Pressespiegel

von | Jun 9, 2021

Das Bremer Modell in den Zeitungen

Was erfährt man über die Kämpfe um das Bremer Modell, wenn man Zeitung liest? Das haben wir anhand verschiedener Tages- und Wochenzeitungen vor allem aus den 1970er und 1980er Jahren untersucht. In physischen und digitalen Archiven haben wir wochenlang nach Artikeln über die Bremer Uni und die Auseinandersetzungen um ihre Gestaltung und Ausrichtung gesucht und sind dabei auf sehr viel interessantes gestoßen. Wer schon einmal einen Fuß in ein Archiv wie das Bremer Uni Archiv gesetzt hat, weiß, wie viel! Unsere Ergebnisse dokumentieren wir hier in Form einer Chronologie der politischen Kämpfe anhand von beispielhaft ausgewählten Zeitungsartikeln und mit drei bewusst subjektiven Lektüreberichten von Leonie (Schwerpunkt FAZ), Sebastian (Die ZEIT) und Paul (linke und moderate Zeitungen, v.a. TAZ und Vorwärts). Auf jede*n mögen die Zeitungsartikel, die wir gelesen haben, anders wirken, denn jede*r liest mit eigener Perspektive und Position. Wir animieren euch daher explizit zum Nach- und Weiterlesen und zum Kommentieren (gerne auch in der old school Variante eines Leser*innenbriefes)! Bei der Zeitungslektüre bekommt mensch auf jeden Fall einen sehr guten Überblick zu Inhalt, Form und Ton der Auseinandersetzungen um das Bremer Modell, erkennt spannende Zusammenhänge und kommt auf Fragen, die vorher nicht immer so klar auf der Hand lagen.  

Natürlich haben wir uns auch mit dem Weserkurier beschäftigt, hatten allerdings den Eindruck, dass sein besonderer Mehrwert aufgrund der zahlreichen abgedruckten Leser*innenbriefe und zitatlastigen Artikel vielmehr darin besteht, (partei-)politische Auseinandersetzungen zwischen Bürgerschaft, Senat, Parteien, Universität und Bürger*innen zuzulassen und abzubilden, als ein redaktionsgeleitetes Bild der Bremer Uni zu zeichnen. Dementsprechend wird er an dieser Stelle nicht miteinbezogen. Außen vor bleiben in diesem Pressespiegel zunächst auch Zeitschriften von Akteur*innen innerhalb der Bremer Universität (z.B. Bremer Uni Schlüssel, Zeitungen von Hochschulgruppen und Organisationseinheiten), von denen es zahlreiche gab und gibt und die eine noch unmittelbarere Rolle in den politischen Kämpfen und Auseinandersetzungen um die Deutungshoheit der Universitätsentwicklung und eben diese Entwicklung selbst gespielt haben dürften. Hier warten noch viele spannende Archivstunden auf uns und/oder euch. Besonders spannend wären dabei direkte Bezugnahmen auf Texte aus lokalen und überregionalen Zeitungen, die zusammen mit Leser*innenbriefen Hinweise auf die lokale Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Presse geben könnten. Es gäbe also noch viel zu tun ….  

Rolle der Presse in den politischen Kämpfen um das Bremer Modell 

Genauso wie sozialwissenschaftliche Texte bilden Zeitungsartikel nicht einfach neutral eine objektive Realität ab. Das ist in beiden Fällen auch kaum möglich, auch wenn sich Sozialwissenschaftler*innen oft mit Wissenschaftsverständnissen konfrontiert sehen, die genau das behaupten und verlangen. Zeitungen und Journalist*innen wählen immer aus und bewerten meist, zumindest implizit. Ihre Wahrnehmung ist nicht objektiv, sondern von ihrer Perspektive auf die Welt und ihrer Position in der Welt abhängig. Dennoch oder gerade deshalb ist ein plurales und an hohen Qualitätsmaßstäben orientiertes Mediensystem fundamental wichtig für eine demokratische Gesellschaft. Das merken wir nicht zuletzt an den Folgen des aktuellen zumindest teilweisen Vertrauensverlustes in etablierte Medien. Zeitungen sind also eine wichtige Informationsquelle, auch für vergangene Entwicklungen, aber sie sind eben auch selbst immer schon Teil der politischen Debatten, über die sich berichten. Und so kann es nicht überraschen, dass wir die zeitgenössische Medienlandschaft in unserem Projekt als Arena der politischen Kämpfe um das Bremer Modell deuten und untersuchen. Vor allem die großen überregionalen Zeitungen waren mit ihrer von Skepsis, Ablehnung oder Neugier geprägten Berichterstattung von Anfang an Teil dieser politischen Kämpfe und wurden von den anderen hochschulpolitischen Akteur*innen folgerichtig oft als Teil der Auseinandersetzungen wahrgenommen (siehe dazu z.B. Gräfing 2012, Griesche 1974, von der Vring 1975).

Dabei dominiert bei vielen Beobachter*innen, damaligen wie heutigen, die Wahrnehmung, insbesondere die konservative Presse zeichne bewusst ein Zerrbild des Bremer Modells, um es öffentlich zu diskreditieren und so seine Sprengkraft für den Status quo der westdeutschen Hochschullandschaft und Gesellschaft zu entschärfen. Am 8. Oktober 1971 war etwa in der ZEIT ein Zitat zu lesen von “Golo Mann, der am 22. März die Bremer Universität besuchte und am 2. April in der „Deutschen Zeitung“ schrieb: „Der Beobachter, aus einem Großteil der Presse, und recht ernsthaften Blättern darunter, erhält den Eindruck, es handle sich um ein ganz radikales, umstürzlerisches, gefährliches Unternehmen, um eine Hochschule, an der nichts mehr gelehrt werden soll – außer, wie man Revolution macht. Geht er nun selber hin, hört er einen Tag lang den Beratungen jener Universitätsgründer zu, so erlebt er etwas ganz anderes: eine vernünftige, sachliche, tolerante Atmosphäre, Pläne, wie die Studenten nicht weniger lernen und arbeiten sollen als bisher, sondern mehr, auch und gerade in den echten Wissenschaften, wenn auch mit neuen Methoden, und keineswegs der Anspruch, nur eine politische Richtung müsse herrschen. Hier wurden ihm also von Zeitungen, an die er glaubte, Vorurteile suggeriert, nicht genau und gerecht informierende Urteile.“” Gründungsrektor Thomas von der Vring widmete dem “großen Geschrei” der Presse ein eigenes kleines Kapitel in seinem Buch zur Hochschulreform. Er beklagt darin unter anderem: “Jede Äußerung einzelner Mitglieder, auch wenn sie von der Mehrheit nicht geteilt wurde, wurde lauthals der gesamten Universität angelastet – ein Zeichen dafür, in welchem Sinne wissenschaftliche Meinungsfreiheit verstanden wurde” (von der Vring 1975: 31).

Von der Vring nimmt die Berichterstattung der Bremer Nachrichten, der FAZ und der WELT als gezielte Kampagne gegen die Reformuni wahr: “Die Agitation dieser Blätter demonstrierte den Niedergang des einst glorreichen bürgerlichen Journalismus in erschreckender Weise” (ebd.: 31-33). Die von ihm, Golo Mann und anderen beklagte “Wahrheitslücke zwischen der tatsächlichen, sachlich bemühten und ungemein fleißigen Aufbauarbeit der Universität und dem großen Geschrei” (ebd.: 33), lässt Zweifel aufkommen, ob das Presseecho immer den oben genannten Ansprüchen eines pluralen Qualitätsjournalismus entsprach und legt die Vermutung nahe, dass mitunter die Zeitungen ganz bewusst einen politischen Standpunkt einnahmen und die Kämpfe um das Bremer Modell journalistisch befeuerten. Ein weiterer Grund für Zeitungslektüre als Methode zur Rekonstruktion ebendieser Kämpfe.  

Der ehemalige Personalratsvorsitzende Peter Wehmeyer bemerkte in diesem Zusammenhang: “diese Universität mußte von Anfang an mit starkem Gegenwind rechnen. (…) So gehört es denn zu der nicht seltenen Erfahrung an dieser Universität, daß Journalisten von überregionalen Medien zu Kurzbesuchen nach Bremen kamen, die nach dem Grundsatz handelten: Viel Wissen hemmt die Urteilsfreudigkeit. Sie ließen sich von ausgewählten Interviewpersonen die passenden Zitate soufflieren, mit denen sie dann ihre eigenen Vorurteile und die ihrer Leser zu zementieren suchten” (Wehmeyer 1982: 121). Gräfing (2012: 236) stellt fest, „[d]iffuse Befürchtungen von kommunistischer Unterwanderung gingen mit Fehlinformationen Hand in Hand“ und Griesche (1974: 38-49) zeigt nachvollziehbar und sehr überzeugend auf, wie mehrere Blätter Informationen bewusst unterschlagen, Äußerungen aus ihrem Kontext reißen, Personen verleumden und Gegendarstellungen gar nicht, oder taktisch verzögert veröffentlichen. Es scheint diesen Zeitungen nie um „Verstehen“ und „Diskurs“ gegangen zu sein. Heide Gerstenberger (1982: 40), Mitglied und zeitweise Vorsitzende des Gründungssenats und später Professorin an der Uni kritisiert, dass durch eine derart interessen- und ideologiegeleitete Darstellung die Reputationen der Lehrenden und die Chancen der Studierenden merklich in Mitleidenschaft gezogen worden seien. 

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die mediale Berichterstattung des Bremer Modells erstens einen erheblichen und nachhaltigen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung über die Bremer Universität hatte, insbesondere mit Attributen wie “rote Kaderschmiede” (mal mit, mal ohne Anführungszeichen aber eigentlich immer als Vorwurf gemeint). Darüber übte sie zweitens einen nicht zu unterschätzenden externen Druck auf die Reformbemühungen an der Universität, die politischen Entscheidungsträger*innen und die Forschungsförderung aus, der den Gegenkräften des Bremer Modells in den verschiedenen Arenen der politscher Kämpfe sehr gelegen kam. Auch wenn das Presseecho keineswegs immer einheitlich war, konnten die mit dem Reformprojekt sympathisierenden Stimmen diesen Druck kaum entschärfen.  

Lektürebericht der konservativen Presse, FAZ und Co (Leonie) 

Nein wahrlich, die Bremer Universität und die konservative Presse waren sich nicht grün in den ersten Jahren. Besonders die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) schien in der „Kaderschmiede“ eine geliebte Feindin gefunden zu haben. Zahlreiche Berichte widmete sie ihr über die Jahre und trug eifrig dazu bei, das Bild der Universität zu prägen. Wo die Presse zur Meinungsbildung der Bürger*innen aufgerufen ist, hatte die FAZ bereits eine ganz klare Meinung im Sinn: Da oben im Norden hockt ein Haufen inkompetenter, extremistischer Sozialist*innen (wobei sie wohl kaum gegendert hätte), die nur darauf warten, das Fundament unserer bürgerlichen Gesellschaft zu untergraben und uns in eine Revolution zu stürzen.  

Als überregionale, aufsteigende Größe dominierte sie dabei das  konservative Feld und schaut man sich Artikel über die Universität einmal gesammelt an, fällt schnell auf, dass viele kleine Zeitungen ihre Informationen und oftmals ganze Berichte anscheinend ungefiltert von der FAZ übernahmen. Doch auch die WELT und “Christ und Welt” waren inbrünstige Mitstreiterinnen.  

Gründungssenat und Presse scheinen einander von Anfang an (bewusst?) missverstanden zu haben. Dass es in Bremen nicht so lief wie an anderen Universitäten, wurde von manchen als Versagen gedeutet. In den Augen der Gründer*innen war es allerdings genau dieser diskursive und ergebnisoffene Planungsprozess, der vermeiden sollte, dass man die gleichen Fehler wiederholte, wie anderswo.  Auch die sozialistische Ausrichtung wurde von… naja nicht unbedingt einer Mücke, aber sagen wir mal von einem Pferd zu einem Elefanten gemacht. Und diesem Elefanten setzte man einen Hut auf und lehrte ihn das Tanzen. Wenn man titelt „Fünf Sozialisten bewerben sich um das Amt des Bremer Gründungsrektors – Nicht Sachverstand, sondern linkes Bewusstsein gefragt“ (FAZ/Winters, 24.06.1970), und dann kaum Schockierenderes über diese zu sagen hat, als dass sie für Teilhabe und Transparenz einzutreten gedenken, fängt, wie Griesche (1974:39) richtig schreibt, die „Manipulation schon in der Überschrift ” an. Wenn man auf eine Studie verweist, laut der Bremer Absolvent*innen bei Arbeitgeber*innen äußerst unbeliebt seien, und dann am Ende eingesteht, diese sei zwar nicht repräsentativ, reiche aber aus um einen (Frankfurter?) „allgemeinen Eindruck zu bestätigen (FAZ/Reumann, 13.04.1978) – ist das noch professioneller Journalismus, oder schon Propaganda?  

Bat man seitens der Universitätsleitung um Richtigstellung oder Kontext, kam es vor, dass die Bitte abgetan wurde mit der Begründung, das mache alles dann aber doch etwas unübersichtlich für die Leser*innen. Oder sie wurde akzeptiert (nicht nur einmal erst nach Aufforderung durch ein Gericht), doch mit einer so spöttischen Bemerkung eingeleitet, dass der kurze Anschein des Diskurses sich schnell in Schikane verkehrte (Griesche 1974: 31-32, 38-48).  

Nun muss man diese Berichterstattung wohl im Kontext ihrer Zeit betrachten. Und es ist sicherlich fair zu sagen, dass so manche Aktion von Seiten der Studierenden den einen oder anderen aufrichtigen Tropfen Angstschweiß auf die gutbürgerliche Stirn getrieben hat, ja dass auch von links außen selten ein Angebot zum Diskurs ausging, sondern eher mal Eier flogen. Doch hat die konservative Presse mit ihrer snobistischen Voreingenommenheit und grenzwertigen Wahrheitsliebe an keiner Stelle dazu beigetragen, diesen Diskurs vor der Eskalation zu entschärfen.  

Dass dann unter zig, wenn nicht hunderten Artikeln, die die FAZ der Bremer Universität widmete, immer mal wieder unauffällige Tatsachenberichte dabei waren, beweist noch kein Bekenntnis zum Diskurs. Was der Frankfurter Rundschau oft gelang, und auch einzelnen Autoren der Bremer Nachrichten, bevor sie der Neuausrichtung der Redaktionslinie zum Opfer fielen (s. hierzu Griesche 1974: 36), nämlich eine kritisch-distanzierte, informierte und umsichtige Darstellung, die eine eigene Meinungsbildung erlaubt, fördert und fast schon fordert, war nicht die Regel. Medien müssen nicht neutral sein. Aber sie dürfen ihre Macht nicht missbrauchen.

Lektürebericht Die ZEIT & Der Spiegel (Sebastian) 

Dass die Auseinandersetzungen um die Gründung, Etablierung und Ausrichtung der Bremer Uni regelmäßig auch in der konservativen Wochenzeitung „Die ZEIT“ einen Niederschlag fanden, unterstreicht die bundespolitische Dimension der Kämpfe um das Bremer Modell. Schon aus der Aneinanderreihung der Überschriften lässt sich leicht sowohl der Alarmismus über die linke Stoßrichtung des Bremer Modells als auch die zunehmende Ablehnung der real existierenden Bremer Reformuni ablesen, die Die ZEIT 1980 als Reformruine abgeschrieben hat. Die ZEIT lenkt die Aufmerksamkeit der Leser*innen dabei vor allem auf zwei Themenfelder: Die partei- und landespolitische Dimension des Bremer Modells und die vermeintliche Ideologisierung der Wissenschaft (da drängt sich schon die Frage auf, welche Wissenschaft eigentlich unideologisch sein soll, etwa die neoklassische Ökonomik?). Bei den Ausführungen zur Parteipolitik erhält mensch als ZEIT-Leser*in dabei tatsächlich ein ganz anderes Bild der politischen Konstellation, als es sich vielen Bremer Zeitgenoss*innen wohl geboten haben dürfte: Der von vielen Reformkräften heftig kritisierte SPD-Bildungssenator Moritz Thape erscheint in den Berichten der ZEIT oft als sturer Steigbügelhalter der “roten Kaderschmiede”, während die FDP als Verfechterin der Wissenschaftsfreiheit auftritt.

Die ZEIT zeigte sich daher tatsächlich etwas überrascht, dass im Oktober 1971 der Studienbetrieb regulär aufgenommen wurde, obwohl sie die Uni doch schon extra mehrfach totgeschrieben hatte. Nach dem aus Sicht der ZEIT wohl eher unerfreulichen Wahlausgang zugunsten von SPD und Uni, verlagert sich dann folgerichtig das Interesse stärker auf die hochschulpolitischen und –rechtlichen Auseinandersetzungen auf der Bundesebene, gelegentliche Spitzen der offenen Ablehnung gegen die SPD konnte sich das Blatt aber dennoch nicht sparen. Wichtiger war ihm aber die Offenlegung kommunistischer “Umtriebe” an der Bremer Uni (DKP, KBW, MSB Spartakus etc.). In der Auseinandersetzung zwischen Rektor Wittkowsky und Bildungssenator Franke um die Neuausrichtung der Universität ergreift das Blatt 1982 dann Partei für den SPD-Mann, hält aber auch seine Pläne für den Um- (oder Ab-)bau des Bremer Modells für nicht weitgehend genug.  

In Bezug auf die wissenschaftspolitische Dimension konstruiert die ZEIT immer wieder einen Widerspruch zwischen linken politischen Vorstellungen und Wissenschaftlichkeit und attestiert, wenig überraschend, der Bremer Uni akademisches Versagen und den jungen Bremer Hoschullehrer*innen wahlweise Karrierismus und/oder Idealismus (was hier wohl kein Widerspruch sein muss). Die Berufungspolitik der Bremer Uni gerät in der ZEIT immer wieder in die Kritik. Auch die Ideen zur gesellschaftlichen Verantwortung von Forschung und Lehre und die neuen didaktischen Ansätze kommen in der ZEIT nicht besonders gut weg, werden im Gegenteil tendenziell von oben herab als unwissenschaftlich abgekanzelt (weil schließlich immer noch das Bürgertum bestimmt, was wissenschaftlich ist und was nicht). Während das ZEIT-Dossier zur “Reformruine” aus dem Oktober 1980 (das eine ganze Serie von Artikeln und Leserbriefen über die Bremer Uni und Leserbriefen u.a. des Bildungssenators Franke und des Rektors Wittkowski in den Folgeausgaben provozierte) auf eindrucksvolle Weise alle Vorurteile bestätigt, die Linke gegen die ZEIT so haben können (und in diesem Sinne trotz seiner Härte auch irgendwie beruhigt ein Gefühl, das sich aber wohl nur wegen des großen zeitlichen Abstands zum Geschehen einstellen mag), überraschen einige andere Beiträge, die zuweilen zu einer gewissen Ausgewogenheit führen, dann doch. So wird etwa dem neuen Rektor Steinberg (der noch ein gutes Jahr zuvor an gleicher Stelle runtergeschrieben wurde) im Juli 1975 Platz für eine Rezension des Buches seines Vorgängers von der Vring eingeräumt, in der er die junge Uni gegen die vielen scharfen Angriffe differenziert verteidigt.

Ein Jahr später kann Hans Menninger in der ZEIT ausführlich die mangelnde externe und interne Unterstützung für das mit viel Elan gestartete Reformprojekt beklagen, dessen Abbruch ein fatales Signal in die Hochschullandschaft sende. Als Reaktion auf Manfred Webers polemischen Rundumschlag gegen die “Reformruine” mahnt Dietrich Goldschmidt mehr Realismus in der Debatte an und verweist auf Bremens “Weg zur „Normalität“, der eher umgekehrt zu der Sorge Anlaß gibt, daß der Konformitätszwang des bundesdeutschen Bildungssystems die Universität zur völligen Aufgabe ihres Reformprogramms zwingt.” 1984 erhält schließlich die Handlungsforschung des universitären Arbeiterkammerbereichs eine recht ausführliche und differenzierte Würdigung. Mit wachsendem Abstand zur Abwicklung des Bremer Modells gewinnt die Berichterstattung dann aber auch wieder an politischer Klarheit, wenn z.B. in der Retrospektive die Überwindung der anfänglichen Unwissenschaftlichkeit und die neue Nähe zur Wirtschaft gelobt werden. 

Auch der Spiegel berichtet vor allem im Zusammenhang mit landespolitischen und bundesweiten hochschulpolitischen Auseinandersetzungen über die Bremer Uni und bezieht sich dabei auch gerne mal auf Artikel aus anderen Zeitungen (oft Zeit, „Rheinischer Merkur“ aber auch „Bremer Nachrichten“). Ähnlich wie in der Zeit vermitteln auch hier viele Artikel den Eindruck großer Verwunderung über die ungewöhnlichen Entwicklungen an der neuen Universität, die so gar nicht in das konservative Bild einer guten Hochschule passen wollten. Gerade 1970 und 1971 schaut der Spiegel aber gleichzeitig auch etwas genauer hin als andere Medien und macht politische Kämpfe zwischen progressiven und konservativen Flügeln um die Ausrichtung der Hochschulpolitik nicht ausschließlich zwischen Gründungssenat und Landespolitik, sondern auch innerhalb von SPD und FDP aus. Besonders letztere kommt im Spiegel oft nicht gut weg. Gerade in der stürmischen Anfangszeit der Uni setzt der Spiegel dem Narrativ der roten Kaderschmiede ein deutlich differenziertes Bild gegenüber und schaut sich die neu berufenen Professoren und ihr Werk genauer an. Dabei kommt er etwa im Mai 1971 zu dem Schluss: „Knapp 40 Wissenschaftler links von der Mitte machen noch keine Kaderschmiede, aber, wenn es gutgeht, ein Stückchen Hochschulreform.“ Anders als die ZEIT interessiert sich der Spiegel auch für die die curricularen und didaktischen Fragen der Studienreform und den Bremer Studienalltag. Er berichtet immer wieder über Auseinandersetzungen über Studien- und Prüfungsordnungen und die Regelungen zum Hochschulzugang. 

In zahlreichen Artikeln über den Stand der Hochschulreform (die in der Chronologie nicht auftauchen, weil sie sich nicht spezifisch mit der Situation in Bremen beschäftigen), setzt sich der Spiegel in den 1970er Jahren kritisch mit dem zunehmend härter werdenden politischen Klima an westdeutschen Universitäten auseinander. Dabei gerät auch immer wieder das spannungsreiche Verhältnis zwischen Hochschulautonomie und landespolitischer Einflussnahme in den Blick, das auch eine zentrale Rolle in den politischen Kämpfen um das Bremer Modell spielte. Zudem kommen im Spiegel regelmäßig warnende Stimmen gegen eine vermeintliche linke Unterwanderung der Hochschulreform zu Wort (z.B.  die des West-Berliner Politikwissenschaftler Alexander Schwan). Selten zu Wort kommen Studierende, es sei denn, um ihre Verunsicherung über die Reputation eines Bremer Abschlusses kundzutun. 

Lektürebericht zu linken & moderate Zeitungen (Paul) 

Die Debatte um das Bremer Modell wird Ende der 70er, Anfange der 80er Jahre hauptsächlich noch von den konservativen Zeitungen geführt, während linke und moderate Blätter sich anscheinend kaum noch für die Bremer Modell Universität interessieren. Die TAZ benutzt im Februar 1980 das „Bremer Modell“ bloß als Schlagwort für einen Bericht über studentische Kämpfe an der Uni. Es ist nicht mehr das Bremer Modell, das in seiner Gänze verteidigt wird, sondern die Studierenden an der Uni. Die Zeiten haben sich gewandelt und so auch die Universität. Nicht nur die ZEIT bemerkt im Dezember 1980, dass die Situation in Bremen längst nicht mehr mit der von 1971 zu vergleichen ist und bewertet relativ neutral die damalige Situation an der Universität. Aus der linken und moderaten Ecke kommen nun vor allem Artikel, die auf die konservative Diffamierung reagieren, insbesondere seitens der FAZ, welche es sich selbst 10 Jahre nach der Gründung nicht nehmen lässt, Bremen als rote Kaderschiede zu denunzieren.

Wenig überraschend verteidigt der “Vorwärts“ das Bremer Modell Ende der 70er vor der konservativen Presse und bringt 81 nochmal einen satirischen Beitrag heraus, in welchem sich die Zeitung über die rote Angst der FAZ belustigt. Und wie bereits im vorherigen Abschnitt beschrieben, bemängelt nun sogar die ZEIT die oftmals einseitige Darstellung der Uni durch die Presse und fördert ab 1980 einen vielseitigeren Diskurs und bringt so wieder etwas Schwung in die Debatte. Doch der ist nur von kurzer Dauer. „Die Neue“ kommentiert noch erfreut die Entscheidung aus Karlsruhe, die die Drittelparität in Teilen für Verfassungskonform erklärt, solange die Stimmen der Professor*innen in gewissen Belangen mehr Gewicht erhalten – . Auch die SZ verfasst noch einen neutralen, doch wohl wohlwollenden Artikel darüber, da wird die ganze Uni schon beinahe wieder vergraben: im Januar 1981 beschließen, angeführt von der hessischen FDP, mehrere Bundesländer die Universität nicht mehr finanziell zu unterstützen. „Reformen auf dem Opfertisch“ titelt der Vorwärts und für die Süddeutsche sitzt die Bremer Uni fortan „[…]auf dem Trockenen“. 

Einzelne Ereignisse provozieren also hin und wieder noch einen kleinen Aufschrei, aber insgesamt erscheint es, als sei die Aufregung vorbei. Die Uni hat sich gewandelt und mit ihr die Berichterstattung, und niemand beschäftigt sich noch einmal ausführlich mit dem gestutzten Bremer Modell. Wenn überhaupt reagiert man noch auf die konservative Denunziation seitens der FAZ, die immer noch in alten Kämpfen feststeckt, die keiner mehr kämpfen will und die der neuen Wirklichkeit an der Uni nicht mehr angemessen sind. Die Uni scheint in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein und es wird schwerer, sich an ihr zu reiben. Linke „Umtriebe“ sind gebannt und dienen nun vielleicht noch dazu, der Uni ihr „edgy“ Image zu verleihen.  Mit der Ernennung Jürgen Timms zum Rektor enden 1982 die turbulenten Anfangsjahre und es wird eine neue Ära eingeleitet, die von konservativen Blättern begrüßt wird und von linken nicht aufgehalten werden konnte.  

Literatur 

Gerstenberger, Heide (1982): Vom Elfenbeinturm zum Bremer Modell – und wohin jetzt?. In: Diskurs. Bremer Beiträge zu Wissenschaft und Gesellschaft. Thema: Zehn Jahre Universität Bremen. Keine Festschrift.(82/7), 34-49.

Gräfing, Birte (2012): Tradition Reform. Die Universität Bremen 1971-2001. Bremen: Donat.  

Griesche, Hans-Detlev (1974): Die Bremer Hochschulreform und die Presse – Eine Analyse der Berichterstattung 1970/71. Schünemann Universitätsverlag, Bremen, 30-49. 

von der Vring, Thomas (1975): Hochschulreform in Bremen. Frankfurt: EVA. 

Wehmeyer, Peter (1982): Zehn Jahre Abbau der Mitbestimmung. In: diskurs. Bremer Beiträge zu Wissenschaft und Gesellschaft Nr. 7, Universität Bremen, S. 121-126.