Okt
1
Tod von Laye-Alama Condé durch Brechmitteleinsatz
Oktober 1, 2020 | | Schreibe einen Kommentar
Vor mittlerweile über 15 Jahren starb der aus Sierra Leone stammende, im Jahre 1969 geborene Asylbewerber Laye-Alama Condé durch einen Brechmitteleinsatz der Polizei.
Laye-Alama Condé (Quelle: Initiative in Gedenken an Laye-Alama Condé o. J.)
Laye-Alama Condé wurde am 27. Dezember des Jahres 2004 wegen des Verdachts auf Verschlucken von Kokainpäckchen von der Bremer Polizei an der Sielwallkreuzung im Viertel festgenommen (vgl. Frankfurter Neue Presse 2011). „Bevor C. auf Aufforderung der Polizeibeamten den Mund öffnete, sahen sie dessen deutliche Schluckbewegungen und gingen aufgrund kriminalistischer Erfahrung mit ‚Kleindealern‘ von einem Verschlucken von Kokainbehältnissen aus“ (BGH 2010: S. 4). Um sicherzustellen, ob Laye-Alama Condé tatsächlich Kokain verschluckt hatte, sollten ihm Brechmittel und Wasser verabreicht werden. Nachdem Condé sich jedoch weigerte, diese einzunehmen, war vorgesehen, dass ihm nach einer Dienstanweisung vom 01.03.2001 in sitzender Position eine nasogastrale Sonde gelegt werden müsste. Der Arzt selbst dürfte dabei keinerlei Zwang ausüben, was auf die Polizeibeamten selbst scheinbar nicht zuzutreffen schien. Condé wurde von diesen an den Füßen mit Kabelbindern und an den Händen mit Handschellen gefesselt. Da Condé sich zu wehren schien, wurde dies durch ein Drücken des Kopfes an die Rückenlehne unterbunden (vgl. BGH 2010: S. 5). Daran anschließend wurde Condé der Ipecacuanha-Sirup, ein Brechmittel, vom Arzt Igor V. zugeführt (vgl. Holthaus 2019). Selbst nach mehrfachem Erbrechen und dem bereits sichergestellten Kokain wurde die Vergabe des Brechmittels fortgeführt, bis Condé nicht mehr ansprechbar war. Die Polizeibeamten gingen davon aus, dass Condé seinen körperlichen Zusammenbruch nur simulieren würde, „um einen Abbruch der Maßnahme zu erreichen“ (BGH 2010: S. 6). Nachdem daraufhin die alarmierten Rettungssanitäter eintrafen, wurde diesen vom Arzt erläutert, dass nur eine Magenspülung durchgeführt worden wäre, die nicht funktioniert habe. Der Notarzt stellte fest, dass Condé nicht ins Krankenhaus müsse, so dass die Magenspülung erneut durchgeführt werden dürfte (vgl. BGH 2010: S. 7 ff.). Nur wenige Minuten später fiel Condé in ein Koma und verstarb am 07.01.2005 an „cerebraler Hypoxie als Folge von Ertrinken nach Aspiration bei forciertem Erbrechen“ (UA, zitiert nach BGH 2010: S. 11).
„2008 hatte das Landgericht den Polizeiarzt Igor V. vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Die Begründung hatte es in sich: Zwar habe V. objektive fachliche Fehler begangen, die ‚ursächlich‘ für den Tod Condés waren. Doch sei er ‚wegen fehlender Erfahrung überfordert‘ und somit ‚weit entfernt vom Leitbild eines erfahrenen Facharztes, an dem sich die Rechtsprechung bei Fahrlässigkeitsdelikten als Maßstab orientiert‘ gewesen, so die Urteilsbegründung“ (Jakob 2010). Nachdem das Verfahren im Jahre 2013 ein drittes Mal wiederaufgenommen wurde, einigten sich Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Nebenklägerin auf eine Einstellung unter der Auflage, dass der Angeklagte 20.000 Euro an die Mutter des Opfers zahlen sollte (vgl. Baeck 2013).
Im Jahre 2006 stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass das Verabrechen von Brechmitteln eine Foltermethode sei, welche noch im gleichen Jahr in Bremen, das auch als „Hauptstadt der Brechmittelfolter“ bekannt war, gestoppt wurde (vgl. Holthaus 2019). „Zwischen 1991 und 2004 sind in Bremen in über 1.000 Fällen Brechmittel an Menschen in Polizeigewahrsam verabreicht worden. Am 27. Dezember 2004 wurden dem aus Sierra Leone geflüchteten Laye Condé im Polizeirevier Bremen-Vahr gegen seinen Willen vom Beweissicherungsdienst durch eine Nasensonde zwei Stunden lang mehrere Liter Wasser und Brechmittelsirup eingeflößt“ (Initiative in Gedenken an Laye-Alama Condé o. J.).
Mobiler Gedenkort für Laye-Alama Condé (Quelle: Radio Bremen 2020)
Seit einiger Zeit existiert ein mobiler Gedenkort für Laye-Alama Condé und alle weiteren Brechmittelopfer. „Wir nennen es nicht Denkmal, sondern es ist ein Gedenkort, der mahnendes Erinnern möglich macht, dass ein Mensch in staatlicher Obhut gestorben ist. Und dass das nicht mehr passieren darf“, so sagt Gundula Oerter, die Sprecherin der Initiative (Oerter 2020, zitiert nach Holthaus 2019). Der Gedenkort ist mit deutschen, englischen und französischen Audioboxen ausgestattet, die inhaltlich die Geschehnisse chronologisch wiedergeben und Zeug*innen zu Wort kommen lassen (vgl. Holthaus 2019). „Seit dem 20. September steht der ‚Mobile Gedenkort für Laye Condé und 13 Jahre Brechmittelvergabe in Bremen‘ vor der Friedenskirche in der Humboldtstraße“ (Initiative in Gedenken an Laye-Alama Condé o. J.).
Quellen:
Baeck, Jean-Philipp: Bremer Brechmittel-Prozess: Am Ende kein Urteil. In: taz.de (2013). URL: https://taz.de/Bremer-Brechmittel-Prozess/!5055796/ (zuletzt abgerufen am 11.10.2020).
Bundesgerichtshof: Urteil des 5. Strafsenats vom 29.04.2010. In: juris.bundesgerichtshof.de (2010). URL: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=723958c0763e31ffb229969f4d525839&nr=52237&pos=6&anz=31 (zuletzt abgerufen am 11.10.2020).
Frankfurter Neue Presse: Gericht verkündet Urteil im Brechmittel-Prozess. In: web.archive.org (2011). URL: https://web.archive.org/web/20160523141053/http://www.fnp.de/nachrichten/panorama/Gericht-verkuendet-Urteil-im-Brechmittel-Prozess;art685,49852 (zuletzt abgerufen am 11.10.2020).
Holthaus, Matthias: Mobiler Denkort erinnert an Laye Condé. In: weser-kurier.de (2019). URL: https://www.weser-kurier.de/bremen/stadtteile/stadtteile-bremen-mitte_artikel,-mobiler-denkort-erinnert-an-laye-conde-_arid,1797435.html (zuletzt abgerufen am 11.10.2020).
Initiative in Gedenken an Laye-Alama Condé: Start. In: brechmittelfolter-bremen.de (o. J.). URL: https://brechmittelfolter-bremen.de (zuletzt abgerufen am 11.10.2020).
Jakob, Christian: Laya Condé starb vor fünf Jahren. In: taz.de (2010). URL: https://taz.de/!506546/ (zuletzt abgerufen am 11.10.2020).
Radio Bremen: Kommt der Gedenkort für die Bremer Brechmittel-Opfer? In: butenunbinnen.de (2020). URL: https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/gesellschaft/gedenkkundgebung-conde-brechmittel-einsatz-gedenkort-100.html (zuletzt abgerufen am 11.10.2020).
Comments
You must be logged in to post a comment.