Berufsverbote

von | Jun 7, 2021

Der "Radikalenerlass"

Anfang der 70er Jahre gehörte es in der Bundesrepublik sowohl bei einem Großteil der Bürger*innen als auch in der Politik zum guten Ton, dass Kommunist*innen gefährlich seien. Es breitete sich eine Angst vor einem Umbruch durch die sogenannte „rote Gefahr“ und vor einem Sieg des Kommunismus im Westen aus. Am 28.02.1982 wurde dann der Radikalenerlass von Willy Brandt unterschrieben. Der Beschluss unter dem Titel „Beschäftigung von rechts- und linksradikalen Personen im öffentlichen Dienst“ (Deutscher Bundestag 2017: 2) sollte es Menschen mit einer politisch „extremen“ Haltung unmöglich machen, eine Anstellung im öffentlichen Dienst zu finden oder ihren erlernten Beruf weiterhin ausüben zu können. Die Vereinbarung des Bundeskanzlers mit den Länderministern betraf, dass Angestellte in ihrem Berufs- und Privatleben die „demokratische Ordnung“ verteidigen müssten und es verboten sei, verfassungsfeindliche Tätigkeiten auszuüben oder Mitglied in einer verfassungsfeindlichen Organisation zu sein (Gräfing 2012:97).

Der Radikalenerlass 1972

Nach dem Radikalenerlass musste jede*r Bewerber*in auf einen öffentlichen Dienst auf ihre „Staatstreue“ überprüft werden. Überprüft wurde, ob die Person eine mutmaßliche Verfassungsfeind*in darstellt. Insgesamt wurden dabei im Laufe der 70er Jahre 1,7 Millionen Anfragen an den Verfassungsschutz gestellt.

Während sich der Radikalenerlass formal gegen „Extremist*innen“ sowohl linker als auch rechter Gruppen richtete, waren nur 0,7% der vom Berufsverbot betroffenen Menschen Mitglieder in rechten Organisationen. Am häufigsten betroffen waren Mitglieder der Deutschen Kommunistischen Partei mit 41,1%, sowie Mitglieder der K-Gruppen, z.B der KWB (kommunistischer Bund Westdeutschland) mit 14,4 % (Gräfing 2012: 98).

Das Urteil des Radikalenerlasses basierte oft nur auf eine Prognose. Alleine die Sorge, dass z.B Mitglieder der DKP sich in Zukunft verfassungswidrig verhalten könnten, war ein ausreichender Nachweis für den Radikalenerlass.

Reaktionen 

In seiner bekannten Rede „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ sagte Willy Brandt: „ Wir suchen keine Bewunderer; wir brauchen Menschen, die kritisch mitdenken, mitentscheiden und mitverantworten“ (Willy Brandt vor dem Deutschen Bundestag 1969). Dieser Satz wurden ihm noch zum Verhängnis, denn viele junge Menschen in den 70er Jahren haben ihm geglaubt. Sie haben sich politisch organisiert und geäußert. Doch das Ziel des Radikalenerlasses war es, politisch linke Menschen zu verunsichern und einzuschüchtern. 

Rückblickend sagte Brandt selber, dass der Erlass ein „kardinaler Fehler“ seiner Amtszeit war: 

„Als Flankenschutz gegen die Volksfrontangriffe der Rechten ist auch jener Radikalenerlass gedacht, den Brandt später als einen seiner kardinalen Fehler werten wird, denn er kostet ihn Glaubwürdigkeit bei der jungen Generation. Es ist schon fatal, wenn gerade er, der ja den größeren, nicht zu Gewalt bereiten Teil der rebellierenden Jugend in den demokratischen Prozeß integrieren will, seine Unterschrift unter jenen Erlaß setzt, der Andersdenkende mit beruflicher Repression bedroht.“ (Merseburger 2002: 634).

Der Widerstand auf der Seite der Studierenden an der Universität Bremen war groß und lautstark. Die Reaktionen auf Seite der Studierenden und der Hochschulgruppen lassen sich anhand verschiedener Flugblätter, die sich gegen die Berufsverbote der Professor*innen an der Universität Bremen aussprechen, aufzeigen. 4,3 % der insgesamt registrierten Berufsverbote in der Bundesrepublik wurden in Bremen ausgesprochen. Darunter auch Jens Scheer und Dieter Mützelburg.

 

Zum Thema: Dieter Mützelburg

Dieter Mützelburg kam 1971 als angehender Lehrer an die Uni Bremen. Einige Jahre später wurde er als Kommunist ‚enttarnt‘. Was das damals und heute für ihn bedeutet(e), lesen Sie hier.

Zum Thema: Jens Scheer

Der Bremer Professor für Kernphysik Jens Scheer verlor jahrelang seinen Beruf. Grundlage hierfür bot der Radikalenerlass. Hier geht es weiter zum Artikel!

Literatur

Deutscher Bundestag (2017): Der sogenannte „Radikalenerlass“ in der deutschen und europäischen Rechtssprechung. Text abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/526404/effe56fccef64bc4c32baaeb0c4ce495/wd-3-125-17-pdf-data.pdf

Gräfing, Birte (2012): Tradition Reform. Die Universität Bremen 1971 – 2001. Bremen: Donat Verlag.

Merseburger, Peter (2002): Willy Brandt. Visionär und Realist. Stuttgart/München: Deutsche Verlags-Anstalt DVA.

Regierungserklärung vom Bundeskanzler Willy Brandt vor dem Deutschen Bundestag in Bonn am 28. Oktober 1969. Rede abrufbar unter: https://www.willy-brandt-biografie.de/wp-content/uploads/2017/08/Regierungserklaerung_Willy_Brandt_1969.pdf