Wie verhält sich die Uni heute zum Bremer Modell?

von | Jun 9, 2021

Im Rahmen dieser digitalen Ausstellung gibt es viel darüber zu lesen, was das Bremer Modell eigentlich ist, inwiefern es als Reformmodell aufzufassen ist oder welche politischen Auseinandersetzungen es darum gab. Doch wo stehen wir heute, im Jahr 2021? An anderer Stelle geben unsere Spurensucher*innen Antworten darauf, was sie mit dem Bremer Modell verbinden. Gleichwohl sind dies keine offiziellen Antworten – aber gibt es solche?

Eine Spurensuche auf den Internetseiten der Universität Bremen.

Die Suche beginnt auf der Landingpage der Universität Bremen. Dort finde ich zunächst keinen Verweis auf das Bremer Modell, dafür aber Stichworte, die auf der Website einer modernen Universität nicht fehlen dürfen („Diversität, International, Inklusiv“). Der Reiter „Universität“ scheint mir der vielversprechendste, ich klicke ihn an – was macht wohl das Profil der Universität aus? Auch hier eher kein direkter Bezug auf das Bremer Modell. Was ich aus dem Profil dennoch mitnehmen kann: die Universität fördert anscheinend schon immer „ungewöhnliche Ideen“. Der einzige direkte Bezug auf die Anfangszeit der Bremer Universität findet sich in einem Absatz über die Fortschrittlichkeit dieser:

Sie wagt sich an neue Ansätze gerne als erste heran: Gegründet als Reformuniversität, leben wir Veränderung. Unsere Vision: Bremen als eine führende europäische Forschungsuniversität und ein inspirierender Ort der Bildung“.

In gewisser Weise wird also eine Kontinuität aufgemacht: die Universität Bremen heute steht insofern in einer Linie mit der Universität von damals, als dass beide als besonders innovativ gelten (sollen?). Was das genau heißen soll, wird an dieser Stelle allerdings nicht klar benannt. Von der Seite zum Profil gehe ich zum Leitbild über, wo ich fündig werde. Auch hier wird wieder eine Kontinuität zwischen der Universität heute und damals aufgemacht. Diesmal geht es dabei um das „Leitbild der Universität in Lehre und Forschung“. So ist dort zu lesen, dass „Interdisziplinarität, Praxisbezug und gesellschaftliche Verantwortung“ Gründungsziele der Universität waren und auch heute noch fest im Leitbild dieser verankert seien. Gleichwohl wird das „Bremer Modell“, das ja mehr beinhaltete als nur die drei genannten Punkte, nicht erwähnt.

„Geschichte der Universität Bremen“ – Volltreffer! Leider funktioniert der Link nicht und ich muss mich mit dem Teaser abgeben. Dieser ist in Bezug auf das Bremer Modell, das hier erstmalig erwähnt wird (vielleicht ein Hinweis darauf, dass es der Geschichte angehört?) und das Verhalten der Universität heute zu diesem, sehr aufschlussreich. Zu lesen ist dort:

Die Uni Bremen ist eine junge Universität: Sie wurde 1971 gegründet. In einer Zeit gesellschaftlicher Erneuerung entstand das „Bremer Modell“. Seine Kernelemente gelten noch heute und haben die außergewöhnlichen Forschungserfolge erst möglich gemacht: Interdisziplinarität, forschendes Lernen in Projekten, Praxisorientierung und Verantwortung gegenüber der Gesellschaft.“

Während diese Passage die damaligen Ereignisse natürlich nur verkürzt wiedergeben kann (es handelt sich nunmal um einen Teaser), lassen sich daran dennoch einige interessante Narrative ablesen.

1) Das Bremer Modell entstand einfach in einer Zeit der gesellschaftlichen Erneuerung – hier wird offen gelassen, worauf es eine Antwort sein sollte bzw. was genau erneuert wurde. Gleichzeitig wird das Bremer Modell nicht als Objekt verschiedenster politischer Auseinandersetzungen (von denen wir hier manche beleuchten) aufgefasst.

2) Seine Kernelemente gelten noch – die Kernelemente des Bremer Modells sind also Interdisziplinarität, forschendes Lernen in Projekten, Praxisorientierung und Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Weitere Elemente, wie zum Beispiel die Demokratisierung der Hochschule durch Drittelparität in den Gremien (sowohl Studierende als auch Mitarbeitende in Verwaltung und Technik hatten ein Drittel der Stimmen) oder die Anwendung alternativer Lernkonzepte (keine Massenvorlesungen!) werden nicht erwähnt bzw. sind keine Kernelemente.

3) Die Kontinuität der Universität damals und heute besteht in den oben genannten Punkten, die exzellente Forschung ermöglicht haben – womit ausgeklammert wird, dass das Bremer Modell ursprünglich nicht angewandt wurde, um unbedingt gängigen Forschungsstandards zu entsprechen und eine Vorreiterrolle einzunehmen, sondern, um als Reformuniversität eine Alternative zu damals gängigen Universitätskonzeptionen zu bieten. Abgesehen davon werden die verschiedenen Brüche, die es zwischen 1971 und 2021 gab (die Streitigkeiten um Berufungen, die Abschaffung der Drittelparität, Projektstudium), vollkommen übersehen.

Ein erstes Ergebnis dieser Spurensuche könnte also lauten: Die Universität Bremen (bzw. die Akteur*innen, die im Namen der Universität solche Texte schreiben) bezieht sich sehr selten  auf ihre Anfangszeit bzw. auf das Bremer Modell. Wenn sie dies tut, stellt sie eine Kontinuität her, indem manche Aspekte des Bremer Modells als wichtiger als andere herausgestellt, andere ausgeklammert werden und das Bremer Modell allgemein als fortschrittlich (im Sinne von quantitativ besser als andere Universitätskonzeptionen und nicht qualitativ unterschiedlich) dargestellt wird.

Ich klicke mich weiter durch die Internetpräsenz der Universität und lande schließlich beim Jubiläum zum 50. Geburtstag der Universität, dessen auch wir ein Teil sind. Wieder werde ich fündig: da das Jubiläum natürlich öffentlichkeitswirksam von statten gehen soll, gibt es für die Allgemeinheit verschiedene Dateien zum Download. Unter anderem auch einen kurzen Text zur Geschichte und eine Art Flyer mit Informationen zum Jubiläum und zur Geschichte der Universität: in beiden Texten steht im Grunde aber das gleiche über die Anfangsjahre der Universität geschrieben.

Wieder wird hier das oben beschriebene Schema angewandt: Die damalige Situation wird auf Teilbereiche reduziert, die damalige Universität wird als besonders fortschrittlich (aber nicht im Sinne von anders sondern besser) dargestellt – das Ziel soll damals gewesen sein, besonders gute Forschung zu betreiben – und schließlich wird auf dieser Ebene eine Verbindung zur heutigen Universität aufgemacht. Konkret heißt das in der Darstellung der Universität (bzw. des Marketingteams, das über die Außendarstellung entscheidet):

Zusammen mit hochmotivierten, zumeist sehr jungen Professorinnen und Professoren leisteten sie Pionierarbeit. Denn gelebt wurde auf dem Campus das „Bremer Modell“ – ein System, das Grenzen überwinden sollte. Grenzen zwischen Forschung und Lehre und Grenzen zwischen den wissenschaftlichen Fachgebieten. Nur so – davon waren die Gründerinnen und Gründer überzeugt – könnten Antworten auf die drängenden Fragen der Gesellschaft gefunden werden“.

Während der Text sich also gut in die bereits bekannten Interpretationen der Anfangszeit einzuordnen lässt, ist hier dennoch ein neues Narrativ zu finden („Grenzen überwinden“). Weiter unten heißt es dann:

Das „Bremer Modell“ erntete damals viel Kritik, weil es mit einigen Vorstellungen der traditionellen Universität brach. Vielen etablierten Kräften war es zu radikal. Und für viele junge Menschen gerade deshalb attraktiv. In den 1980er Jahren wurde der Ansatz erfolgreich reformiert, seine Kernelemente aber blieben erhalten. Denn letztlich nahm das „Bremer Modell“ schon 1971 viele Entwicklungen vorweg, die allen deutschen Hochschulen bevorstehen sollten: Heute gelten forschendes Lernen und interdisziplinäre Zusammenarbeit über Fächergrenzen hinweg als unverzichtbare Bestandteile moderner universitärer Bildung“. Wieder begegnet uns das bekannte Schema. Neu ist hier allerdings, dass die heftigen politischen Auseinandersetzungen um das Bremer Modell zumindest genannt werden.

Gleichwohl findet sich hier auch Kritik am Bremer Modell aus heutiger Perspektive: Die „fortschrittlichen“ Elemente, d.h. diejenigen, die sich heute gut vermarkten lassen, wurden der Darstellung zur Folge beibehalten, während diejenigen Elemente, die zu radikal waren, d.h. zum Beispiel die gleichwertige Beteiligung aller Mitglieder der Universität an Entscheidungsprozessen, wurden „erfolgreich“ reformiert – wobei nicht genannt wird, worin diese Reformen bestanden bzw. warum sie (von oben) auf den Weg gebracht wurden. Schließlich finde ich in dem Text noch einen letzten Bezug auf der Bremer Modell:

„Und nach wie vor ist auch das „Bremer Modell“[in der Forschungsarbeit Anm.d.V.] präsent. Denn im Vergleich zu anderen Hochschulen sind die Hierarchien an der Universität Bremen flach. Man lernt, lehrt und forscht auf Augenhöhe, mit Respekt und Toleranz. Früh im Studium hat zudem das eigenständige Forschen eine wichtige Bedeutung. Studierende sollen schon in den ersten Semestern Problemlösungskompetenz erwerben und Verantwortung übernehmen“.

Inwiefern der zweite Teil der Passage stimmt, kann ich im Vergleich leider aufgrund meiner auf die Universität Bremen beschränkten Universitätserfahrung nicht sagen. Dass die Hierarchien an der Universität Bremen als Nachwirkung des Bremer Modells besonders flach seien, stimmt meiner Ansicht nach aber insofern nicht, als dass die Studierenden und Mitarbeitenden in Verwaltung und Technik damals bei Entscheidungen gleichberechtigt mit am Tisch saßen, während heute ganz klar ist, wer die Entscheidungen trifft (die professorale Mehrheit).

Ich schließe die Seite und wende mich dem nächsten Text zur Frage, warum Menschen an der Universität Bremen studieren, zu (#Duweisstwarum). Abschließend also folgende Beobachtung, die der/die Leser*in durch die Verlinkungen auf die Seite der Universität gerne überprüfen kann.

1) In der Internetpräsenz der Universität Bremen scheint das Bremer Modell kaum eine Rolle zu spielen. Die meisten Bezüge darauf sind, zumindest für Leser*Innen ohne Kenntnis der Elemente des Bremer Modells, vermutlich nicht erkennbar.

2) Wenn das Bremer Modell benannt wird, dann werden die Elemente in zwei Gruppen geteilt. Einmal die „fortschrittlichen“ Elemente, die als Kernelemente benannt werden und dann diejenigen Elemente, die laut Darstellung nicht zum Kern des Bremer Modells gehören (z.B. Drittelparität, Wissenschaftsverständnis, Lernformate) und aufgegeben wurden – bzw. zu radikal waren und deshalb reformiert wurden.

3) Die Universität stellt sich in eine Tradition mit einem Teil der Elemente des Bremer Modells, nämlichen denjenigen, die als besonders fortschrittlich dargestellt werden.

4) Die politischen Auseinandersetzungen um das Modell werden ausgeklammert. Vielleicht schaut ihr euch mal hier um – es gibt hier ja zumindest darüber einiges zu lesen.