1. Sind Unterschiede in den mathematischen Leistungen von Schülerinnen und Schülern ein Grund zur Sorge? Welche Bedeutung kommt dem zweigliedrigen Schulsystem (Oberschule / Gymnasien) in Bremen diesbezüglich zu?
Im Allgemeinen müssen Unterschiede an sich kein Grund zur Sorge sein- jeder Mensch schneidet im Vergleich zu jemand anderem besser oder schlechter ab – der eine ist schöner, reicher, klüger usw. Die bittere Erkenntnis, schlechter als jemand anders zu sein, gehört meiner Meinung nach zum „Menschsein“ dazu, in jeglicher Dimension (Alter, Intelligenz, etc.).
Die Unterschiede in den mathematischen Leistungen von Schüler*innen sind insofern ein Grund zur Sorge, als dass sie ein Symptom der Chancenungleichheit im deutschen Bildungssystem darstellen. Ersichtlich wird dies z.B. in der Studie von Tiedemann/Billmann-Mahecha von 2004, in der festgestellt wurde, dass schon in der Grundschule Schüler*innen mit deutschsprachigem Hintergrund signifikant besser im Mathematikunterricht abschneiden. Die Langzeitstudie von SOKKE, welche 2009 bis 2013 Grundschüler*innen untersuchte, zeigte, dass die Unterschiede von Klasse 1 an bestehen und keinesfalls beim „durchlaufen“ der Klassen minimiert werden. Dies scheint sehr bedenklich zu sein. Zudem gibt es generell laut des Integrationsreports des BAMF auch Unterschiede je nach Migrationshintergrund – bspw. schneiden russische und polnische Schüler*innen besser ab als Schüler*innen aus Serbien oder Italien (Siegert 2008:4). Dies bedeutet also, das Schüler*innen mit Migrationshintergrund von Beginn des Schuleinstiegs institutionell benachteiligt sind – dies sollte allerdings ein großer Grund zur Sorge sein.
Das zweigliedrige Schulsystem fördert meiner Meinungen nach diese Ungleichheit noch weiter. Statistiken zeigen, dass Schüler*innen mit Migrationshintergund seltener Gymnasien oder Universitäten besuchen (vgl. DGB 2010), sogenannte „Arbeiterkinder“ studieren seltener (vgl. Hochschulreport 2019). Viele Schüler*innen mit Migrationshintergrund haben nicht die Möglichkeit, auf ein Gymnasium zu gehen, weil zum Beispiel die Lehrer*innen denken, dass ihre Eltern sie nicht genug unterstützen können oder andere soziale Umdeutungen anstellen und ihnen entsprechende Schullaufbahnempfehlungen ausstellen (vgl. Bauer 2010). Gomolla und Radtke sprechen hierbei auch von institutioneller Diskriminierung. Die Studie der Rostocker Universität zur Inklusion, welche seit 2010 läuft, zeigt, dass „leistungsstärkere“ Schüler*innen in den Inklusionsklassen keine Leistungseinbrüche haben, „leistungsschwache“ Schüler*innen jedoch davon profitieren können (vgl. Universität Rostock: RIM- Evalutationsberichte ). Ich persönlich denke, dass wir als Studierende oftmals zu unkritisch mit unserem Bildungssystem umgehen – denn wir gehen aus diesem selektierenden System als „Gewinner“ hervor (schließlich konnten wir Abitur machen und studieren nun Lehramt).
2. Spielen im Mathematikunterricht, kann das angesichts von Leistungsunterschieden ein Ansatz sein? Beziehen und begründen Sie eine Position aus Lehrenden-Sicht, die auch Schülersichtweisen einbezieht.
Für den/die Lehrer*in kann das Spielen im Unterricht vorteilhaft sein, da dabei gut beobachtet werden kann,ob die Schüler*innen Regeln begreifen, Strategien entwickeln und Zusammenhänge zwischen den fachlich gelernten Inhalten und dem Spiel erkennen und nutzen können. Für die Schüler*innen kann das Spiel zum einen eine größere Motivation zur Unterrichtsteilnahme sein, da sie sozial interagieren können, während sie lernen. Zudem ist die Aktivität „spielen“ für Kinder weniger negativ besetzt als das schulische Lernen. Auch kann dabei praktischer Nutzen von gekernten Inhalten gut verdeutlicht werden, wie am Beispiel des Spiels „Differenz“ aus der Vorlesungsfolie deutlich wurde. Vorteilhaft war es nämlich für die Kinder, das fachlich gelernte anzuwenden. Zudem können die Kinder durch den Austausch untereinander voneinander lernen in dem sie z.B. Strategien „abschauen“.
3. Spielen kann im Handeln „stecken bleiben“, das Denken kommt zu kurz. Formulieren Sie zwei Fragen, welche Ihnen helfen können, mögliche Denkhandlungen von Lernenden zu beobachten.
Hat der/die Schüler*in eine Strategie beim Spielen?
Kann der/die Schüler*in seine/ihre Strategie in Worte fassen?
4. Benennen Sie zwei unterschiedliche Möglichkeiten, wie Sie als Lehrkraft ausgehend vom Spielen eine weitere kognitive Aktivierung von Lernenden anregen können.
Eine Möglichkeit ist es, da ab der Sekundarstufe neuropsychologisch gesehen zunehmend auch die Metaebene besser genutzt werden kann, Aufgaben und Übungen zur Reflexion des eigenen Handelns beim Spielen in die Klasse zu geben. So könnten die Spielstrategien der gesamten Klasse zusammengetragen werden und danach die Kinder diese Strategien ausprobieren lassen. Dabei Schüler*innen die Schüler*innen dann herausfinden, welche Strategie sich besonders gut eignet und darüber diskutieren.
Auch könnten die Schüler*innen die Strategien auf andere Spiele übertragen um zu überprüfen, ob diese Strategien auch in anderen Kontexten hilfreich sein können. Dabei kann überlegt werden, warum eine Strategie aufgeht, oder warum nicht.
Quellenverzeichnis außerhalb der Vorlesungsfolien:
1. Siegert, Manuel (2008): Schulische Bildung von Migranten in Deutschland, aus der Reihe Integrationsreport Teil 1, Working Paper 13 der Forschungsgruppe des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, online unter https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/WorkingPapers/wp13-schulische-bildung.pdf?__blob=publicationFile&v=11 zuletzt aufgerufen am 19.05.2020
2. Statistisches Bundesamt (2010): Jugendliche mit Migrations-hintergrund: Am Arbeitsmarkt doppelt benachteiligt in: DGB Arbeitsmarkt Aktuell Nr.06 S.3
3. Hochschulbildungsreport 2020 online unter http://www.hochschulbildungsreport2020.de/handlungsfelder/chancengerechte-bildung zuletzt aufgerufen am 20.05.2020
4. Bauer, Christine (201o): Bildungsbenachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund, erschienen in: Migrationspolitisches Portal Heimatkunde Heinrich Boll Stiftung, online unter https://heimatkunde.boell.de/de/2010/04/01/bildungsbenachteiligung-von-kindern-mit-migrationshintergrund zuletzt aufgerufen am 19.05.2020
5. Gomolla, Mechthild & Radtke, Frank-Olaf (2007): Institutionelle Diskriminierung.: Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule.
6.Voß,Stefan/ Marten,Katharina/ Mahlau,Kathrin/ Sikora,Simon/ Hartke, Bodo : Zum Leistungs- und Entwicklungsstand inklusiv beschulter Schülerinnen und Schüler mit (sonder-)pädagogischen Förderbedarfen auf der Insel Rügen, online unter: https://www.rim.uni-rostock.de, zuletzt aufgerufen am 19.05.2020
Bildverzeichnis:
„Calm down Einstein“ von https://me.me/t/calm-down-calm-down zuletzt aufgerufen am 20.05.2020
2 Antworten auf „RV05 Mathematische Leistungsunterschiede – empirische Befunde und Konsequenzen für den Mathematikunterricht“
Der Artikel zum Thema Mathematische Leistungsunterschiede ist sehr ausführlich aufgebaut und berücksichtigt nicht nur die Quellen aus der Vorlesung, was ich persönlich als sehr erstrebenswert erachte.
Die Einleitung finde ich sehr gelungen. Sie macht auf die problematische Situation aufmerksam und die Autorin positioniert sich direkt zu Anfang. Ich stimme ihr zu, dass Unterschiede zum sog. „Menschsein“ gehören und finde es gut, dass sie danach dennoch auf die Unterschiede eingeht und sie nicht ignoriert. Ich persönlich schreibe die Fragen aus der Vorlesung nicht in den Text, da ich sie als störend empfinde beim Lesefluss, aber das ist wohl eine Frage des Geschmackes. Die Autorin erläutert außerdem welche Vorteile Spiele im Unterricht mit sich bringen, allerdings fehlt mir an dieser Stelle die Beleuchtung der Nachteile. Die Strategie am Ende empfinde ich als eine sehr gute Möglichkeit, da die Schüler selbst muteinbezogen werden und die Lehrkräfte nicht alleine die Strategie durchführen. Was mir gefehlt hat ist der Bezug zu der Autorin selbst als Lehramtsstudentin. Welche Schwierigkeiten ergeben sich speziell für uns? Wie können wir damit am Besten umgehen?
Alles in allem ist dies ein sehr gelungener Blogbeitrag, mit dem ich mich als Lehramtsstudentin sehr gut identifizieren kann.
Liebe Anna-Marie,
Vielen Dank für dein Feedback. Da hast du wohl recht, die Nachteile habe ich nicht beleuchtet, daher möchte ich dir diesem Kommentar ein Nachteil nennen. Meiner Ansicht nach besteht die Gefahr beim Spielen darin, dass, wie in der Vorlesung schon gesagt, der Übertrag vom konkreten Handeln zum reflektierten Problemlösen vergessen werden könnte, da die Kinder zu sehr in das Spielen vertieft sind. Der/die Lehrer*in muss diesen Übertrag immer im Sinn behalten, denn sonst ergibt sich kein Lernfortschritt (vgl. Nassehi, Armin „Unser Umfeld beeinflusst, wie intelligent wir werden“ bei Hörsaal- Deutschlandfunknova vom 08.02.2020). Damit denke ich, kann ich dir auch die Frage nach den Schwierigkeiten beantworten – wie kann ich als Lehrkraft die Stunde so gestalten, dass die Kinder im Spiel schaffbare, aber nicht zu einfache, Probleme lösen können? Wie schaffe ich möglichst flexible Transferaufgaben?