Bildung in Berlin-Brandenburg (LISUM) in diesem Bereich zur Verfügung stellen. Zentraler Bestandteil eines Prüfungsformates ist auch die Erstellung eines spezifischen Beurteilungsrasters, für dessen Aufbau und Kriterien die Studierenden Vorlagen sowohl im Einführungstext der Aufgabe als auch in den empfohlenen Literaturhinweisen finden (vgl. Grünewald 2014).

Nach der Durchführung des Prüfungsformates in der Praxis sind die Studierenden schließlich dazu angehalten, sich den gesamten Prozess anhand eines fachspezifischen Reflexionsmodells zu vergegenwärtigen.

Das fachspezifische Reflexionsmodell (vgl. Abb. 9) wurde speziell für das e-Portfoliokonzept der Didaktik der romanischen Sprachen an der Universität Bremen entwickelt und ist mit allen fachspezifischen e-Portfolioaufgaben verbunden.

Abbildung 9: Fachspezifisches Reflexionsmodell

Abbildung 9: Fachspezifisches Reflexionsmodell, eigene Darstellung

In seiner Anlage knüpft es an das Reflexionsmodell „STORIES“ an, erweitert dieses jedoch um eine explizit fachspezifische Perspektive: Die fachspezifisch zusammenhängenden Phasen des Reflexionssettings sind dabei so angelegt, dass die Studierenden zunehmend emotional-distanziert, gleichsam „von oben“ auf das Szenario des eigenen fachspezifischen Handelns und Denkens blicken. Berndt und Häcker formulieren es folgendermaßen: „Diese Distanzierungsfigur mag die Metaphorik der Reflexionsstufen (vom ‚Niederen‘ zum ‚Höheren‘) begründen: Je stärker sich der Beobachter von sich selbst und dem „Boden der Welt“ entfernt, desto klarer und unverstellter scheint er „Wesentliches“ erkennen zu können, und desto weniger scheint er beschäftigt und gebunden zu sein durch die unmittelbaren Erfordernisse des Hier und Jetzt“ (Berndt/Häcker 2017, S. 247).

Erst durch eine solche allmähliche und distanzierter werdende Bewusstmachung können schließlich zunächst verborgene Handlungsoptionen offenbar werden. Die einzelnen Phasen, die demzufolge in einem Beziehungsverhältnis zueinander stehen, sollen im Folgenden anhand des gewählten Aufgabenbeispiels „Leistungsbeurteilung“ kurz dargestellt werden (vgl. Gödecke 2017).

In der ersten Phase („Darstellen und Beschreiben“) geht es zunächst darum, sich den Planungsrahmen noch einmal bewusst zu machen, der sich sowohl aus individuellen Vorerfahrungen als auch aus neu erworbenem fachspezifischem Theoriewissen rund um das Thema „Leistungsbeurteilung“ zusammensetzt. Im Anschluss daran erfolgt eine kurze subjektive Vergegenwärtigung der eigentlichen Praxisdurchführung, indem der Verlauf des mündlichen Prüfungsformats anhand individueller Eindrücke skizziert wird. Während in der ersten Phase vor allem abgebildet und beschrieben wird, geht es in der zweiten Phase („Analysieren und Vergleichen“) um eine Detailbetrachtung, denn an dieser Stelle werden Planungsabweichungen während der Praxisdurchführung gezielt analysiert: Was war unerwartet bzw. überraschend, und wie erklären sich die Studierenden die Abweichungen? Diese subjektive Analyse wird in der nächsten Phase („In Beziehung setzen“) durch den Einbezug von Schülerinnen- und Schüler-, Mentorinnen- und Mentoren- und/oder Kommilitoninnen- und Kommilitonenfeedback ausdifferenziert. Ebenso wie im „STORIES“-Modell stellen die Studierenden dabei Selbst- und Fremdeinschätzung einander gegenüber. Diese Perspektivenerweiterung soll es ermöglichen, sich darauf aufbauend mit den Fragen auseinanderzusetzen, inwieweit sich das entwickelte Prüfungsformat tatsächlich auf die Praxis übertragen lässt und welche Fragen an die gewählten fachspezifischen Theorien noch offen sind (Phase 4: „Beurteilen und Schlussfolgern“). Schließlich geht es in der letzten Phase (Phase 5: „Planen“) darum zu formulieren, welche Einsichten über Handlungsmöglichkeiten in zukünftigen analogen Prüfungssituationen gewonnen werden können, bspw. hinsichtlich des Aufbaus einer mündlichen Prüfung oder der Wahl der Bewertungskriterien.

Das Phasenmodell in seiner chronologischen Struktur zeigt deutlich, dass die fachspezifische Reflexionskompetenz aus einer Vielzahl von Teilprozessen besteht. Studierende können nicht von Anfang an über umfassende fachspezifische Reflexionskompetenz verfügen, die Förderung einer solchen komplexen Kompetenz muss daher systematisch angelegt werden. Während die Studierenden im Bachelor nur die ersten beiden Phasen des Modells durchlaufen und üben sowie darauf aufbauend einen Reflexionsaspekt aus den Phasen drei bis fünf verstärkt in den Blick nehmen, durchlaufen sie im Masterstudium einen gesamten Reflexionsprozess. Fachspezifische Reflexionskompetenz kann durch dieses phasenübergreifende Konzept sukzessiv aufgebaut und gefördert werden.

Im Anschluss an jede Aufgabenbearbeitung erfolgt der letzte „Reflexionsimpuls R2“, in dessen Rahmen die Studierenden Rückbezüge auf die in „R1“ offengelegten Erwartungen, Fragen und Ziele ziehen und damit den individuellen Kompetenzzuwachs reflektieren. Darüber hinaus können – in Analogie zur vierten Phase des „STORIES“-Modells – Entwicklungsaufgaben im Hinblick auf die eigene Professionalisierung als Fremdsprachenlehrkraft formuliert werden. Als Referenzrahmen dient dabei zugleich der der Aufgabe zugrundeliegende KMK-Kompetenzbereich „Unterrichten“ als auch die spezifischen ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachdidaktiken in der Bildung von Lehrkräften, die sich im aufgabenspezifischen Bewertungsraster widerspiegeln (vgl. KMK 2004; KMK 2017; s. Abb. 10).

Abbildung 10: Bewertungsraster der Aufgabe „Leistungsbeurteilung“, eigene Darstellung

Abbildung 10: Bewertungsraster der Aufgabe „Leistungsbeurteilung“, eigene Darstellung

 

Ausblick

Für die Lehramtsausbildung an der Universität Bremen wurde ein „4-Phasen-Modell“ entwickelt, welches partikular, z. B. in dem Modell von Schön und den Modellen von Zeichner und Liston sowie von Müller, angelegt ist (vgl. Schön 1983; Zeichner/Liston 1985; Müller 2010), Dieses wird im Rahmen der Aufgabenentwicklung in den Fachdidaktiken und Erziehungswissenschaften vor dem Hintergrund der jeweilig formulierten Ansprüche und Ziele für die eigene Aufgabenstellung nutzbar gemacht.. Im Kontext der Lehramtsausbildung erscheint eine explizite Verortung und Benennung notwendig, damit Studierende die verschiedenen Facetten von Reflexion auch wahrnehmen (können). Daher ist es wichtig, verschiedene Bereiche von Reflexion unterscheidbar zu machen, so dass in der Ausbildung gezielt und bedarfsorientiert Impulse gesetzt werden können. Dies soll nachfolgend exemplarisch anhand einer Aufgabe dargestellt werden.

Im Rahmen des hier beschriebenen Projektes p:ier werden die Vorteile der digitalen Verfügbarkeit für die Ausbildung der Reflexionskompetenz darin gesehen, dass niedrigschwellige und flexible Möglichkeiten der interdisziplinären Verknüpfung und Partizipation im Zuge diverser Professionalisierungsprozesse für die beteiligten Akteure (Studierende selbst, Peers, Mentorinnen- und Mentoren und Dozierende) geschaffen werden. Ein Schwerpunkt der in p:ier entwickelten Aufgaben liegt dabei auf der Entwicklung der Reflexionskompetenz, auch und gerade in den Phasen, in denen erziehungswissenschaftliche bzw. fachdidaktische Wissensvermittlung mit Praxiselementen (Praktika) einhergehen. Thematisch bildet, neben der fachlichen Ausbildung, die Ausbildung von Reflexionskompetenz im Umgang von Schule mit der Heterogenität von Schülerinnen- und Schülern als Bestandteil professioneller Handlungskompetenz, einen verbindenden Bezugspunkt. Durch systematische Reflexion sollen gezielt erziehungswissenschaftliche und fachdidaktische Perspektiven verknüpft und so die Kohärenz des lehrerbildenden Studiums gestärkt werden sowie ein reflexiver Habitus ausgebildet werden. Das vorgestellte Modell „STORIES“ verfolgt das Ziel, Teilprozesse der Reflexion sichtbar und dadurch adressierbar zu machen. Langfristig soll es zudem die Grundlage für die Entwicklung eines Reflexionskompetenzrasters sein, das zur Selbst- und Fremdeinschätzung genutzt werden kann und den Studierenden die Möglichkeit eröffnet, blinde Flecken zu erkennen und Entwicklungsziele zu formulieren.

 

Über die Autor_innen: 

Teilprojektverantwortliche: Prof. Dr. Anne Levin (FB 12)

Mitwirkende am Projekt p:ier: Dr. Alexander Del Ponte (FB 12), Christoph Fantini (FB 12), Georgia Gödecke (FB 10), Stephanie Grünbauer (FB 02), Prof. Dr. Andreas Grünewald (FB 10), Annika Grünwald (FB12), Prof. Dr. Yasemin Karakasoglu (FB 12), Dr. Katja Meyer-Siever (FB 12), Prof. Dr. Sven Nickel (FB 12), Dr. Dörte Ostersehlt (FB 02), Prof. Dr. Karsten D. Wolf (ZMML), Melanie Zylka (FB 12)

 

Bildnachweis:

  • Teamfoto: Team Teilprojekt 2; Universität Bremen
  • Abb. 1-10: Team Teilprojekt 2; Universität Bremen

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