Das Projekt Spurensuche
Das Projekt Spurensuche
Wir sind eine Gruppe aus Studis, Profs und Menschen aus der Univerwaltung, die sich zusammengefunden hat, um die Spuren des Bremer Modells nachzuzeichnen. Dabei hatten und haben wir sehr unterschiedliche Motivationen und Beweggründe, mit denen wir in dieses Projekt gegangen sind. Als Konsequenz daraus haben wir uns zusammengesetzt, um über diese miteinander zu sprechen und sind in einen gemeinsamen Aushandlungsprozess gegangen, aus dem nun dieses Selbstverständnis entsteht.
Grundsätzlich verstehen wir uns als ein kritisches, linkes Projekt, was sich auf der einen Seite in unseren politischen Einstellungen ausdrückt und auf der anderen Seite in der Form, in der wir versucht haben, zusammenzuarbeiten. Diese Zusammenarbeit hat sich aus einem (Selbst-)Verständnis gegründet, dass gerade in Bezug auf das Bremer Modell als Grundlage hatte, dass wir alle gleichberechtigt unsere Meinungen und Ansichten in den Prozess einbringen konnten – unabhängig vom formellen Status in der Uni. Auch die verschiedenen Elemente dieser Ausstellung sind nach diesem Prinzip entstanden. Wir haben alleine, zu zweit oder als Gruppe autonom Texte geschrieben und Interviews geführt und dann gemeinsam über diese diskutiert.
Parallel dazu haben wir uns kritisch mit der Uni von damals und von heute auseinandergesetzt und sind zu verschiedenen Meinungen gekommen, wie die Rolle der Uni, der Studis, der Bremischen Bürgerschaft und der Presse zu bewerten sind. Daraus ist ein Mosaik von ‘Ausstellungsstücken’ entstanden, das unsere Heterogenität sehr gut zum Ausdruck bringt.
Die zentralen Fragen, die uns bei unserer Arbeit beschäftigt haben, waren zum Beispiel, warum die Hauptelemente des Bremer Modells zerschlagen wurden, welche Vor- und Nachteile die Reformansätze mit sich brachten und welche Schlüsse wir aus den Kämpfen um das Bremer Modell für unsere Kämpfe heute ziehen können.
Wir wollen mit unserer Ausstellung auch gerade die Menschen erreichen, denen das Gestaltungspotential und die vielfältigen Möglichkeiten, um die Universität zu verändern und auf diese einzuwirken, noch nicht sichtbar sind. Und wir wollen mit dieser Ausstellung auch dazu ermutigen, dass ihr euch mit den Kämpfen von damals und heute auseinandersetzt! Denn gerade anhand des Bremer Modells wird noch einmal deutlich, dass schon immer politische Kämpfe darum, was die Uni sein kann, ausgetragen wurden und auch in Zukunft werden.
Spurensucher*in Gerrit
Der Blick aufs Studium, das Bremer Modell & ich
Mir wurde zu Beginn meines Studiums gesagt, das Wort „studieren“ würde bedeuten, sich einer Sache voll und ganz zu widmen. Das mag zwar nicht ganz korrekt sein (eine wenige Sekunden in Anspruch nehmende Suche im Internet sorgte in der Hinsicht für Ernüchterung), kann aber meine anfängliche Motivation im Studium gut zusammenfassen. Mir ging es im Jahr 2018, als ich an die Universität Bremen kam, darum, den Dingen wirklich auf den Grund zu gehen, zu verstehen und mich für Inhalte zu begeistern. Eigentlich ein guter Start? Die ersten Wochen waren dann (je nach Veranstaltung) auch mit kleinen „Aha“-Momenten gefüllt: als würden sich kleine Knoten im Gehirn auflösen konnte ich fühlen, wie meine Gedanken immer klarer wurden. Studium, das wurde mir und meinen Kommiliton*innen recht schnell bewusst, heißt aber eben auch durchkommen, irgendwie durchwurschteln. Das gilt einerseits für die Inhalte, manches ist nun eben spannender als anderes, kann aber auch gut den Zustand beschreiben, in dem sich viele Kommiliton*innen befinden. Es scheint mir, als wäre der Blick hier eher auf das irgendwie mit passablen Noten durchkommen, als auf die Inhalte oder die Botschaft dahinter gerichtet. Ich kann es ihnen nicht verübeln. Einerseits befinde auch ich mich oft in diesem Zustand, ständiges Brennen kann von niemandem erwartet werden und führt früher oder später vermutlich zum burn out. Andererseits korrespondiert das irgendwie durchkommen mit dem oft auftretenden Gefühl, dass es im Studium gar nicht um die Studierenden geht und damit, dass es sowieso kaum Mitspracherechte seitens der Studierendenschaft gibt.
Ein*e Professor*in benimmt sich daneben? In der Studierendenvertretung meines Studiengangs ist die Antwort darauf dann meistens Hmm, wir könnten ja eine kritische Email schreiben (und nur hoffen, dass die Person überhaupt antwortet). Eine interessante Diskussionsveranstaltung wird organisiert und breit beworben? Nachher sehe ich dort wieder die gleichen 10-12 Gesichter wie jedes Mal. Beides ist auf sehr unterschiedliche Art ähnlicher Qualität demotivierend. Vielleicht ein Grund, einfach irgendwie durchzukommen?
Nur um Missverständnisse sofort aus dem Weg zu räumen: Ich mag mein Studium sehr. Gleichwohl fehlt mir oft die kollektive oben beschriebene Begeisterung, das Brennen und zeitweise fühlt es sich für mich so an, als wäre ich kein vollwertiges Mitglied der Universität, sondern eines, das von oben regiert wird. Vielleicht wird auch hier deutlich, dass (bzw. warum) mir das Bremer Modell in den ersten Jahren meines Studiums kein Begriff war (diese Universitätskonzeption findet keine Anwendung mehr und ist weitestgehend in Vergessenheit geraten). Lustiger Weise war das beim Begriff „linke Kaderschmiede“, die meine Universität meinem Vater (halb ironisch, halb ernst) nach zu sein schien, ganz anders. In dem Kontext übt das Bremer Modell eine interessante Faszination auf mich aus. Während die Darstellungen aus der Gründungszeit der Universität teils vermutlich romantisiert sind und über starke Uni-interne Konflikte hinwegsehen, atmen die Schriftstücke und Filme aus der Zeit dennoch einen besonderen Geist. Dieser lässt sich auf der formellen Ebene fassen: ganz anders als heute kann die Universität von damals eben auch als Raum angesehen werden, der durch die Studierenden geformt werden konnte, was wiederum einen Einfluss auf das Bedürfnis der Studierenden gehabt haben dürfte, sich einzubringen. Für mich persönlich viel inspirierender ist aber die damalige Sicht auf das Studium selbst: keine Massenabfertigung in großen Vorlesungen, Seminare über deren Ende durch den Inhalt und nicht die Uhr entschieden wurde und schließlich der explizite Wille, Forschung für die am schlechtesten Gestellten zu betreiben. Es ist, als ob es damals kein einfach so durchkommen gegeben hätte, sondern Studieren tatsächlich als sich einer Sache voll und ganz widmen verstanden wurde. Das Bremer Modell bietet mir also, auch wenn es heute offensichtlich keine Anwendung mehr findet, einen Gegenentwurf zu heutigen Universitätskonzeptionen (auch in Bremen). Es gibt mir die Bestätigung, dass „Universität“ nicht zwangsweise auch einfach irgendwie durchkommen bedeuten muss, sondern als gestaltbarer Raum betrachtet werden kann – das wiederum würde ich gerne im Rahmen dieses Blogs auch meinen Kommiliton*innen weitergeben.
Spurensucher*in Leonie
Wir müssen reden.
Ich komme aus Dorsten, einer eher konservativen Mittelstadt an der Lippe. Nach dem Abitur konnte ich es nicht erwarten mal rauszukommen und nachdem ich einmal draußen war, hatte ich Probleme mich wieder einzufügen. Vielen meiner Freund*innen ging das ganz anders. Dorsten ist auch ein kleines Gravitationszentrum. Und dank Menschen wie ihnen, die bleiben oder zurückkommen, hat sich in der Stadt in den letzten Jahren hier und da etwas verändert. Mir reicht es für den Moment, das aus der Ferne zu betrachten. 230 km sind eine gute Entfernung.
Für Bremen habe ich mich spontan entschieden. Ich habe die klassische Touri Runde gemacht, die wir unseren Eltern zeigen, wenn sie das erste Mal hier sind (Altstadt, Schnoor, Weser, Viertel), habe den Stern unfallfrei passiert, aber fluchend, mich dann auf dem Campus umgesehen und meine erste Umfrage gestartet – „Hallo, studiert ihr hier? Und macht es dir Spaß?“. Rückblickend gesehen etwas unangenehm, heute verstehe ich die verwirrten Gesichter. Ein Student hat mich tatsächlich beim AStA abgeliefert und die habe ich dann auch mal gefragt, was sie so machen. Ja, ich wusste nicht so wirklich, wie Uni funktioniert. Aber alle waren nett, überall hingen Sticker und Tags und Plakate, der Betonklotz kam mir bunt und dynamisch vor und das hat mir gereicht.
In der Ersti-Woche kam ich etwas in Schwitzen. Unendlich viele neue Themen, Fragen und Meinungen prasselten auf mich ein und ich hatte den Eindruck, ich sollte die Antworten besser schnell parat haben – alle anderen hatten sie anscheinend schon. In Dorsten war Politisierung etwas Unbequemes gewesen. Hier war sie ein Zugangscode. Und ein bisschen vielleicht auch ein Statussymbol. Aber sicherlich gibt es ungeeignetere Dinge als Meinungen, Werte und Handeln, um sich und das Gegenüber zu identifizieren. Doch kann man in Bremen nur etwas werden, wenn man Veganerin ist und Doc Martens trägt und das Konzept Staat ablehnt? Nein. Aber man wird immer wieder dazu angeregt und aufgefordert weiterzudenken, sich weiterzubilden. Je nachdem, in welcher Blase man sich bewegt.
Aber das passiert nicht immer an der Uni und nicht in jedem Seminar. Gesellschaftstransformation, obwohl sie bitter nötig ist, steht nicht an erster Stelle, oftmals gar nicht auf dem Plan. Sicherlich gibt es viele Studierende wie auch Lehrende, die diesen Anspruch verfolgen (möchten). Aber visionär, radikal (im Sinne von „gründlich, an der Wurzel ansetzend“, entspannt euch) und mobilisierend sind nur wenige Veranstaltungen. Eine Idee, die an der Bequemlichkeit der Bürger*innen oder „dem System“ zu scheitern droht, wird meist als naiv abgetan, ohne dass wir uns zusammen ernsthaft die Frage stellen: Müssen wir das System, das wir geschaffen haben, vielleicht grundlegend verändern? Und wie? – Manchmal habe ich den Eindruck, Wissensvermittlung, ein relativer Begriff in den Sozialwissenschaften, stünde über dem Diskurs und man verwechselt 24 CP in Statistik und Methoden mit praxisnaher, praktischer Lehre. Die Arsch-hoch-Mentalität der Anfangsjahre der Uni sehe ich heute nicht mehr.
Vielleicht ist es an anderen Uni kaum anders. Aber gerade dann sollten wir uns die Frage stellen, wie Uni eigentlich sein sollte, um das Beste aus uns rauszuholen. Sicherlich wird diese Frage durch das Projekt viel mehr angestoßen, als beantwortet. Aber es ist wirklich an der Zeit.
Deshalb bin ich ins Projekt gekommen. Verschiedenen Primär- und Sekundärquellen aus und zu den Anfangsjahren der Uni stecken voller Dynamik und Vision. Sicherlich ist viel Energie aufgrund überzogener Streitereien zwischen Linken verpufft. Vielleicht sind wertvolle Ideen durch mangelnde Kompromissbereitschaft ganz unter den Tisch gefallen. Und vielleicht war tatsächlich nicht alles gut und praktisch, was man sich da ausgedacht hat. Aber vielleicht mehr, als dann geblieben ist. Das wollte ich beleuchten. Um zu schauen: was sollten wir wieder ausgraben? Was können wir daraus lernen?
Wenn man sich einmal mit dem Thema beschäftigt, kann man sich bald vor Fragen nicht mehr retten. Und deshalb bin ich froh, dass diese Arbeit im Diskurs mit so vielen Menschen entstanden ist und dass wir uns entschieden haben, die Texte nicht zu streamlinen und nicht als Team eine einheitliche Position zu vertreten. Diskurs findet und fand auf verschiedenen Ebenen des Projekts statt und geht jetzt hoffentlich mit euch und Ihnen weiter.
Spurensucher*in Sebastian
Auf dem Weg zur Hochschul-Gestaltung
Eine sehr persönliche Vorstellung eines unseres Spurensuchers Sebastian, der das Projekt über die politischen Kämpfe ums Bremer Modell 2020 erfolgreich eingeworben hat
Was eine Universität ist und wer sie gestaltet war mir lange völlig unklar, denn die akademische Welt schien in meiner Jugend in Schweriner und Neubrandenburger Plattenbau-Vierteln doch sehr fern und fremd (denn weder wuchs in einer Unistadt auf noch hatte irgendwer aus meiner Familie schon mal eine Uni von innen gesehen). Mit lediglich den letzten beiden Schuljahren auf einem Gymnasium und ohne bürgerliche Sozialisation im Gepäck war dann auch meine erste Erfahrung mit einer Universität eher ernüchternd: Nach meinen einigen Semestern in Berlin standen lediglich ein Studienabbruch (ich hatte aus Angst vor der unklaren Berufsperspektive eines sozialwissenschaftlichen Studiums ein Fach gewählt, das im Grunde nicht meinen Interessen und Begabungen entsprach), viel Frust und ein verwirkter Bafög-Anspruch zu Buche. Zum Glück wagte ich mit einem Studienkredit (den ich später mit einem Stipendium der Rosa-Luxemburg-Stiftung ersetzen konnte) und in einer kleineren Stadt dann doch noch einen zweiten Anlauf, und zwar in den Fächern, die mich wirklich interessierten: Geschichte und Politikwissenschaft.
Plötzlich fand ich mich an einer ehemaligen Reformuniversität wieder, ohne zu diesem Zeitpunkt zu wissen, was das eigentlich bedeuten soll. Die Rede ist hier noch nicht von Bremen, sondern von Wuppertal, wo 1972 eine neue Gesamthochschule ihren Lehrbetrieb aufnahm, die heutige Bergische Universität Wuppertal. Ohne die Traditionen einer klassischen Ordinarienuniversität (auch worum es sich dabei handelt musste ich aber erst noch lernen) und mit einer starken Orientierung auf das Lehramtsstudium war diese Hochschule für mich ein einfacher zugängliches Eintrittstor in die akademische Welt. Mitten in der großen Finanzkrise hörte ich eine recht konventionelle makroökonomische Einführungsvorlesung im größten Kinosaal der Stadt (denn die Uni platze aus allen sehr engen Nähten). Im Grunde bin ich dem Professor dankbar, dass er seine marktliberalen politischen Ansichten nur sehr plump hinter den neoklassischen Modellen versteckte, die wir für die Klausuren pauken mussten. Das hat mich provoziert und mir (sicherlich ungewollt) schon früh ein Gespür für die Notwendigkeit einer pluralen Ökonomik und Politischen Ökonomie vermittelt.
An der Bergischen Uni entdeckte ich als Tutor meine Leidenschaft für Lehre, begann mich für politökonomische Forschung zu interessieren und habe als Bildungsstreik-Aktivist und Präsident des Studierendenparlamentes erfahren, dass Universität ein politischer Raum ist, den andere für einen gestalten, wenn man sich nicht selbst einbringt. Der Druck vieler bewegter Studierender hat dazu beigetragen, die Studiengebühren in NRW (und andernorts) wieder abzuschaffen, für deren Begleichung ich zwischenzeitlich einen weiteren Kredit aufnehmen musste (mit dessen Zinsen ich zynischerweise mehr bezahlen musste, als Studierende, die die Gebühren direkt begleichen konnten).
Die Tradition der Kritischen Theorie lockte mich dann für mein Master-Studium an die Goethe Universität nach Frankfurt am Main, wo ich aber schnell feststellen musste, dass zwar viele Studierenden sehr politisch und kritisch sind (ein gewisser Unterschied zu Wuppertal), die Kritische Theorie in den Lehrveranstaltungen am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften (ein Name, der zwischenzeitlich auch mal zur Disposition stand) aber nicht gerade überrepräsentiert war. Für meine akademische und hochschulpolitische Sozialisation war Frankfurt aber dennoch ein echter Glücksgriff. Ich studierte im berüchtigten AfE-Turm, der an dem Tag zugunsten von Kapitalinteressen planmäßig in die Luft gesprengt wurde, an dem ich das Exposé meiner Master-Arbeit endlich fertigbekam. Ich erlebte auch wie die als ungesittet verschrienen Sozialwissenschaftler:innen den IG-Farben-Campus (den die Uni-Leitung nie so nennen wollte) bezogen und sich dabei wohl stärker dem Campus anpassten als umgekehrt. Ich wurde in den Fachbereichsrat gewählt und bekam einen Einblick in die Verteilungskämpfe und politischen Kontroversen auf der Hinterbühne einer Fakultät.
Ironischerweise blieb ich dann aber für die Erforschung von Finanzmarktdynamiken, deren Bedeutung mir in Frankfurt u.a. durch die Adorno-Vorlesungen von Wolfgang Streeck und die politischen Bewegungen in der Stadt klar wurden, nicht am Main, sondern trat meine erste Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen an. Andere kamen gerade wegen des Rufs der linken Reformuni nach Bremen, ich war eigentlich nur dem Ruf eines interessanten Stellenangebots gefolgt und hatte keine Ahnung vom Bremer Modell. Zunächst war ich auch genug mit dem Übergang von Studi zu WiMi und dem Kennenlernen des Wissenschaftsbetriebs von innen beschäftigt. Erstmals konfrontiert mit dem Ruf der Uni Bremen als einer „roten Kaderschmiede“ wurde ich dann nicht auf dem Campus, sondern bei einem der ersten Experteninterviews für mein Promotionsprojekt in einer großen Bank in Düsseldorf (mit meinem heutigen Wissensstand aus der gemeinsamen Spurensuche zum Bremer Modell erscheint mir das viel weniger paradox als damals in der Situation selbst). Bevor ich meinen Gesprächspartner zur Finanzialisierung der kommunalen Schuldenverwaltung in NRW befragen durfte, sollte ich erst die politische Unbedenklichkeit meines Forschungsvorhabens, meines Betreuers und der Bremer Universität beschwören. Sowas kann einen ganz schön aus dem Konzept bringen!
Es dauerte trotzdem noch eine Weile, bis es die Gründungsgeschichte der Bremer Reformuni wieder auf meinen Radar schaffte und zwar durch eine beeindruckende Campus- und Archivführung der Kolleg:innen des Bremer Universitätsarchiv. Mir wurde klar, welche Schätze (Plakate, Flyer, Zeitungen, Dokumente) im Archiv schlummerten und wieviel Spaß es machen könnten, diese mit Studierenden zu heben und in die politischen Debatten innerhalb der Uni einzubringen. Die Uni musste aber erst 50 werden und Projektmittel ausschreiben, bevor ich diese Idee in die Tat umsetzen konnte. Zwischendurch arbeitete ich als Studiengangskoordinator und Dozent in einem Kooperationsstudiengang mit der Jacobs University Bremen, deren Gründung 1999 (damals noch als International University Bremen) u.a. von dem Uni-Rektor als bewusster Erneuerungs-Impuls vorangetrieben wurden, mit dessen Amtsantritt 1982 das Bremer Modell nach gängiger Lesart endgültig beendet war und der Begriff Reformuni eine ganz neue (ökonomisierte und auf die Akquise von Drittmitteln hin orientierte) Stoßrichtung bekam. Auch dieser Zusammenhang wurde mir aber erst im Laufe unserer Arbeit im Projekt Spurensuche klar.
Am Bremer Modell faszinieren mich besonders seine befähigende und problemorientierte Didaktik, die etwa im integrierten sozialwissenschaftlichen Eingangsstudium und den Ansätzen des Projektstudium sichtbar wurden, aber auch seine besondere politische Mobilisierungskraft und sein an gesellschaftlichem Fortschritt und Gerechtigkeit orientiert Wissenschaftsverständnis. Schade, dass ich in meinem Hafenseminar vor einem Jahr noch nicht an die Forschung des Arbeiterkammerbereichs zur Hafenarbeit im Wandel anknüpfen konnte, weil ich sie damals schlicht noch nicht kannte. Den Berninghausenpreis für hervorragende Lehre, den wir für das Hafenseminar bekamen, hat der langjährige Präses der Bremer Handelskammer übrigens nicht aus besonderer Verbundenheit mit dem Bremer Modell gestiftet. Die Aufmerksamkeit und Anerkennung für gute und innovative Lehre, die mit so einem Preis einhergeht, reiht sich aber in meinem Verständnis durchaus in die Tradition des Bremer Modells ein.
Noch bevor dieses Projekt zu den politischen Kämpfen um das Bremer Modell aber begann, setzte ich meine Reise durch die deutsche Hochschullandschaft mit einem wohl ungewöhnlichen Schritt fort. Seit Oktober 2020 arbeite ich an einer kleinen Hochschule an der Mosel, die sich, wie einst die Bremer Reformuni, als Neugründungsprojekt auf dem Weg macht, die Hochschullandschaft zu verändern, allerdings unter sehr anderen Vorzeichen. Die Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung ist eine private Hochschule mit engen Beziehungen in die nachhaltig und solidarisch orientierte Wirtschaft. Das wirft, gerade vor dem Hintergrund des Bremer Modells, natürlich Fragen auf: Widersprechen sich Wirtschaftsnähe und ein an gesellschaftlichem Fortschritt orientiertes Wissenschaftsverständnis? Kann von einer Hochschule in freier Trägerschaft ein progressiver Reformimpuls für die staatlich getragene Hochschullandschaft ausgehen?
Diese Spannungen und Ambivalenzen offen anzugehen und bei einem neuen Aufbruch dabei zu sein, empfinde ich als sehr bereichernd und sinnstiftend. Noch an keiner meiner vielen Hochschulstationen habe ich eine so stark ausgeprägte Partizipation der Studierenden an der Gestaltung ihrer Hochschule erlebt, wie an der Cusanus Hochschule. Und so schließt sich auch wieder der Kreis zu den Anfängen der Bremer Uni. Schließlich interessiert mich das Bremer Modell nicht vorwiegend aus einer historischen Perspektive, sondern weil es uns die Gestaltbarkeit der Hochschule in Gegenwart und Zukunft und ihr Potential als Ausgangspunkt gesellschaftlicher Transformationsprozesse vor Augen führt. Ich hoffe unser Projekt trägt dazu bei, beides auch in Bremen wieder ins Gespräch und in die Gedanken zu bringen.
Weitere Spurensucher*innen:
Roberta Bachteler
Greta Blotevogel
Nicolas Haslbeck
Mareike Hoeck
Selma Hornbacher-Schönleber
Lila Horstmann
Paul Lutz
Martin Nonhoff
Alena Trapp