Die schwere Explosion in Beirut vor einer Woche, bei der viele Menschen ums Leben kamen, hat nicht nur die Stadt, die Menschen und die politische Elite Libanons erschüttert, sie wirft auch Fragen nach der Sicherheit von Hafenbetrieb und Schifffahrt auf. Schließlich ereognete sich die Explosion im Hafen von Beirut, der durch sie weitgehend zerstört wurde. Ausgangspunkt der Katastrophe war vermutlich das Schiff „Rhosus“, das 2013 beladen mit 2750t Ammoniumnitrat beladen Berirut erreichte. Die New York Times berichtet über die Geschichte dieses Schiffes, das im November 2013 auf der Route von Georgien nach Mozambik in Beirut festmachte, um zusätzliche Ladung aufzunehmen. Mit den Einnahmen aus diesem Extra-Transport von Beirut nach Jordanien sollten offenbar die Gebühren für den Transit durch den Suez Kanal bezahlt werden. In Beiraut ist die „Rhosus“ dann aber mit ihrer gefährlichen Ladung gestrandet, vermutlich weil die Hafenbehörde die Weiterfahrt wegen zahlreicher technischer Mängel untersagte und die Reederei offenbar zahlungsunfähig war.
Zurecht stehen jetzt Fragen nach Korruption in der libanesischen Politik und Verwaltung, die die Gefahr möglicherweise wissentlich ignoriert oder hingenommen hat sowie nach Hilfe für die Opfer und Hinterbliebenen und einem raschen Wiederaufbau im Mittelpunkt. Es ist aber auch recht aufschlussreich, sich die die näheren Umstände des Chemikalientransports und der Arbeitsbedingungen auf der „Rhosus“ genauer anzusehen, denn sie werfen Schlaglichter auf die Politische Ökonomie der internationalen Schifffahrt und der Hafengovernance.
Für die Schiffscrew der „Rhosus“ bedeutet das abrupte Ende der Fahrt nicht einen Verlust ihres Lohns und ihres Arbeitsplatzes. Viele der größtenteils ukrainischen und russischen Belegschafts-Mitglieder wurden nach Berichten von shiparrested.com zunächst auf dem Schiff festgehalten, um eine Zahlung der Hafengebühren zu erzwingen oder zu verhindern, dass die Verantwortung für ein verlassenes Schiff auf die Hafenverwaltung übergeht, was aber letzlich doch eintraf. Der Kapitän der „Rhosus“ hat die Behörden einem Bericht von marine insight zufolge über die die Gefährlichkeit der Ladung gewarnt. Sie war u.a. dem libanesischen Zoll wohl lange bekannt. Laut Recherchen der New York Times wurde das verlassene schiff 2015 an eine andere Position im Hafen manövriert und die Ladung in ein Lagerhaus verbracht. 2018 sank die „Rhosus“, vermutlich aufgrund eines oder mehrere Lecks.
Über die oft prekären Arbeitsbedingungen in der Schifffahrt und das Problem von zurückgelassenen Crews haben wir hier auf dem Hafenblog schon mehrfach geschrieben. Durch die Katastrophe wird auch die Arbeit verschiedener Akteure sichtbar, die sich um die Belange von Schiffscrews kümmern, z.B. der Stiftug Assol aus Odessa und des juristischen Netzwerks shiparrested. In den kommenden Wochen und Monaten wird es noch viele Fragen zu klären geben, u.a. auch, ob es eigentlich auch in anderen Häfen verlassene Schiffe mit gefährlicher Ladung gibt und wie soetwas künftig verhindert werden kann.
Hier ist eine kurze Einschätzung von Laleh Khalili (SOAS, London):
https://www.theguardian.com/commentisfree/2020/aug/08/beirut-explosion-lawless-world-international-shipping-
In voller Länge sicher alles nachzulesen in ihrem hochgelobten neuen Buch „Sinews of War and Trade. Shipping and Capitalism in the Arabian Peninsula“ (Verso).
Vielen Dank! Von der gleichen Autorin gibt es u.a. auch einen sehr eindrücklichen Blogpost zu verlassenen Schiffscrews, auf den ich schonmal hingewiesen hab: https://www.versobooks.com/blogs/4692-abandoned-at-sea-sailors-and-covid-19