Der Umgang mit der Dis/ability als Teil des Schulsystems – Die Förderschule

Einstieg in die Thematik – Dis/ability History

 

Was ist Behinderung? Was zeichnet einen behinderten Menschen aus? Welcher Platz wird diesen Menschen in der Gesellschaft zugeschrieben? Ein Großteil der Befragten wird sich wohl dabei erwischen lassen müssen, den Begriff „Behinderung“ mit Attributen wie Einschränkung, Schwäche und/ oder Unfähigkeit zu umschreiben. Doch soll es gerade diese herrschende, reduktionistische Sichtweise sein, die die „Disability Studies“ zu hinterfragen versucht. Sie beschreibt Behinderung nicht als eindeutige Kategorie, sondern als komplexen, unscharfen Oberbegriff, der unterschiedliche körperliche, psychische und kognitive Merkmale unter sich vereint. Mit dem Grundsatz, Behinderung sei nicht die Ausnahme, die es zu kurieren gilt, sondern die Regel, die einfach zu akzeptieren wäre, verfolgen sie die Intention eines kritischen Perspektivenwechsels auf das Phänomen Behinderung: Dieses galt nämlich als Abgrenzungsmittel, um kulturell vorgegebene Vorstellungen von Körperlichkeit, Subjektivität und Funktionalität aufrechtzuerhalten. Der gesellschaftspolitische Hintergrund, der kulturelle Kontext und die historischen Entwicklungspfade sollen gesellschaftliche Ausgrenzungs- und Diskriminierungsmechanismen aufdecken, die den Ursprung der Kategorie Behinderung bilden.Neben dieser kritisierten körperlichen Behinderung eröffnen die Studien das Feld der Behinderung als soziale oder kulturelle Konstruktion: Beide sehen Behinderung nicht als das Ergebnis medizinischer Pathologie, sondern als kulturelles und gesellschaftliches Differenzierungsmerkmal. Da es die Er-kenntnisse der Vergangenheit braucht, um die Gegenwart zu verstehen, enthält der historische Blick auf Behinderung ein großes Erkenntnisinteresse. Dies führte zur Herausbildung der „Dis/ability His-tory“, die sich in der heutigen Zeit nachhaltig akademisiert und ausdifferenziert hat. Sie distanziert sich deutlich von der Wissenschafts- und Institutionengeschichte, da diese lediglich Erfolgsgeschichten ärztlichen Handelns in den Vordergrund stellen; die „Dis/ability History“ will ferner eine Geschichte mit und nicht der Behinderung sein. Ob sie im Vergleich zur allgemeinen Geschichtsschreibung eine Segmentgeschichte oder gar eine Neuschreibung darstellt, wie unter anderem G. Lingelbach und A. Waldschmidt bereits diskutierten – fest steht, dass beide Ansätze das Ziel verfolgen, Forschungslücken zu füllen, die in der Geschichtswissenschaft bisher ignoriert wurden.Dieses Projekt der „Dis/ability History“ wirft einen historischen Blick auf das Konzept der „Dis/ability“ im deutschen Bildungssystem. Die hier aufgezeigte Geschichte der Förderschule ist stark mit dem Begriff der Inklusion verknüpft – ihr Schicksal ist heutzutage gar von diesem abhängig.Im Zuge der Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention (siehe entsprechenden Artikel) hat sich Deutschland dem schritthaften Abbau der Schulform verpflichtet, um Rahmenbedingungen einer inklusiven Gesellschaft gerecht zu werden. Doch was ist mit Inklusion überhaupt gemeint? Der Begriff erscheint im Bildungsdiskurs omnipräsent und scheint doch vorrangig im Umgang mit Menschen mit Behinderungen zusammenzuhängen. Dies trifft allerdings nicht das weite Ausmaß eines elementaren Terminus, der – wie bereits angeschnitten – nicht nur für schulische, sondern insbesondere soziale Aspekte eine wichtige Rolle spielt. Um dessen Bedeutung zu unterstreichen, soll es in diesem Artikel vorrangig um den Begriff gehen, bevor aus jenem die Legitimität des vorliegenden Projektes abgeleitet werden soll.

Einstieg in die Thematik – Inklusion

Im Diskurs um Inklusion stellen sich zunächst zwei wesentliche soziologische Bedeutungsebenen dar.

Die erste ist die menschenrechtlich geprägte Strömung um Inklusion. Sie setzt den Fokus auf die ständige soziale Teilhabe jedes Individuums. Dementsprechend fordert der Ansatz die Entwicklung der Gesellschaft hin zu einer an allen gleichberechtigten Einzelpersonen orientierten, bedürfnisgerechten Ausrichtung. Ein wichtiger Faktor dabei ist die Anerkennung von Heterogenität als Normalität und Wirklichkeit einer Gesellschaft. Die Umsetzung dieser Strukturen obliegt dabei der gesamten Gesellschaft, dessen nachdrückliches Engagement Voraussetzung ist.

Der zweite bedeutsame Diskurs ist der sozialpolitische Ansatz bzw. die soziale Inklusion und führt die menschenrechtliche Perspektive weiter aus. Vergleichbar mit der erstgenannten Strömung geht es auch hier um Teilhabe. Allerdings liegt der Schwerpunkt in sozialpolitischen Zusammenhang mehr auf Zugangschancen und Teilhabemöglichkeiten zu einer Gesellschaft. Wesentliche Faktoren sind dabei Solidarität sowie soziale Gerechtigkeit. Die Verwirklichung dieser Punkte zu Gunsten einer vorurteilsfreien und vielfältigen Kultur, welche von gegenseitiger Wertschätzung und Respekt geprägt sein soll, ist hier nicht mehr nur Aufgabe der Individuen. Vielmehr soll der Staat mit dafür Sorge tragen, dass Strukturen geschaffen werden, die „das Recht des Einzelnen auf eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe an allen gesellschaftlichen Teilbereichen gewährleistet“ (Alicke u.a. 2015: 43).

Die aufgezeigten Merkmale des Inklusionsbegriffs zeichnen bereits recht deutlich, welche Gestalt eine Gesellschaft haben soll, die ganz ohne Benachteiligungen und exklusive Strukturen funktioniert und von allen Teilnehmenden wertgeschätzt werden kann. Diese Aussage manifestiert die bereits angesprochene Tatsache, dass es dabei eben nicht um Menschen mit Behinderungen und Schule geht – dies sind nur einzelne Aspekte eines Begriffes mit deutlicher größerer Tragweite.

Im Südtiroler Landtag gibt es beispielsweise seit dem Inkrafttreten des Autonomiestatus eine Konkordanzdemokratie, welche von den drei Amtssprachen bestimmt wird: Italienisch, Deutsch und Ladinisch. Seit 1991 ist es dort möglich sich, in Volkszählungen alle zehn Jahre als „anders Erklärender“ zu verorten und sich somit keiner der drei Sprachgruppen direkt zuzuordnen. Daraus entsprang 2016 die Forderung nach der Aufnahme der Kategorie in den politischen Alltag. Dies soll zum einen die Möglichkeit eröffnen, dass sich der Wille der Zugehörigen der „anders Erklärenden“ im Landtag manifestiert (zumal diese aus jeder vermeintlichen Sprachgruppe heraus gewählt werden kann) und, zum anderen, das Prinzip einer inklusiven Gesellschaft weiter zu fördern.

Letzteres sollte nur einen weiteren – hier politischen – Aspekt aufzeigen, der den Fakt vermittelt, dass Inklusion weit über das Bildungssystem und die Behindertenrechtskonvention hinausgeht. Nichtsdestotrotz ist genau diese schulische Perspektive der bedeutendste Ansatzpunkt für die weiteren Ausarbeitungen des Blogs. Beide aufgezeigten Diskurse zu Inklusion sind in der Folge von Bedeutung für die thematische Beschäftigung mit der Geschichte der Förderschule als ein Teil der Dis/ability Studies.

Abschließend stellt sich an dieser Stelle die Frage nach der Relevanz des Themas. Diese lässt sich anhand Klafkis Didaktischer Analyse beantworten und zeigt zudem, dass es nicht nur ein historisches Thema zur Schule, sondern ebenfalls eines für Schule sein kann.

Die Gegenwartsbedeutung liegt nach der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention auf der Hand. Schülerinnen und Schüler lernen so insbesondere einen Aspekt des Inklusionsbegriffs kennen, in dem Kinder und Jugendliche mit und ohne Förderbedarf gemeinsam lernen und leben. Hinzu kommen generelle Bemühungen durch Politik, Vereine oder Schulen, selbst Vielfalt und Respekt zu fördern sowie gleichzeitig Diskriminierung und Ausgrenzung abzubauen. An dieser Stelle lässt sich anknüpfen, um auf die weiteren bedeutsamen Facetten des Begriffs aufmerksam zu machen und eine inklusive Gesellschaft zu fördern. Selbiges gilt für die Zukunftsbedeutung des Themas: Die Beschäftigung mit der Geschichte der Förderschule kann wichtige Werte vermitteln, die für eine Entwicklung hin zu einer inklusiven Gesellschaft vonnöten sind. An diesem Punkt zeichnet sich ebenfalls die exemplarische Bedeutung der Thematik ab: Durch die Beschäftigung mit der Förderschule in ihrem historischen Kontext können grundsätzliche bildungspolitische Strukturen (z.B. Bildungsföderalismus) hinterfragt, aber auch spezifische Punkte der Beschulung von Menschen mit Behinderung diskutiert werden (z.B. Entwicklung der Benennung von heutigen Förderzentren). Für den Geschichtsunterricht und darüber hinaus ergeben sich somit zahlreiche Mehrwerte, die in Form von verschiedenen Ansätzen verfolgt werden können. Ziel des Blogs ist es ebenfalls, dafür Ansätze zu schaffen und für die Beschäftigung mit der Geschichte der Förderschule zu motivieren.

Zur Förderschule und der inklusiven Pädagogik

In anschließenden Downloadabschnitt widmen wir uns der Betrachtung der Förderschule als Schwerpunkt der hier im Blog dargelegten Thematik. Es wird um Grundzüge der Hilfsschupädagogik gehen, die letztlich den langen Weg bis zur heutigen Förderschule als Bildungseinrichtung geebnet haben. Da das Fortbestehen der Institution (in welcher Form auch immer) nun im Zuge der Inklusionsbestrebungen fraglich ist, soll es zudem um Ansätze der inklusiven Pädagogik gehen. Ein weiterer Aspekt des Abschnitts ist ein exemplarischer Blick in die länderspezifische Schulgesetzgebung, um den Status der Umsetzung von Inklusion auf formaler Ebene zu überprüfen. Als Beispiel wird hierbei die aktuelle Fassung des Bremer Schulgesetzes herangezogen.

Videobeschreibung

Der Umgang mit dis/ability im Schulsystem durchlebt seit jeher ein Auf und Ab. Gar seit dem Mittelalter ertönen Stimmen sowohl für als auch gegen Beschulung für Menschen mit Behinderung. Auch der aktuelle Übergang vom Förderschulsystem zur Inklusion lässt die Kritiker nicht verstummen.

Grund genug, sich mit der Materie intensiver auseinanderzusetzen: Wie ist die Gründung der Förderschule in der allgemeinen Schulgeschichte zu verorten? Was gab schlussendlich den Anlass zur Inklusion? Wie sehen die strukturellen Veränderungen in der Realität aus? diesen und noch mehr Fragen wollen wir uns annehmen und versuchen, darauf – auch mit einem Interviewpartner – Antworten zu finden. Hierfür beschäftigen wir uns in diesem Erklärvideo mit der Schulgeschichte, der Geschichte der Hilfsschule, sowie mit dem Art. 24 der UN Behindertenrechtskonvention. Ausgewählte Ausschnitte aus dem Interview ergänzen unser Erklärvideo, bevor wir schlussendlich unser Fazit ziehen und einen Fragenkatalog mit Aussichten eröffnen.

Zitate

„Keines der Kinder kann in die Bürgerschule zurückversetzt werden, weil der Schwachsinn, an dem sie leiden, nicht zu heilen, sondern zu mildern ist und weil sie dort von lebensfrohen Kindern bald wieder zu trübseligen Jammerbildern herabsinken würden.“ Heinrich Kielhorn (1897)

 „Nicht von außen, durch die ärztliche Kunst, sondern von innen durch sich selber muss sich die tüchtige Schulpraxis den schwachbegabten Kindern gegenüber zu helfen wissen.“  Johann Heinrich Witte (1893)

 „Diskriminierung wird nicht abgeschafft, wenn alle Kinder nun einen gemeinsamen Klassenraum bevölkern – dann fallen die Besonderheiten des Einzelnen mit  informeller Macht auf. Inklusion heute ist eine problemproduzierende Problemlösung.“ Rainer Dollase (2016)

„Inklusion ist ein Prozess und gleichzeitig ein Ziel, menschliche Verschiedenheit als Normalität anzunehmen und wertzuschätzen.“ Georg Staudacher (2008)

Die Förderschule in Deutschland hinkt international hinterher: zum Artikel 24 der UN Behindertenrechtskonvention

Die UN Behindertenrechtskonvention (im Folgenden Art. 24 UN-BRK) soll nach Artikel 24 Menschen mit Behinderung ein Recht auf Bildung zusprechen. Sie wiederholt und unterstützt die Regelungen des UN-SozialpaktsArtikel 23, der UN-KinderrechtskonventionArtikel 28 und 29, sowie der Allgemeinen Erklärung der MenschenrechteArtikel 26. Verabschiedet wurde sie von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 13. Dezember 2006 und trat am 3. Mai 2008 in Kraft. Am 04. Juli 2013 wurde die Konvention bereits von 132 Staaten unterzeichnet.

Die UN Behindertenrechtskonvention soll ein inklusives Bildungssystem nach dem Gleichberechtigungsprinzip schaffen und Menschen mit Behinderung ein lebenslanges Lernen ermöglichen. Verhindert werden soll das Ausgrenzen von Menschen mit Behinderungen aus dem allgemeinen Bildungssystem. Dadurch würde der Besuch einer Grundschule und auch von allgemeinbildenden Schulen ermöglicht werden. Dieses inklusive, also einbeziehende System, soll ihnen unentgeltlichen und hochwertigen Unterricht ermöglichen. Zusätzlich zu Grundschulen und Mittelschulen soll Menschen mit Behinderungen der Zugang zu Bildung in allen Altersschichten ermöglicht werden – durch Berufsausbildungen, Hochschulbildung, sowie Erwachsenenbildung. Darüber hinaus soll Menschen mit Behinderung der Erwerb von sozialen Kompetenzen und lebenspraktischen Fertigkeiten ermöglicht werden. Die UN Behindertenrechtskonvention benennt fortlaufend bspw. Maßnahmen zur Einbindung von gehörlosen oder taubblinden Menschen, die durch in der jeweiligen Gebärdensprache ausgebildete Lehrkräfte zu betreuen seien.

Die Art. 24 UN-BRK muss innerhalb des Bildungssystems der Vertragsstaaten wie bspw. der Bundesrepublik Deutschland umgesetzt werden. Deutschland zählte zu den ersten Staaten und unterzeichnete bereits am 30. März 2007, sodass das “Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen” am 26. März 2009 in Kraft treten konnte. Wie viele Themen lässt sich auch die Umsetzung der Art. 24 UN-BRK in Deutschland von zwei Seiten betrachten.

Ein Inklusionstrend wäre erst festzustellen, sobald die Inklusionsquote steigt und die Exklusionsquote, also die Schüleranzahl in Sonder-/ Förderschulen, im direkten Vergleich zu Gesamtschulen sinkt. Demnach hat eine Umsetzung laut Michael Wrase (Auflösung der Förderschulen. Die UN Behindertenkonvention verlangt die Inklusion von Kindern mit Behinderung an Regelschulen (WZBrief Bildung, No. 33) [Juni 2016]) erst in einigen wenigen Bundesländern Norddeutschlands stattgefunden, wohingegen andere Bundesländer konstant steigende Quoten aufweisen können. Die Sonder-/ Förderschule ist in Deutschland ein stark verwurzelter Teil des Schulsystems, welcher sich aufgrund von institutionellen Pfadabhängigkeiten sowie gesellschaftlichen und professionspolitischen Beharrungskräften entwickeln konnte. Diese Bedingungen erschweren das Überwinden der alten Systeme heute. Im direkten Vergleich zu anderen Ländern schneidet Deutschland daher schlechter ab.

Von der einen Perspektive aus betrachtet richteten im Januar 2016 die Länder in einer Stellungnahme das Wort an den Fachausschuss der Vereinten Nationen, welcher für die Konvention zuständig ist. Sie untermauern ihre Auffassung, dass Sonder-/ Förderschulen mit dem Art. 24 UN-BRK auf der Wahlrechtsgrundlage vereinbar seien, da in Deutschland das Recht, über die Bildung und Erziehung zu entscheiden, gem. Art. 6 II Grundgesetz (im Folgenden GG genannt) bei den Eltern liegt. Demnach ermöglicht es den Eltern die Beschulungsweise ihrer Kinder auf Sonderbeschulung oder inklusive Beschulung auf allgemeinbildenden Schulen eigenständig zu entscheiden. Der hier beschriebene Rückgriff im Hinblick auf die Schulwahlform der Eltern auf das „natürliche Recht der Eltern“ sei demnach widersprüchlich, aufgrund des direkten Bezugs auf das historische Reichsschulpflichtgesetz von 1938 in den meisten Bundesländern. Dieses verpflichtet Kinder mit Behinderungen zum Besuch von Sonderschulen, ohne eigenes Mitbestimmungsrecht und ohne Beachtung des Willens der Eltern. Durch Art. 24 UN-BRK wird nun eine Art „natürliches Elternwahlrecht“ durch den Ausbau des Schulsystems in ein inklusives Bildungssystem ermöglicht. Ein gesondertes Beschulungsrecht für Menschen mit Beeinträchtigungen hingegen lässt sich unserem Grundgesetz nicht entnehmen. Art. 24 UN-BRK sieht allerdings kein Elternwahlrecht vor, sondern verlangt ein uneingeschränktes, „hochwertiges“ und „inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen“ (Absatz 1 und 2 des Art. 24 UN-BRK). Die Stellungnahme der Bundesrepublik bezieht sich damit auf einen Entwurfstext der Konvention, welcher ursprünglich ein Wahlrecht für die Eltern vorsah. Dieses Wahlrecht wurde während der Verhandlungen jedoch bewusst gestrichen und gegen eine Verpflichtung zur inklusiven Schulsystems Schaffung ersetzt, da es als diskriminierend angesehen wurde, eine gesonderte Beschulung für Kinder mit Behinderungen zu schaffen. Dieses Zugangsrecht für allgemeinen Unterricht stammt aus dem Artikel 5 der Konvention zum Thema Diskriminierungsverbot. Diese Festschreibung fordert von der Bundesregierung die inklusive Beschulung als Normalfall im Bildungssystem ein. Hierfür müssen in jedem Bundesland Umsetzungsmaßnahmen in Gang gebracht werden zur Abschaffung von Förder- / Sonderschulen und zum Aufbau eines reinen inklusiven Bildungssystems. Unterstützt wird dieses Recht zusätzlich von unserem Grundgesetz Artikel 3 Absatz 3 – dort heißt es: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“. Das Förderangebot, welches Menschen mit Behinderungen an Förder- / Sonderschulen ermöglicht wurde muss demnach nun an allgemeinbildenden Schulen mit inklusivem Anteil ebenfalls mittels pädagogischer Unterstützung umgesetzt werden. Demnach steht jedem betroffenen Schulkind laut der 24 UN-BRK der Anspruch auf eine sonderpädagogische Unterstützung zu – in Relation zu den Lehrstunden, welche das Schulkind an der Förder-/ Sonderschule abgesichert erhalten hätte. Diese Herausforderung lässt sich in der Praxis kaum realisieren. Das Recht auf eine Unterstützung, welche dem abzuschaffenden Schulsystem gleichkommt, lässt sich aktuell bei einem inklusiven System kaum entsprechen. Die Unterstützung für Kinder mit Behinderungen sei demnach auf Förder- / Sonderschulen eher gegeben. Dennoch bedeutet dies eine Verletzung der nach Art. 24 UN-BRK festgelegten Vorgaben.

Von der anderen Perspektive betrachtet sei die UN-BRK gem. Art. 59 II GG ein einfaches Bundesgesetz und demnach gegenüber Art. 6 II GG prinzipiell nachrangig. Weitergehend verbietet der Wortlaut von Art. 24 UN-BRK nicht ausdrücklich die Einrichtung von Förderschulen. Gem. Art. 3 III GG sei zwar die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung verboten. Gleichsam enthält Art. 3 jedoch den Auftrag an den Staat bestehende Diskriminierungen durch eine spezifische Förderung der betroffenen Personengruppen zu beseitigen. Können die Anforderungen von Art. 24UN-BRK eher verwirklicht werden als durch inklusive Beschulung sei demnach die Einrichtung von Förderschulen verfassungsrechtlich vorzuziehen.

Stellungnahme:

Das Erziehungsrecht der Eltern steht immer im Spannungsverhältnis zu dem staatlichen Bildungsauftrag. Die Gesetzgebung versucht diese Spannungen auszugleichen mittels des Elternwahlrechts. Der Staat muss Lehrangebote stellen und Eltern können sich in der Bundesrepublik für die Schulform entscheiden. Dies stellt demnach keinen Zwang für den Staat dar, Förder-/ Sonderschulen einzurichten, es sei denn, die Kinder mit Beeinträchtigung können nicht anders beschult werden. Dies ist eine Abwertungsfrage, dennoch bleibt die Sonder-/ Förderschule ein Angebot. Das Grundgesetz ist demnach mit Wertungsfragen verbunden, denn der Bildungserfolg ist das Ziel, welches je nach SchülerInnen durch unterschiedliche Schulform erreicht werden kann.

Für das Art. 24 UN-BRK Ziel einer dauerhaften inklusiven Beschulung mit dem Ziel, die Diskriminierung abzuschaffen, wurde keine offizielle Frist gesetzt. Wenn Sonder-/ Förderschulen eine bessere Beschulung als allgemeinbildende Schulen mit inklusivem Zweig für Kinder mit Beeinträchtigung ermöglichen, rechtfertigt dies die Existenz von Sonder-/ Förderschulen in der Bundesrepublik, denn auch hier gilt wieder, dass das Grundgesetz über dem Völkerrecht steht. Es ist demnach möglich, über das Völkerrecht zu argumentieren, aber aus Gleichbehandlungsgesichtspunkten, ist die Chance auf den Bildungsgrad in einem anderen Schulsystem höher, als bei allgemeinbildenden Schulen (Betreuungsschlüssel). Wäre demnach eine andere Schulform besser für das Kind mit Beeinträchtigung geeignet wäre diese eine besser Schulform für das Kind.

Allgemein lässt sich festhalten, dass Deutschland Gefahr läuft, von der nationalen Monitoring- Stelle, sowie von den zuständigen UN-Ausschüssen aufgrund von mangelnder Beachtung der menschenrechtlichen Verpflichtungen zurechtgewiesen zu werden. Eine erneute Befassung von den obersten Bundesgerichten oder durch das Bundesverfassungsgericht lässt sich auf Dauer nicht ausschließen. Hinzu kommt, dass nie vom Bundesverfassungsgericht die rechtliche Frage aufgeworfen wurde, ob Sonder-/ Förderschulen zulässig oder unzulässig sind. Der Argumentationsunterscheidung hier liegt demnach bei unterschiedlichen Ausgangspunkten. Die Diskriminierung steht der Chancengleichheit gegenüber. Dies beides lässt sich anhand der Rechtslage gut vertreten. Es steht ein Ausgleichsgebot zwischen den Grundrechten Natürliches Elternrecht und Schulrecht aus, bei welchem ein vernünftiger Ausgleich gefunden werden muss. Problematisch ist das Wegbestimmte, also die strikt vorgeschriebene Schulförderstruktur. Völkerrechtlich gesehen ist die Art. 24 UN-BRKPunkt 5 schwammig formuliert: „gleichberechtigt mit anderen“ und ermöglicht der Bundesrepublik demnach Ansatzpunkte im Falle einer längeren Debatte mit den zuständigen UN-Ausschüssen.

Die Sonder-/ Förderschulen in CDU regierten Bundesländern wie bspw. Hessen, Thüringen und Bayern existieren aktuell weiterhin.  In SPD regierten Bundesländern, wie bspw. Bremen kann dies anders sein. Im bremischen Schulgesetz steht bereits nichts mehr über Förder-/ Sonderschulen, da diese gestrichen wurden. Dafür gibt es inzwischen das bremisches Schulgesetz § 35 zur Sonderpädagogische Förderung. Inwieweit sich diese Debatte und die damit einhergehenden Strukturen in der Bildungslandschaft der Bundesrepublik Deutschland verändern bleibt abzuwarten.

Dateien zum Download:

Bibliographie; nach unterschiedlichen Kapiteln sortieren

Einstieg in die Thematik – Inklusion

  • Alicke, Tina; u.a.: Inklusion. Grundlagen und theoretische Verortung, in: AWO Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e:V., Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. (Hg.): Inklusive Gesellschaft – Teilhabe in Deutschland, Baden-Baden 2015, S. 24-44.
  • Alicke, Tina; u.a.: Kinder und Jugendliche – Teilhabe in der Schule, in: AWO Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e:V., Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. (Hg.): Inklusive Gesellschaft – Teilhabe in Deutschland, Baden-Baden 2015, S. 85-192.
  • Röggla, Marc; u.a.: Die ‚Anderen‘ an den Tisch holen. Ein Vorschlag für ein inklusiveres Südtirol, Verfassungsblog 2016, online unter: https://verfassungsblog.de/die-anderen-an-den-tisch-holen-ein-vorschlag-fuer-ein-inklusiveres-suedtirol/, letzter Zugriff: 14.02.2018.
  • Steinhart, Ingmar: Der Weg zu einer inklusiveren Gesellschaft – Herausforderung für alle, in: Wittig-Koppe, Holger (Hg.); u.a.: Teilhabe in Zeiten verschärfter Ausgrenzung?
    Kritische Beiträge zur Inklusionsdebatte, Neumünster 2010, S. 67-77.

Einstieg in die Thematik – Dis/ability History

  • Bösl, Elsbeth; Klein, Anne; Waldschmidt, Anne (Hg.):Disability History. Konstruktionen von Behinderung in der Geschichte. Eine Einführung, Bielefeld 2010.
  • Nolte, Cordula; Frohne, Bianca; Halle, Uta; Kerth, Sonja: Dis/ability History der Vormoderne. Ein Handbuch,  Affalterbach 2017.
  • Barsch, Sebastian: The imperfect historian. Disability histories in Europe, Frankfurt am Main 2013.

Zur Förderschule und der inklusiven Pädagogik

  • Biewer, Gottfried ; Fasching, Helga: Von der Förderschule zum inklusiven Bildungssystem – die Perspektive der Schulentwicklung, in: Ulrich Heimlich (Hg.) u.a.: Inklusion in Schule und Unterricht. Wege zur Bildung für alle. Stuttgart 2012, S.117-152.
  • Die Senatorin für Kinder und Bildung: Bremisches Schulgesetz und Bremisches Schulverwaltungsgesetz, Stand: März 2016, online unter: https://www.bildung.bremen.de/sixcms/media.php/13/schulgesetze.pdf , letzter Zugriff: 10.03.2018)
  • Kanter, Gustav: Von der Hilfsschule zum flexiblen sonderpädagogischen Fördersystem – Wege zur Neubestimmung der Lernbehindertenpädagogik, in: Die neue Sonderschule 47 (2002), S. 38-50.
  • Wocken, Hans: Leistung, Intelligenz und Soziallage von Schülern mit Lernbehinderungen. Vergleichende Untersuchungen an Förderschulen in Hamburg, in: Zeitschrift für Heilpädagogik 12 (2000), S. 492-503.

Die Braunschweiger Hilfsklasse als Keimzelle der Sonderschule

  • Frenzel, Franz: Handbuch des Hilfsschulwissens, Halle a. S. 1925.
  • Garzmann, Manfred: Heinrich Kielhorn und der Weg der Sonderschulen. 100 Jahre Hilfsschulen in Braunschweig,  Braunschweig 1981.
  • Hänsel, Dagmar: Die Historiographie der Sonderschule. Eine kritische Analyse, in: Zeitschrift für Pädagogik, Jahrgang 51, Heft 1, S. 101-111.
  • Hänsel, Dagmar; Schwager Hans-Joachim: Die Sonderschule als Armenschule. Vom gemeinsamen Unterricht zur Sondererziehung nach Braunschweiger Muster,  Bern 2004.
  • Lakowski, Ireneus: Witte – Gegner der Hilfsschulbewegung oder Verfechter einer integrativen Pädagogik?, in: Zeitschrift für Heilpädagogik, 50/1999, S. 332-338.
  • Möckel, Andreas: Historische und gesellschaftliche Aspekte der pädagogischen Förderung geistig Behinderter, in: Geistige Behinderung 8 (1984, S. 3-19).

Die Schulgeschichte: 18. Jhdt. bis 1945

Die Schulgeschichte: von 1945 bis heute

Die Förderschule in Deutschland hinkt international hinterher: zum Artikel 24 der UN Behindertenrechtskonvention

  • Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 13. Juli 2017 (BGBl. I S. 2347) geändert worden ist.
  • Kischel. In: BeckOK Grundgesetz Epping/Hillgruber, Stand 15.11.201735, Art. 3 Rn, Seiten 273-240.
  • Schweitzer, Michael; Dederer, Hans-Georg: Staatsrecht III. C.F. Müller Verlag, Heidelberg 201611, Seiten 19 f., 236 ff.
  • Wrase, Michael: Auflösung der Förderschulen. Die UN Behindertenkonvention verlangt die Inklusion von Kindern mit Behinderung an Regelschulen (WZBrief Bildung, No. 33). [Juni 2016]4.

Autorinnen und Autoren: Steffen Kamin, Pascal Otto und Isabel Endemann