Interview Dieter Mützelburg
„Psychisch war das eine hoch anstrengende Zeit. Wenn ich nicht die dauernde Solidarität gehabt hätte, dann wäre ich damit auch nicht so gut klargekommen“
Berufsverbot: Ein Gespräch mit Dieter Mützelburg
Greta Blotevogel: Herr Mützelburg, wie hat es Sie nach Bremen verschlagen?
Dieter Mützelburg: Ich bin 1971 nach Bremen gekommen und kaum war ich hier, gab es im Spiegel einen Artikel über mich. „Kommunist soll in Bremen Lehrerbildung leiten“ -oder so ähnlich hieß der Artikel. Der kam deshalb zu Stande, weil ich als Studentenvertreter in Göttingen in die Kommission zur Reform des Bildungswesens gewählt worden bin. Dann wechselte ich nach Bremen und darüber kam dann mein Name in den Medien auf. Die haben mitbekommen, dass ich in dieser Kommission war und ich angeblich Mitglied einer roten Zelle war. Das war zwar Unsinn, wurde aber so behauptet. Es kam ein Streit in den Medien auf, ob einer wie ich Deutschland vertreten könne. So hoch ging das dann… Das war noch vor dem ganzen Berufsverbot, doch ich war zu dem Zeitpunkt dann schon in der Presse als Kommunist verschrien.
Wie war die Zeit an der Universität Bremen kurz vor Ihrem Berufsverbot?
An der Universität selber hat sich 1973 der Kommunistische Bund Westdeutschlands gegründet. Offiziell war man als Intellektueller nie Mitglied in so einem Verein. Aber ich galt damals erst als Sympathisant und dann als Unterstützer der KBW, und das stimmte auch.
Es gab 1972 die bundesweiten Berufsverbots Beschlüsse: Die Berufsverbote richteten sich an die Unvereinbarkeit des öffentlichen Dienstes und die Mitgliedschaft einer verfassungsfeindlichen Organisation. Die erste Zeit an der Uni wurde nur gegen Leute, die der DKP nahestanden, vorgegangen. Ich war davon erst nicht betroffen.
An der Uni gab es auch bis in die Verwaltung eine große Abwehrhaltung gegen die Berufsverbote. Da ich selber in der Verwaltung war, war ich davon erstmal nicht betroffen.
Wie sind Sie dann zu einem Berufsverbot gekommen?
Das war eine richtige Enttarnung. Das muss man wirklich so sagen, eigentlich eine witzige Geschichte.
Ich habe 1973 die Zeitung der KBW am Bahnhof verkauft. In der Bahnhofshalle lauerte ein leitender Schulaufsichtsbeamter des Landesschulrats. Die lauerten da immer und schauten ob da Lehrer waren. An dem Tag haben sie keine Lehrer gefunden, aber leider mich (lacht).
Ich habe das auch erst Jahre später erfahren. Damals liefen immer die Gerüchte, dass die bespitzeln. Ich habe immer gedacht: Lehrer doch nicht. Das war ein bisschen naiv.
Und was ist dann passiert?
Dann wurde ich angezeigt. Der Wissenschaftssenator hat verfügt, die Uni möge mich entlassen. Daraufhin haben ich eine richtige Berufsverbotsmitteilung bekommen, dass ich fristlos gekündigt bin. Ich habe mir Anwälte gesucht, zum Beispiel einen Professor, den ich über mein Uni Projekt kennengelernt haben. Das hat sich endlos hingeschleppt.
Wie waren die Reaktionen auf Ihr Berufsverbot?
Es gab politische Aktion bis hin zu einer Demonstration in der Stadt mit 700 Demonstranten, was damals sehr viel war für eine einzelne Person. Das war eine richtig große Demonstration.
Außerdem waren zu der Zeit auch die Wahlen zum Personalrat. Ich war ja damals schon drin, die ÖTV hat mich dann aber aufgrund vom Berufsverbotsverfahren ausgeschlossen. Ich habe dann an der Uni nochmal kandidiert und als einzelne Person mehr Stimmen als die ÖTV Liste bekommen. Das war ein Zeichen der Unterstützung auf der Seite der Mitarbeiter.
Wie lange hat sich das Verfahren gezogen?
Das hat lange gedauert. Ich wurde dreimal verhört, von den unterschiedlichsten Instanzen. Danach kam das Gerichtsverfahren. Da wurde dann das Verfahren gegen mich aufgehoben, mit der Begründung, das Berufsverbotsverfahren sei nicht fristgemäß passiert. Das Entlassungsverfahren lief nämlich in den Osterferien. Es ist danach nie wieder was passiert.
Denken Sie die große öffentliche Solidarität spielte dabei eine Rolle?
Ja, die Solidarität war sehr groß. Wenn ein Professor von außerhalb kommt und der wird hier nicht berufen bzw. es gibt eine Auseinandersetzung darum, dann kennt den meistens hier keiner.
Ich habe schon vier Jahre hier gearbeitet und mich kannten unheimlich viele Leute. Ich wurde von den Mitarbeitern in den Personalrat gewählt. Außerdem habe ich Studienberatung für die gesamten Lehramtsstudenten gemacht. Damals kannte ich jeden zweiten dieser Studenten.
Wie haben sie sich während des Verfahrens gefühlt?
Psychisch war das eine hoch anstrengende Zeit. Wenn ich nicht die dauernde Solidarität gehabt hätte, dann wäre ich damit auch nicht so gut klargekommen.
Du denkst dir natürlich, was heißt das für deine Berufliche Existenz. Mit dem Stempel Berufsverbot hast du nicht nur im öffentlichen Dienst, sondern auch in privaten Einrichtungen Probleme. Du müsstest schon gute Freunde haben, die dich unterbringen können.
Hat das Berufsverbot Ihre spätere Zeit an der Uni geprägt?
Ich war nach meinem Berufsverbotsfall Mitglied im Bremer Komitee gegen Berufsverbote. Berufsverbote, egal ob wir politisch mit den Betroffenen übereinstimmten, sahen wir grundsätzlich als verfassungswidrig.
Es gab immer das berühmte Beispiel: Kann ein Lokführer, der Kommunist ist nicht genauso gut eine Lock steuern? Was bringt das für eine Gefahr für die Fahrgäste, dass er ein Kommunist ist?
Herr Mützelburg, danke für das Interview!
Dieter Mützelburg kam 1971 als Student, aber hauptsächlich als Angestellter an die Universität Bremen. Zuvor hatte er in Erlangen und Bonn Jura studiert und anschließend in Göttingen ein Studium der Sozialwissenschaft angefangen. Für eine Stelle in der Planungskommission der Lehrer*innenbildung zog er schließlich nach Bremen und beendete dort auch 1973 sein Studium der Sozialwissenschaft. Nach seinem Berufsverbot im Jahr 1975 engagierte sich Dieter Mützelburg im Komitee gegen die Berufsverbote und in der Anti-Atomkraft-Bewegung. 1979 unterstützte Dieter Mützelburg dann die Gründung der Bremer Grünen und war von 1983 bis 1985 und 1991 bis 2003 Abgeordneter der Bremer Bürgerschaft. 2003 war er wieder bei den Grünen als Sprecher tätig.