Die Columbuskaje – Kaje der Tränen

(Beitrag von Dorothee Herdtweck & Seher Sarigül)

Die Geschichte des Wahrzeichen Bremerhavens beginnt im Jahre 1861. Zu dieser Zeit ist die Norddeutsche Lloyd (NDL) für den Auswandererverkehr bekannt. Bereits zwischen 1861 und 1869 wurden neun eiserne Schraubendampfer vom NDL für den Transfer von Menschen nach Nordamerika bestellt. Der Lloyd ließ 1869 für die „Abfertigung“ der Passagiere eine Wartehalle mit Bahnanschluss an der Westkaje des neuen Hafens anfertigen. In den Jahren 1872 bis 1876 folgte dann der Kaiserhafen, welcher durch eine Schleuse mit dem neuen Hafen verbunden wurde. Da die neuen Lloyd Dampfer immer größer wurden und ihre Zahl weiter anstieg, wurde im Jahr 1881 die halbrunde Ostkaje des Kaiserhafens gegenüber der Schleuse zurückgenommen (Focke/Peters 2015: 7).

An der westlichen Vorhafenkaje der Großen Kaiserschleuse hat um 1910 die luxuriös ausgestattete PRINZ FRIEDRICH WILHELM des NDL festgemacht. Der fast 187 Meter lange Zweischornsteiner war der bis dahin größte Neubau der Tecklenborg-Werft in Geestemünde und bediente ab Sommer 1908 die Route Bremerhaven-New York.                                             (Quelle: Focke 2015: 12)

Da die Schiffe ohne Schleuse und bei gleich hohem Wasser nur Fahrten zwischen der Weser und dem Hafenbecken des neuen Hafens „führen“ konnten, wurde öfter an der südlichen Vorhafenkaje oder an der Weserkaje, vor der heute stehenden Strandhalle, angelegt (Focke/Peters 2015: 7). Die bisherigen Hafenanlagen konnten dem steigenden Wachstum des Fahrgast- und Auswandererverkehrs zwischen Bremen über Bremerhaven nicht standhalten. Dadurch, dass die neuesten Lloyd Dampfer ebenfalls die Kaiserschleuse nicht mehr passieren konnten, wurde dementsprechend im Strom be- und entladen. Aus diesem Grunde schlug der NDL einen größeren schleusenfreien Hafen mit Anlegebrücken nah am Weserfahrwasser vor. Diese Idee konnte vorerst nicht durchgesetzt werden, da es technisch nicht realisierbar war. Deshalb wurden die Dampfer vorerst auf der oldenburgischen Weserseite in Nordenham verlagert, wodurch der Nordamerika-Verkehr dort von 1890 bis 1897 vollzogen wurde (Focke/Peters 2015: 7). Im Jahre 1897 war der neue und erweiterte Kaiserhafen fertig. Erst nach der größeren Kaiserschleuse kehrten die NDL-Liner nach Bremerhaven zurück. Zwischen 1897 und 1907 waren die Nordatlantik-Schnelldampfer, wie „DER GROSSE“ oder „KAISER WILHELM“ an der Spitze und gehörten zu den schnellsten Schiffen zwischen Europa und den USA. Sie ermöglichten, ähnlich wie der neue Hafen, eine Verknüpfung von Zügen und Schiffen. Dies erleichterte für die Passagiere das Be- und Aussteigen, sowie das Beladen der Schiffe. Dies war der Vorreiter der Jahrzehnte später geplanten Columbuskaje. Bei kontinuierlich steigender Anzahl des Passagier- und Warenverkehrs forderte der NDL Bremen dazu auf, eine Gebietserweiterung zu errichten, um den Hafen ausbauen zu können.  Die Verwendung der Kohle konnten die NDL Dampfer ab 1909 an dem Kaiserhafen III übernehmen. 1916 musste der Bau der Nordschleuse kriegsbedingt unterbrochen werden, die Planung wurde jedoch 1923, trotz der wirtschaftlichen Inflation, fortgeführt und 1927 wurde schlussendlich auch der Bau weitergeführt (Focke/Peters 2015: 8).

Der Lageplan zeigt links den Vorhafen der Kaiserschleuse mit der bisherigen Lloydhalle, darüber die zurückspringende Seebäderkaje und in der Planmitte den neuen Columbusbahnhof. (Quelle: Focke 2015: 21)

1923 wurde die Entscheidung gefällt, die Bremerhavener Fahrgastanlagen zu erweitern. Es sollte eine Kaimauer am offenen Weserstrom, nördlich der bisherigen Kaiserkaje entstehen. Zeitgleich wurde eine zweite Schleuse gebaut, wobei die gesamte Planung das neue Flaggschiff des NDL, die COLUMBUS, welches 1924 in Dienst ging, berücksichtigt wurde. Durch die Bestellung der beiden Turbinen-Schnelldampfer BREMEN und EUROPA musste die Außenweser vertieft werden, da sonst kein Anlanden möglich gewesen wäre (Focke/Peters 2015: 19). Bremerhaven stand als Auswandererhafen von jeher immer in Konkurrenz zu Hamburg, welches seine Häfen kontinuierlich modernisierten. Trotz des Rückgangs der Passagieruahlen aufgrund der US-Einwanderungsbeschränkungen in den 1920er Jahren wurde 1924 mit dem Bau der Columbuskaje begonnen. Sie wurde zu Ehren des Entdeckers von Amerika und nach dem Flaggschiff des NDL (COLUMBUS) benannt. Die Columbuskaje hatte 1000 Meter Länge und ruhte auf 12.500 Baupfählen und wurde 1925 weitestgehend fertiggestellt (Focke/Peters 2015: 19). Nach dem Vorbild der Großen Kaiserschleuse wurde direkt an die Kaje von 1926 bis 1927 ein Bahnhof gesetzt, damit die Gäste direkt aus dem Zug das Schiff besteigen konnten und somit lange Wege vermieden werden konnten. Dadurch wurde auch das Beladen der Schiffe einfacher (Focke/Peters 2015: 19). 1927 kurz vor der feierlichen Eröffnung an der Jahrhundertfeier Bremerhavens, welche mit der Ankunft der Columbus vonstattengehen sollte, brach die Kaimauer auf 100 Meter weit ein, wodurch die Einweihung der Kaje auf 1928 verschoben worden war. Die Verstärkung in Form einer metallenen Spundmauer kostete 2,7 Millionen Reichsmark (Hartog 2008: 24). Von 1927 bis 1931 wurde mit dem Bau der Nordschleuse begonnen, welche ein Vorhafen, Kammer, Wendebecken, eine Drehbühne für den Schienen und Straßenverkehr und Betriebsgebäude umschloss. Ebenso wurde 1930 und 1931 das Kaiserdock II auf 335 Meter verlängert. Damit waren bis zum 2. Weltkrieg alle Umbaumaßnahmen abgeschlossen und Columbuskaje war der Dreh- und Angelpunkt im Linienverkehr zwischen Nordamerika und Europa. (Focke/Peters 2015: 19)

Abfahrten der großen Passagierschiffe waren besonders in den 1950er-Jahren attraktive Ereignisse, bei denen wie hier von der BERLIN des NDL oft Tausende an die Columbuskaje gelockt wurden. (Quelle: Focke 2015: 66)

Am 18.September 1944 wurden die Lloydhalle zwischen dem Vorhafen und der Seebäderkaje, der Columbusbahnhof sowie die Ölbunker an der Columbuskaje durch Luftangriffe zerstört (Focke/Peters 2015: 35; Hartog 2008: 31). Die Dockhäfen der Nord- und Kaiserschleuse hatten jedoch weniger abbekommen und dienten nach Kriegsende zur Nachschubversorgung der amerikanischen Streitkräfte, wobei diese ebenso de Columbuskaje beschlagnahmten (Hartog 2008: 31). Von 1945 bis 1950 bestand der einzige Passagiertransport daher hauptsächlich aus amerikanischen Truppen und „Displaced Persons“, welche durch den Krieg ihre Heimat verloren hatten und in Amerika oder Kanada neu anfangen wollten (Focke/Peters 2015: 35). Daher trägt die Kaje auch ihren Zweitnamen: „Die Kaje der Tränen.“ Dort konnte man immer jemanden mit Tränen in den Augen treffen, ob zum Abschied in Trauer, da man die geliebte Heimat verließ oder auch Tränen der Glückseligkeit, da man mit neuer Hoffnung auf einen Neuanfang in einer fremden Welt blicken konnte. Da die Lloydhalle im Krieg zerstört wurde baute Bremerhaven eine Holzhalle auf dem Platz der zerstörten Lloydhalle am Vorhafen der Kaiserschleuse. Diese bestand komplett aus Holz, war 2500 m² groß und kostete 2,5 Millionen DM (Focke/Peters 2015: 35). Durch die Aufhebung des Auswanderungsverbots der Alliierten 1950 wurde Bremerhaven wieder zu einem Auswandererhafen für ganz Europa. Da die Liegenschaften nicht ausreichten, wurde die westliche Vorhafenkaje der Kaiserschleuse 1951 verstärkt und es entstand ein 250 Meter langer neuer Liegeplatz für Passagierschiffe (Hartog 2008: 34).

Blick auf die Columbuskaje von Süden. Vorn die Zufahrt zur Kaiserschleuse, in der linken Bildmitte die alte Lloydhalle, hinten rechts die Überseehäfen in ihrem gesamten Ausmaß. Vor der Abfertigungshalle hat die BREMEN festgemacht; am linken oberen Bildrand befindet sich die Einfahrt zur Nordschleuse.                      (Quelle: Focke 2015:27)

1952 wurde ein neuer Seebahnhof in Planung gegeben. Dieser kostete 13 Millionen DM (fünf-mal so viel wie die Zollabfertigungshalle von 1950) und schloss an die Fahrgasthalle der hölzernen Zollabfertigung der Vorhafenkaje an (Focke/Peters 2015: 45). Der erste Passagierdampfer, der lediglich Linienfahren machte und welcher nach dem 2. WK an der Columbuskaje andockte, war die UNITED STATES im Januar 1953. Ein Jahr später legte mit der GRIPSHOLM (ab 1955 BERLIN) das erste deutsche Schiff an der Columbuskaje an. Die Leitungsfähigkeit der Columbuskaje und dem neuen Columbusbahnhofs zeigte sich das erste- und zugleich letzte Mal 1954, als an einem Tag sieben Passagierschiffe mit insgesamt 3700 Menschen abgefertigt wurden (Focke/Peters 2015: 45). Von 1954 bis 1956 wurden an der Columbuskaje insgesamt 232.343 Auswanderer gezählt, wobei der Höhepunkt 1956 mit 87.914 Emigranten lag (Focke/Peters 2015: 45). Ende der 1950er Jahre spielte das Auswandern über Bremerhaven jedoch kaum noch eine entscheidende Rolle mehr. Ein kleiner Höhepunkt zum Ende war jedoch, dass am 1. Oktober 1958 Elvis Presley unter Jubelgesang seiner Fans als GI in Bremerhaven von Board ging. An dieses Ereignis erinnert bis heute noch eine Metalltafel, die an der Kaje eingelassen worden ist. Im Jahr 1958 wurde trotz des sinkenden Passagierschiffverkehrs ein 2. Passagierterminal für 21,1 Millionen DM gebaut, welcher 1962 betriebsbereit war, der Columbusbahnhof II (Focke/Peters 2015: 75).

Am 1. Oktober 1958 betrat Rock`n-Roll-Star Elvis Presley als GI auf der Columbuskaje deutschen Boden, bejubelt von tausenden Fans. Presley kam mit dem Truppentransporter USS GENERAL G.M. RANDALL aus New York. Die 61. Army-Band begrüßte ihn und seine Kameraden mit dem Lied „In München steht ein Hofbräuhaus“. (Quelle: Focke 2015:69)

Das mehrgeschossige Abfertigungsgebäude aus Stahlbeton wurde in den Zeitungen gefeiert und hoch angesehen. Allerdings wurde der neue Columbusbahnhof II kaum genutzt. Die erste Fährverbindung zwischen Großbritannien und Deutschland führte die PRINS HAMLET durch. Das Fährschiff konnte durch eine bewegliche Rampe Autos auf mehreren Ebenen transportieren (Focke/Peters 2015: 75). Durch den hohen Erfolg wurde der Fährdienst im Winter mit der VIKING III weiter genutzt (Focke/Peters 2015: 75). Im Jahre 1966 wechselte die PRINS HAMLET nach Hamburg, sodass die Linie in Bremerhaven im Sommer nicht mehr genutzt werden konnte und der Pendelverkehr zwischen England und Deutschland sich nach Hamburg verlagerte. Dadurch kam es in Bremerhaven zu immer weniger Buchungen, wodurch die Bremerhavener Linie 1982 eingestellt wurde (Focke/Peters 2015: 75).

Schon im Jahre 1969 verlässt die UNITED STATES die Columbuskaje, sowie 1964 die AMERICA. Dadurch, dass die riesigen Liner Bremerhaven nicht mehr anfuhren, folgte eine Ruhephase an der Columbuskaje, woraus folgte, dass der sowieso schon ausgedünnte Transatlantikverkehr am 22.Dezember 1971 in Bremerhaven endete. Dieses Datum signalisierte nicht nur den Schlusspunkt der Linienfahrten, sondern ebenso das Ende einer Epoche der Schifffahrtsgeschichte in Bremerhaven. Im Oktober 1973 wurde der Columbusbahnhof I abgerissen, da Platz für eine Stückguthalle benötigt worden war (Focke/Peters 2015: 97). „Einen Tag nach dem endgültigen Beschluss zum Abriss des Columbusbahnhofs I verließ am 17. Mai 1974 die BRITANIS der Chandris-Reederei als letztes Auswandererschiff Bremerhaven.“ (Focke/Peters 2015: 76). Bremerhaven entfernte sich immer mehr von der Bezeichnung als „Auswandererstadt“, die sich 140 Jahre trug. Vieles veränderte sich in den Jahren und schlussendlich wurde der Columbusbahnhof II 2000-2003 zu einem modernen Kreuzfahrt-Terminal namens Columbus Cruise Center Bremerhaven umgebaut, um sich an Kreuzfahrtmarkt zu beteiligen und den Passagierhafen zu stärken (Focke/Peters 2015: 97).

Dieses Bild zeigt den Zustand nach dem 1.September 1975, als die Stückguthalle nach einem Jahr Bauzeit in Betrieb ging. Seitdem ist die attraktive Landzunge im Süden für das Publikum nicht mehr zugänglich. Die Fahrgastanlage II (links oben) blieb in ihrer ursprünglichen Form erhalten.                         (Quelle: Focke 2015:103)

Literatur

  • Hartog, Arno (2008): Bremerhavens Tor zur Welt: 80 Jahre Columbuskaje Bremerhaven. Bremen: Edition Temmen.
  • Focke, Harald / Peters, Dirk J. (2015): Die Columbuskaje in Bremerhaven. Erfurt: Sutton Verlag.
  • Schwerdtfeger, Hartmut / Kiedel, Klaus-Peter (2002): Zeitsprung:1877 – 2002 BLG Logostig Group. Delmenhorst: Aschenbeck&Holstein, S. 101-105.

4 Gedanken zu „Die Columbuskaje – Kaje der Tränen

  1. Als kleine Zusatzinformation noch:
    Das Lied, welches an der Columbuskaje zum Abschied immer von einem Orchester gespielt wurde, kam aus Süddeutschland und wurde von Elvis Presley nach seinem Aufenthalt in Deutschland in Amerika vertont:

    Und wenn man noch einige Bildliche und Vertonte Eindrücke von der Columbuskaje erhalten möchte, empfehle ich die Dokumentation der ARD:

  2. Danke für diesen spannenden Beitrag! Besonders interessant finde ich aus einer politikwissenchaftlichen Perspektive das Wechselspiel zwischen Unternehmen (NDL) und Stadt bzw. Land. Das ist auch ein gutes Beipiel für die in der Lerneinheit 5 diskutierte Hafengovernance als Zusammenspiel öffentlicher und privatwirtschaftlicher Akteure.

    War jemand von Ihnen schonmal im Auswandererhaus? Dort lassen sich die Geschichte Bremerhavens als Stadt der Auswanderung und die Gefühlslagen beim Auswandern sehr gut nachempfinden. Was waren denn eigentlich die Gründe für die starke Auswanderung und warum wurde ausgerechnet Bremerhaven der Startpunkt für so viele Auswanderer*innen?

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