Von Ivo Mossig und Michael Thiele
Können Studierende innerhalb des begrenzten Zeitrahmens einer Bachelorarbeit international vergleichende Forschungsarbeiten durchführen und die dazu erforderlichen Daten empirisch erheben? Lassen sich dabei noch wesentliche Elemente des Forschenden Lernens umsetzen? Ist es zielführend, wenn zu diesem Zweck drei Universitäten miteinander kooperieren?
Im Rahmen des Trilateral Bachelor Projects der Universitäten Bremen, Groningen und Oldenburg fertigen sechs bis neun Studierende (2-3 Studierende pro Standort) ihre individuelle Bachelorarbeit zu einem gemeinsamen Oberthema an. Idealtypisch werden vergleichende Studien zwischen den drei Standorten bzw. zwischen den Niederlanden und Deutschland durchgeführt, die auf einer kollektiv erarbeiteten Datengrundlage basieren. Dieses Format erlaubt den Studierenden die Anfertigung einer international ausgerichteten Bachelorarbeit sowie einen intensiven Austausch mit Studierenden aus unterschiedlichen nationalen sowie institutionellen Kontexten. Auch wird eine empirische Basis geschaffen, die als Einzelarbeit nicht zu realisieren wäre.
Zur Vorgeschichte
Seit 2009 kooperiert das Institut für Geographie der Universität Bremen mit der Faculty of Spatial Sciences in Groningen und der Arbeitsgruppe für Angewandte Geographie und Umweltplanung in Oldenburg. Von Beginn an standen die Studierenden im Fokus der Zusammenarbeit. Seit 2010 findet jährlich der „Trilateral Research Workshop for Students“ statt. Im Stil einer internationalen Konferenz erhalten Studierende die Gelegenheit, eigene Forschungsergebnisse zu präsentieren, die sie in ihren Projektmodulen oder im Zuge ihrer Abschlussarbeiten erzielt haben. Diese „Internationalisierung im Kleinen“ greift den Ansatz des Forschenden Lernens auf. Studierende nehmen die Haltung von Forschenden ein und dazu gehört es auch, die selbstgewählten Fragestellungen und erzielten Ergebnisse zur Diskussion zu stellen. Schließlich sollen die eigenen Forschungen auch für Dritte relevant sein (Huber 2009). Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der bisherigen Workshops haben neben der Wertschätzung der akademischen Leistung und dem Anreiz, die eigene Arbeit in englischer Sprache einem erweiterten Kreis außerhalb der eigenen Universität vorstellen zu können, insbesondere die internationale Erfahrung als positiv bewertet. Zugleich wurde aber der Wunsch geäußert, nicht nur anhand der Präsentationen mit den Studierenden der anderen Universitäten zu diskutieren, sondern im Sinne eines echten Workshops zusammen zu arbeiten und gemeinsam zu forschen.
Angesichts der vielfältigen Regelungen und Vorgaben, welche die gestuften Studiengänge (Bachelor/Master) dominieren, ist es kein leichtes Unterfangen, Forschendes Lernen zwischen Studierenden dreier beteiligter Universitäten zu ermöglichen. Ein Abgleich der Studienprogramme zeigte schnell, dass eine Integration in die bestehenden Module keine geeignete Lösung darstellt, um die Flexibilität und den geringen bürokratischen Aufwand der erprobten „Internationalisierung im Kleinen“ beizubehalten. Aus mehreren Gründen bot sich allerdings die Bachelorarbeit an, um die internationale Zusammenarbeit der Studierenden zu forcieren. Erstens haben die beteiligten Studierenden in den vorangegangenen Semestern ein Grundwissen erworben, um sich hinsichtlich der theoretisch-konzeptionellen sowie der methodischen Bezüge gegenseitig zu befruchten. Zweitens sind die Studierenden bei ihrer Bachelorarbeit in besonderer Weise motiviert. Zugleich ist ein hohes Maß an Verbindlichkeit gegeben. Beides sind wesentliche Voraussetzungen für ein Gelingen der Zusammenarbeit.
Fallbeispiel: „Campus Food Prints“
Insgesamt acht Bachelorarbeiten (4 aus Groningen, 2 aus Bremen sowie 2 aus Oldenburg) wurden 2015 im Rahmen des Trilateral Bachelor Projects zum Oberthema “Campus Food Prints” angefertigt. Ernährungsbezogene Fragen beispielsweise zur Produktion und zum Konsum von Nahrungsmitteln, zur Ernährungssicherung oder zur Ernährungsgerechtigkeit erfahren aktuell hohe Aufmerksamkeit in der Geographie (vgl. Standort 2014). Im Fokus der Bachelorarbeiten standen das Studentische Ernährungsverhalten im Allgemeinen, die Nahrungsmittelangebote auf dem Campus durch die Mensen und Cafeterien sowie deren Nachfrage durch die Studierenden. Mehrere Fragestellungen befassten sich mit nachhaltig produzierten sowie vegetarischen oder veganen Angeboten und deren Nachfrage auf dem Campus (vgl. Abb. 1). Durch den Vergleich zwischen den drei beteiligten Universitäten konnten die Ergebnisse an den einzelnen Standorten gut eingeordnet werden.
In Abbildung 1 ist die Grundidee des Trilateral Bachelor Projects 2015 skizziert. Innerhalb des rahmengebenden Oberthemas „Campus Food Prints“ sind die acht individuellen Bachelorarbeiten an den drei beteiligten Standorten verortet. Im Zentrum ist der angestrebte Mehrwert dargestellt, der durch die Kollaboration erzielt werden soll: Erstens sollen sich die Studierenden über Konzepte und die Basisliteratur innerhalb des Oberthemas austauschen und sich gegenseitig auf interessante Ansätze hinweisen. Zweitens wurde eine gemeinsame Datenbasis geschaffen, um die standortübergreifenden Vergleiche zu ermöglichen. Die Studierenden haben sich auf einen gemeinsamen Fragebogen verständigt, der Aspekte der einzelnen Bachelorarbeiten beinhaltete. Somit hat jeder an seinem Standort relevante Fragen der anderen Kooperationspartner mit abgefragt. Insgesamt wurden 419 Studierende im Zeitraum vom 06.04.-04.05.2015 interviewt, davon 127 aus Bremen, 104 aus Groningen und 188 aus Oldenburg. Die Studierenden haben sich dadurch eine umfangreiche und vor allem auch internationale Datengrundlage erarbeitet, die in der zwölfwöchigen Bearbeitungszeit einer Bachelorarbeit alleine nicht zu realisieren wäre. Der dritte Mehrwert ist das Feedback sowohl während des Prozesses als auch im Rahmen des International Research Workshops for Students, der vom 28.-30. Mai 2015 in Bremen stattfand. Neben der Vorstellung des Zwischenstands der eigenen Bachelorarbeit wurden in einer Arbeitsphase die Erkenntnisse herausgearbeitet, welche sich aus der Zusammenschau der acht Einzelprojekte ergeben haben (vgl. Foto 1). Der Zeitraum des Workshops war so gewählt, dass die Studierenden noch ca. drei Wochen Zeit bis zur Abgabe der Bachelorarbeit hatten und so das Feedback einarbeiten konnten.
Exemplarisch sei auf einige zentrale Ergebnisse hingewiesen, welche in der Workshop-Phase von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern als besonders bemerkenswert herausgestellt wurden: Erstens wurden größere Unterschiede zwischen den Standorten festgestellt als zuvor erwartet. Nationale Differenzen zwischen den Studierenden in den Niederlanden und Deutschland wurden hinsichtlich der Häufigkeit der Nutzung der Mensen und Cafeterien sichtbar (vgl. Abb. 2). Fast die Hälfte (44%) der Studierenden in Groningen nutzen die gastronomischen Angebote nicht und nur 17% sind „Stammkunden“, die dreimal oder häufiger pro Woche zum Essen in die Mensa oder in eine Cafeteria gehen. Sowohl in Oldenburg als auch in Bremen ist demgegenüber der Anteil der „Stammkunden“ wesentlich höher (HB: 39%, OL: 45%) und der Anteil derjenigen, die das Angebot nicht nutzen entsprechend deutlich geringer. Im Rahmen des Workshops berichteten die Studierenden aus Groningen, dass es üblich sei, sein eigenes Essen zur Universität mitzubringen. Als zentrale Ursache verwiesen sie auf die vergleichsweise hohen Kosten, da es im Gegensatz zu den Mensen an deutschen Hochschulen kein subventioniertes Angebot gibt.
Demgegenüber unterscheiden sich die Oldenburger Studierenden von ihren Kommilitonen in Bremen und Groningen bezüglich ihrer Nachfrage nach ökologisch erzeugten Lebensmitteln. Sie räumen diesen einen höheren Stellenwert ein und zeigen anteilig eine größere Bereitschaft, dafür einen Aufpreis zu bezahlen (vgl. Abb. 3). Bemerkenswert ist dabei, dass das Angebot an ökologisch erzeugten Lebensmitteln von den Studierenden in Oldenburg deutlich besser bewertet wurde als von den Studierenden an den beiden anderen Standorten. Auf einer Skala von (1) sehr schlecht bis (5) sehr gut erreichten die Mensen und Cafeterien in Oldenburg mit einem Durchschnittswert von 3,2 die beste Bewertung, gefolgt von Bremen (2,6) und Groningen (2,3). Keiner der Groninger Studierenden vergab die Bestnote 5. Die vergleichsweise gute Bewertung des Oldenburger Angebots hängt offensichtlich mit der bereits 1983 begonnenen Selbstverpflichtung des dortigen Studentenwerks zusammen, ökologisch erzeugte Produkte anzubieten. Seit 2004 ist die Mensa als erste in Niedersachsen nach der EG-Öko-Verordnung zertifiziert. Zu den nennenswerten Ergebnissen zählt auch, dass für alle Universitäten gleichermaßen festgestellt wurde, dass bezüglich des Ernährungsverhaltens der Studierenden Einkommensunterschiede sowie Geschlechterunterschiede eine Rolle spielen.
Lessons learnt
Im Rahmen des Trilateral Research Workshops fand eine Reflexionsrunde im Kreise der beteiligten Lehrenden statt. Zudem wurde eine Rückmeldung von Seiten der Studierenden eingeholt. Bezogen auf die angestrebten Zielsetzungen kann folgendes Resümee gezogen werden (vgl. Tab. 1).
Insgesamt ist festzuhalten, dass die gemeinsamen Bachelorprojekte im Rahmen der Trilateral Research Workshops von allen Seiten als Bereicherung wahrgenommen werden. Allerdings ist es im Tagesgeschäft schwer, die Zeit für die Koordinierung einer solchen Maßnahme zu finden, zumal keine nennenswerten finanziellen Anreize bestehen. Die Erfahrungen der letzten fünf Jahre Trilateral Research Workshop und die erfolgte Implementierung der Bachelorprojekte zeigen aber, dass es sich lohnt, auch ohne große Budgets Innovationen im Rahmen der Lehre auszuprobieren. Auf der Basis der alljährlichen Reflektion, in welchem Umfang die angestrebten Zielsetzungen erreicht wurden, konnte im Zeitverlauf der Workshop kontinuierlich verbessert werden. Hier macht sich die Informalität dieser Internationalisierung im Kleinen positiv bemerkbar. Es konnten über die Jahre Erfahrungen gesammelt werden. Auf erkannte Schwächen wurde unmittelbar im Folgejahr mit einem verbesserten Programm und angepassten Rahmensetzungen reagiert. Ein solches Erprobungsfeld ist bei einer festen Verankerung in einzelne Studienprogramme wegen der umfangreichen Ordnungsmittel, die selbst bei kleinen Änderungen nur sehr aufwändig angepasst werden können, nicht umsetzbar.
Danksagung:
Wir danken „Lehren – Das Bündnis für Hochschullehre“ für die finanzielle Unterstützung.
Über die Autoren:
Ivo Mossig ist Professor für Humangeographie mit dem Schwerpunkt Wirtschafts- und Sozialgeographie am Fachbereich 08 Sozialwissenschaften und Mitglied im Netzwerk „Lehre n“.
Michael Thiele ist Studiengangskoordinator und Geschäftsführer am Institut für Geographie sowie Erasmus-Beauftragter am Fachbereich 08 Sozialwissenschaften.
Literatur:
Huber, L. (2009): Warum Forschendes Lernen nötig und möglich ist. In: Huber, L./Hellmer, J./Schneider, F. (Hrsg.): Forschendes Lernen im Studium. Aktuelle Konzepte und Erfahrungen, S. 9 – 35.
Standort (2014): Geographisch gesehen: Essen und Trinken. In: Standort – Zeitschrift für Angewandte Geographie 38 (4).
Bildnachweis:
- Autorenfotos: Ivo Mossig (Universität Bremen); Michael Thiele (privat)
- Abb. 1/2/3: Mossig / Thiele; Quelle: Trilateral Bachelor Project „Campus Food Prints” 2015
- Foto 1: Ivo Mossig
- Tabelle 1: Mossig / Thiele