Welche Haltung nehme ich als Forschende*r ein? Wie gehe ich mit meinen Gegenständen um? Wie begegne ich Situationen, die ich ergründen möchte? Wie verfolge ich meine Forschungsfragen? Wie kann mich meine subjektive Wahrnehmung und mein individuelles Interesse zu Wissen und Erkenntnissen führen, die auch für andere und in einem weiteren Wissensfeld relevant sind?

Geistes- und kulturwissenschaftliche Forschung zeichnet sich dadurch aus, dass es keinen Baukasten an Methoden gibt, die man*frau auf jeden beliebigen Gegenstand anwenden‘ kann. Es gibt keine klar definierte Weise, wie vorzugehen ist. Vielmehr ist Forschung ein Prozess, in dem eine (oder mehrere) Person(en), geleitet von ihrem Erkenntnisinteresse, auf die Suche gehen. Die Vorgehensweise wird in Auseinandersetzung mit Fragen, Gegenständen und Theorien entwickelt, wobei verschiedene Arbeitsweisen kombiniert werden. Dies kann sich im Verlauf der Forschung auch ändern, wenn neue Fragen entstehen und Erkenntnisse gewonnen werden, wichtig ist nur, dass man*frau systematisch vorgeht und das Vorgehen begründet.

Zentral ist also die kontinuierliche Reflexion der eigenen Vorgehensweise und Perspektive. Denn jedes Wissen ist situiert, geprägt von der Position und Haltung der Forscher*innen. Ein wesentliches Werkzeug der Forschung ist die Sprache. Durch sie werden nicht nur die Ergebnisse aufbereitet, um sie anderen mitzuteilen und zu diskutieren. Vielmehr ist das wissenschaftliche Schreiben selbst ein Erkenntnisprozess. Indem ich etwas formuliere und neuformuliere, indem ich nach Argumenten suche und meinen Gedanken eine Form gebe, präzisiere ich sie und mache sie für andere nachvollziehbar. Gerade deshalb ist das Schreiben eine Praxis, die immer wieder ausgeübt werden muss, egal ob das Studium gerade erst begonnen wurde, oder schon der Schritt in die Wissenschaft gelungen ist.

1. Theorie und Gegenstand: Zum Beispiel Filmwissenschaft

Ausgangspunkt einer Forschungsarbeit ist das eigene Interesse, also das, was eine*n fasziniert oder irritiert und nicht loslässt. Daraus lassen sich Fragen entwickeln und Thesen formulieren, die im Forschungsprozess verfolgt, bestätigt oder auch verworfen werden. Durch das ⇒Recherchieren in Museen, Archiven, Bibliotheken oder Internet wird ein Forschungsfeld erschlossen. Werke werden angeschaut, ⇒analysiert, ⇒miteinander in Beziehung gesetzt, ⇒Situationen beobachtet und ⇒Anordnungen untersucht, Texte gelesen, die zu ähnlichen Themen bereits geschrieben wurden oder die Aufschluss über (historische) Kontexte geben. In Auseinandersetzung mit Theorien werden Begriffe und Modelle entwickelt, die als Leitplanken der Forschung fungieren. Zentral ist dabei die Haltung, die ich als Forscher*in zu meinen Gegenständen einnehme und die Frage, wie ich meine Vorgehensweise theoretisch begründe und reflektiere. In den Videoclips erläutert Winfried Pauleit das Forschen am Beispiel der Filmwissenschaft.

Der Gegenstand der Forschung

Theoriegeleitete Analyse

Film

Vorgehensweise

Wissenschaftliche Schreiben

Filmforschung heute

Eine Politik der Zuschauer*innen

Zum Weiterlesen
Birkenstein, Cathy; Graff, Gerald: They Say / I Say. The Moves That Matter in Academic Writing, New York: W.W. Norton 2017.

Pauleit, Winfried: Die Filmanalyse und ihr Gegenstand. Paratextuelle Zugänge zum Film als offenem Diskursfeld. In: Gwóźdź, Andrzej: Film als Baustelle. Fas Kino uns seine Paratexte. Marburg: Schüren 2009.

2. Wissenschaftliche Erkenntnis: Zum Begriff des situierten Wissens

Zum Einstieg: Überlegen Sie, was unter dem Begriff der Objektivität zu verstehen ist. Wann und unter welchen Umständen betrachten Sie Forschung als objektiv. Aus welchen Kontexten ist Ihnen der Begriff bekannt und wie wird er dort verwendet? Gibt es einen Zusammenhang zu den Gemälden?

Der Begriff der Objektivität spielt in der Wissenschaft eine wesentliche Rolle. Indem sie nach Objektivität strebt, verspricht Wissenschaft, die Wirklichkeit zu erfassen und Erkenntnisse zu gewinnen, die sachgerecht, also der Sache angemessen sind, und die über einzelne Phänomene hinausgehend Gültigkeit haben. In der feministischen Wissenschaft, die im Zuge der zweiten Frauenbewegung nach 1968 entstand, wurde dieser Anspruch auf Objektivität jedoch kritisiert. Sie galt, wie die nach ihr strebendende Wissenschaft, als ein Instrument zur patriarchalen Herrschaftssicherung. In ihrer Auseinandersetzung mit der Universität als wissenschaftlicher Institution legten feministische Wissenschaftler*innen offen, wie Frauen und andere Menschengruppen aus der Wissensproduktion ausgeschlossen wurden. Sie zeigten, dass weibliche Erfahrungen auf inhaltlicher, struktureller sowie methodischer Ebene verzerrt oder nicht beachtet wurden. Die als objektiv ausgegebenen, scheinbar allgemeingültigen Formen der Erkenntnis, so ihre Kritik, entsprach de facto einem westeuropäisch und männlich dominierten Blick auf die Wirklichkeit.

Jan Vermeer: Der Astronom (1668)

Quentin Massys (Umkreis): Hieronymus (1520)

In postmodernen Wissenschaften wird seitdem, unter anderem unter Rückgriff auf ⇒Diskurs– und ⇒Dispositivanalyse, aber auch auf die Differenztheorien der ⇒Gender Studies und des Postkolonialismus, vielfach untersucht, wie Wissen konstruiert wird und welchen Anteil es an Machtverhältnissen hat. So notwendig diese Wissenschaftskritik auch ist, läuft sie Gefahr, Ziel und Möglichkeit von Erkenntnis grundsätzlich infrage zu stellen, als wäre alle Erkenntnis nur eine Sache der Auslegung und jeder Standpunkt gegen den anderen austauschbar. Wie aber lässt sich eine wissenschaftskritische Haltung mit einer Suche nach Wissen vereinbaren?

Zum Einstieg: Auf den beiden Gemälden sind Wissenschaftler abgebildet. Was für ein Bild von Wissenschaft wird hier vermittelt? Das dritte Bild ist ein Filmstill. In dieser Szene schaut die von Asta Nielsen gespielte Primadonna einen Filmstreifen an, auf dem sie selbst zu sehen ist. Neben ihr auf dem Tisch liegt ein von ihr zuvor angebissener Apfel. Was für ein Verhältnis von Wissen, Schauen und Geschlecht wird hier verhandelt?

Demgegenüber entwirft Donna Haraway in ihrem vielzitierten Artikel Situiertes Wissen (1991) einen anderen Begriff der feministischen Objektivität, um die Erkenntnissuche zu leiten. Sie geht davon aus, dass Wissen immer situiert ist, das heißt aus einer lokalen und begrenzten Perspektive heraus entsteht. Gerade diese versteht sie als Voraussetzung der Erkenntnis. Anstelle der Idee einer entkörperlichten universellen Objektivität, die vorgibt, dass ein Wissen für alle steht, betont sie die Vielheit der örtlich begrenzten Perspektiven, die sich miteinander vernetzen. Diese Perspektiven sind durch die Körperlichkeit, durch Erfahrung und Blickwinkel der Forschenden bedingt. Genau diese Bedingtheit gilt es zu reflektieren, um die Gültigkeit des Ausgesagten und deren Grenzen zu benennen. Vielheit der Perspektiven bedeutet auch Vielfalt der Sprachen, die niemals restlos übersetzt werden können. Verbunden damit ist die ethische und politische Verantwortung, die ich als Forschende*r für das von mir gewonnene Wissen übernehme. Darunter versteht Haraway insbesondere, die Perspektive der „Unterworfenen“ einzunehmen, das heißt die von „unten“ oder aus der „Peripherie“ eines gesellschaftlichen Machtgefüges – beispielsweise von Frauen, gesellschaftlichen Minderheiten oder nichteuropäischen Kulturen – stammt. Selbst wenn diese nicht per se ,wahrer‘ sind, versprechen sie doch, neue Möglichkeitsräume zu eröffnen.

Das Situierte Wissen als Leitschnur kunst- und kulturwissenschaftlicher Forschung fordert also dazu heraus, die jeweilige Forschungsperspektive transparent zu machen und zu reflektieren. Das bezieht sich ganz konkret auf Fragestellung, Thematik und Vorgehensweise; wie auch auf die eigene persönliche und akademische Verortung. Innerhalb welches gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Feldes verorte ich mich? Aus welchem Interesse und vor welchem Hintergrund betrachte ich einen Gegenstand, eine Künstler*in oder Schüler*in, eine andere Zeit oder Kultur?  Inwiefern kritisiert meine Forschung Machtkonstellationen und (ideologische) Blickwinkel, inwiefern ist sie selbst von solchen geprägt und voreingenommen?

Zum Weiterlesen
Foucault, Michel: Was ist Kritik Berlin: Merve Verlag 1992. ⇒Download

Sykora, Katharina: Selbst-Verortungen. Oder was haben der institutionelle Status der Kunsthistorikerin und ihre feministischen Körperdiskurse miteinander zu tun. In: kritische berichte 3 / 98, S. 43-50. ⇒Download

Filmstandbild zu Urban Gad: Die Filmprimadonna (1913, Film Archive Austria)

„Ich möchte die Körperlichkeit aller Vision hervorheben und auf diese Weise das sensorische System reformulieren, das zur Bezeichnung des Sprungs aus dem markierten Körper hinein in den erobernden Blick von nirgendwo benutzt worden ist. Dieser Blick schreibt sich auf mythische Weise in alle markierten Körper ein und verleiht der unmarkierten Kategorie die Macht zu sehen, ohne gesehen zu werden, sowie zu repräsentieren und zugleich der Repräsentation zu entgehen. Dieser Blick bezeichnet die unmarkierte Position des Mannes und des Weißen, in feministischen Ohren ist dies einer der vielen hässlichen Anklänge an die Welt-Objektivität in wissenschaftlichen und technologischen, spätindustriellen, militarisierten, rassistischen und von Männern dominierten Gesellschaften, genau hier, im Bauch des Monsters, in den USA Ende der achtziger Jahre. Mir würde eine Lehre verkörperter Objektivität zusagen, die paradoxen und kritisch-feministischen Wissenschaftsprojekten Raum böte: Feministische Objektivität bedeutete dann ganz einfach situiertes Wissen.“

Harraway, Donna: Situiertes Wissen. Die Wissenschaftsfrage im Feminismus und das Privileg einer partialen Perspektive, in: Susanne Bauer et al (Hg.): Science and Technologie Studies. Klassische Positionen und aktuelle Perspektiven. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017, S. 369-403, hier: S.381.

Texte von Bettina Henzler und Laura Somann (2020)

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