Wie lassen sich die Kontexte der Rezeption von Kunstwerken und Filmen erforschen? In den Film- und Kulturwissenschaften hat sich die Dispositivanalyse als eine Methode zur Erforschung der technischen, kulturellen und historischen Kontexte der Rezeption und Produktion etabliert. Im Vergleich dieser beiden Bilder wird im Folgenden erläutert, was unter den Dispositiven des Museums und des Kinos zu verstehen ist. Zur genaueren Erläuterung des Begriffs siehe die Seite zur Dispositivanalyse.
Gleichzeitig durchkreuzt die Fotografie auch diese vom Raum vorgegebenen Abstände und damit verbundenen Verhaltensmuster. Der Oberkörper der Frau im roten Mantel im Vordergrund ragt in das Gemälde von Caillebotte hinein, in dem ein freier Platz für sie gegeben scheint. Ihre Haltung ist spiegelverkehrt zu den Figuren im Vordergrund des Gemäldes, die mit ihr zu kommunizieren scheinen. Zudem lassen sich auch weitere Korrespondenzen zwischen dem abgebildeten Gemälde und der abbildenden Fotografie erkennen: das Bildmotiv, die Strukturen des Bodens oder die Raumgestaltung, die Spannung zwischen Tiefenwirkung und der zweidimensionalen Fläche. Damit reflektiert sich das Foto selbst als eine Schauanordnung (ein Display) und verweist möglicherweise auf die individuelle Kunstwahrnehmung, welche durch das Museumsdispositiv ermöglicht wird, dies aber auch durchkreuzen kann.
Auch dieses Foto zeigt eine Rezeptionssituation, in der mittig ein großformatiges Bild zu sehen, in diesem Fall eine fotografische (oder filmische) Aufnahme, auf die sich die Aufmerksamkeit des Publikums konzentriert. Dennoch lassen sich sofort zahlreiche Unterschiede zum ersten Bild erkennen: es sind nicht einzelne Betrachter*innen zu sehen, die an verschiedene Bildern entlang gehen, sondern ein Publikum, das regungslos sitzt. Der Saal ist abgedunkelt. All dies führt dazu, dass sich die Aufmerksamkeit noch stärker auf das zentrale Bild in der Fotografie konzentriert. Auch zeigt dieses Bild einen Frauenkopf, der sich in Bewegung zu befinden scheint – eine Großaufnahme wie sie vor allem in Filmen vorkommt. Die Uhr deutet den Ablauf der Zeit an. All dies verweist auf das Dispositiv des Kinos.
Valie Export, Peter Weibel, Tapp und Tastkino, 1968, Performance
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Literaturangaben:
Jean-Louis Baudry (2004): Das Dispositiv: Metapsychologische Betrachtungen des Realitätseindrucks. In: Claus Pias, Joseph Vogel Lorenz Engell, Oliver Fahle, Britta Neitzel (Hg.): Kursbuch Medienkultur. Die maßbeglichen Theorien von Brecht bis Baudrillard. Stuttgart, S. 381-404 (Orig. 1975).
Laura Mulvey (2003): Visuelle Lust und narratives Kino. In: Franz-Josef Albersmeier (Hg.): Texte zur Theorie des Films. Stuttgart, S. 389-409 (Orig. 1973).
Bonusmaterial zu Riddles of the Sphinx von Pauleit / Dietrich -> Tobias Dietrich fragen
Anschließend an psychoanalytische Zuschauer*innentheorie hat sich die feministische Theoretikerin Laura Mulvey mit der Frage befasst, wie nicht nur der Kinoapparat, sondern auch filmische Blickstrukturen ein bestimmtes Zuschauersubjekt hervorbringen. Am Beispiel des klassischen Hollywoodkinos zeigt Mulvey, wie diese als Ausdruck eines ‚männlichen Blick‘ aufgefasst werden können, der sich auf den begehrenswerten weiblichen Körper richtet. Diese Theorie war in den 1970er Jahren sehr einflussreich und hat auch Künstlerinnen bewogen in ihrer Arbeit das Dispositiv Kino und die Blickstrukturen des Films kritisch zu hinterfragen. Mulvey selbst durchkreuzt in ihrem Experimentalfilm Riddles of the Sphinx den „männlichen Blick“, indem sie Räume in langsamen 360°-Schwenks erschließt, welche die Körper von Frauen nur beiläufig streifen. Die Performancekünstlerin Vali Export stellt wiederum mit ihrem Tapp- und Tastkino das blinde Ertasten dem Blick auf ihren Körper entgegen. Indem Zuschauer*innen ihren nackten Körper nicht sehen, sondern nur für einen festgelegten Zeitpunkt ertasten können, wird der Voyeurismus des Kinos ausgestellt und die Voyeure selbst zu Objekt des Blicks.