Meinungsfreiheit im Internet und auf sozialen Netzwerken: Im Zweifel immer für die Meinungsfreiheit
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Im Zweifel immer für die Meinungsfreiheit
Schon bevor ich mich mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt habe, stand für mich normativ eindeutig fest: Im Zweifel immer für die Meinungsfreiheit! Sie ist eins der höchsten Güter jedweder liberalen Gesellschaftsordnung. Demokratische Institutionen, und in der Tat die Demokratie als solche, können nur in einem Klima existieren, in dem die Meinungsfreiheit gedeiht. Ohne Bürgerinnen und Bürger, welche sich für die Demokratie engagieren, indem sie sich mit verschiedenen Konzeptionen und Ideen auseinandersetzen, welche am Ende entscheiden wohin das Staatsschiff segelt, kann keine Demokratie existieren. Es gibt mehrere Grundsäulen einer funktionierenden liberalen Gesellschaftsordnung. Eine wesentliche davon ist die Garantie eines freien und unzensierten Diskurses innerhalb des Volkes. Die Bürgerinnen und Bürger eines demokratischen Staates haben das Recht, manche würden sogar argumentieren die Pflicht, sich ohne Vorbehalt verschiedenster Quellen zu bedienen und den Inhalt dieser frei auszudiskutieren. Im englischen Sprachraum hat sich der Begriff Marketplace of Ideas etabliert, welcher als Synonym zur Meinungsfreiheit fungieren kann und welcher anschaulich das Konzept von Freedom of Speech wiedergibt. Manch einem mögen die Meinungen an Stand A oder B auf diesem Marktplatz nicht gefallen, jedoch steht es jedem Menschen frei jeden der einzelnen Stände zu besuchen und die dort angebotene Ware, nämlich die verschiedenen Meinungen, zu konsumieren und frei über diese zu reflektieren und zu deliberieren. Oder mit den Worten des Grundgesetzes: Eine Zensur findet nicht statt.
Soweit würden mir die meisten Menschen wahrscheinlich zustimmen, doch wie man im englischen sagt: The devil is in the details. Wie sieht tatsächlich gelebte Meinungsfreiheit und ein freier Diskurs in den Zeiten des Internets aus? Sind soziale Medien ein Teil des Marketplace of Ideas? Als Donald Trump von Twitter gesperrt wurde, nachdem bereits mehrere seiner Tweets zensiert wurden, hat ein sehr gefährlicher Präzedenzfall stattgefunden. In meiner Umgebung, sowohl an der Uni, als auch im privaten oder familiären Umfeld, stieß dies oftmals auf heitere Zustimmung. Denn Donald Trump ist ein Arschloch. Wie ein Elefant im Porzellanladen, stieß er auf der internationalen politischen Bühne einiges an teurem Geschirr um. Den Klimawandel leugnend, mit fremdenfeindlichen Konnotationen gespickten Reden und kriegerischer Rhetorik lenkte er das Staatsschiff des mächtigsten Landes der Welt. Trump düpierte Freund und Feind, während die Welt über seine selbstherrliche Arroganz lachte. Also amüsierten sich aus meinem Umfeld viele Leute über den Umstand, dass Trump auf Twitter nun seine geistigen Ausdünstungen nicht mehr verbreiten konnte. Ich jedoch war in Mark und Bein erschüttert. Ich war bisher der Überzeugung, die Meinungsfreiheit gelte auch für Menschen, die ich als politische Gegner wahrnahm. Manch einer würde sogar so weit gehen, sie gelte auch für Arschlöcher. Rosa Luxemburgs Zitat Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden klingt in meinem Kopf, sobald ich an die Zensur anderer Menschen mit anderer Auffassung denke. In den Köpfen vieler Menschen ist der derzeitige US-Amerikanische Präsident immer der derzeit mächtigste Mensch auf dem Planeten. Doch all diese Macht prallte an Twitter ergebnislos ab, als es den gerade amtierenden Präsidenten von seiner Plattform warf.
Dies wirft für mich viele unangenehme Fragen auf. In welchem Rahmen darf bzw. muss der Marketplace of Ideas existieren? In welche gesellschaftliche Sphären darf er vordringen? Welche dürfen ihm den Einlass verwehren? Niemand käme auf die Idee, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorzuwerfen, mehr linke Positionen auf ihrer Plattform zu veröffentlichen oder gar der TAZ vorzuschreiben, sie müsse mehr rechte Positionen abdrucken. Gefällt den Verlegern ein Journalist oder ein Redakteur nicht, so steht es ihnen frei, für Änderungen in ihrem Unternehmen zu sorgen. In der Sphäre der Printmedien etabliert sich der Marketplace of Ideas, indem die Meinungsvielfalt ihren Ausdruck in der Diversität der Publikationen findet. Wer eher konservativ ist, liest FAZ, wer eher links ist, liest TAZ, und wer zum Frühstück bereits Bier trinkt, bevor es zum Stammtisch geht, liest BILD. So besucht jede Person ihren individuellen Stand auf dem Marketplace, welcher die Diversität an Meinungen und Informationen relativ adäquat wiedergibt. Die Frage ist jedoch, ob sich diese Sichtweise nahtlos auf soziale Medien übertragen lässt. Bei näherem Hinsehen muss ich leider feststellen, dass das Gegenteil der Fall ist und dass meine initiale Sorge durchaus berechtigt war.
Während Printmedien größtenteils ein Medium sind, über das Informationen und Meinungen transportiert werden, so können diese ebenfalls einen Diskurs über verschiedene Inhalte anstoßen oder sogar transportieren, jedoch findet dieser Diskurs größtenteils auf der gesellschaftlichen Ebene statt und nicht in den Publikationen der hiesigen Zeitungen der jeweiligen Republik. Zeitungen sind somit ein Informationsmedium, welches Fakten und Meinungen transportiert. Diskutiert wurde über diese Ideen in der Vergangenheit auf dem tatsächlichen Marktplatz, auf der Straße, in der Kneipe, oder bei Feiern oder sonstigen sozialen Veranstaltungen. Obschon dieser Umstand immer noch den Tatsachen entspricht, hat sich ein nicht zu unterschätzender Teil des Diskurses auf das Internet verlagert. Diskutieren kann man über die verschiedenen Messenger Apps oder aber auch über soziale Medien. Facebook, Twitter, Instagram, und Youtube, um nur einige zu nennen, sind Plattformen des öffentlichen Lebens geworden, auf denen die Konflikte unseres politischen Alltages ausgetragen werden. Es gibt keine Unterteilung in ein konservatives oder linkes Twitter, kein konservatives oder linkes Youtube. Verschiedene Meinungen und Ideen, die zu den verschiedenen Ideengruppen der Gesellschaft zugehörig sind, finden auf all diesen Plattformen ein argumentatives Zuhause. Der Diskurs im öffentlichen Raum hat sich verlagert, weil sich der öffentliche Raum von der Straße ins Internet verlagert hat. Der Marketplace of Ideas kann in diesem Rahmen nur funktionieren, wenn eine Diskursbeschränkung seitens der verschiedenen Akteure, wie Google, Facebook oder Twitter ausbleibt. Dies ist jedoch nicht der Fall. Während Trump durch Twitter gesperrt wurde, durften die Taliban weiterhin tweeten. Wer twittert schlimmere Sachen? Und wenn Twitter wirklich niemanden sperren darf, heißt das im Umkehrschluss, dass diese Unternehmen die Kontrolle über ihre eigenen Plattformen verlieren? Dürfen sie Nutzern und Nutzerinnen keinen Zugang versperren? Müssen Facebook und Co jedwede Äußerung zulassen?
Vor einiger Zeit gab es in den USA einen Shitstorm und einen sehr hart geführten Diskurs über eine ähnliche Problematik, jedoch in einem komplett anderen Umfeld. Eine Bäckerei hatte sich geweigert, für ein homosexuelles Paar eine Hochzeitstorte zu backen. Die konservative Position besagte, dass ein Unternehmen nicht gezwungen werden darf, mit jeder Person Geschäfte zu machen. Unternehmen können sich also frei aussuchen, wie und mit wem sie ihr Geld verdienen wollen. Die linke Position besagte, dass Menschen nicht aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, oder irgendwelcher anderer Charakteristika diskriminiert werden dürfen, und dass jede Person ein Anrecht darauf hätte, die Dienstleistungen von Unternehmen in Anspruch zu nehmen. Ich habe meine Meinung deutlich in der letzteren Position gespiegelt gefunden und war erstaunt darüber, als ich merkte, dass in dem Konflikt zwischen Donald Trump und Twitter nun beide Lager plötzlich gegenteilige Positionen einnahmen. Die konservative Meinung war nun, dass Donald Trump ein Anrecht darauf hatte seine geistigen Ergüsse bei Twitter kundzutun und er nicht aufgrund seiner politischen Positionen hätte gesperrt werden dürfen, während die linke Position plötzlich besagte, dass ein Unternehmen ja nicht gezwungen werden könne, mit einem Menschen Geschäfte zu machen. Was denn nun?
Um die Frage zu erörtern, ob Facebook und Co jedwede Äußerung zulassen müssen und ob sie jeden Menschen auf ihrer jeweiligen Plattformen gestatten müssen sich zu artikulieren, muss auch eine andere Frage gestellt werden. Dürfen Unternehmen wie Facebook oder Twitter Plattformen besitzen, die ein Medium des öffentlichen Diskurses darstellen? Dürfen Unternehmen den Marketplace of Ideas käuflich erwerben und dann kontrollieren? Man stelle sich einmal vor, große Unternehmen hätten in der Vergangenheit versucht, den Marktplatz, die Straße und die Kneipen zu erwerben, und hätten daraus folgend das Recht erworben, den Rahmen des öffentlichen Diskurses einzuschränken. Man stelle sich einmal vor, diese Unternehmen hätten Einzelpersonen verboten, den Marktplatz oder die Kneipe zu besuchen, bzw. diese oder jene Straße zu benutzen, ganz zu schweigen von dem amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten. In einem Rechtsstaat gibt es eine Vielzahl von Rechten und Prinzipien die sich diametral entgegengesetzt stehen. Dieses Spannungsverhältnis kann nur durch eine Normenhierarchie gelöst werden. Welches Prinzip wiegt schwerer? Vor diesem Hintergrund betrachte ich die Lage, und vor diesem Hintergrund fällt meine Entscheidung innerhalb der Normenhierarchie eindeutig zugunsten der Meinungsfreiheit.
Unternehmen, welche die Gier nach Profit, dem Erwerb von immer und immer mehr Geld, als Handlungsgrundlage haben, überschreiten massiv ihre Kompetenzbereiche, wenn sie anfangen in den öffentlichen Diskurs einzugreifen, indem sie diesen aktiv zu steuern versuchen. Die Meinungsfreiheit Donald Trumps, ist auch meine Meinungsfreiheit und die jeder anderen Person. Hat der Staat, oder ein Unternehmen, die Macht die Meinungsfreiheit von Arschlöchern einzuschränken, die Unsinn von sich geben, dann ist jedwede freie Meinungsäußerung in Gefahr. Bereits geltende Gesetze sind vollkommen ausreichend. Man darf in einem vollen Kino nicht unberechtigterweise Feuer rufen und eine Massenpanik auslösen. Man darf nicht beleidigend werden. Aussagen zu verbieten, die nicht von diesen Faktoren betroffen sind, ist kategorisch abzulehnen. Meinungsfreiheit ist eine Kette in der alle Bürgerinnen und Bürger eingespannt sind und in gleichem Maße der Schlüssel zur Freiheit. Bricht die Kette an einer Stelle, droht sie überall zu fallen. Eine Bedrohung für die Meinungsfreiheit an einer Stelle ist eine Bedrohung der Meinungsfreiheit insgesamt. Ich sage: Im Zweifel immer für die Meinungsfreiheit.
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. CC-BY: Jonas Wermelt