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RV 06 Meint Inklusion wirklich alle? Aktuelle Diskussionslinien und praktische Umsetzung

 

1. Benennen Sie bitte die für Sie zentralen theoretischen Aspekte aus der Vorlesung und begründen Sie die Auswahl.

  • Die zentralen Aspekte der Ringvorlesung 06 von Dr. Eileen Schwarzenberg waren für mich zum einen die übergeordneten Phasen der Inklusion und das Verständnis davon, was Inklusion bedeutet, um auf dieser Grundlage einordnen zu können, wo sich unser Bildungssystem überhaupt verordnen lässt, nämlich in der „inklusiven Exklusion“. Zum anderen schien mir das Soziale Modell der Behinderung, in welchem Behinderung als Soziale Konstruktion verstanden wird, als zentral, da die soziale Komponente von Behinderung in der Gesellschaft allgemein noch nicht durchgedrungen zu sein scheint – ansonsten ließe sich kaum der Disableismus erklären, dem Menschen mit Behinderung noch sehr häufig begegnen. Ein wichtiger Faktor, der in der Vorlesung nur kurz benannt wurde, ist auch die Intersektionalität. Bestimmte zugesprochene „Merkmale“ treffen auf verschiedene Schüler*innen zu und somit kann es zu einer privilegierten („Deutsch als Muttersprache“, „heterosexuell“, „christlich“, „Elternhaus mit gutem Einkommen“) oder benachteiligten Position und diversen Korrelationen kommen (die dann wie in dem Beispiel der „Jungs-Schule“ auch als Kausalität verwechselt werden). Eine Sache, die in dem Video weniger direkt angesprochen wird, für mich aber in dem Titel und in dem Thema Intersektionalität deutlich wird und mir sehr wichtig erscheint, ist, dass Inklusion sind nicht nur auf Menschen mit Behinderung bezieht, sondern wirklich auf ALLE  Menschen –  unabhängig von Migrationhintergrund, Religion, Behinderung, Gender, Sexuelle Orientierung usw. – jeder hast das gleiche Recht auf Bildung und ist dieser gleich würdig

2. Lesen Sie bitte die Fallbeispiele (unten als Datei angehängt; auch auf Stud.IP im Dateiordner RV06 zugänglich) und beantworten die Fragen.

  • Finn: Bei Finn viel mir als erstes auf, dass er, da kein Förderschwerpunkt „ausgewiesen“ zu scheint, keine besonderen Hilfestellungen bekommt. Dies hat mich insofern beim Lesen geärgert, als dass ich es schade finde, dass nicht präventiv gehandelt wird, sondern erst mit der Feststellung des Förderbedarf konkret gehandelt wird, und wieder die Ressourcenverteilung durch Feststellen von Förderbedarfen passiert. Warum kann Finn nicht auch ohne den Förderbedarf besser unterstützt werden?  Um seinen Lernprozess besser unterstützen zu können, wäre es sicherlich hilfreich mit ihm an seiner eigenständigen Arbeitsweise zu arbeiten und ihm viel Struktur zu bieten, da ihm die Freiarbeitsphasen besonders Probleme bereiten.

    Hanna: Bei Hanna fragte ich mich, ob sie die Förderung als eine Sonderbehandlung empfindet, welche sie als „schlechtere“ Schülerin outet, da bei ihr der Förderbedarf anerkannt ist, sie aber als besonders motiviert beschrieben wird, wenn sie die gleichen Aufgaben wie ihre Mitschüler*innen lösen kann. Bei Hanna scheint es mir wichtig, dass sie z.B. die Aufgaben, die sie lösen soll, selbst wählen kann ( z.B. Stationsarbeit, Wahl von unterschiedlichen Aufgabenniveaus). Man sollte auf jeden Fall miteinbeziehen, dass sie mehr Zeit für Aufgabenbearbeitungen braucht.Malik: Bei Malik fiel mir auf, dass er zum einen sehr schüchtern zu sein scheint (Selbstwertgefühl?) und zum anderen ein sehr gutes Gedächtnis hat. An dieser Stelle wäre es sinnvoll, wenn die Lehrkraft in den Unterrichtsstunden Möglichkeiten schafft, in denen er seine gute Gedächtnisleistung ins der Klasse nutzen kann und einen mündlichen Beitrag geben kann, eventuell auch durch eine feste Struktur oder ein Ritual der ganzen Klasse, sodass alle einbezogen werden. Da Malik noch bei einigen Namen seiner Mitschüler Problem hat, könnte man hierzu Merkspiele machen (Musikprojekt: Ein Lied mit allen Schülern der Klasse erfinden)  oder für einige Zeit noch Namensschilder aufbauen, damit er sich die Buchstabenfolgen der Namen besser merken kann.Lena: In dem Beispiel von Lena ist mir positiv aufgefallen, dass sie durch tägliche wiederkehrende Aufgaben in die Klassengemeinschaft eingebunden wird. Durch die körperliche Beeinträchtigung ist es wichtig, dass im Klassenraum genug Platz für den Rollstuhl ist, sodass Lena sich frei bewegen kann. Ich fände es weiterhin sinnvoll, Aufgaben für Lena zu suchen, die sie ohne ihre Assistenz schafft.

2. Reflektieren Sie bitte anschließend Ihre bisherigen Erfahrungen an Schulen:
a) Wie würden Sie ihre Erfahrungen im Hinblick auf die theoretischen Aspekte aus der Vorlesung einordnen? (u.a. Modelle von Behinderung, „inkludierende Exklusion“).

b) Welchen Meinungen sind Ihnen im Praktikum / in Praxiserfahrungen insbesondere zu der Frage der Inklusion von SuS mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Oberschulen und Gymnasien begegnet und welche Auffassung vertreten Sie selbst?

  • In meiner eigenen Schullaufbahn gab es keine Inklusion von Menschen mit Behinderungen, ja nicht einmal eine Integration. In meiner Klasse und in meinem Jahrgang gab es keine Schüler*innen mit sonderpädagogischem Status, es gab maximal Förder- und Forderunterricht, dieser war jedoch einfach an „leistungsschwachen“ oder „leistungsstarken“ Schüler*innen orientiert. Während meiner Schulzeit änderte die Schule ihr Konzept immer wieder – die Schülerschaft wurde tatsächlich zunehmend vielfältiger und neue Schulgebäude wurden angepasst, in dem z.B. jeder Klassenraum einen kleinen Gruppenraum bekam. Diese Änderungen betrafen mich jedoch nicht mehr, sodass ich durch die Institution Schule leider keine Berührungspunkte mit dem Thema „Behinderung“ in klassischem Sinn hatte. Man kann also sagen, dass ich aus der Ferne die Entwicklung von der Exklusion zur inkludierenden Exklusion an meiner Schule beobachten konnte (von einer kooperativen zu einer integrativen Gesamtschule). Besonders schade finde ich diese diesbezügliche „Erfahrungsarmut“ unter dem Aspekt, dass, meiner Meinung nach, durch Interaktion und Berührungen mit Betroffenen ein guter Diskurs Sichtbarkeit entsteht, und sich nur so die Denkweise einer Gesellschaft ändern lässt -nämlich zunehmend Behinderung als soziale Konstruktion zu verstehen und dadurch (auch unterbewusst) diskriminierenden Aussagen und Handlungsweisen entgegenzuwirken. Ich kann zwar nicht aus Erfahrungen eines Schulpraktikums berichten, aber aus meinem Berufsleben. Ich habe in Niedersachsen als Logopädin gearbeitet, ein Großteil der Patient*innen die ich behandeln durfte hatte Beeinträchtigungen oder waren „behindert“ (Anm. der Autorin: Das Wort „behindert“ habe ich deshalb in Anführungszeichen gesetzt, da mir der Unterschied von „behindert sein“ und „behindert werden“ bewusst ist und ich hiermit zeigen möchte, dass ich diesen Begriff in dem Wissen benutze, dass diese Patienten in dem Gesundheitssystem so gesehen werden). Gerade in einem Beruf, der aus der Medizin abgeleitet ist, und in dem man Ärzten „untersteht“ und ihnen zuarbeitet, wurde das medizinische Modell, wenn dieses auch zunehmend verbessert wurde indem beispielsweise nach ICF gearbeitet wurde, propagiert und als einziges mögliches Modell dargestellt. In vielen Elterngesprächen mit stärker betroffener Kindern waren die Eltern froh, wenn ihre Kinder in spezielle Klassen für Sprachförderung oder in den Sprachheilkindergarten kamen, da sie das Gefühl hatten, nur dort bekämen ihre Kinder spezifischere Hilfe. Oft stand hinter dieser Ablehnung der Inklusion die Angst, dass das eigene Kind nicht genügend beachtet und gefördert wird, und die Probleme sich somit verstärken und ihr Kind von der Gesellschaft „abgehängt“ wird. Ich bin der Ansicht, dass Inklusion nach derzeitigem Wissensstand die einzige Option ist, die ALLE Menschen würdigt und gleich behandelt, weswegen meiner Meinung nach der negativen Presse eine positive Öffentlichkeitsarbeit entgegengestellt werden muss. Denn jede*r hat das gleiche Recht auf Bildung, dies ist auch in der UN-Behindertenrechtskonvention festgehalten.

3. Formulieren Sie bitte eine Beobachtungaufgabe für den inklusiven Unterricht für zukünftige Praktika.

  • Beobachtungsfragen, die man sich als Lehrkraft in Bezug zu, inklusive Unterricht stellen könnte, wäre zum Beispiel:
    Auf welche Weise werden die sonderpädagogischen Lehrkräfte eingesetzt, nur als „Aufpasser“ für Schüler*innen mit störenden Verhaltensweisen (Schäferhund-Pädagogik)?
    Wie nehmen Schüler*innen mit festgestelltem Förderbedarf sich selber wahr, wirkt der Förderbedarf sich negativ oder positiv auf ihr Selbstwertgefühl aus?
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RV05 Mathematische Leistungsunterschiede – empirische Befunde und Konsequenzen für den Mathematikunterricht

1. Sind Unterschiede in den mathematischen Leistungen von Schülerinnen und Schülern ein Grund zur Sorge? Welche Bedeutung kommt dem zweigliedrigen Schulsystem (Oberschule / Gymnasien) in Bremen diesbezüglich zu?

Im Allgemeinen müssen Unterschiede an sich kein Grund zur Sorge sein- jeder Mensch schneidet im Vergleich zu jemand anderem besser oder schlechter ab – der eine ist schöner, reicher, klüger usw. Die bittere Erkenntnis, schlechter als jemand anders zu sein, gehört meiner Meinung nach zum „Menschsein“ dazu, in jeglicher Dimension (Alter, Intelligenz, etc.).

Die Unterschiede in den mathematischen Leistungen von Schüler*innen sind insofern ein Grund zur Sorge, als dass sie ein Symptom der Chancenungleichheit im deutschen Bildungssystem darstellen. Ersichtlich wird dies z.B. in der Studie von Tiedemann/Billmann-Mahecha von 2004, in der festgestellt wurde, dass schon in der Grundschule Schüler*innen mit deutschsprachigem Hintergrund signifikant besser im Mathematikunterricht abschneiden. Die Langzeitstudie von SOKKE, welche 2009 bis 2013 Grundschüler*innen untersuchte, zeigte, dass die Unterschiede von Klasse 1 an bestehen und keinesfalls beim „durchlaufen“ der Klassen minimiert werden. Dies scheint sehr bedenklich zu sein. Zudem gibt es generell laut des Integrationsreports des BAMF auch Unterschiede je nach Migrationshintergrund – bspw. schneiden russische und polnische  Schüler*innen besser ab als Schüler*innen aus Serbien oder Italien (Siegert 2008:4). Dies bedeutet also, das Schüler*innen mit Migrationshintergrund von Beginn des Schuleinstiegs institutionell benachteiligt sind – dies sollte allerdings ein großer Grund zur Sorge sein.

Das zweigliedrige Schulsystem fördert meiner Meinungen nach diese Ungleichheit noch weiter. Statistiken zeigen, dass Schüler*innen mit Migrationshintergund seltener Gymnasien oder Universitäten besuchen (vgl. DGB 2010), sogenannte „Arbeiterkinder“ studieren seltener (vgl. Hochschulreport 2019). Viele Schüler*innen mit Migrationshintergrund haben nicht die Möglichkeit, auf ein Gymnasium zu gehen, weil zum Beispiel die Lehrer*innen denken, dass ihre Eltern sie nicht genug unterstützen können oder andere soziale Umdeutungen anstellen und ihnen entsprechende Schullaufbahnempfehlungen ausstellen (vgl. Bauer 2010). Gomolla und Radtke sprechen hierbei auch von institutioneller Diskriminierung. Die Studie der Rostocker Universität zur Inklusion, welche seit 2010 läuft, zeigt, dass „leistungsstärkere“ Schüler*innen in den Inklusionsklassen keine Leistungseinbrüche haben, „leistungsschwache“ Schüler*innen jedoch davon profitieren können (vgl. Universität Rostock: RIM- Evalutationsberichte ). Ich persönlich denke, dass wir als Studierende oftmals zu unkritisch mit unserem Bildungssystem umgehen –  denn wir gehen aus diesem selektierenden System als „Gewinner“ hervor (schließlich konnten wir Abitur machen und studieren nun Lehramt).

2. Spielen im Mathematikunterricht, kann das angesichts von Leistungsunterschieden ein Ansatz sein? Beziehen und begründen Sie eine Position aus Lehrenden-Sicht, die auch Schülersichtweisen einbezieht.

Für den/die Lehrer*in kann das Spielen im Unterricht vorteilhaft sein, da dabei gut beobachtet werden kann,ob die Schüler*innen Regeln begreifen, Strategien entwickeln und Zusammenhänge zwischen den fachlich gelernten Inhalten und dem Spiel erkennen und nutzen können. Für die Schüler*innen kann das Spiel zum einen eine größere Motivation zur Unterrichtsteilnahme sein, da sie sozial interagieren können, während sie lernen. Zudem ist die Aktivität „spielen“ für Kinder weniger negativ besetzt als das schulische Lernen. Auch kann dabei praktischer Nutzen von gekernten Inhalten gut verdeutlicht werden, wie am Beispiel des Spiels „Differenz“ aus der Vorlesungsfolie deutlich wurde. Vorteilhaft war es nämlich für die Kinder, das fachlich gelernte anzuwenden. Zudem können die Kinder durch den Austausch untereinander voneinander lernen in dem sie z.B. Strategien „abschauen“.

3. Spielen kann im Handeln „stecken bleiben“, das Denken kommt zu kurz. Formulieren Sie zwei Fragen, welche Ihnen helfen können, mögliche Denkhandlungen von Lernenden zu beobachten.

Hat der/die Schüler*in eine Strategie beim Spielen?

Kann der/die Schüler*in seine/ihre Strategie in Worte fassen?

4. Benennen Sie zwei unterschiedliche Möglichkeiten, wie Sie als Lehrkraft ausgehend vom Spielen eine weitere kognitive Aktivierung von Lernenden anregen können.

Eine Möglichkeit ist es, da ab der Sekundarstufe neuropsychologisch gesehen zunehmend auch die Metaebene besser genutzt werden kann, Aufgaben und Übungen zur Reflexion des eigenen Handelns beim Spielen in die Klasse zu geben. So könnten die Spielstrategien der gesamten Klasse zusammengetragen werden und danach die Kinder diese Strategien ausprobieren lassen. Dabei Schüler*innen die Schüler*innen dann herausfinden, welche Strategie sich besonders gut eignet und darüber diskutieren.

Auch könnten die Schüler*innen die Strategien auf andere Spiele übertragen um zu überprüfen, ob diese Strategien auch in anderen Kontexten hilfreich sein können. Dabei kann überlegt werden, warum eine Strategie aufgeht, oder warum nicht.

Quellenverzeichnis außerhalb der Vorlesungsfolien:

1. Siegert, Manuel (2008): Schulische Bildung von Migranten in Deutschland, aus der Reihe Integrationsreport Teil 1, Working Paper 13 der Forschungsgruppe des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, online unter https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/WorkingPapers/wp13-schulische-bildung.pdf?__blob=publicationFile&v=11 zuletzt aufgerufen am 19.05.2020

2. Statistisches Bundesamt (2010): Jugendliche mit Migrations-hintergrund: Am Arbeitsmarkt doppelt benachteiligt in: DGB Arbeitsmarkt Aktuell Nr.06 S.3

3. Hochschulbildungsreport 2020 online unter http://www.hochschulbildungsreport2020.de/handlungsfelder/chancengerechte-bildung zuletzt aufgerufen am 20.05.2020

4. Bauer, Christine (201o): Bildungsbenachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund, erschienen in: Migrationspolitisches Portal Heimatkunde Heinrich Boll Stiftung, online unter https://heimatkunde.boell.de/de/2010/04/01/bildungsbenachteiligung-von-kindern-mit-migrationshintergrund zuletzt aufgerufen am 19.05.2020

5. Gomolla, Mechthild & Radtke, Frank-Olaf (2007): Institutionelle Diskriminierung.: Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule.

6.Voß,Stefan/ Marten,Katharina/ Mahlau,Kathrin/ Sikora,Simon/ Hartke, Bodo : Zum Leistungs- und Entwicklungsstand inklusiv beschulter Schülerinnen und Schüler mit (sonder-)pädagogischen Förderbedarfen auf der Insel Rügen, online unter: https://www.rim.uni-rostock.de, zuletzt aufgerufen am 19.05.2020

Bildverzeichnis:
„Calm down Einstein“ von https://me.me/t/calm-down-calm-down zuletzt aufgerufen am 20.05.2020

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RV04 – „Lässt sich ‚Heterogenität‘ im Klassenzimmer beobachten und was sieht man, wenn man so guckt?“

1. Wie begründen die Autor*innen dass sie nicht ´Differenz´ sondern ´Praktiken der Differenzierung` untersuchen wollen? Können Sie hier auch Bezüge zur Einführungsvorlesung über „Heterogenität“ herstellen?

Als Differenz bezeichnen Rose und Gerkmann „das Ergebnis eines (sicherlich z.T. impliziten) Vorganges des Unterscheidens […], der voraussetzt, Unterschiede zwischen Objekten oder Subjekten wahrzunehmen, zu identifizieren und zuzuschreiben. Sie also buchstäblich zu machen, indem etwas aufeinander bezogen, dabei aber vor allem ‚auseinander getragen‘ wird“ (Rose/Gerkman 2015: 139). Daraus folgt, dass Differenzen keine Gegebenheiten sind, die einfach nur wahrgenommen und benannt werden müssen, sondern dass Differenzen sich aus der Interaktion ergeben. Daher betrachten die Autorinnen es als sinnvoll, sich nicht den Differenzen direkt zu widmen, sondern vielmehr dem Entstehen, also den „Praktiken der Differenzierung“. Dies scheint mir auch insofern sinnvoll, da das Thema Heterogenität, auf welches die beiden Autorinnen auf Seite 192 kurz eingehen, die Differenzkategorien auch bereits betrachtet  (welche Kategorien gibt es, welche Machtgefälle/Privilegien existieren etc.).

2. Die Studie befasst sich mit individualisiertem Unterricht in der Sekundarschule und analysiert Kommunikationsprozesse zwischen Schüler*innen in der Gruppenarbeit im Projektunterricht. Inwiefern spiegelt sich in diesen Prozessen die „soziale Konstruktion von Leistungen“ wieder? Anders gefragt: Wie stellen die Schüler*innen leistungsbezogene Differenz her?

Um zu klären, wie Schüler*innen eine leistungsbezogene Differenz herstellen, muss erst einmal geklärt werden, welche Mechanismen der Differenzierung zugrundeliegen. Rose und Germann sprechen bei drei verschiedene Aspekte an: Das implizite Wissen über soziale Geregeltheit, „Verhaltensroutinen“ und Legitimität bzw. Normativität (Rose/Gerkmann 2015: 193). Wenn differenziert wird, bedeutet dies immer zugleich, dass eine gewissen Norm oder Kategorie zugrunde gelegt wird, anhand derer dann entschieden wird, welche Differenz gebildet wird (Rose/Gerkmann 2015: 194). Diese werden dann durch Verhaltensweisen verstärkt oder gehemmt, wobei unterbewusst  das Wissen um soziale Stellungen einfließt. Hier spielen auch Erwartungen an Normalformen eine große Rolle, welche auch schon in den anderen Seminaren („doing culture“) oder beim Thema Inklusion (Ableism) eine große Beachtung finden. Zudem machen Rose und Gerkmann auch darauf aufmerksam, dass sich bei jeder stattfindenden Differenzierung die Differenzierung selber weiter festigt und bestätigt (oder eben infrage gestellt wird). Hier kann man Parallelen zur Habitus-Theorie Bourdieus erkennen, die unter anderem besagt, dass sich gewisse Verhaltensweisen unterbewusst durch unsere Sozialisation reproduzieren (vgl. Bourdieu 1997: 33, Bourdieu 1998: 99,116,117). Diese Erwartungen und Normen, auf denen die Differenzierung beruht, sind soziale Konstrukte, weswegen man sagen kann, dass auch die Differenzkategorien nicht objektiv beobachtbare Kategorien, sondern konstruierte Phänomene sind.

Im Falle der Schüler stellt es sich so dar, dass sie als unterbewusste Norm Erwartungen an die Positionen „leistungsstark“ bzw „leistungsschwach“ haben; „leistungsstarke“ Schüler*innen zeigen sich bspw. aufmerksam, gucken sich an, beziehen sich auf den gemeinsamen Gegenstand usw – um in diese Kategorie zu kommen, muss der Schüler in jedem Falle so tun, als ob(Rose/Gerkmann 2015: 204). So werden die Schüler in unterschiedliche Positionen gebracht, und wiederum entsprechend ihrer Position adressiert – was wiederum zur Verstärkung der Position führt. In der Schule führt die „Omnipräsenz von Noten“ (Rose/Gerkmann 2015: 205) dazu, dass die Leistungsbewertung von Schüler*innen einen große Stellenwert einnimmt. Da Schule ein sozialer Ort wird, wird laut Rose und Gerkmann eine Übersetzung in eine soziale Dimension- als Sympathien/Antipathien oder Nähe/Distanz vollzogen (Rose/Gerkmann 2015: 206). Hierdurch verstärken die Schüler*innen unter sich die leistungsorientierte Kategorisierung.

3. Erläutern Sie, inwiefern sich die von Rose und Gerkmann festgehaltenen Beobachtungen von schultypischen Differenzierungen (nicht nur bezogen auf Leistung) innerhalb von Gruppenarbeiten mit Ihren eigenen Erfahrungen decken. Diskutieren Sie Ihre eigenen Erfahrungen vor dem Hintergrund des Textes!

Die in dem Text behandelten Situationen aus Gruppenarbeiten sind sehr weit verbreitet –  im Internet gibt es sogar Memes, bei denen es genau darum geht: Ein Teil der Gruppe arbeitet und der andere Teil der Gruppe lehnt sich zurück. Dies habe ich in meiner Schulzeit sehr häufig erlebt. Es gab eigentlich in jeder Klassenstufe bei mir „diese*n Eine*n“, bei dem man immer insgeheim hoffte, nicht mit ihr/ihm in eine Gruppe gesteckt zu werden. Dass hierbei jedoch verschiedene gruppendynamische Prozesse und Differenzierungsprozesse zugrundeliegen, haben wohl die wenigsten im Hinterkopf. Meiner Einschätzung nach würden die meisten „aktiven“ Schüler*innen von sich behaupten, gute Gruppenmitglieder zu sein und nicht die“inaktiveren“ Schüler*innen unterbewusst durch ihre Verhaltensroutinen in ihrer Aktivität zu hemmen – in den Beispielen im Text wurde jedoch sehr deutlich, dass die Schülerinnen, die sehr aktiv waren, genau dies unterbewusst taten.

 

Quellenverzeichnis:

1. N. Rose, A. Gerkmann (2015): Differenzierung unter Schüler_innen im reformorientierten Sekundarschulunterricht – oder: warum wir vorwiegend ‚Leistung’ beobachten, wenn wir nach ‚Differenz’ fragen in ZQF, 16.JG

2 . P. Bourdieu (1997): Die verborgenen Mechanismen der Macht Hamburg: VS Verlag (Stangl, 2020)

3. P. Bourdieu (1998): Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt am Main : Suhrkamp Verlag (Stangl, 2020)

Bildverzeichnis:

„Hangover Group Work“ von https://9gag.com/gag/aAYWqe0/hangover-group zuletzt aufgerufen am 12.05.2020