Teilnehmende Beobachtung Kunsthalle Bremen

Ich sitze hier auf einer Holzbank in der Kunsthalle Bremen im Erdgeschoss. Es ist der 09.12.21 um 15:57 und ich habe bereits einiges der Ausstellung gesehen, weshalb ich mich entschlossen habe mich zusetzen und meine teilnehmende Beobachtung zuschreiben, da gerade einige Leute in der Umgebung sind.

Der Raum in dem ich sitze hat hohe Decken und an allen Seiten Durchbrüche, sodass man in andere Bereiche der Ausstellung schauen kann. In diesem sind moderne Ausstellungsstücke, die in bunten Farben strahlen, aber auch Fotografien. Auf dem Boden steht eine Käfigkonstruktion mit eingebauter Falle. In dem Durchgang rechts gegenüber steht ein Mann und wartet mit verschränkten Armen. Er kehrt sich einem Bild zu was er bereits angeschaut hat und liest den Text.

Ein junger Herr betritt langsam den Raum und betrachtet ziemlich lange das erste Bild. Dann verlässt er den Raum ohne sich andere anzuschauen und geht zurück zum Hauptraum. Eine Frau stößt zu dem wartenden Mann. Sie hat Kopfhörer der Audio Führung auf und redet nach einer kurzen Pause mit ihm.

Hinter mir steht ein Fernseher in dem eine junge Frau tanzt. Aus den angeschlossenen Kopfhörern höre ich gedämpft ihren Gesang. Ein Aufseher betritt mit hinter den Rücken verschränkten Armen den Raum, hält unschlüssig an, geht dann aber weiter. Er trägt einen Anzug, Krawatte und keinen Mundschutz. Vom Obergeschoss ertönen Kinderstimmen und Lachen. Die Frau mit der Audioführung und der Mann der gewartet hatte, verlassen Hand in Hand den Raum.

Ich höre hinter mir Schritte und eine männliche Stimme, die etwas auf einer anderen Sprache sagt, kann aber niemanden erkennen. Der Aufseher kommt wieder in den Raum, schaut mich an, geht ein paar Schritte und hält wieder an. Ich muss mich nun umdrehen um zuerkennen, dass er auf sein Handy schaut. Ich drehe mich wieder um, als er den Raum verlässt und ich nun alleine bin. Vom Nachbarraum ertönt leise schrille Musik ohne Text. Insgesamt ist es aber ziemlich leise, ab und zu ertönt Knacken des Bodens und die Musik und Geräusche aus den Kopfhörern wirken wie ein Rauschen, welches man wahrnimmt, aber den genauen Inhalt nicht identifizieren kann. Jemand läuft die Treppe im Flur hoch oder runter. Das Video im Fernseher hinter mir wiederholt sich. Es passiert nicht viel, da gerade keine anderen Besucher*innen hier sind, sondern scheinbar diesen Teil der Ausstellung verlassen haben. Der Aufseher steht in einem anderen Raum und schaut in meine Richtung, geht dann aber weiter.

Ich bin froh die teilnehmende Beobachtung zu beenden, da ich mich etwas unwohl gefühlt habe, vor allem als der Aufseher mich beobachtet hat. Dabei ist mir auch bewusst geworden, dass dies paradox ist, weil ich ja eigentlich genau das gleiche tue und sich die anderen Besucher*innen genauso fühlen könnten.

Museen und auch andere Kultureinrichtungen befinden sich in einer Krise, da es schwierig für sie ist genügend Besucher*innen anzuziehen. Gründe dafür sind zum einen die geringe Bereitschaft Geld und Zeit in Freizeitaktivitäten zustecken oder auch die Konkurrenz durch das Internet mit zum Beispiel Virtual Reality Ausstellungsrundgängen. Daher versuchen Kunstmuseen mit Zusatzangeboten und Sonderausstellungen möglichst viele Gäste anzulocken. In meiner teilnehmenden Beobachtung kann man dies auch wieder erkennen, da es schwierig war einen Ort in der Kunsthalle zu finden, in dem mehrere Personen waren. Außerdem nutzte die Frau eine auditive Führung ergänzend zu den Texten an den Bildern, was ein Zusatzangebot des Museums ist. Allerdings wirkte es so, als ob nur sie es benutzt und bezahlt hätte und ihrem Partner im Anschluss die wichtigsten Informationen wiedergab. Dies lässt sich entweder auf fehlende Zahlungsbereitschaft oder auch auf fehlendes Interesse schlussfolgern.

Insgesamt lässt sich sagen, dass die angestellten Kurator*innen und Vermittler*innen vor einer großen Herausforderung stehen, die Ausstellungen attraktiv zu gestalten und das Fortbestehen von Kultureinrichtungen langfristig zu sichern. Im Hinblick auf Marc Augé müssen sie es schaffen Museen von Nicht-Orten zu Orten zu transformieren. Sie müssen versuchen den Ort mit Identität zu füllen und genauso eine Geschichte zu geben, wie die Gemälde an den Wänden eine Geschichte haben. Die Besucher*innen müssen sich wohlfühlen und etwas mit dem Ort verbinden, damit es nachhaltig im Gedächtnis bleibt und wieder besucht wird.

2 Kommentare

  1. Ich fand deinen Text total interessant und fesselnd geschrieben. Deine Wahl in ein Kunstmuseum zu gehen finde ich total gut, weil du sie in der von dir beschriebenen Krise so unterstützen kannst.
    Die Überleitung zu der Theorie der Nicht-Orte und Orte stach für mich sehr heraus. Ich wäre zunächst gar nicht auf diese Idee gekommen, bin aber absolut überzeugt worden von deiner Erklärung und stimme damit vollkommen überein!

  2. Ich fand es sehr angenehm deinen Text zu lesen, da es keine abgehackten Stellen gab, sonder alles sehr fließend ineinander überging. Ich fand auch den Aspekt mit dem Aufseher super interessant und das du reflektiert hast, dass die anderen Besucher sich ähnlich fühlen müssen, da du sie auch beobachtest. Ich glaube, dass da aber auch der Aspekt mit reinspielt, dass Aufseher oft etwas einschüchternd wirken und es deswegen umso stressiger ist, wenn sie einen beobachten. Sehr interessanter Text!

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